Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Rezidivierende Instabilität nach periprothetischer Humerusschaftfraktur bei inverser Schulterprothese
Der Anbindungsschlauch als zusätzliche Therapieoption?The attachment tube as an additional therapy option?

Michael Manzke1, Lars Victor von Engelhardt1,2, Jörg Jerosch1

Zusammenfassung: Die Patientin wurde mit einer
periprothetischen Fraktur des Humerus bei einliegender gestielter inverser Schulterprothese aus einer auswärtigen
Klinik vorgestellt. Nach Versorgung mit einer Langschaftprothese war diese instabil und luxierte. Es erfolgt eine geschlossene Reposition und nach einer erneuten Luxation eine offene Reposition mit Implantation eines Anbindungsschlauchs.
Hiermit konnte eine stabile Situation erreicht werden.

Schlüsselwörter: periprothetische Humerusfraktur, inverse
Schulterprothese, Instabilität, Anbindungsschlauch

Zitierweise
Manzke M, von Engelhardt LV, Jerosch J: Rezidivierende Instabilität nach periprothetischer Humerusschaftfraktur bei inverser Schulterprothese. Der Anbindungsschlauch als zusätzliche Therapieoption?
OUP 2017; 11: 574–576 DOI 10.3238/oup.2017.0574–0576

Summary: The patient was presented from an external clinic with a periprosthetic fracture of the humerus in the presence of a stemmed reverse shoulder prosthesis. After the revision to a long stem humeral component, the shoulder was instable and a dislocation occurred. Initially, a closed reduction was performed. After a second dislocation, an open reduction was combined with the implantation of an attachment tube. With this strategy, a stable situation has been achieved.

Keywords: periprosthetic humeral fracture, reverse shoulder replacement, instability, attachment tube

Citation
Manzke M, von Engelhardt LV, Jerosch J: Recurrent instability after periprosthetic humerus shaft fracture in case of reverse shoulder
prosthesis. The attachment tube as an additional therapy option?
OUP 2017; 11: 574–576 DOI 10.3238/oup.2017.0574–0576

Einleitung

Komplikationen, welche in der inversen Schulterendoprothetik zu Revisionseingriffen führen, stellen weiterhin ein großes Problem dar. Nicht selten sind mehrere operative Eingriffe nötig und das Endergebnis der Patienten ist oft nur wenig zufriedenstellend. In der Vergangenheit wurden meist Komplikationen im Bereich der glenoidalen Komponente beschrieben [18]. In letzter Zeit rücken jedoch die Komplikationen der humeralen Komponenten vermehrt in den Fokus des klinischen und wissenschaftlichen Interesses [3]. Eine ebenfalls regelmäßige Komplikation, wenn auch seltener als an der unteren Extremität, stellt die periprothetische Fraktur im Bereich des Humerus dar [1, 4, 8]. Hier kommt es zum einen auf die Beschaffenheit der Fraktur an; zum anderen auch auf den Typ der einliegenden Endoprothese. Stevens et al. [14] zeigten, dass der Verlust von Knochensubstanz am proximalen Humerus im Revisionseingriff zu schlechteren Ergebnissen führt.

In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Klassifikationen periprothetischer Humerusfrakturen beschrieben [5, 17]. 1999 erstellten Worland et al. [16] eine Klassifikation, die sowohl die Stabilität des Implantats als auch die Lage der Fraktur beschreibt. So befinden sich Typ-A-Frakturen im Bereich der Tuberkula. Typ-B-Frakturen liegen im Bereich des Schafts und werden weiter nach Frakturbeschaffenheit und Stabilität des Implantats differenziert. Typ-B1-Frakturen sind Spiralfrakturen mit einem stabilen Implantat, Typ-B2-Frakturen sind transversale oder kurze schräge Brüche um die Spitze des Stammes mit einem stabilen Implantat. Typ-B3-Frakturen sind Frakturen im Schaftbereich mit einem instabilen Implantat. Typ-C-Frakturen befinden sich distal der Spitze des Schafts.

Boileau [3] beschreibt aus eigenen Erfahrungen 84 Re-Interventionen nach ca. 800 implantierten inversen Schulterprothesen zwischen 1996 und 2013. Mit etwa 38 % waren Luxationen die häufigste Komplikation. Der Autor schreibt unter anderem besonders solchen Patienten ein erhöhtes Luxationsrisiko zu, bei denen Knochenverlust des Humerus, z.B. aufgrund von Frakturen oder Voroperationen, besteht.

Fallbericht

Die 62-jährige Patientin (BMI 40) wurde uns nach Sturz auf den Arm und periprothetischer Humerusfraktur aus einer auswärtigen Klinik zur operativen Versorgung vorgestellt. Die Patientin wurde bereits 8 Jahre zuvor bei sekundärer Insuffizienz der Rotatorenmanschette und einliegender Kappenprothese der rechten Schulter mit einer inversen gestielten Prothese versorgt.

