Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2020

Update CRPS
Zusammenfassung des für den VSOU-Kongress 2020 in Baden-Baden vorgesehen Symposiums

Hans-Raimund Casser, Stefan Middeldorf, Markus Walther, Christian Geber, Martin Legat

Hans-Raimund Casser, Christian Geber: DRK Scherz-Zentrum, Mainz

Stefan Middeldorf: Schön Klinik Bad Staffelstein

Markus Walther: Schön Klinik München Harlaching

Martin Legat: Schmerz Zentrum Zofingen AG, CH-Zofingen

Einleitung

Komplexe regionale Schmerzen (CRPS, sympathische Reflexdystrophie, Morbus Sudeck) entwickelt sich bei 2–5 % der Patienten, die eine Verletzung einer Extremität erleiden, aber auch postoperativ oder infolge einer Nervenverletzung. Es wird zwischen einem CRPS I mit und einem CRPS II ohne Nachweis einer Nervenläsion differenziert. Weitere mögliche Unterscheidungen sind primär warm, d.h. Hauttemperatur von Beginn an wärmer und primär kalt: Hauttemperatur von Beginn an kälter.

Die Weiterentwicklung des CRPS ist abhängig von noch nicht näher zu spezifizierenden Patienten-Faktoren und ist z.B. nicht durch einen Operationsfehler erklärbar. Die Daten zur Prognose sind insgesamt noch unsicher, es ist aber beim Ausbleiben komplizierender Faktoren mit 50 % weitgehender Remissionen zu rechnen. Vor allem bei zu später Diagnostik, falscher Therapiewahl und fehlender Berücksichtigung komplizierender psychischer oder auch physischer Faktoren, kann das CRPS chronisch werden und schwere funktionelle Behinderungen nach sich ziehen, was wiederum signifikante sozialmedizinische und versorgungsrechtliche Folgen hat [1]

Literatur

1. Birklein F. et al., Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS), S1-Leitlinie, 2018 Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Markus Walther, München

CRPS in Orthopädie/ Unfall

chirurgie:
Frühdiagnostik versus
Differentialdiagnostik

Das CRPS (Complex Regional Pain Syndrome) ist ein posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, bei dem die Schmerzen im Vergleich zum erwarteten Heilverlauf unangemessen stark sind. Die Symptome treten auch außerhalb (in der Regel distal) der Traumastelle auf und beschränken sich nicht auf das Innervationsgebiet peripherer Nerven oder Nervenwurzeln.

Die Einschätzungen zur Inzidenz unterscheiden sich erheblich zwischen unterschiedlichen Forschungsgruppen. Für das CRPS Typ I wird von Sandroni et al. [13] eine Inzidenz von 5,46/100.000 Personen/Jahr angegeben, für das CRPS Typ II 0,82/ 100.000 Personen/Jahr, wogegen de Moos et al. [5] die Inzidenz von CRPS Typ I + II mit 26,2/100.000 Personen/Jahr angeben.

Die Erkrankung tritt gehäuft zwischen 61–70 Jahren auf, Frauen sind 3-mal häufiger betroffen als Männer, wobei ein möglicher Bias durch osteoporotische Frakturen entsteht. Die obere Extremität ist 3.2-mal häufiger betroffen als die untere Extremität [5]. Die Behandlungskosten von Patienten, die ein CRPS entwickeln sind 13-mal höher als bei Patienten ohne CRPS [14]. Daher wird seit Jahren versucht, Risikofaktoren zu identifizieren und durch prophylaktische Maßnahmen die Inzidenz zu reduzieren.

Kritische Lebensereignisse gelten als Risikofaktor [10], wobei es ansonsten keine eindeutige Konstellation psychologischer Faktoren gibt, die für ein CRPS prädisponieren [1, 3]. Als weitere Risikofaktoren werden eine erhöhte Ängstlichkeit [6] sowie eine Affektlabilität verbunden mit Selbstwert- und Selbstbildproblemen [9] diskutiert.

Die lange gehegte Hoffnung, dass regionale Anästhesieverfahren das Risiko für eine CRPS Entwicklung reduzieren, hat sich in großen Studien nicht bestätigt [4].

