Arzt und Recht - OUP 09/2012

Schweigepflicht über den Tod hinaus

Rechtsanwalt Dr. C. Osmialowski, Karlsruhe

Einleitung

Die Schweigepflicht hat in der ärztlichen Praxis eine hohe Bedeutung, da sie das erforderliche Vertrauen im Arzt-Patienten-Verhältnis sichert. Sie ist aber auch eine brisante Pflicht: Bei Verstößen drohen dem Arzt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, bei Schädigungs- bzw. Bereicherungsabsicht oder gegen Entgelt sogar bis zu 2 Jahren (vgl. § 203 StGB).

Schweigepflicht über den Tod

des Arztes

hinaus

Die Schweigepflicht setzt sich auch nach dem Tod des Arztes fort – allerdings mit anderer Qualität. Verstirbt ein Arzt, treten die Erben gemäß § 1922 BGB als Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsverhältnisse des Arztes und somit auch in die mit den Patienten geschlossenen Behandlungsverträge ein. Auch die Patientenakten fallen mit dem Nachlass in die Hände der Erben. Die Erben machen sich jedoch in der Regel nicht strafbar, wenn sie gegen die Schweigepflicht verstoßen. Die Schweigepflicht trifft sie lediglich als Nebenpflicht des Behandlungsvertrages, in den sie eintreten. Sie können deshalb allenfalls zur Unterlassung oder zu Schadensersatz verpflichtet werden.

Schweigepflicht über den
Tod

des Patienten

hinaus –
Grundsätze

Gegebenenfalls wird ein Arzt von Angehörigen oder Dritten gebeten, die Krankenakten eines mittlerweile verstorbenen Patienten herauszugeben. Nicht selten ist auch ein gerichtliches Schreiben, in dem der Arzt um Übersendung der Krankenakten bzw. Auskünfte beispielsweise zur Klärung der Testierfähigkeit gebeten wird. Oftmals wird diese Bitte mit der Feststellung verbunden, dass eine Schweigepflicht diesbezüglich nicht mehr bestünde.

Grundsätzlich stellen sich die Rechtslage und die Handlungspflichten für den Arzt wie folgt dar:

1. Die Schweigepflicht besteht für den Arzt auch über den Tod des Patienten hinaus. Der Arzt ist von dieser Schweigepflicht nicht schon durch den Tod des Patienten oder die Bitte der Erben bzw. des Gerichts von der Schweigepflicht entbunden.

2. Maßgeblich ist der (mutmaßliche) Wille des Patienten. Da gegebenenfalls auch Umstände (Krankheiten) aufgedeckt würden, die der Patient geheim halten wollte, hat der Arzt sorgfältig zu prüfen, ob Anhaltspunkte für eine (mutmaßliche) Schweigepflicht-entbindung vorliegen.

3. Für sein Festhalten an der Schweigepflicht muss der Arzt Gründe darlegen. Diese Darlegung kann ihrerseits nur unter Wahrung der Schweigepflicht erfolgen.

4. Hinsichtlich der Testierfähigkeit eines verstorbenen Patienten wird die Schweigepflichtentbindung vermutet, da in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass die Aufklärung von Zweifeln an der Testierfähigkeit im Interesse des verstorbenen Patienten als Erblasser liegt. Diese Vermutung ist jedoch widerlegt, wenn nach der Erkenntnis des Arztes Belange des Verstorbenen existieren, deretwegen die Entbindung von der Schweigepflicht gerade nicht angenommen werden kann. Der Arzt hat das Vorliegen solcher Belange gewissenhaft zu prüfen und ggf. die Aussage bzw. Versendung der Kranken-akte zu verweigern.

Problem: Darlegung der Gründe für Festhalten an Schweigepflicht

Problemstellung

Kommt der Arzt nach gewissenhafter Prüfung zu dem Ergebnis, dass eine mutmaßliche Einwilligung des verstorbenen Patienten nicht vorliegt und insofern Schweigepflicht besteht, muss er seine Verweigerung von Auskünften bzw. der Herausgabe von Unterlagen begründen. Welchen Anforderungen die Darlegung dieser Gründe genügen muss, vermag auch die Rechtsprechung nicht klar zu definieren. Eine unzureichende Begründung kann jedoch gravierende Nachteile für den ggf. zurecht schweigenden Arzt haben.

Oberlandesgericht München I vom 17.03.2011 bzw. 09.10.2008

Zum Sachverhalt

In dem vom Oberlandesgericht München I durch Urteil am 17.03.2011 entschiedenen Fall verlangte die klagende Witwe eines verstorbenen Patienten von dem Arzt unter anderem die Rückzahlung bereits beglichener Arztrechnungen. Der Patient hatte sich in die Praxis des Arztes begeben, um sich über die Möglichkeiten und Chancen alternativer Behandlungsmethoden eines Rektumkarzinoms zu erkundigen. Zur Begründung ihrer Rückzahlungsansprüche behauptete die klagende Witwe, der Arzt habe ihrem Mann unrealistische Hoffnungen auf Heilungschancen gemacht, die Behandlung sei gänzlich unbrauchbar und nicht indiziert gewesen. Des Weiteren sei die wirtschaftliche Aufklärung durch den beklagten Arzt mangelhaft gewesen.

Der beklagte Arzt hat eingewandt, der Klägerin komme es nicht auf die Erstattung der gezahlten Behandlungs-kosten an, sondern nur auf den Inhalt der Patientenunterlagen. Er werde sich zu Erkrankungsdetails des Patienten wegen dessen zu Lebzeiten geäußerten Wunschs, hierüber Dritten nichts zu offenbaren, jedoch nicht äußern.

Das Landgericht beurteilte die Weigerung des Beklagten als Beweisvereitelung mit der Folge, dass der Beklagte mangels Indikation für die Behandlung die gezahlte Vergütung erstatten müsse. Gegen das Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Er rügt, dass das Landgericht zu Unrecht von einer Beweisaufnahme abgesehen hätte. Er habe mit Schriftsatz vom 02.11.2010 erklärt, er könne die Krankenunterlagen in allgemeine Behandlungsunterlagen und ihm anvertraute, höchstpersönliche Angaben des Patienten unterteilen und sei bereit, einem Gutachter diese allgemeinen Behandlungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Dieses Beweisangebot hätte das Landgericht berücksichtigen und mittels Sachverständigengutachten das Fehlen einer medizinischen Indikation klären müssen.

In einem Vorprozess über die Herausgabe der Patientendokumentation wurde der Arzt durch das Oberlandesgericht bereits rechtskräftig zur Offenbarung der Dokumentation gegenüber der klagenden Witwe verurteilt (Urteil vom 09.10.2008, Az. 1 U 2500/08).

Aus den Gründen

Das Oberlandesgericht stellt fest, dass auch im Arzthaftungsprozess das Verbot der schuldhaften Beweisvereitelung mit der Folge gelte, dass der Beweis für die benachteiligte Partei als geführt anzusehen ist. Dem Einwand des Beklagten, dass er daran gehindert sei, nähere Angaben zur Behandlung zu machen bzw. Behandlungsunterlagen vorzulegen, folgt das Oberlandesgericht nicht. Zur Begründung beruft es sich auf seine Entscheidung vom 09.10.2008 im Vorprozess:

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