Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Schaftfreie anatomische totale Schulterendoprothetik
Wie erreichen wir eine präzise Rekonstruktion der Gelenkgeometrie und warum ist dies wesentlich, um ein gutes klinisches Outcome zu erzielen?How do we reach a precize reconstruction of the joint geometry and why is this crucial for reaching a good clinica

Lars Victor von Engelhardt1, 2, Michael Manzke 2, Jörg Jerosch2

Zusammenfassung: In dieser Übersichtsarbeit wird die Rekonstruktion der individuellen Gelenkgeometrie nach Versorgung mittels stielfreier, anatomischer Schultertotalendoprothese mit dem TESS-Systm beschrieben.
Anhand humeraler, knöcherner Landmarken, die auch im Rahmen arthrotischer Deformierungen typischerweise nicht alteriert sind, wurde das prä- und postoperative Rotationszentrum miteinander verglichen. Darüber hinaus wurden die Veränderungen der Gelenkgeometrie in Relation zum
Glenoid, zum Akromion und zum proximalen Humerus selbst ermittelt. In unseren Fallserien scheint das TESS-
System eine präzise Rekonstruktion der Gelenkgeometrie zu ermöglichen. Unserer Erfahrung nach korreliert dies mit
einem guten klinischen Outcome. Hingegen führen bereits geringe Ungenauigkeiten bei der Kopfresektion zu einer
Verschiebung des Rotationszentrums. Insbesondere eine Medialisierung des Rotationszentrums ist hierbei von klinischer Relevanz, weil dies scheinbar regelmäßig zu einem schlechten klinischen Outcome führt. Aus diesem Grund sehen wir die Osteotomie für die humerale Kopfresektion als einen wesentlichen Schritt, um bei der stielfreien Schulterendoprothetik zu einem guten klinischen Outcome zu kommen.

Schlüsselwörter: anatomischer Schultergelenkersatz, Schulterprothese, schaftfreier Schultergelenkersatz, Omarthrose,
Gelenkgeometrie

Zitierweise
von Engelhardt LV, Manzke M, Jerosch J: Schaftfreie anatomische
totale Schulterendoprothetik. Wie erreichen wir eine präzise
Rekonstruktion der Gelenkgeometrie und warum ist dies wesentlich um ein gutes klinisches Outcome zu erzielen?
OUP 2017; 11: 550–554 DOI 10.3238/oup.2017.0550–0554

Summary: This review article reports on the reconstruction of the individual joint geometry after stemless, anatomical shoulder arthroplasty with the TESS system. By using humeral bony landmarks, which are typically not altered by osteoarthritic deformities, the premorbid center of rotation was assessed in comparison to the postoperative one. Furthermore, joint geometry changes were assessed in relation to the glenoid, the acromion and the proximal humerus. In our case series, the TESS system seems to provide a precise restoration of the joint geometry. According to our experience, this correlates with a good clinical outcome. In contrast, even slightly inaccurate humeral neck cuts will lead to a shift of the center of rotation. Especially a medialization of the center of rotation is clinically relevant because this frequently leads to a poor clinical outcome. Therefore, we regard a precise osteotomy for the humeral neck cut as a crucial step for ensuring a good clinical outcome in stemless shoulder arthroplasty.

Keywords: anatomical shoulder replacement, shoulder
arthroplasty, stemless shoulder replacement, omarthrosis,
joint geometry

Citation
von Engelhardt LV, Manzke M, Jerosch J: Stemless anatomical total shoulder arthroplasty. How do we reach a precize reconstruction of the joint geometry and why is this crucial for reaching a good clinical outcome?
OUP 2017; 11: 550–554 DOI 10.3238/oup.2017.0550–0554

Einleitung

Ziel vieler Weiterentwicklungen in der anatomischen Schulterendoprothetik war und ist eine möglichst genaue Rekonstruktion der individuellen Gelenkgeometrie. Nur auf diesem Weg können wir eine gute Gelenk-Kinematik mit einem entsprechend guten klinischen Outcome erzielen [12]. Darüber hinaus zeigt auch unsere tägliche klinische Erfahrung, dass bereits die einfache Beurteilung der Gelenkgeometrie im postoperativen Röntgenbild sehr zuverlässige Prognosen zum Outcome liefern kann. Mit dieser Arbeit möchten wir zeigen, dass die Beurteilung keinesfalls „über den Daumen gepeilt” erfolgen sollte, sondern eine vielmehr millimetergenaue Beurteilung wichtige Informationen liefern kann. Selbstverständlich kann auch der präoperativen Planung sowie der intraoperativen Beurteilung zu einer möglichst präzisen Wiederherstellung der Gelenkgeometrie kaum genug Bedeutung beigemessen werden. Betrachtet man die Literatur, so ist eine solche Wiederherstellung der Gelenkgeometrie allerdings keineswegs selbstverständlich. Dies hat recht einfache Gründe. So ist der Humeruskopf nicht nur in seiner Größe und Formgebung, sondern auch in seiner Stellung zum Humerusschaft in allen Parametern äußerst variabel. Dies betrifft das Offset des Kopfs nach medial und hinten, die Retroversionsstellung und auch die Inklination [6, 20]. Aus diesem Grund ist eine präzise Wiederherstellung der individuellen Gelenkgeometrie – gerade bei den gestielten Prothesen, bei denen der Kopf dem Schaft folgt – auch trotz einiger Einstellungsmöglichkeiten nicht gerade anspruchslos [15, 16]. Betrachten wir die gestielten Schulterprothesen, so sollte auch bekannt sein, dass die in der Hüftendoprothetik intensiv beschriebenen stielbezogenen Komplikationen, wie z.B. ein Knochenverlust durch Stress-Shielding, auch genauso an der Schulter zu finden sind [1, 14, 18, 24]. Bei ggf. anstehenden Revisionen sind mögliche Probleme gestielter Schulterprothesen im weitaus größerem Umfang zu sehen. So sind bei der Revision gestielter Schulterendoprothesen schwere Komplikationen wie Frakturen, Schaftperforationen, etc. mit Häufigkeiten von bis zu 50 % leider gar nicht so unwahrscheinlich [3]. Mögliche Probleme bei der Implantatpositionierung, v.a. aber stielbezogene Komplikationen im Vorfeld zu vermeiden, ist somit durchaus von Interesse. Prothesen, die auf einen konventionellen Schaft verzichten, sind zwar vielerorts noch Neuland, allerdings im Sinne der Patientensicherheit von besonderem Interesse. Bei der Totalendoprothese, die auch einen Glenoidersatz einschließt, bieten Kopf-resezierende, schaftfreie Designs zudem dieselben Vorteile wie die gestielten Schulterendoprothesen. So erlaubt auch der stielfreie, Kopf-resezierende Gelenkersatz an der Schulter – v.a. bei einer korrekt durchgeführten Kopfresektion – einen praktikablen und v.a. sicheren Zugang zur Pfanne.

In Anbetracht aktueller Daten, wonach der Glenoidersatz gegenüber der Hemiprothese im klinischen Outcome bessere Ergebnisse liefert [5, 7, 17, 21], ist der Kalotten-resezierende, schaftfreie Gelenkersatz gegenüber der sog. Kappenprothese in den meisten Fällen die zuverlässigste Optionen eines anatomischen Gelenkersatzes. Zusammengefasst ist der stielfreie, Kopf-resezierende Gelenkersatz der Schulter eine logische Weiterentwicklung der konventionellen Schulterendoprothetik.

Antomische Schulterendoprothetik mit TESS-System

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