Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019
Tibialis-anterior-Sehnenruptur
Tendinopathien der Sehne können mit Schmerzen einhergehen. Hierbei werden insbesondere ansatznahe Schmerzen nach dem Aufstehen beschrieben, welche sich im Tagesverlauf bessern, bei Belastung jedoch wieder zunehmen. Aktive Dorsalextension und passive Plantarflexion wirken schmerzverstärkend [22]. Im Sehnenverlauf kann bisweilen eine Schwellung und Verplumpung der Sehne getastet werden.
Degenerative Rupturen können klinisch stumm verlaufen. Der sich nach proximal zurückziehende Sehnenstumpf kann am Retinakulum extensorum hängenbleiben und dort ein Impingement verursachen. Oft klagen die Patienten über ein Gefühl der Gangunsicherheit, ggf. auch über ein Stolpern. Ein Kraftverlust kann, muss jedoch nicht bemerkt werden. Bei entsprechender Retraktion kann eine Delle im Sehnenverlauf getastet werden.
Auffällig kann eine Veränderung des Gangbilds im Sinne eines Platschens infolge des Verlusts der Bremsfunktion der Sehne sein [25].
Wie oben beschrieben sind auch die Sehnen der Zehenextensoren Strecker im oberen Sprunggelenk. Diese können den Verlust der Tibialis-anterior-Sehne teilweise kompensieren. Eine dezidierte Testung des Tibialis anterior gelingt durch Überstreckung der Zehen bei Testung der Dorsalextension im OSG [22]. Auch kann es durch die Kompensation zu einer generellen Streckstellung der Zehen kommen. Bedingt durch die milde Klinik können degenerative Rupturen über Wochen bis Monate unentdeckt bleiben. Dies hat zu Folge, dass eine End-zu-End-Naht oft nicht mehr möglich ist.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch müssen andere Ursachen einer Fußheberschwäche bedacht werden. Insbesondere kommen hier Peroneusläsionen oder L5-Radikulopathien in Betracht. Bei diesen Entitäten besteht jedoch oft eine begleitende Hypästhesie bzw. eine dermatombezogene Schmerzverteilung. Der lokale Schmerz im Ansatzbereich kann auch durch Arthrosen der Mittelfußgelenke verursacht werden.
Diagnostik
Nach der klinischen Untersuchung sollten radiologische Untersuchungen zur Verifizierung erfolgen. Die Sonografie kann zuverlässig akute Rupturen entdecken. Insbesondere ist eine Untersuchung im Seitenvergleich möglich. Die Methode ist jedoch stark untersucherabhängig und bei degenerativen Veränderungen erschwert [25]. Die MRT-Diagnostik kann Tendinopathien und Rupturen darstellen. Bei Rupturen sollte eine Röntgenuntersuchung zum Ausschluss knöcherner Avulsionen erfolgen [8].
Therapie
Tendinopathie
Die initiale Therapie einer Tendinopathie ist konservativ. Dies gilt auch für die Tibialis-anterior-Sehne. Empfohlen wird eine wenigstens 6-monatige konservative Therapie vor dem Erwägen operativer Maßnahmen. Die therapeutischen Optionen umfassen dabei u.a. Physiotherapie, NSAR, Ruhigstellung/Schonung oder die Stoßwellentherapie. Als besonders effektiv gilt dabei die Physiotherapie, insbesondere in Form von extrinsischen Dehnübungen. Hier konnte eine Überlegenheit gegenüber abwartenden Verhalten nachgewiesen werden [16]. NSAR konnten in einer Studie keine Überlegenheit gegen Placebos zeigen [5]. Steroide zeigten lediglich mittelfristige Verbesserungen für 6–12 Monate [19]. Als ultima ratio kann eine temporäre Ruhigstellung, z.B. im Walker, erwogen werden.