Distale Radiusfrakturen weisen die höchste Inzidenz auf. Bei über 30 % der Patienten finden sich Zeichen, die auf ein CRPS hindeuten, wobei das Vollbild der Erkrankung lediglich 1–2 % der Patienten entwickeln (Goh 2017). Trauma bezogene Risikofaktoren für die Entwicklung eines CRPS I sind das Ausmaß der Dislokation und das Ausmaß der Gelenkbeteiligung [2]. Der posttraumatische und/oder postoperative Schmerz scheint der sicherste Indikator für die Entstehung eines CRPS zu sein. Daher sollten Patienten mit hohem Schmerzniveau engmaschig kontrolliert werden, um ein CRPS I frühzeitig zu erkennen und zu therapieren [8].

Verschiedene Metaanalysen deuten auf eine prophylaktische Wirkung von Vitamin C hin. In den meisten Studien wurden 500 mg Vitamin C zweimal täglich für einen Zeitraum von 1–3 Monaten verabreicht, was zu einer Reduktion der CRPS Rate geführt hat [7, 11].

Literatur

1. Beerthuizen A, Stronks DL, Huygen FJ et al. The association between psychological factors and the development of complex regional pain syndrome type 1 (CRPS1). Eur J Pain 2011; 15: 971–75

2. Beerthuizen A, Stronks DL, Van‘t Spijker A et al. Demographic and medical parameters in the development of complex regional pain syndrome type 1 (CRPS1). Pain 2012; 153: 1187–92

3. Beerthuizen A, Van ‚T Spijker A, Huygen FJ et al. Is there an association between psychological factors and the Complex Regional Pain Syndrome type 1 (CRPS1) in adults? Pain 2009; 145: 52–59

4. Da Costa VV, De Oliveira SB, Fernandes Mdo C et al. Incidence of regional pain syndrome after carpal tunnel release. Is there a correlation with the anesthetic technique? Rev Bras Anestesiol 2011; 61: 425–33

5. De Mos M, De Bruijn AG, Huygen FJ et al. The incidence of complex regional pain syndrome. Pain2007; 129: 12–20

6. Dilek B, Yemez B, Kizil R et al. Anxious personality is a risk factor for developing complex regional pain syndrome type I. Rheumatol Int 2012; 32: 915–20

7. Evaniew N, Mccarthy C, Kleinlugtenbelt YV et al. Vitamin C to Prevent Complex Regional Pain Syndrome in Patients With Distal Radius Fractures. J Orthop Trauma 2015; 29: e235–41

8. Farzad M, Layeghi F, Hosseini A et al. Investigate the Effect of Psychological Factors in Development of Complex Regional Pain Syndrome Type I in Patients with Fracture of the Distal Radius: A Prospective Study. J Hand Surg Asian Pac 2018; Vol 23:554–561

9. Frettloh J, Maier C, Gockel H et al. Validation of the German Mainz Pain Staging System in different pain syndromes. Schmerz 2003; 17: 240–251

10. Geertzen JH, De Bruijn-Kofman AT, De Bruijn HP et al. (1998) Stressful life events and psychological dysfunction in Complex Regional Pain Syndrome type I. Clin J Pain 14:143–47

11. Meena S, Sharma P, Gangary SK et al. Role of vitamin C in prevention of complex regional pain syndrome after distal radius fractures: Eur J Orthop Surg Traumatol 2015; 25: 637–641

12. Sandroni P, Low PA, Ferrer T et al. Complex regional pain syndrome I (CRPS I): prospective study and laboratory evaluation. Clin J Pain 1998; 14: 282–89

13. Scholz-Odermatt SM, Luthi F, Wertli MM et al. Direct health care cost and work incapacity related to complex regional pain syndrome in Switzerland: A retrospective analysis from 2008 to 2015. Pain Med 2019; 20: 1559–69

Christian Geber, Mainz

Zentrale Reorganisationsprozesse bei CRPS als Folge einer maladaptiven kortikalen Plastizität

Beim CRPS spielen neben der veränderten peripheren und zentralen Nozizeption auch kortikale Reorganisationsprozesse eine wesentliche Rolle. Diese Veränderungen wurden erstmals bei Patienten mit Phantomschmerzen beschrieben. Auch bei Patienten mit CRPS kann sich die betroffenen Extremität fremd oder nicht dem Körper zugehörig anfühlen und so beschrieben werden. Diese neglect-artigen Wahrnehmungsphänomene deuten auf eine veränderte kortikale Repräsentation der betroffenen Extremität hin [6].

