Originalarbeiten - OUP 04/2012
Rapid Recovery – ein innovativer Ansatz für Patienten in der SchulterendoprothetikRapid Recovery – an innovative approach for patients
in shoulder arthroplasty
in shoulder arthroplasty
Darüber hinaus wird durch regelmäßige Befragungen eine Lernbeziehung, sog. „Learning Relationship“ [28], zwischen dem Patienten und den medizinischen Leistungserbringern etabliert und neues Wissen für Prozessinnovationen und klinische Verbesserungen erarbeitet [22].
Gesundheitskommunikation
Die Evaluation liefert aussagekräftige und glaubwürdige Informationen für die Kommunikation gegenüber Krankenkassen, Rehaeinrichtungen, niedergelassenen Ärzten und Patienten. Für den Patienten bedient das Rapid Recovery-Programm ein Informationsbedürfnis. Der Vertrauensaufbau kann jedoch nur gelingen, wenn die Versprechen über den Behandlungsablauf (z.B. Mobilisierung am Tag der Operation) auch tatsächlich erfüllt werden, da ansonsten die Erwartungen und die tatsächlichen Erlebnisse für den Patienten nicht übereinstimmen. Die Realisierung von zuverlässiger und einheitlicher interner und externer Kommunikation ist daher ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Bisherige Erfahrungen aus dem Johanna-Etienne-
Krankenhaus Neuss
Nach intensiver Prüfung und Diskussion der Rapid Recovery-Prinzipien entschied sich das Team der orthopädischen Abteilung des Johanna-Etienne-Krankenhauses für die Entwicklung eines Rapid Recovery-Ansatzes für die Schulterendoprothetik. Dafür begann Anfang 2011 die konzeptionelle Entwicklung mit der Etablierung einer interdisziplinären Steuerungsgruppe, bestehend aus Ärzten aus der Orthopädie und Anästhesie sowie aus den beteiligten Pflegekräften, Schmerzmentoren, Physiotherapeuten, Casemanagement, Sozialdienst, Qualitätsmanagement sowie unterschiedlichen Arbeitsgruppen.
In der ersten Phase wurden dann die oben beschriebenen Rapid Recovery-Prinzipien für die elektive Schultergelenkersatzversorgung implementiert. Insbesondere die aktive Rolle des Patienten im Behandlungsablauf stand dabei im Mittelpunkt. Es stellte sich heraus, dass die erste Stufe des Rapid Recovery-Programms (Prozessoptimierung) ohne weiteres übertragen werden konnte. Als Besonderheit ist darauf hinzuweisen, dass bei den regelmäßigen Treffen des interdisziplinären Teams stets auch ein ehemaliger Patient des Johanna-Etienne-Krankenhauses (Patientenbeauftragter) anwesend war. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Patientenperspektive stets im Mittelpunkt steht und die geplanten Veränderungen direkt über ein Patientenfeedback auf ihren Zusatznutzen hin überprüft werden konnten. Dieses stellte sich als ein erheblicher Zugewinn im Rahmen der Steuerungsgruppensitzungen heraus und war in dieser Art noch nicht beim Knie- und Hüftprogrammen implementiert.
Die erste klinische Umsetzung des Rapid Recovery-Ansatzes mit einer Pilotgruppe war bereits im Juli 2011 möglich. Seitdem wurden monatliche Rapid Recovery-Zyklen durchgeführt.
In der zweiten Stufe ging es vor allem um die Diskussion der möglichen medizinischen Verbesserungen. Veränderungen wie bspw. keine Verwendung von Drainagen, Reduktion der Opiatverwendung auf ein Minimum, Vermeidung von Blutkonserven, Einführung eines Trinkplans und Reduktion der Zeit, in der der Patient nüchtern bleibt, sowie Mobilisierung innerhalb von 4h post OP konnten bereits umgesetzt werden. Die Hinterfragung des täglichen medizinischen Tuns soll dazu führen, dass einzelne Bereiche der Gesamtbehandlung kritisch betrachtet und möglichst nach aktueller Evidenz angepasst werden.
