Übersichtsarbeiten - OUP 03/2017

Therapieoptionen bei chronischen Schmerzsyndromen der Wirbelsäule

Zur Unterstützung der aktivierenden Maßnahmen stellt die medikamentöse Therapie einen wichtigen Bestandteil dar. Hierzu zählen klassischerweise nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), deren kurzfristige Wirksamkeit im chronischen Zustand nachgewiesen wurde [23].

Aufgrund der Gefahr von gastrointestinalen und renalen Nebenwirkungen ist hierbei auf eine limitierte Dosierung und zusätzliche Applikation eines Protonenpumpeninhibitors zu achten [10]. Opioid-Analgetika (vor allem schwache Opioide wie Tramadol), die eine Schmerzreduktion bei chronischen Rückenschmerzpatienten belegen, können bei fehlendem Ansprechen auf Analgetika wie Paracetamol oder NSAR in Erwägung gezogen werden [22]. Einerseits sollte bei der Anwendung von Opioiden das erhöhte Nebenwirkungspotenzial (z.B. Atemdepression, Übelkeit, Obstipation) bedacht werden, andererseits wird eine Reevaluation der Opioidtherapie nach 3 Monaten empfohlen [10]. Der Einsatz von Antidepressiva hat dagegen eher eine untergeordnete Rolle. In einer Übersichtsarbeit von Urquhart et al. [24] bestand keine eindeutige Evidenz in der Effektivität von Antidepressiva gegenüber Placebo bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Daher wird unter Beachtung von möglichen Nebenwirkungen der Einsatz von Antidepressiva beschränkt im individuellen Fall (depressive erkrankte Patienten) und im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes empfohlen [10, 24].

Invasive Therapiemaßnahmen wie z.B. Facettengelenkinfiltrationen, epidurale Injektionen oder ISG-Infiltrationen sind bei entsprechenden radiologischen Veränderungen (Spondylarthrose, Spinalkanalstenose, ISG-Symptomatik) und klinischer Symptomatik weitere Therapiealternativen.

Es gibt jedoch unterschiedliche Aussagen bezogen auf eine evidente Wirksamkeit, sodass auf eine korrekte Indikationsstellung geachtet werden sollte [22].

Alle beschriebenen Therapiemöglichkeiten in der Behandlung von chronischen Schmerzsyndromen der Wirbelsäule können somit nach entsprechender individueller Analyse eingesetzt werden, wobei die Bewegungstherapie langfristig einen evidenten Behandlungserfolg nachweist und primär in Betracht gezogen wird [25].

Bei persistierenden Beschwerden und relevanten Aktivitätseinschränkungen über 12 Wochen ist die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie eine definitive Therapieoption. Trotz diverser methodischer Einschränkungen (z.B. Heterogenität in den erhobenen Parametern oder fehlende Therapiebausteine) in manchen Veröffentlichungen (vor allem international), besteht in der Literatur überwiegend die Meinung, dass multimodale Programme gegenüber unimodalen Programmen und Routinebehandlungen klar überlegen sind [26].

Kamper et al. [27] haben bei chronischen Rückenschmerzpatienten mittels systematischem Review und Metaanalyse die positive und langfristige Effektivität multimodaler Schmerztherapieprogramme hinsichtlich Schmerzreduktion und Steigerung der Funktionsfähigkeit belegen können. Unter multimodalen Programmen verbessern sich zudem weitere Outcome-Parameter wie u.a. die Lebensqualität, die Depressivität, die Wahrnehmungsänderung der Erkrankung, die Veränderungsmotivation und die Einstellung zum Schmerz sowie sozioökonomische Faktoren wie z.B. die Rückkehr zum Arbeitsplatz [26, 28]. Für die Nachsorge nach einer multimodalen Behandlung sind somit die Überleitung von Therapieinhalten in selbständig durchgeführte Aktivitäten, die Einleitung von zusätzlichen therapeutischen Maßnahmen (ggf. Rehabilitationsmaßnahmen) und die Förderung der Eigenverantwortung empfehlenswert [10]. Trotz der Verbesserung in der Versorgung chronischer Schmerzpatienten durch multimodale Schmerztherapieprogramme bestehen nach Kaiser et al. [26] in Bezug auf deren Interpretierbarkeit bzw. Generalisierbarkeit jedoch noch deutliche Lücken. Die Autoren stellten unter anderem fest, dass diesbezüglich in vielen Veröffentlichungen die Definitionen der Ad-hoc-Kommission der Deutschen Schmerzgesellschaft nicht erfüllt wurden und es keinen internationalen Konsens über Inhalte oder Dauer der Interventionen oder die Auffassung des Begriffs „multidisciplinary“ gibt [26].

Letztlich fordern die Autoren eine einheitliche Umsetzung dieser Programme hinsichtlich der Struktur- und Prozessqualität, wozu es konsentierter multizentrischer Studien bedarf.

Schlussfolgerung

Bei der Behandlung und Prävention von chronischen Schmerzsyndromen der Wirbelsäule ist insbesondere die Bewegungstherapie evident wirksam. Sollten trotz leitliniengerechter Versorgung eine alltagsrelevante Aktivitätseinschränkung und Schmerzdauer über 6 Wochen mit yellow flags (Risikofaktoren zur Chronifizierung) oder gar über 12 Wochen persistieren, ist die Indikation zur multimodalen Schmerztherapie mit Berücksichtigung psychosozialer Aspekte zu prüfen, welche gegenüber unimodalen Programmen eine klare Überlegenheit zeigt.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Tugrul Kocak

Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU

Oberer Eselsberg 45

89081 Ulm

tugrul.kocak@rku.de

Literatur

1. Martin BI, Turner JA, Mirza SK, Lee MJ, Comstock BA, Deyo RA: Trends in health care expenditures, utilization, and health status among US adults with spine problems, 1997–2006. Spine 2009; 34: 2077–2084

2. Schmidt CO, Raspe H, Pfingsten M et al:. Back pain in the german adult population. Prevalence, severity, and sociodemographic correlates in a multiregional survey. Spine 2007; 32: 2005–2011

3. Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Die 10/20/50 Erkrankungen mit den längsten Arbeitsunfähigkeitszeiten in Tagen bei AOK-Pflichtmitgliedern ohne Rentner. 2011; WIdO, Berlin, www.gbe-bund.de

4. BARMER GEK (Hrsg): Gesundheitsreport 2010, Teil 1. Gesundheitskompetenz in Unternehmen stärken, Gesundheitskultur fördern. 2010; www.barmer.de

5. Robert Koch-Institut (Hrsg.): Daten und Fakten: Ergebnisse der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2009“. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. 2011; RKI, Berlin

6. Göbel H: Epidemiologie und Kosten chronischer Schmerzen. Spezifische und unspezifische Rückenschmerzen. Schmerz 2001; 15: 92–98

7. Schmidt CO, Kohlmann T: Was wissen wir über das Symptom Rückenschmerz? Z Orthop Ihre Grenzgeb. 2005; 143: 292–298

8. Deyo RA: Diagnostic evaluation of LBP: reaching a specific diagnosis is often impossible. Arch Intern Med 2002; 162: 1444–1447

9. Müller G: Diagnostik des Rückenschmerzes. Wo liegen die Probleme? Schmerz 2001; 15: 435–441

10. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Kreuzschmerz. Erscheinungsdatum 11/2010 – letzte Bearbeitung 10/2015; www.leitlinien.de/nvl/kreuzschmerz

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