Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023
TalusfrakturenWann, wie und wer?
Atesch Ateschrang, Benjamin König
Zusammenfassung:
Die Behandlung von Talusfrakturen war in der Vergangenheit mit hohen Komplikationsraten und dadurch unbefriedigenden klinischen Ergebnissen belastet. Aufgrund der relativ seltenen Verletzungsinzidenz sind die Erfahrungen und Zahl der Studien begrenzt. Während der vergangenen Jahre wurde deutlich, wie wichtig die möglichst anatomische Rekonstruktion ist, da bereits relativ geringe Inkongruenzen zur posttraumatischen Arthrose des oberen und unteren Sprunggelenkes führen können. Die chirurgische Exposition mit antero-medialen sowie antero-lateralen Zugängen sowie die Weiterentwicklung der Implantate und Verfahren bei der Osteosynthese lässt eine Verbesserung der Prognose erwarten. Durch sorgfältige Planung mit Kenntnissen der Zugangsoptionen für eine möglichst exakte knöcherne Rekonstruktion können spezifische Komplikationen wie posttraumatische Arthrosen, Pseudarthrosen sowie Nekrosen reduziert werden. Die bisherige Studien- und Datenlage deutet mittlerweile daraufhin, dass zwar eine fachgerechte Notfallversorgung mit Reposition und Ruhigstellung erforderlich ist, aber die definitive Versorgung auch frühsekundär ohne prognostisch nachweisbare Nachteile erfolgen kann.
Schlüsselwörter:
Talusfraktur, Luxationsfraktur, Oberes Sprunggelenk, verzögerte definitive Stabilisierung
Zitierweise:
Ateschrang A, König B: Talusfrakturen. Wann, wie und wer?
OUP 2023; 12: 62–66
DOI 10.53180/oup.2023.0062-0066
Summary: Talus fractures were accompanied historically with unsatisfying results as the osseus perfusion is vulnerable. Especially dislocated neck and body fractures of the talus have high incidences of posttraumatic avascular necrosis and arthritis of the talus and ankle, respectively. Main treatment goals are exact anatomic reduction and fixation as joint in-congruency lead to early osteoarthritis. The main emphasis of this article is to give an overview of the different talar fracture types with relevant prognostic implications and to discuss the influence of immediate definitive surgical osteosynthesis of the talus. To date the more recent studies showed that after emergency reposition and immobilization delayed definitive osteosynthesis of the talus had no prognostic disadvantages.
Keywords: Talus fracture, aseptic osteonecrosis, delayed surgery, surgical timing
Citation: Ateschrang A, König B: Talus fracture management. When, how and who?
OUP 2023; 12: 62–66. DOI 10.53180/oup.2023.0062-0066
A. Ateschrang: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Akad. Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der JG-U Mainz, Ev. Stift St. Martin, Koblenz
B. König: Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Freudenstadt
Einleitung
Talusfrakturen stellen mit einer Inzidenz von ca. 0,1–2,5 % aller knöchernen Frakturen eine relativ seltene Verletzung dar [1]. Verursacht werden diese anspruchsvollen Verletzungen typischerweise durch Stürze aus großer Höhe oder Verkehrsunfälle im Sinne von Hochrasanz Traumata. Auf Grund der geringen Inzidenz sind nicht nur die praktischen Erfahrungen eingeschränkt, sondern auch die Zahl der Studien mit ableitbaren Empfehlungen begrenzt. Die biomechanische Funktion des Talus ist komplex durch die spezifische Gelenkanatomie, wobei der Talus im Wesentlichen aus Kopf, Hals und Corpus besteht mit einem posterioren und einem lateralen Processus. Der posteriore Prozessus besteht aus einem postero-medialen und einem postero-lateralen Tuberkulum. Gut 65 % des Talus wird von hyalinem Gelenkknorpel überzogen. Durch die komplexe Anatomie mit angrenzenden Gelenkflächen führen Talusfrakturen in einem überproportional hohen Prozentsatz zu Gelenkbeeinträchtigungen mit damit vergesellschafteten posttraumatischer Arthrosen bzw. funktioneller Einschränkungen im betroffenen Sprunggelenk.