In funktionellen Bildgebungsstudien (fMRT) konnten diese Veränderungen nachgewiesen werden [1]. So war beim Phantomschmerz wie auch bei Patienten mit CRPS eine höhere Schmerzintensität mit dem Ausmaß der kortikalen Reorganisation korreliert [1, 4]. Dass es sich hierbei im Wesentlichen nicht um strukturelle Veränderungen des Kortex handelt, sondern um prinzipiell therapeutisch beeinflussbare funktionelle Veränderungen im Sinne einer maladaptiven kortikalen Plastizität, konnte ebenfalls in Bildgebungsstudien belegt werden, die vor und nach therapeutischer Intervention durchgeführt wurden [5]. Der wesentliche therapeutische Ansatz besteht in Ergo- /physiotherapeutischen Interventionen wie Imaginationstraining oder Spiegeltherapie [2].

Diagnostik

Die Diagnose CRPS ist eine klinische Diagnose. Deshalb sind die Anamneseerhebung, die klinisch-orthopädische und neurologische Untersuchung die entscheidenden Schritte in der Diagnosefindung. Im Prinzip gilt, dass für die Diagnosestellung ärztlich erhobene und dokumentierte Befunde wichtiger sind als die subjektiven Beschwerden. Ein wesentliches Merkmal des CRPS ist, dass die Symptome generalisieren, d.h. fast die gesamte distal betroffene Extremität erfassen. Eine besondere diagnostische Herausforderung kann eine Abgrenzung gegenüber Langzeitfolgen des Anfangstraumas sein. Man muss deshalb fordern, dass die Diagnose CRPS in den zeitlichen Zusammenhang mit einen Trauma erfolgt. Ein sinnvoller Zeitraum dabei ist ca. 3 Monate, dann sollten die Diagnosekriterien erfüllt sein. Diagnosen nur aufgrund einer Schmerzpersistenz, z.T. Jahre nach dem Trauma sind nicht selten Verlegenheitsdiagnosen. Ein Red flag nach Radiusfraktur ist ein persistierender Schmerz der Stärke über 5/10 eine Woche nach Fraktur [3].

Klinische Diagnosestellung durch folgende Kriterien

Symptomkategorien

  • 1. Hyperalgesie, „Hypästhesie“, Allodynie
  • 2. Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
  • 3. Asymmetrie im Schwitzen, Ödem
  • 4. Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, Schwäche, Veränderungen von Haar-/
    Nagelwachstum

Diagnose CRPS, wenn alle
folgenden 4 Punkte erfüllt
sind

  • 1. Anhaltender Schmerz
  • 2. Anamnese: > 1 Symptom aus der 3 der 4 o. g. Symptomkategorien
  • 3. Untersuchung: > Symptom aus 2 der 4 o. g. Symptomkategorien
  • 4. Ausschluss von Differentialdiagnosen

Zusatzdiagnostik in Zweifelsfällen oder bei absehbarer Begutachtung

  • 1. Röntgen(Seitenvergleich): Generalisierte kleinfleckige gelenknahe Entkalkungen
  • 2. 3-Phasen-Knochenszinitgramm mit Technetium-99 m-Diphosphonat: bandenförmige, gelenknahe Anreicherungen
  • 3. Wiederholte und dauerhafte Messung der Hauttemperatur
    im Seitenvergleich (> 1–2 °C
    Differenz)

Therapiealgorithmus (Abb. 1)

Literatur

1. Bailey J, Nelson S, Lewis J, McCabe CS. Imaging and clinical evidence of sensorimotor problems in CRPS: utilizing novel treatment approaches. J Neuroimmune Pharmacol. 2013; 8: 564–575

2. Becker S, Diers M., Chronic pain: Perception, reward and neural processing. Schmerz. 2016; 30: 395–406

3. Birklein F. et al., Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS), S1-Leitlinie, 2018, in; Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie

4. Maihöfner C, Handwerker HO, Neundörfer B, Birklein F. Patterns of cortical reorganization in complex regional pain syndrome. Neurology. 2003; 61: 1707–1715

5. Maihöfner C1, Nickel FT, Seifert F. Neuropathic pain and neuroplasticity in functional imaging studies. Schmerz. 2010; 24: 137–145

6. Wittayer M, Dimova V, Birklein F, Schlereth T., Correlates and importance of neglect-like symptoms in complex regional pain syndrome. Pain. 2018; 159: 978–986

Martin Legat, CH-Zofingen

Interventionelle
Maßnahmen beim CRPS

Ein invasives Schmerzmanagement spielt beim CRPS zunächst eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die funktionelle Therapie. Sollte diese jedoch versagen, muss auch über invasive Maßnahmen nachgedacht werden.