Die bisherige Auswertung von versorgungsspezifischen Variablen (u.a. Verweildauer, Informationsstand des Patienten, Zufriedenheit mit der Behandlung, reibungsloser und transparenter Behandlungsablauf etc.) sowie von ausgewählten Mitarbeiter- und Patienteninterviews zeigt, dass der Rapid Recovery-Ansatz für die elektive Schulterendoprothetik bereits nach kurzer Zeit positive Effekte aufweist. Die durchschnittliche Verweildauer nach einer Schultergelenkersatz-Operation liegt in Deutschland bei 13 Tagen [29] (ermittelt auf Basis OPS-Daten). Erste messbare Ergebnisse zeigen bereits eine Reduzierung der Verweildauer um zwei Tage, von 11 auf 9 Tage. Dieser Effekt ist insbesondere auf die Einführung einer Patientenschule, auf die Befolgung eines stringenten täglichen Behandlungsplans mit festen Uhrzeiten, auf die Entwicklung und Etablierung umfänglicher Informationsmaterialien zur Schulterversorgung sowie auf das speziell für die Rapid Recovery-Patienten entwickelte intensive Physiotherapiekonzept zurückzuführen. Anhand von vorher festgelegten und konsequent verfolgten Entlassungskriterien wie Schmerz unter VAS < 4, trockene reizlose Wunde, fallender CPR-Wert und Erfüllung der ADLs konnte die Reduktion der Verweildauer auf eine schnellere Genesung des Patienten sowie eine Reduktion der organisatorischen Engpässe zurückgeführt werden. Erste Erfahrungsberichte bestätigen zudem, dass sich die Behandlungsqualität und die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Patienten ebenfalls verbessert haben.
Eine ausführliche Datensammlung und –auswertung wird im Rahmen einer Dissertation begleitend durchgeführt, die der Frage nachgeht, wie sich Rapid Recovery-Programme für die Schulter-endoprothetik auf den Outcome (u.a. Beweglichkeit, Schmerz, Patientenzufriedenheit und Liegedauer) der Patienten jeglichen Alters auswirken. Ausgeschlossen werden Frakturprothesen, ein- und zweizeitige Revision sowie Patienten, die heim- und pflegebedürftig sind. Der Outcome wird zum einen mit Hilfe des Constant Scores, dem Dash Score und einer Röntgenkontrolle gemessen. Untersuchungszeitpunkte sind: präOP, 6 Wochen postOP, 3 Monate postOP, 6 Monate postOP, 1 Jahr postOP. Zum anderen wird anhand eines Schmerztagebuches und der darin enthaltenen VAS-Skala die Schmerzentwicklung gemessen. Die Zufriedenheit der Patienten fließt als abschließender Parameter in die Outcomemessung ein. Die Vergleichsgruppe stellen Patienten ohne Behandlung nach dem Rapid Recovery-Programm dar. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich im Herbst 2012 aufbereitet.
Fazit und klinische Relevanz
Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Prinzipien eines Rapid Recovery-Ansatzes ohne weiteres auf die Schulterendoprothetik konzeptionell übertragbar sind. Damit ist es gelungen, organisatorische und klinische Verbesserungen in der Versorgung der Patienten zu erreichen. Erste Qualitätseffekte in der Behandlung von Schultergelenkersatz-Patienten haben sich bereits kurz nach der Einführung gezeigt. Weitere Ergebnisse werden im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung bis Ende 2012 erwartet.
Ungeachtet dessen handelt es sich beim Rapid Recovery-Ansatz für die Schulterendoprothetik um ein lernendes System, das stets den Patientennutzen in den Mittelpunkt stellt. Eine sichere und rasche Rekonvaleszenz unter Berücksichtigung der physischen und psychischen Stressfaktoren sowie der aktuellen medizinischen Evidenz ist Ziel der Schulterbehandlung unter Rapid Re-
covery-Bedingungen. Von daher kann die klinische Relevanz als nicht hoch genug eingestuft werden, da die Rapid Re-
covery-Prinzipien die Anwender immer wieder aufs Neue dazu anregen, sich mit der bestmöglichsten Behandlung für den Schulterpatienten auseinanderzusetzen.