Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2020

Robotik in der Orthopädie

Claudio Glowalla, Rüdiger von Eisenhart-Rothe, Rainer Burgkart

Technische Universität München, Fakultät für Medizin, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar

Die Robotik in der Orthopädie hat eine 30-jährige Geschichte und beginnt 1992 mit der Einführung des „Robodoc“, welcher von dem japanischen Hersteller Sanko-Seiki entwickelt und von der amerikanischen Firma Integrated Surgical Systems (ISS) vertrieben wurde.

Der „Robodoc“ war ein Roboter-unterstütztes Fräsverfahren, welches den Chirurgen bei der Implantation einer Hüftgelenksendoprothese dahingehend unterstützte, dass es das proximale Femur selbstständig und aktiv anhand einer präoperativ durchgeführten CT-Planung fräste. Ziel des Roboter-unterstützten Fräsverfahrens war es, durch die exakte Planung und Position der Hüftgelenksendoprothese langfristig bessere Ergebnisse als mit der manuellen Technik zu erzielen [1, 2]. Im Laufe der Zeit zeigte sich jedoch keine Überlegenheit des Verfahrens, weder für die Funktion noch für die Standzeit der Hüftendoprothese, sodass vor dem Hintergrund einer Häufung von operationsspezifischer Komplikationen wie Weichteilverletzungen, Knochenperforationen, Luxationen und Nervenläsionen, die Operationstechnik zunehmend verlassen wurde [3, 4, 5].

Aktuell erfährt die Robotik in der Endoprothetik eine Renaissance, insbesondere in der Knieendoprothetik, da sich hier in den letzten Jahren ein bedeutender Wandel in der Auffassungsweise des Kniegelenks-Alignment gezeigt hat. Hierbei unterstützen die neuen Roboter-Systeme aufgrund der rasanten Entwicklung sowohl in der Roboter-Technik als auch in der EDV-Technik nicht nur bei der (patientenindividuellen) Planung und Umsetzung der Knieprothesenimplantation, sondern liefern darüber hinaus auch wesentliche Beiträge bei der Datenerhebung und Analyse der Implantations-Technik. Somit können – basierend auf objektiven intraoperativen Daten in Korrelation mit dem Outcome und auch präoperativen Daten – bestehende als auch neue Konzepte validiert und weiterentwickelt werden:

Als die moderne Knieendoprothetik in den 1980er Jahren entwickelte wurde, war man überzeugt, dass das ideale Alignment in der Knieendoprothetik die Ausrichtung anhand der mechanischen Beinachsen darstellte [6] und die Standzeit der Knieendoprothetik wesentlich von einer neutralen geraden Achsausrichtung abhängt [7, 8]. Weiterführende Studien haben gezeigt, dass nur etwa 15 % der Bevölkerung eine tatsächlich gerade Beinachse haben, sodass die Ausrichtung an der mechanischen Achse „lediglich“ ein Kompromiss darstellt [9]. Betrachtet man zudem das funktionelle Outcome der Patienten nach Implantation einer Kniegelenksendoprothese, so zeigt sich in der Literatur, dass 11–29 % der Patienten unzufrieden sind [10–12].

Als Folge davon wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um sowohl das Prothesendesign als auch die Operationstechniken zu verbessern. Die Weiterentwicklung der Operationstechnik mit computergestützter Navigation hat zwar eine Verbesserung der Genauigkeit der Prothesenausrichtung anhand der mechanischen Achse erbracht, dies hat jedoch nicht wie erwartet zu einer höheren Patientenzufriedenheit führen können [13].

Unter diesen Voraussetzungen wurde maßgeblich von Stephen Howell das Prinzip des Kinematischen Alignements entwickelt und erstmals 2006 klinisch angewendet. In mehreren prospektiven Studien zum Kinematischen Alignement konnten sehr gute „Patient Reported Outcome Measures“ (PROMs) und eine hohe Patientenzufriedenheit festgestellt werden [13–16].

Das Grundkonzept des Kinematischen Alignements basiert auf der Positionierung der Knieprothese anhand der physiologischen kinematischen Achsen des Kniegelenks. Es handelt sich also, im Gegensatz zu den klassischen 2-dimensionalen Ansätzen, um eine 3-dimensionale Ausrichtung.