Zunächst können Injektionen am Symphatikus, bspw. cervical am Ganglion stellatum oder auch am lumbalen Grenzstrang durchgeführt werden. Diese können sowohl diagnostisch zur Evaluation eines Sympathetically Maintained Pain als auch therapeutisch als sogenannte GLOA (Ganglionäre Opioid Analgesie) verwendet werden.

Während Verfahren mit Schmerzpumpen eine untergeordnete Rolle spielen, ist die Neurostimulation auf dem Vormarsch. Insbesondere neuere technische Verfahren wie die gezielte Stimulation des Dorsal Root Ganglion kann bspw. bei C8 für die Hand oder L5 für ein CRPS am Fuß verwendet werden. Für die seit Jahren übliche Neurostimulation per SCS direkt im Hinterhornbereich des Rückenmarks stehen mittlerweile nicht nur die tonische Stimulation, sondern auch die sogenannte Burst – und High Frequency Technik zur Verfügung.

Es sind bereits einzelne RCT- Studien zur Neurostimulation auch bezüglich der neueren Techniken vorhanden, allerdings sind noch weitere Studien notwendig, damit zukünftig in den AWMF-Leitlinien oder auch NICE- Guidelines diese Evidence Eingang finden kann.

Hans-Raimund Casser, Mainz

Interdisziplinäre
multimodale Schmerztherapie beim CRPS

Die Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (IMST) ist eine umfassende Behandlung komplexer Schmerzsyndrome unter Einbindung verschiedener medizinischer Disziplinen und Berufsgruppen auf der Basis eines biopsychosozialen Modells der Schmerzentwicklung. Eingebunden sind somatische, körperlich und psychologisch übende sowie psychotherapeutische Verfahren [1, 3].

Eine medizinische Indikation besteht bei Patienten mit bereits chronifizierten Schmerzsyndrom, aber auch bei erhöhtem Chronifizierungsrisiko mit dem Ziel, den Chronifizierungsprozess aufzuhalten.

Dies gilt auch für das CRPS Syndrom, bei dem sich die Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie als effektiv erwies.

Zur Indikationsstellung wie auch zur Ausgestaltung des IMST gehört ein interdisziplinäres Assessment [2]. Das Assessment setzt die Mitarbeit von mindestens 2 Fachdisziplinen, davon eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin voraus sowie eine psychometrische und physische Funktionstestung mit anschließender Teambesprechung zur Erstellung des Therapieplans.

Alle Outcome Parameter zeigten eine hochsignifikante oder zum Teil signifikante Verbesserung am Ende eines stationären Aufenthaltes mit IMST [3]. Der Effekt blieb auch 4 Wochen nach Entlassung bestehen. Die Neuropathic Pain Scale belegte den Therapieeffekt. Der psychische Distress konnte verbessert werden.

Besondere Bedeutung bei der IMST des CRPS kommt der Berücksichtigung einer Restsymptomatik oder verminderten Belastung bei Belastbarkeit am „Ende“ der Therapie zu. Die Behandlung sollte immer eine Kombinationstherapie sein, die auch aus nicht-medikamentösen Maßnahmen besteht. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die IMST den verschiedenen Stadien der Erkrankungen angepasst werden muss. Therapiekonzepte anderer neuropathischer Schmerzerkrankung sind nur bedingt übertragbar. In jedem Fall sollte frühzeitig der Einsatz eines interdisziplinären Assessments und Behandlungsprogramms eingesetzt werden.