Da es sich nach unserer Einschätzung um eine Typ-B3-Fraktur nach Worland handelte (Abb. 1) und somit der Schaft mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht fest im Situs verankert war, erfolgte ein Prothesenwechsel auf einen zementierten, langstieligen Revisionsschaft der Fa. Lima mit hohem Polyethylen-Inlay und einem zusätzlichen metaphysären Metallzwischenteil (Abb. 2). Die Subscapularissehne war schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden.

Postoperativ wurde der Arm in einer Schulterabduktionsschiene gelagert. In der postoperativen Röntgenkontrolle zeigte sich eine Luxation der Endoprothese, welche zunächst geschlossen reponiert wurde. Aufgrund der Instabilität erfolgte die Anlage eines Thorax-Abduktionsgipses. Eine Röntgenabschlusskontrolle vor Entlassung zeigte eine erneute Luxation. Eine CT-Untersuchung bestätige die regelrechte Rotation der Komponenten zueinander.

Daraufhin erfolgte eine neuerliche Revision mit Einbringung eines Anbindungsschlauchs (Mutars, Implantcast) (Abb. 3). Dieser wurde hinter der Glenosphäre der Prothese mit Tabaksbeutelnaht zum einen und am Schaft der Prothese mit 6,0 Etibondfäden fixiert. Zudem erfolgte eine weichteilige Gewebeadaptation im Bereich des fest angewickelten Anbindungsschlauchs. Es wurde erneut ein Thorax-Abduktionsgips für 10 Wochen angelegt. Seither zeigten sich keine weiteren Luxationen der Schulterprothese.

Diskussion

Die hier dargestellte Krankengeschichte zeigt einen komplizierten Verlauf nach periprothetischer Humerusfraktur bei einliegender inverser Schulterprothese mit konsekutiver Instabilität der Prothese. Die Herausforderung lag vor allem darin, eine adäquate Stabilität im Schultergelenk zu erreichen.

Boileau [3] teilt Luxationen inverser Schulterprothesen in Früh- (innerhalb von 3 Monaten) und Spätluxationen (ab 3 Monaten postoperativ) ein. Kohan et al. [11] verglichen in einer Untersuchung 14 Patienten mit einer frühen (< 3 Monate) gegenüber 5 Patienten mit später Dislokation (bei inverser Prothese). Bezüglich klinischer Scores zeigten die beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede. Die Gruppe der früh dislozierten Patienten zeigte eine erneute Instabilität in 29 % der Fälle und die spät dislozierten Prothesen in 40 %.

Die Ursache rezidivierender Instabilität ist noch nicht vollständig geklärt. Zum einen ist eine adäquate Spannung des Deltamuskels, zum anderen eine verbleibende Restfunktion des M. subscapularis [7] von Bedeutung. In der Literatur wird eine Reihe von Risikofaktoren für eine Instabilität beschrieben: ein erhöhter BMI > 30, vorherige Operationen, Subscapularisfunktion [6, 13, 15], ein deltoideopectoraler Zugang [18] sowie humeraler und glenoidaler Knochenverlust (durch Frakturen, vorherige endoprothetische Versorgung, Tumore) [2].

Frühluxationen können bei nicht vorhandenen Knochendefekten oder nicht vorhandener Fehllage der Implantate zunächst geschlossen reponiert und anschließend immobilisiert werden (z.B. Thoraxabduktionsgips) [3]. Die Erfolgsrate liegt hier jedoch bei nur ca. 30–60 % [15]. Nach 3 Monaten empfiehlt der Autor einen Revisionseingriff [3]. Aufgrund der im Rahmen einer erfolgreichen geschlossenen Reposition meist eher schlechten Weichteilsituation sind diese hohen Rezidivraten nicht gerade erstaunlich. Gerade bei frühen Luxationen tendieren wir daher zunehmend zur initialen offenen Revision mit einer gleichzeitigen Stabilisierung des Schultergelenks.

Um bei exzessivem Knochenverlust, vor allem humeral und somit einhergehend mit einer Armverkürzung, eine adäquate Weichteilspannung wiederherzustellen, stehen dem Operateur eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung [3]: auf der glenoidalen Seite die Verwendung einer größeren oder exzentrischen Glenosphäre, eine Neigung der Glenosphäre nach kaudal, eine Inlayerhöhung oder zusätzliche metallische Aufsätze. Bei einer zu starken Verkürzung der Extremität kommt meist nur noch ein Wechsel der humeralen Komponente auf einen längeren bzw. höher implantierten Schaft infrage. Eine zu starke Verlängerung der Extremität sollte jedoch vermieden werden, da diese aufgrund erhöhter Dehnung zu potenziellen Nervenschäden führen kann [12]. Kommt es bei der Primärimplantation bereits zu einer Axillaris-Schädigung, führt dies meist im Verlauf zu rezidivierenden Luxationen [11].

