Arzt und Recht - OUP 06/2014
Regelleistungsvolumen – medizinisch Notwendiges nicht konstant vergütet: eine Begründung
Die Annahme des Arztes, dass das ihm zugewiesene RLV die notwendigen Leistungen „nicht abbilde“, wäre allerdings dann richtig, wenn man die RLV nicht allein als Leistungsmenge, sondern als garantiertes „Vergütungsvolumen“ ansieht.
- Diese Sichtweise ließe aber außer Acht, dass eine Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Regelungen zur Euro-Gebührenordnung und den Faktoren besteht, welche die Höhe des dem Arzt zugewiesenen RLV bestimmen. Den Anschein, dass das RLV einem Geldbetrag entspricht, der sich aus der Multiplikation der in das RLV fallenden Leistungsmenge mit den für die einbezogenen Leistungen geltenden Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung ergibt, erwecke auch die Gesetzesbegründung zum GKV-WSG (BT-Drucks. 16/3100 S. 124 zu § 85b Abs. 2 SGB V): Danach erhalte der Arzt nach dem vorliegenden Modell für die im Rahmen des RLV erbrachten Leistungen die Preise der regionalen Euro-Gebührenordnung und nicht nur die Zusage auf eine Vergütung mit einem festen Punktwert. Das RLV einer Arztpraxis sei so zu bemessen, dass der einzelne Arzt in der Regel die medizinisch erforderlichen Leistungen im Rahmen seines RLV erbringen könne und er sie somit mit den vollen Preisen der Euro-Gebührenordnung vergütet bekomme (a.a.O. S. 124).
- Das Gesetz enthalte jedoch keine diese Intention umsetzenden Berechnungsvorgaben für die RLV: Es gibt nicht vor, dass ein RLV anhand der mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung bewerteten Leistungsmenge zu berechnen ist. Maßgeblicher Faktor für die Höhe des RLV seien nicht die Preise der Euro-Gebührenordnung, sondern die tatsächlich gezahlten Gesamtvergütungen. Somit stelle das RLV nur im „Idealfall“ sicher, dass die von ihm erfasste Leistungsmenge in vollem Umfang mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung vergütet wird. Es sei keineswegs ausgeschlossen, dass der für die Vergütung der in das RLV fallenden Leistungen zur Verfügung stehende Gesamtvergütungsanteil hierfür nicht ausreicht.
- Diese Diskrepanzen beruhen darauf, dass der Gesetzgeber die Vorgaben für die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen – zum einen für die Berechnung der Gesamtvergütungen, zum anderen für die Ermittlung der vertragsärztlichen Honorare – nicht vollständig synchronisiert hat (vgl. zur Vergütung im Quartal I/2009 auch Senatsurteil B 6 KA 4/13 R vom 11.12.2013).
- Die Höhe der von den Krankenkassen zu zahlenden morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen hätten die KVen zu vereinbaren. Hierzu hätten die Vertragspartner den mit der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten verbundenen Behandlungsbedarf zu vereinbaren. Für die Höhe der Gesamtvergütungen maßgeblich ist mithin der vereinbarte Behandlungsbedarf, nicht hingegen das Punktzahlvolumen der tatsächlich abgerechneten Leistungen.
- Entgegen der offenbar vom Arzt vertretenen Auffassung ist mit „Behandlungsbedarf“ im Sinne des § 87a Abs. 3 SGB V nicht das faktische Behandlungsaufkommen gemeint, sondern allein der durch Vereinbarung festgelegte Bedarf. Damit ist es durchaus denkbar, dass auch Leistungen, die nach Ansicht des Arztes „notwendig“ sind, nicht mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung vergütet werden können und müssen.
- Der Umstand, dass die Höhe der von den Krankenkassen zu zahlenden Gesamtvergütungen gesondert zu vereinbaren ist, habe – in Verbindung mit dem Grundsatz, dass eine nachträgliche Erhöhung der Gesamtvergütungen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2012, Az. B 6 KA 28/11 R) – jedoch zur Folge, dass dann, wenn die tatsächlich abgerechnete Leistungsmenge die als Behandlungsbedarf vereinbarte Leistungsmenge übersteigt, eine „Vergütungslücke“ entsteht. Dies sei letztlich unvermeidbar, weil angesichts insgesamt begrenzter Mittel eine „Auffüllung“ der fehlenden Vergütungsanteile nur zu Lasten der übrigen Arztgruppen oder der freien Leistungen erfolgen könnte.