Literatur

1. Arnold B, Brinkschmidt T, Casser HR et al. Multimodale Schmerztherapie für die Behandlung chronischer Schmerzsyndrome: Schmerz 2014; 28: 459–472

2. Casser HR, Arnold B, Gralow I et al. Interdisziplinäres Assessment zur multimodalen Schmerztherapie Indikation und Leistungsumfang. Schmerz 2013; 27: 363–370

3. Seddigh S, Rothgangel A, Maihöfner C. Multimodale Therapieprogramme bei neuropathischen Schmerzen wirksam? Der Schmerz 2014; 28 (Suppl 1): 38–39

Stefan Middeldorf, Bad Staffelstein

Rehabilitation und Begutachtung

In Bezug auf die Versorgungskoordination des CRPS kann diese in der Regel zunächst ambulant behandelt werden, im Vordergrund steht eine medikamentöse, Physio-, Ergo- und rehabilitative Therapie. Bei Stagnation im ambulanten Behandlungsprozess oder Akzentuierung der Symptome wird jedoch eine schnellstmögliche stationäre multimodale Schmerztherapie empfohlen. Im Bereich der Berufsgenossenschaften wird bei ausbleibender funktioneller Besserung die Durchführung einer BGSW (Berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung) empfohlen. Diese beinhaltet die klassischen physiotherapeutischen und balneo-physikalischen Maßnahmen, von der Krankengymnastik über medizinische Trainingstherapie, Elektrotherapie, Hydrotherapie, Thermotherapie bis zu Massageformen, darüber hinaus die Ergotherapie, Rehabilitationspflege, arbeitsplatzbezogenes Aktivitätstraining, soziale Betreuung und Beratung bis hin zu Patientenschulung und psychologischer Betreuung. Orthopädietechnik mit Hilfsmittelberatung und -gebrauchsschulung kann ebenfalls bei entsprechender Indikation ein wichtiger Inhalt sein. Die Integration von arbeitsplatzbezogener medizinischer Trainingstherapie im Sinne von Work Conditioning ist zudem eine Besonderheit des Verfahrens. Auch können Aspekte der sogenannten EFL-Testung (Evaluation funktioneller Leistung) integriert werden, hier liegt der Fokus dann schon auf Behandlung und Begutachtung zur Frage der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben und Anbahnung einer entsprechenden Tätigkeit.

Zur Frage der Begutachtung ist zunächst zu klären, welches Rechtsgebiet konkret von Bedeutung ist, beispielsweise gesetzliche Unfallversicherung, gesetzliche Rentenversicherung, Schwerbehindertenrecht, private Berufsunfähigkeitszusatzversicherung oder soziales Entschädigungsrecht. Die in den GdB-/MdE-Tabellen wiedergegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß schmerzhafte Zustände. In Fällen, in denen „nach dem Sitz und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaftigkeit anzunehmen ist, können höhere Werte angesetzt werden.“ Dies gilt insbesondere bei dem hier in Rede stehenden Krankheitsbild.

Rechtliche Voraussetzungen zur Anerkennung eines Schadensfalls ist ein zweifacher ursächlicher Zusammenhang. Es muss ein Zusammenhang bestehen zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall und der Berufserkrankung (haftungsbegründende Kausalität), zudem ein Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Gesundheitsschädigung (haftungsausfüllende Kausalität). Abzugrenzen sind hier die sogenannten „Gelegenheitsursachen“. In diesem Zusammenhang wird gerne auch zur Frage der Kausalität in der Gesetzlichen Unfallversicherung das Prüfschema nach Schröter eingesetzt, dies beinhaltet eine Betrachtung der Einstiegsebene, Realisierungsebene, Prüfebene und Bewertungsebene. Richtungsweisende Hinweise zu diagnostischen Kriterien für den gutachterlichen Nachweis eines CRPS im Sinne eines Vollbeweises gibt auch B. Widder. Hier werden die Kriterien Trauma, Beginn, klinische Befunde und bildgebende Befunde betrachtet. In Bezug auf den Beginn wird konstatiert, dass Symptome innerhalb von Tagen nach dem Trauma auftreten müssen, zu den klinischen Befunden gehört eine nicht allein durch Immobilisierung bedingte Temperaturdifferenz von mehr als 2°, Veränderung der Hautfarbe auch nach Aufwärmen der Extremität, das distal betonte und generalisierte Ödem, eine im Seitenvergleich veränderte Schweißresektion, Muskelatrophien und trophische Veränderungen der Haut. Bildgebende Befunde werden bei positivem Nachweis eine gelenknahe spätere Anreicherung im 3-Phase-Szintigramm ermitteln ebenso wie eine gelenknahe kleinfleckige osteoporotische Veränderung im Röntgenbild.