Diese 3-dimensionale Ausrichtung erfordert idealerweise eine 3-dimensionale Planung und Umsetzung, genau hierin liegt der Vorteil der neuen Roboter-Systeme:

Das Roboter-assistierte Operationsverfahren Navio ™ der Firma Smith & Nephew bietet eine Unterstützung mittels einer CT-freien Navigationssoftware und eines Handstückes mit einer Fräse. Intraoperativ werden, wie bei konventionellen navigationsgestützen Operationsverfahren, die Landmarken des Beines und die Kniegelenkoberflächen mit einem Pointer abgegriffen und anhand dieser wird ein 3D-Modell des Kniegelenks und der zugehörigen Achsen konstruiert.

Bei der Implantation eines Partialersatzes (unikondylär oder patello-femoral) wird intraoperativ mithilfe des Handstückes die Knochenoberfläche derart in Form gefräst, dass der endoprothetische Ersatz korrekt positioniert wird. Bei der Implantation einer bikondylären Knieendoprothetik werden im Anschluss an die präoperative Planung am 3D-Modell des Kniegelenks mithilfe des Handstückes zwei Verankerungslöcher im Femur und in der Tibia gefräst, an denen dann, im Sinne einer manuellen Operationstechnik, konventionelle Schnittblöcke ausgerichtet werden. Anschließend wird der Knochen vom Operateur mit einer konventionellen oszillierenden Säge zurechtgeschnitten.

Das ROSA® Knie System (RObotical Surgical Assistant), welches vom Hersteller ZimmerBiomet angeboten wird, erstellt ein 3D-Bein-Modell für die Planung anhand von 2 konventionellen Ganzbein-Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen. Die 2D-Daten der Röntgenbilder werden mit einer patentierten X-Atlas™ -Technologie analysiert und zu einem 3D-Modell umgerechnet. Der Vorteil liegt in der Einsparung einer Computertomografie-Untersuchung des Beines aus finanzieller und strahlenökonomischer Sicht. Zudem wird das 3D-Modell anhand von unter axialer Belastung durchgeführten Röntgenaufnahmen erstellt und kann so eventuelle Rückschlüsse auf die ligamentäre Situation des Kniegelenkes erlauben. Der Operateur kann eine vollständige Planung inklusive Rotationsausrichtung und Gelenkspaltberechnung am individuellen 3D-Modell durchführen. Intraoperativ unterstützt der Roboterarm den Operateur, indem der Roboterarm die konventionellen Schnittblöcke entsprechend der Planung für die Knieprothesen-Implantation positioniert. Diese Schnittblöcke werden dann in manueller Technik mit Pins fixiert und die Knochenschnitte werden in gewohnter Weise mit der oszillierenden Säge durch den Operateur durchgeführt.

Entsprechend der klassischen manuellen Technik werden werkzeugimmanente Probleme der Sägeschablonen, wie ein Verkippen des Sägeblockes beim Fixieren mit den Pins oder eine unzureichende Führung des oszillierenden Sägeblattes mit einem Abweichen des Sägeblattes durch oft arthroseassoziierte subchondrale, sklerosierte Knochenbereiche, die vermehrten „Widerstand“ gegenüber der Sägeblattzerspanung leisten bzw. ein Abweichen des Sägeblattes in den benachbarten, weniger dichten Knochen, jedoch nicht adressiert.

Das Roboter-assistierte Operationsverfahren MAKO® der Firma Stryker erstellt anhand eines präoperativ durchgeführten Planungs-CTs der zu operierenden Extremität, ein exaktes individuelles digitales 3D-Modell mit Darstellung sämtlicher Osteophyten am Femur und der Tibia. An diesem naturgetreuen Modell erfolgt zunächst die Analyse des individuellen Kniegelenk Alignments, daraufhin erstellt der Operateur zusammen mit einem „Mako Produkt Spezialist“ (MPS) eine individuelle 3D-Planung der Knieprothesen unter Berücksichtigung des angestrebten Alignments. Intraoperativ wird das digitale 3D-Modell des Beines mit dem reellen Kniegelenk gematcht und um die ligamentäre Informationen des Kniegelenkes erweitert. Zur Optimerung der Bandspannung über den gesamten Bewegungsumfang erfolgt gegebenenfalls eine erneute Anpassung der Prothesenplanung. Anschließend setzt der vom Operateur geführte Roboterarm mit integrierter oszillierender Säge im Sinne einer semiaktiven Technik, die Planung exakt und präzise um. Das bedeutet, der vom Operateur aktivierte Roboterarm positioniert die Säge in dem vorgesehenen Winkel und Abstand am Knochen. Korrespondiert dies mit der Einschätzung des Operateurs startet dieser die Säge und führt die Säge in der vorgegeben Ebene, um den Sägeschnitt zu vollführen. Weicht der Operateur oder das Sägeblatt um mehr als 0,1 mm vom idealen Schnitt ab, stoppt die Säge automatisch.