Bei Versagen der konservativen Therapie kann eine operative Behandlung erwogen werden. Hier kann die meist entzündete Sehnenscheide debridiert und die Sehne bei Partialrupturen augmentiert werden. Postoperativ sollte die Sehne für 4–6 Wochen ruhiggestellt werden. Waizy et al. [23] berichten hier bei 5 Patienten im Rahmen einer 6-monatigen Nachuntersuchung von sehr guten Ergebnissen. Für die Prognose scheint jedoch das Ausmaß der Vorschädigung relevant zu sein. So konnten Lepillahti [13] und Schepsis [21] zeigen, dass die Rate an guten Ergebnissen bei vorbestehender ausgeprägter Degeneration deutlich sinkt.
Ruptur
Generell wird die Indikation zur operativen Therapie in der Literatur kontrovers diskutiert. Eindeutige Empfehlungen lassen sich nicht ableiten. Einige Autoren empfehlen nur bei frischen Rupturen eine operative Versorgung [17]. Andere Autoren empfehlen die Versorgung symptomatischer Patienten [23]. Im Allgemeinen gehen die Empfehlungen dahin, die Indikation in Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik, der Qualität und dem Retraktionsgrad der Sehne sowie dem Anspruchswunsch des Patienten zu stellen. Sicherlich ist die operative Versorgung bei frischen Verletzungen, klinischer Symptomatik und hohem Funktionsanspruch indiziert [22]. Generell scheinen die Ergebnisse bei traumatischen Läsionen besser als bei degenerativen Rupturen zu sein [16]. Andere Fallserien unterstützen dies nicht und beschreiben eine Funktionsverbesserung bei akuten und degenerativen Läsionen [20].
Konservatives Vorgehen
Falls man sich für eine konservative Therapie entscheidet (z.B. bei älteren Patienten mit erhöhten Komplikationsrisiko i.S. von Wundheilungsstörungen oder Rerupturen; bei Patienten mit geringem Funktionsanspruch) scheint eine temporäre Ruhigstellung über 6 Wochen in leichter Dorsalextension (5–20 %) sinnvoll, um eine Vernarbung und möglichst gute Restfunktionalität zu erreichen [14, 17]. Es ist jedoch in jedem Fall mit einem Funktionsverlust zu rechnen, da die Sehnenstümpfe aufgrund der hohen Retraktionskraft des Muskels nicht adaptiert sind und es nicht zu einer instutio ad integrum kommen kann.
Operativ
Die Wahl der operativen Therapiemethode ist abhängig vom Alter der Ruptur, der Rupturgenese, dem Retraktionsgrad (Defektgröße) der Sehne und dem muskulären Status. Bei lang bestehenden Rupturen ist die Sehne im Allgemeinen deutlich retrahiert, und der Muskelbauch unterliegt einer progredienten Verfettung.
Während der Operation werden zunächst die Sehnenstümpfe dargestellt. Bei der Präparation muss das Retinakulum extensorum sorgfältig dargestellt werden. Dieses muss als Hypomochlion der Sehne am OP-Ende wieder rekonstruiert werden. Die Sehnenstümpfe werden sparsam angefrischt. Bei geringer Retraktion kann eine End-zu-End-Naht durchgeführt werden. Dies ist jedoch oft nicht möglich. Bei ansatznaher Ruptur und geringer Retraktion ist auch eine transossäre Refixation mittels Naht oder Knochenanker durchführbar. Bei größeren Defekten (< 5 cm) kann eine Umkipp-Plastik durchgeführt werden. Bei noch größeren Defekten (> 5 cm) wird eine Sehneninterposition oder eine Ersatzplastik empfohlen. Zur Interposition bietet sich die Sehne des Semitendinosus an. Gerade bei fettiger Degeneration des Muskelbauchs wird die Ersatzplastik empfohlen [22]. Beschrieben ist hier z.B. die Versetzung der Sehne des Extensor hallucis longus. Die Sehne wird dabei distal abgesetzt und am Os cuneiforme reinseriert. Der distale Stumpf der EHL sollte auf die Sehnen des Extensor hallucis brevis genäht werden. Ergänzend kann der proximale Sehnenstumpf des Tibialis anterior auf die EHL-Sehne genäht werden. Bei länger bestehender Ruptur liegt oft zusätzlich eine Verkürzung der Plantarflektoren vor. Hier kann ein Release des Musculus gastrocnemicus erfolgen.