Ein eher seltenes Verfahren stellt die Verwendung eines Anbindungsschlauchs dar. Dieses findet seinen Ursprung im Bereich der Tumorchirurgie. Die Grundidee dieses Verfahrens liegt darin, dass eine erhöhte Stabilität des Gelenks durch Rekonstruktion der Gelenkkapsel und Refixation von Muskeln und Bändern an der Prothese erreicht wird. Einen Nachteil stellt die große Implantatoberfläche als Anlagerungsmöglichkeit für Bakterien dar [10]. Gosheger et al. konnten jedoch zeigen, dass die periprothetische Infektionsrate bei Patienten mit Anbindungsschlauch im Vergleich zu Patienten ohne Anbindungsschlauch nicht erhöht war [9]. Zudem konnten die Autoren histologisch in 6 Fällen ein Einwachsen von Gewebe in den Schlauch nachweisen (Abb. 4).

Im konkret vorliegenden Fall lag sicherlich erschwerend eine Reihe an Risikofaktoren vor, welche die Patientin zum Zeitpunkt der Verlegung aus der auswärtigen Klinik mitbrachte (BMI > 30, Voroperationen: Oberflächenersatz mit Wechsel auf schaftgeführte inverse Prothese im deltopectoralen Zugang, periprothetische Fraktur, massiver Verlust humeraler Knochensubstanz und der damit einhergehende Verlust der muskulären Stabilisierung).

Insgesamt kann aufgrund der geringen Erfahrung zwar keine generelle Empfehlung zur Verwendung eines Anbindungsschlauchs gegeben werden. Im Falle multipler frustraner Revisionseingriffe mit Mangel an Therapiealternativen stellt der Anbindungsschlauch jedoch eine technisch gut durchführbare Möglichkeit der Versorgung dar.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med Dr. h.c. Jörg Jerosch

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin

Am Hasenberg 46, 41462 Neuss

J.Jerosch@ak-neuss.de

Literatur

1. Athwal GS, Sperling JW, Rispoli DM, Cofield RH: Periprosthetic humeral fractures during shoulder arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 2009; 91: 594–603

2. Boileau P, Melis B, Duperron D, Moineau G, Rumian AP, Han Y: Revision surgery of reverse shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2013; 22: 1359–1370

3. Boileau P: Complications and revision of reverse total shoulder arthroplasty. Orthop Traumatol Surg Res 2016; 102(1 Suppl): S33–S43

4. Boyd AD Jr, Thornhill TS, Barnes CL: Fractures adjacent to humeral prostheses. J Bone Joint Surg Am 1992; 74: 1498–1504

5. Campbell JT, Moore RS, Iannotti JP, Norris TR, Williams GR: Periprosthetic humeral fractures: mechanisms of fracture and treatment options. J Shoulder Elbow Surg 1998; 7: 406–413

6. Chalmers PN, Rahman Z, Romeo AA, Nicholson GP: Early dislocation after reverse total shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 737–744

7. Edwards TB, Williams MD, Labriola JE, Elkousy HA, Gartsman GM, O‘Connor DP: Subscapularis insufficiency and the risk of shoulder dislocation after reverse shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2009; 18: 892–896

8. García-Fernández C, Lópiz-Morales Y, Rodríguez A, López-Durán L, Martínez FM: Periprosthetic humeral fractures associated with reverse total shoulder arthroplasty: incidence and management. Int Orthop 2015; 39: 1965–1969

9. Gosheger G, Hillmann A, Lindner N et al.: Soft tissue reconstruction of megaprostheses using a trevira tube. Clin Orthop Relat Res 2001; (393): 264–271

10. Hardes J, Ahrens H, Nottrott M et al.: Attachment tube for soft tissue reconstruction after implantation of a mega-endoprosthesis. Oper Orthop Traumatol 2012; 24: 227–234

11. Kohan EM, Chalmers PN, Salazar D, Keener JD, Yamaguchi K, Chamberlain AM: Dislocation following reverse total shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 1238–1245

12. Marion B, Leclère FM, Casoli V et al.: Potential axillary nerve stretching during RSA implantation: an anatomical study. Anat Sci Int 2014; 89: 232–237

13. Padegimas EM, Zmistowski BM, Restrepo C et al.: Instability after reverse total shoulder arthroplasty: which patients dislocate? Am J Orthop 2016; 45: E444–E450

14. Stephens SP, Paisley KC, Giveans MR, Wirth MA: The effect of proximal humeral bone loss on revision reverse total shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 1519–1526

15. Teusink MJ, Pappou IP, Schwartz DG, Cottrell BJ, Frankle MA: Results of closed management of acute dislocation after reverse shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 621–627

16. Worland RL, Kim DY, Arredondo J: Periprosthetic humeral fractures: management and classification. J Shoulder Elbow Surg 1999; 8: 590–594

17. Wright TW, Cofield RH: Humeral fractures after shoulder arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 1995; 77: 1340–1346

18. Zumstein MA, Pinedo M, Old J, Boileau P: Problems, complications, reoperations, and revisions in reverse total shoulder arthroplasty: a systematic review. J Shoulder Elbow Surg 2011; 20: 146–157

Fussnoten

1 Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss

2 Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke

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