Die MAKO-Operationstechnik bietet den zusätzlichen Vorteil, dass jeder Schritt des Prozesses, von der Analyse des individuellen Kniegelenk-Alignments, der individuellen 3D-Planung der Knieprothesen unter Berücksichtigung des angestrebten Alignments bis hin zur intraoperativen Umsetzung digital dokumentiert wird. Die dabei erhobenen individuellen digitalen Datensätze können im Rahmen von klinischen Studien ausgewertet werden und sind wesentliche Beiträge bei Analyse und Weiterentwicklung bestehender Konzepte für die Implantation von Kniegelenkprothesen.

Aber auch im Bereich der Hüftendoprothetik hat sich in den letzten Jahren ein Wandel von einer 2- auf eine 3-dimensionalen Hüftprothesen Planung ergeben, sodass die neuen Roboter-Systeme auch hier zunehmend Bedeutung finden:

Eine der häufigsten Komplikationen nach einer primären Hüftgelenksendoprothesen Implantation ist die Luxation der Hüft-TEP. Es konnten patienten- und operationsbedingte Risikofaktoren für die Hüftgelenkluxation identifiziert werden, ein wesentlicher Faktor stellt dabei die Position des Hüftpfanne im Acetabulum dar [17]. Die optimale Platzierung der Hüftpfanne in Bezug auf die Inklination und Anteversion wurde in der Vergangenheit von der “safe zone”, welche von Lewinnek [17] beschrieben wurde, festgelegt. Die Bestimmung der Pfannenwinkel erfolgte bisher an standardisierten AP-Röntgenaufnahme des Beckens, dabei wird jedoch weder die gegenwärtige Beckenstellung noch eventuelle Wirbelsäulendeformität berücksichtigt, obwohl beides einen wesentlichen Einfluss auf die optimale Pfannenpositionierung hat [18–20]. Eine lumbale Wirbelsäulenfusion erhöht das Luxationsrisiko mit zunehmender Anzahl von fusionierten lumbalen Segmenten um den Faktor 1,93 für 1- bis 2-stufige Fusionen oder um den Faktor 2,77 für 3- bis 7-stufige Fusionen [21]. Aufgrund dieser Erkenntnisse hat man sich von dem statischen Model der „safe zone“ getrennt und betrachtet die individuelle Pfannenposition am 3D-Modell, dabei wird die ideale Pfannenposition von verschiedenen individuellen Faktoren wie Beckenstellung, Wirbelsäulendeformitäten, lumbalen Fusionen und patientenspezifische Bewegungsabläufen beeinflusst.

Das Roboter-assistierte Operationsverfahren MAKO nutzt bei der Hüftprothesen Implantation ein individuelles 3-dimensionales Modell des Beckens, welches aus einem CT-Datensatz rekonstruiert wurde. An diesem Modell kann die anatomische Anteversion und Inklination exakt bestimmt werden. Diese anatomischen Winkel werden durch die Beckenpositionierung, im Gegensatz zur radiologischen Methode, nicht beeinflusst [22-23]. Zudem bietet das 3D-Modell des Beckens die Möglichkeit, präoperativ eine individuelle Pfannenpositionierung zu planen und am Modell verschiedene patientenspezifische Bewegungsabläufe zu simulieren, um eine ideale Pfannenpositionierung zu finden. Intraoperativ kann die Planung mit Hilfe eines Roboterarmes (Mako) exakt umgesetzt werden.

Äquivalent zur Verwendung in der Knieendoprothetik bietet die MAKO-Operationstechnik in der Hüftendoprothetik den Vorteil, dass jeder Schritt des Prozesses, von der Analyse der individuellen Anatomie, der individuellen 3D-Planung der Prothesen bis hin zur intraoperativen Umsetzung digital dokumentiert wird.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die neuen Roboter-Systeme in der Orthopädie aufgrund der rasanten Entwicklung sowohl in der Roboter-Technik als auch in der EDV-Technik nicht nur bei der Planung und Umsetzung der Prothesenimplantation wertvolle Unterstützung geben können, sondern darüber hinaus auch aufgrund der Möglichkeiten der digitalen Datenerhebung wesentliche Beiträge zur Analyse der Implantations-Techniken mithilfe von künstlicher Intelligenz- Algorhithmen liefern und somit langfristig die Weiterentwicklung der Endoprothetik mit beeinflussen. Insbesondere bei dem hohen ökonomischen Druck in der Endoprothetik sollte die wissenschaftliche Notwendigkeit von Roboter-assistierten Operationsverfahren nicht vergessen werden.

