Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017
Rezidivierende Instabilität nach periprothetischer Humerusschaftfraktur bei inverser SchulterprotheseDer Anbindungsschlauch als zusätzliche Therapieoption?The attachment tube as an additional therapy option?
Die Ursache rezidivierender Instabilität ist noch nicht vollständig geklärt. Zum einen ist eine adäquate Spannung des Deltamuskels, zum anderen eine verbleibende Restfunktion des M. subscapularis [7] von Bedeutung. In der Literatur wird eine Reihe von Risikofaktoren für eine Instabilität beschrieben: ein erhöhter BMI > 30, vorherige Operationen, Subscapularisfunktion [6, 13, 15], ein deltoideopectoraler Zugang [18] sowie humeraler und glenoidaler Knochenverlust (durch Frakturen, vorherige endoprothetische Versorgung, Tumore) [2].
Frühluxationen können bei nicht vorhandenen Knochendefekten oder nicht vorhandener Fehllage der Implantate zunächst geschlossen reponiert und anschließend immobilisiert werden (z.B. Thoraxabduktionsgips) [3]. Die Erfolgsrate liegt hier jedoch bei nur ca. 30–60 % [15]. Nach 3 Monaten empfiehlt der Autor einen Revisionseingriff [3]. Aufgrund der im Rahmen einer erfolgreichen geschlossenen Reposition meist eher schlechten Weichteilsituation sind diese hohen Rezidivraten nicht gerade erstaunlich. Gerade bei frühen Luxationen tendieren wir daher zunehmend zur initialen offenen Revision mit einer gleichzeitigen Stabilisierung des Schultergelenks.
Um bei exzessivem Knochenverlust, vor allem humeral und somit einhergehend mit einer Armverkürzung, eine adäquate Weichteilspannung wiederherzustellen, stehen dem Operateur eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung [3]: auf der glenoidalen Seite die Verwendung einer größeren oder exzentrischen Glenosphäre, eine Neigung der Glenosphäre nach kaudal, eine Inlayerhöhung oder zusätzliche metallische Aufsätze. Bei einer zu starken Verkürzung der Extremität kommt meist nur noch ein Wechsel der humeralen Komponente auf einen längeren bzw. höher implantierten Schaft infrage. Eine zu starke Verlängerung der Extremität sollte jedoch vermieden werden, da diese aufgrund erhöhter Dehnung zu potenziellen Nervenschäden führen kann [12]. Kommt es bei der Primärimplantation bereits zu einer Axillaris-Schädigung, führt dies meist im Verlauf zu rezidivierenden Luxationen [11].
Ein eher seltenes Verfahren stellt die Verwendung eines Anbindungsschlauchs dar. Dieses findet seinen Ursprung im Bereich der Tumorchirurgie. Die Grundidee dieses Verfahrens liegt darin, dass eine erhöhte Stabilität des Gelenks durch Rekonstruktion der Gelenkkapsel und Refixation von Muskeln und Bändern an der Prothese erreicht wird. Einen Nachteil stellt die große Implantatoberfläche als Anlagerungsmöglichkeit für Bakterien dar [10]. Gosheger et al. konnten jedoch zeigen, dass die periprothetische Infektionsrate bei Patienten mit Anbindungsschlauch im Vergleich zu Patienten ohne Anbindungsschlauch nicht erhöht war [9]. Zudem konnten die Autoren histologisch in 6 Fällen ein Einwachsen von Gewebe in den Schlauch nachweisen (Abb. 4).
Im konkret vorliegenden Fall lag sicherlich erschwerend eine Reihe an Risikofaktoren vor, welche die Patientin zum Zeitpunkt der Verlegung aus der auswärtigen Klinik mitbrachte (BMI > 30, Voroperationen: Oberflächenersatz mit Wechsel auf schaftgeführte inverse Prothese im deltopectoralen Zugang, periprothetische Fraktur, massiver Verlust humeraler Knochensubstanz und der damit einhergehende Verlust der muskulären Stabilisierung).
Insgesamt kann aufgrund der geringen Erfahrung zwar keine generelle Empfehlung zur Verwendung eines Anbindungsschlauchs gegeben werden. Im Falle multipler frustraner Revisionseingriffe mit Mangel an Therapiealternativen stellt der Anbindungsschlauch jedoch eine technisch gut durchführbare Möglichkeit der Versorgung dar.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med Dr. h.c. Jörg Jerosch
Johanna-Etienne-Krankenhaus
Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin
Am Hasenberg 46, 41462 Neuss
J.Jerosch@ak-neuss.de
Literatur
1. Athwal GS, Sperling JW, Rispoli DM, Cofield RH: Periprosthetic humeral fractures during shoulder arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 2009; 91: 594–603
2. Boileau P, Melis B, Duperron D, Moineau G, Rumian AP, Han Y: Revision surgery of reverse shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2013; 22: 1359–1370
3. Boileau P: Complications and revision of reverse total shoulder arthroplasty. Orthop Traumatol Surg Res 2016; 102(1 Suppl): S33–S43
4. Boyd AD Jr, Thornhill TS, Barnes CL: Fractures adjacent to humeral prostheses. J Bone Joint Surg Am 1992; 74: 1498–1504
5. Campbell JT, Moore RS, Iannotti JP, Norris TR, Williams GR: Periprosthetic humeral fractures: mechanisms of fracture and treatment options. J Shoulder Elbow Surg 1998; 7: 406–413
6. Chalmers PN, Rahman Z, Romeo AA, Nicholson GP: Early dislocation after reverse total shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 737–744
7. Edwards TB, Williams MD, Labriola JE, Elkousy HA, Gartsman GM, O‘Connor DP: Subscapularis insufficiency and the risk of shoulder dislocation after reverse shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2009; 18: 892–896
8. García-Fernández C, Lópiz-Morales Y, Rodríguez A, López-Durán L, Martínez FM: Periprosthetic humeral fractures associated with reverse total shoulder arthroplasty: incidence and management. Int Orthop 2015; 39: 1965–1969
9. Gosheger G, Hillmann A, Lindner N et al.: Soft tissue reconstruction of megaprostheses using a trevira tube. Clin Orthop Relat Res 2001; (393): 264–271
10. Hardes J, Ahrens H, Nottrott M et al.: Attachment tube for soft tissue reconstruction after implantation of a mega-endoprosthesis. Oper Orthop Traumatol 2012; 24: 227–234
11. Kohan EM, Chalmers PN, Salazar D, Keener JD, Yamaguchi K, Chamberlain AM: Dislocation following reverse total shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 1238–1245
12. Marion B, Leclère FM, Casoli V et al.: Potential axillary nerve stretching during RSA implantation: an anatomical study. Anat Sci Int 2014; 89: 232–237