Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017
Schaftfreie anatomische totale SchulterendoprothetikWie erreichen wir eine präzise Rekonstruktion der Gelenkgeometrie und warum ist dies wesentlich, um ein gutes klinisches Outcome zu erzielen?How do we reach a precize reconstruction of the joint geometry and why is this crucial for reaching a good clinica
Die in verschiedenen Größen verfügbare Corolla des Total Evolutive Shoulder Systems (TESS) der Fa. Biomet-Zimmer (Warsaw, IN, USA) erlaubt eine peripher-metaphysäre Verankerung (Abb. 1). Diese Verankerung unterscheidet sich von anderen stielfreien Prothesen mit vergleichsweise zentralen Verankerungskonzepten. Beispiele für solche zentralen Verankerungen sind die zentrale Hohlschraube der Eclipse Prothese der Fa. Arthrex oder das wiederum eher zentral verankernde 3-schenklige Kreuz der Simpliciti Prothese der Fa. Wright Medical [9]. Alternativ zu den rein zementfixierten Polyethylenglenoiden (Abb. 2b) kann bei der anatomischen TESS–Endoprothese auch ein Metal-back-Glenoid gewählt werden (Abb. 2a).
Klinische Relevanz der Wiederherstellung der Gelenkgeometrie
Da das Schultergelenk im Wesentlichen durch Weichteile geführt wird, gelingt die Wiederherstellung der urspünglichen, physiologischen Gelenkkinematik nur bei einem Funktionserhalt der Rotatorenmanschette. Hierfür ist die Rekonstruktion der individuellen Gelenkgeometrie eine wesentliche Voraussetzung. Somit ist eine gute Beweglichkeit sowie Kraft der Schulter eng mit einer erfolgreichen Wiederherstellung der Gelenkgeometrie verbunden [8]. Neben der Wiederherstellung der Schulterfunktion reduziert eine erfolgreich rekonstruierte Geometrie das Auftreten von Druckspitzen auf das Glenoid, womit sich der Glenoidabrieb messbar verringert [11]. Dies kann für eine möglichst lange Standzeit der endoprothetischen Versorgung entscheidend sein.
Wie erfolgt die Beurteilung der Gelenkgeometrie vor und nach der Prothesenimplantation?
Die „Best-fit-circle“-Methode ermittelt das präoperative Rotationszentrum anhand dreier knöcherner Landmarken. Bei den hierbei verwendeten Landmarken handelt es sich um den lateralen Rand des Tuberculum majus, den Umschlagpunkt zwischen medialen Kalkar auf die medial-kaudale Gelenkfläche und die mediale Kante des Supraspinatussehnenansatzes am Tuberculum majus (Abb. 2). Normalerweise sind diese Landmarken durch eine Arthrose nicht beeinträchtigt [25]. Daher lässt sich das ursprüngliche, sogenannte prämorbide Rotationszentrum mit dieser Methode recht genau bestimmen. Dieses sowohl in prä- als auch postoperativen Röntgenbildern ermittelbare sog. prämorbide Rotationszentrum kann dann mit dem Rotationszentrum des Prothesenkopfs verglichen werden. Eine Übereinstimmung zwischen dem Rotationszentrum der Prothese und dem prämorbiden Rotationszentrum weist auf eine recht genaue Rekonstruktion des proximalen Humerus hin (Abb. 2a und b). Eine Abweichung des Rotationszentrums der Prothese gegenüber dem präoperativen Rotationszentrum nach medial entspricht einem sog. Overstuffing (Abb. 3a), wohingegen eine Abweichung und nach lateral als Understuffing definiert ist (Abb. 3b). Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine Abweichung von wenigen Millimetern bereits klinisch relevant werden kann [2, 10, 23].
Darüber kann die Geometrie des prä- und postoperativen Rotationszentrums in Relation zum Glenoid, dem Akromion und auch zum proximalen Humerus bestimmt werden. Mögliche Parameter sind die Messung des humeralen Offset als der Abstand von der lateralen Grenze des Tuberculum majus zum Rotationszentrum, die Höhe des Rotationszentrums in Relation zur Glenoidunterkante, das laterale glenohumerale Offset als der Abstand von der Korakoidbasis zur lateralen Grenze des Tuberculum majus sowie die akromiohumerale Distanz als kürzeste Verbindung zwischen Akromion und Humeruskopf (Abb. 4) [22]. Der Hals-Schaft-Winkel definiert sich als der mediale Winkel zwischen der Schaftachse und einer Senkrechten zum anatomischen Hals bzw. der humeralen Resektion. Anhand dieses Winkels zeigt sich somit recht genau, inwieweit im Rahmen der Inklinationswinkel während der Kopfresektion getroffen wurde.