Die Durchblutung des Talus kann in mehrere Segmente eingeteilt werden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die Komplexität sowie Vulnerabilität insb. bei Luxationsfrakturen. Einige Studien befassten sich mit der Aufarbeitung der Talusperfusion. Die Übersicht der Perfusion ist Abbildung 1 zu entnehmen, welche kondensiert die einzelnen Talussegmente und die damit verbundenen Endgefäße abbildet.
Frakturklassifikation
Die AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) hat die Talusfrakturen topografisch in Kopf- (81-A), Hals- (81-B) und Corpusfrakturen (81-C) eingeteilt. Eine detaillierte Sub-Klassifizierung unter Berücksichtigung der Dislokation der Frakturfragmente sowie tibio-talarer sowie subtalarer Luxationen fand Berücksichtigung. Historisch sollten die Klassifikationen von Weber und Marti sowie Hawkins erwähnt werden [2].
Taluskopffrakturen
Mit ca. 10 % aller Talusfrakturen sind Kopffrakturen außerordentlich selten [3]. Kompressions- und Scherkräfte wurden als Verletzungsmechanismus beschrieben. Die radiologische Bildgebung sollte immer konventionelle Röntgenbilder in 3 Ebenen beinhalten (antero-posterior, schräg sowie streng seitliche Projektionen), um einen Überblick ermöglichen zu können. Aufgrund der komplexen Chopart-Gelenk-Anatomie können diese Verletzungen übersehen werden. Bei nur geringem Verdachtsmoment sollte daher großzügig die Indikation zur Computer Tomographie (CT) gestellt werden. Grundprinzipien in der Behandlung von Taluskopffrakturen ist die Wiederherstellung der Länge und Höhe der medialen Säule sowie Rekonstruktion der talonavicularen Gelenk-Kongruenz sowie Gelenkstabilität, so dass sich biomechanisch möglichst keine post-traumatischen Beeinträchtigungen ergeben. Nicht dislozierte Frakturen können bei Gelenkstabilität und Ausschluss koinzidenter Subluxationen konservativ behandelt werden. Dabei sollte sorgfältig auf verdächtige Subluxationen der Chopart-Gelenklinie, aber auch der Lisfranc-Gelenkreihe geachtet werden, da hier auf Grund der Kraft-Einleitung nicht selten Begleitverletzungen vorliegen. Die konservative Behandlung kann durch eine vier- bis sechswöchige Ruhigstellung erfolgen mit Entlastung sowie damit notwendiger Thrombose Prophylaxe [3, 4].
Dislozierte Frakturen sollten operativ reponiert und stabilisiert werden. Grundsätzlich sind neben klassischen Schrauben auch resorbierbare Implantate denkbar. Defekte können mittels autologer Spongiosa aus dem angrenzenden Calcaneus oder dem Tibiakopf versorgt werden. Allogene Spongiosa kann eine Alternative dazu darstellen. Insbesondere sollten Gelenk-Impressionen unterfüttert werden, um sekundäre Gelenk-Sinterungen und Stufen zu vermeiden. Wenn mehr als 50 % der talonavicularen Gelenkfläche betroffen ist, sollte die exakte Gelenk-Rekonstruktion angestrebt werden. Wenn weniger als 50 % der Gelenkfläche betroffen ist, kann ggf. eine Resektion nicht rekonstruierbarer gelenktragender Fragmente erfolgen. In seltenen Fällen kann bei ausgeprägter mehrfragmentärer Fraktur-Morphologie eine überbrückende Arthrodese der medialen Säule notwendig werden. Diese ist bspw. als interne winkelstabile Plattenosteosynthese oder mit Fixateur externe möglich. Beide sollten nach ca. 12-wöchiger Ruhigstellung bzw. Stabilisierung wieder entfernt werden, um anschließend die Belastung wieder aufzubauen. Nach einer 12– statt 6-wöchigen Entlastungsphase kommt es häufig zu Kalksalzminderungen, die wiederum eine längere spezifische Schmerztherapie und Rehabilitation benötigen. Eine enge Patientenführung ist zu empfehlen. Posttraumatische Nekrosen sind eher selten, wohingegen post-traumatische arthrotische Gelenkveränderungen nicht selten sind.