Das Gesetz gehe weiterhin von der Notwendigkeit aus, bei der Verteilung der Gesamtvergütungen regulierend einzugreifen. Ziel dieser Mengensteuerung sei weiterhin, den Vertragsärzten einerseits Kalkulationssicherheit zu geben und andererseits (durch Abstaffelungen) den ökonomischen Anreiz zur Leistungsausweitung zu begrenzen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14.12.2011, Az. B 6 KA 6/11 R).
- Zielrichtung ist dabei nicht nur eine Begrenzung der Menge insgesamt, sondern auch eine Begrenzung des Umfangs der von einzelnen Arztgruppen erbrachten Leistungen, um zu verhindern, dass diese ihren Anteil an den zur Verteilung anstehenden Gesamtvergütungen zu Lasten anderer Arztgruppen erhöhen können.
- In dem Umstand, dass aus den dargestellten Gründen nicht sichergestellt ist, dass die in das RLV fallenden Leistungen in jedem Fall mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung vergütet werden (oder das RLV umgekehrt nicht alle „notwendigen“ Leistungen umfasst), liege keine „gesetzwidrige“ Lücke, die von der Rechtsprechung im Wege der Auslegung zu füllen wäre. Wenn der Gesetzgeber für die Berechnung des RLV nicht die Preise der Euro-Gebührenordnung, sondern die Höhe der vereinbarten Gesamtvergütungen zum Maßstab genommen hat, habe er damit zwangsläufig in Kauf genommen, dass die angestrebte Vergütung aller in das RLV fallenden Leistungen mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung nicht in jedem Fall erreicht werden kann. Im Übrigen sei dem Gesetzgeber insoweit ohnehin kein Spielraum geblieben, weil er andernfalls die Finanzierung der vertragsärztlichen Leistungen von Grund auf neu hätte regeln müssen. Die Vorgabe absolut fester Preise für eine bestimmte – zumindest bei zahlreichen Arztgruppen den größeren Teil der vertragsärztlichen Leistungen umfassenden – Leistungsmenge sei nicht kompatibel mit einer nach anderen Kriterien vereinbarten Gesamtvergütung. Durch die Einführung der MGV und der RLV habe sich nichts daran geändert, dass die Menge des zur Verteilung unter die Vertragsärzte zur Verfügung stehenden Geldes begrenzt ist.
Soweit der Arzt weiter rügt, dass RLV allein den Zweck hätten, eine „übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes und der Arztpraxis“ zu verhindern, nicht aber dazu dienten, notwendige Leistungen abzustaffeln, übersehe er zum einen, dass die „übermäßige Ausdehnung“ nicht allein arztindividuell, sondern auch fachgruppenbezogen zu betrachten ist, nämlich auch in dem Sinne, dass eine „übermäßige“ Ausdehnung des vergütungsrelevanten Leistungsumfangs durch eine Facharztgruppe zu Lasten anderer Arztgruppen verhindert wird. Zum anderen sei der Begriff der „übermäßigen Ausdehnung“ nicht auf die Fallgestaltungen beschränkt, dass der Arzt das „Praxisvolumen“ nur unter Verletzung der Pflichten zur sorgfältigen und persönlichen Behandlung bewältigen kann, also angesichts des Umfangs der abgerechneten Leistungen davon auszugehen ist, dass die einzelnen Leistungen nicht mehr in einer der Leistungsbeschreibung entsprechenden Art und Weise erbracht worden sein können und mithin Qualitätsmängel zu befürchten sind. Vielmehr erfasse er nunmehr alle Konstellationen, in denen – aus welchen Gründen auch immer – honorarbegrenzende Maßnahmen erforderlich werden (in diesem Sinne auch Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 12/13, § 87b Rdnr. 99).