Gelenkgeometrie nach Versorgung mit der TESS-Prothese
In einer eigenen Fallserie nach Implantation der anatomischen TESS-Prothese zeigte die Best-fit-circle-Methode eine mittlere Abweichung des prämorbiden Rotationszentrums zum Rotationszentrum der Prothese von einem Millimeter. Zudem zeigte weniger als ein Fünftel der Patienten eine Abweichung von mehr als 3 mm. Dies ist zwar ein außerordentlich gutes Ergebnis, dennoch bleibt festzuhalten, dass wir für die Rekonstruktion des Rotationszentrums keine 100-prozentige Sicherheit nachweisen konnten. Dennoch, trotz dieser Inkonsistenz sind die Ergebnisse im Vergleich zur Literatur als ausgesprochen gut zu werten. Beispielsweise zeigte eine Studie mit unterschiedlichen anatomischen Schulterprothesen bis zu 4-fach höhere mittlere Abweichungen. So lag die mittlere Abweichung bei den gestielten Prothesen bei 2,5 und bei den Kappenprothesen bei 3,8 Millimetern. Zudem zeigten sich klinisch relevante Abweichungen, die > 3 mm aufwiesen, bei mehr als einem bis hin zu nahezu zwei Drittel der Patienten [2]. In unseren oben genannten Fallserien wurde die Gelenkgeometrie wie bereits beschrieben in Relation zum Glenoid, dem Akromion und zum proximalen Humerus ausgemessen (Abb. 4). Hier zeigten sich im Vergleich zur präoperativen Situation für die akromiohumerale Distanz, das humerale und laterale glenohumerale Offset, die Höhe des Rotationszentrums sowie für den Hals-Schaft-Winkes keine signifikanten Veränderungen.
Bis auf eine andere vorangegangene Studie, die wiederum für die anatomische TESS-Prothese ähnlich gute Ergebnisse zeigte [13], finden sich in der Literatur bislang kaum Studien mit einer vergleichbar genauen Rekonstruktion der Gelenkgeometrie. Diese Daten zur Wiederherstellung der individuellen Gelenkgeometrie könnten das vergleichsweise gute klinische Outcome der TESS-Prothese erklären, sowohl in unserer Fallserie als auch in vorangegangen Studien [4, 13, 19].
Sind Abweichungen
bei der Gelenkrekonstruktion
auch klinisch relevant?
Bei den wenigen Fällen mit einer Abweichung von > 3 mm nach medial, also einem sog. Overstuffing (Abb. 3a), zeigten diese Patienten in Relation zum Gesamtkollektiv ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis beim Outcome-Scoring. Solche Fälle mit einem Overstuffing sind in der Literatur vergleichsweise häufig bzw. regelmäßig beschrieben [2, 13]. In unserer Fallserie war der Grund hierfür in allen Fällen ein zu hoher Sägeschnitt während der Kopfresektion. Darüberhinaus fand sich in einem Fall eine fehlerhafte Inklination der Rektionsebene. Einer der Fälle entwickelte im weiteren Verlauf eine symptomatische Rotatorenmanschetteninsuffizienz, sodass schließlich eine Wechseloperation auf eine inverse Prothese erforderlich wurde. Die Abbildung 3a zeigt recht eindrucksvoll, dass solche Operationsfehler bei der Kopfresektion nicht etwa durch die Wahl eines kleineren Kopfs und/oder die Verwendung eines vermehrten Offset ausgeglichen werden können (Abb. 3a). In einem Fall zeigte sich ein Rotationszentrum der Prothese, das > 3 mm nach lateral zum prämorbiden Rotationszentrum lag. Dies entspricht einem Understuffing (Abb. 3b). Dieser Patient zeigte allerdings einen recht hohen Punktwert im Constant-Scoring, also ein vergleichsweise regelrechtes Ergebnis.