Die Kieler CRPS-Klassifikation nach Kick und Baron beschreibt die MdE-Bewertung mit einem Grad P0 bis P3, MdE-Werte zwischen 0 und 80 werden entsprechend zugeordnet. Die Einteilung orientiert sich nach der Symptomatik, insbesondere nach der Ausprägung der Schmerzen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Krankheitsbild immer noch eine große Herausforderung für die Ärzte in Bezug auf Diagnostik und Therapie darstellt. Wirksame Therapieverfahren, die idealerweise auch im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme erfolgen können, werden beschrieben. Typisch ist für das Krankheitsbild das Zusammenwirken von Funktionsbeeinträchtigung und Schmerz. Bei der Begutachtung kann sich das Problem der Objektivierbarkeit ergeben, einbezogen hier auch das mögliche Vorliegen von Zielkonflikten, insbesondere auch dann, wenn es von der Phase der Heilungserwartung zu einem im Vordergrund stehenden Entschädigungsbegehren gekommen ist.

Fazit

Nach dem derzeitigen Stand ist davon auszugehen, dass in der Akutphase eines CRPS peripher entzündliche Vorgänge vorherrschen, während sich im Verlauf der Erkrankung zunehmend normoplastische Veränderung im ZNS entwickeln, die bei der Therapieplanung entsprechend berücksichtigt werden müssen. Neben der üblichen Schmerztherapie, die sich hauptsächlich an den neuropathischen Erfahrungen orientieren, gewinnen verhaltenstherapeutisch orientierte Übungsbehandlungen zunehmend an Gewicht. Invasive Verfahren sind nicht standardmäßig anzuwenden, sondern in Abhängigkeit vom klinischen Bild und der bisherigen durchgeführten Maßnahmen indiziert.

Die frühzeitige Diagnose eines CRPS-Syndroms und der rechtzeitige Beginn therapeutischer Maßnahmen sind weiterhin für die Prognose entscheidend. Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie-Programme, die der komplexen Pathogenese des CRPS gerecht werden, sollten deshalb frühzeitig nach einem sorgfältigen Assessment zum Einsatz kommen und nicht erst nach längerer therapierefraktärer Behandlung.

Eine Prognose für die Entwicklung eines CRPS ist weiterhin nur mit Vorsicht zu stellen und reicht von völliger „Ausheilung“ bis zu einem schweren chronischen Verlauf mit bleibender Behinderung und Schmerz. Eine Langzeituntersuchung erbrachte, dass 85 % der CRPS-Patienten nach einigen Jahren die Diagnosekriterien des CRPS nicht mehr erfüllten. Jedoch waren in 41 % der Fälle noch Schmerzen und Behinderungen unterschiedlichen Ausmaßes vorhanden. Die durchschnittliche Zeit bis zur Ausheilung betrug 11 Monate, sodass die Patienten über einen längeren Verlauf ihrer Erkrankung mit unsicherer Prognose aufgeklärt werden müssen.

Zukünftige epidemiologische Studien sollten sich vermehrt mit der Frage beschäftigen, ob die unterschiedlichen Langzeitentwicklungen auf Unterschiede im Spontanverlauf der Erkrankung oder der Reaktion auf die Therapie zurückzuführen sind.

Weiterführende Literatur

1. Diener, H. C.; Putzki, N.; Berlit, P et al.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Auflage. Georg Thieme 2008

2. Harden RN, Swan M et al. Treatment of Complex Regional Pain-Syndrome: Functional Restoration. Clinical Journal of Pain 2006; 22: 420–424

3. Kraenzlin ME. Komplexes regionales Schmerzsyndrom. Osteologie 2012; 21: 5–14

4. Birklein F. et al., Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS), S1-Leitlinie, 2018, Deutsche Gesellschaft für Neurologie; Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 16.04.2020)

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Raimund Casser

DRK Schmerzzentrum Mainz

Auf der Steig 16

55131 Mainz

hans-raimund-casser@
drk-schmerz-zentrum.de

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