Literatur

1. Bargar WL, Primary and Revision – Total Hip Replacement Using the Robodoc® -System; Clin Orthop Rel Res (1998) 354: 82–91

2. Paul HA, Development of a surgical robot for cementless total hip arthroplasty. Clin Orthopaedics Related Res (1992); 175 (285): 57–66

3. Ballantyne GH, Robotic surgery, telerobotic surgery, telepresence, and telementoring. Review for early chlinical results. Surg Endosc (2002) 16 (10): 1389–402.

4. Birke A, Robodoc® – Ein Weg in die Zukunft der Hüftendoprothetik oder eine Fehlinvestition? Z Orthop (2000) 138 (5): 395–401

5. Bargar WL, Primary and revision total hip replacement using the robodec system. Clin Orthop (1998); 354: 82–91

6. Insall JN, Presidential address to The Knee Society. Choices and compromises in total knee arthroplasty. Clin Orthop Relat Res (1988) 226:43–48

7. Rand JA, Ten-year evaluation of geometric total knee arthroplasty. Clin Orthop Relat Res (1988) 232: 168–173

8. Ritter MA, Postoperative alignment of total knee replacement. Its effect on survival. Clin Orthop Relat Res (1994) 299: 153–156

9. Bellemans J, The Chitranjan Ranawat award: is neutral mechanical alignment normal for all patients? The concept of constitutional varus. Clin Orthop Relat Res (2012) 470: 45–53

10. Williams DP, Early postoperative predictors of satisfaction following total knee arthroplasty. Knee (2013). 20(6): p. 442–6.

11. Parvizi, J., et al., High level of residual symptoms in young patients after total knee arthroplasty. Clin Orthop Relat Res, 2014. 472(1): p. 133–7.

12. Nam D, Patient dissatisfaction following total knee replacement: a growing concern? Bone Joint J (2014). 96-B(11 Supple A): p. 96–100.

13. Calliess T, Computer assisted systems in total knee arthroplasty. Useful aid or only additional costs. Orthopade (2014) 43:529–533

14. Howell SM, Results of an initial experience with custom-fit positioning total knee arthroplasty in a series of 48 patients. Orthopedics 31: 857–863 Surg Am (2008) 92:9 8–104

15. Howell SM, Does a kinematically aligned total knee arthroplasty restore function without failure regardless of alignment category? Clin Orthop Relat Res (2013) 471: 1000–1007

16. Howell SM (2013) Accurate alignment and high function after kinematically aligned TKA performed with generic instruments. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 21:2271–2280

17. Lewinnek GE, Dislocations after total hip-replacement arthroplasties. J Bone Joint Surg Am. (1978) 60: 217–220

18. Lembeck B, Pelvic tilt makes acetabular cup navigation inaccurate. Acta Orthop. (2005) Aug;76(4):517–23

19. Dandachli W, The influence of pelvic tilt on acetabular orientation and cover: a three-dimensional computerised tomography analysis. Hip Int. (2013), Jan-Feb;23(1):87–92.

20. Buckland AJ, Acetabular Anteversion Changes Due to Spinal Deformity Correction: Bridging the Gap Between Hip and Spine Surgeons. J Bone Joint Surg Am. (2015) Dec 2;97(23):1913–20.

21. Buckland AJ, Dislocation of a primary total hip arthroplasty is more common in patients with a lumbar spinal fusion, Bone Joint J (2017);99-B:585–91.

22. Wan Z, Imaging and navigation measurement of acetabular component position in THA. Clin Orthop Relat Res (2009); 467 (1): 32–42.

23. Kanawade V, Precision of robotic guided instrumentation for acetabular component positioning J Arthroplasty (2015) 30(3):392–7.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Claudio Glowalla

Klinikum Rechts der Isar

Ismaninger Straße 22

81675 München

claudio.glowalla@mri.tum.de

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