Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2020
Update Knorpeltherapie
Gunter Spahn, Christoph Becher, Svea Faber, Johannes Zellner
Prof. Dr. Gunter Spahn, Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Universitätsklinikum Jena, Eisennach
Prof. Dr. Christoph Becher, ATOS Klinik Heidelberg
Svea Faber, OCM, Orthopädische Chirurgie München
Prof. Dr. Johannes Zellner, Klinik für Unfallchirurgie, Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg
Zweifelsohne stellen Knorpelschäden das entscheidende pathophysiologische Moment in der Entstehung der Gelenksschädigung und der sich daraus möglicherweise entwickelnden Arthrose dar. In der Behandlung derartiger Knorpelschäden hat sich viel über die letzten Jahre getan, weswegen hier ein kleines Update gegeben werden soll.
Die Differenzialindikation für die einzelnen Knorpel-regenerativen Verfahren basiert auf der Analyse verschiedener patienteneigener Befunde:
Genese, Morphologie und Lokalisation des Defektes
Analyse von Begleitpathologien (vor allem der Bänder bzw. der Beinachse)
Sonstige patienteneigene Faktoren (Alter, individueller Anspruch des Patienten an sein Gelenk im Alltag, Beruf oder Sport, Compliance uvm.).
Grundsätzlich sind bezüglich der Genese der Knorpelschäden dabei die traumatischen Schäden bei intaktem Gelenkumfeld von degenerativen Schäden zu unterscheiden, bei denen bereits auch in anderen Gelenksstrukturen (Knochen, Synovia, Menisken) degenerative Schäden vorhanden sind.
Ein weiteres Kriterium für die Differenzierung der Schäden ist die Ausdehnung, insbesondere der Umstand, inwieweit der den Defekt umgebende übrige Gelenkknorpel zumindest noch makroskopisch intakt ist. Des Weiteren sind die Beschaffenheit des subchondralen Knochens und, last but not least, auch die zusätzliche Schädigung des korrespondierenden Knorpels zum Hauptdefekt hin (Kissing lesions).
Unabhängig davon muss weiterhin unterschieden werden, ob es sich um Defekte im Bereich der Kondylen, der Trochlea, der Patella oder um problematische Defekte im Bereich der Tibiagelenkfläche handelt.
Grundsätzlich können heute folgende wesentliche Therapieprinzipien unterschieden werden, die nachfolgend bezüglich ihrer Indikation grundlegend aufgelistet sind:
- 1. Ablative Verfahren: Mechanische Abnahmen (sogenanntes Shaving) sollte nur in Ausnahmefällen zur Vermeidung von freien chondralen Fragmenten im Gelenk angewandt werden. Gleiches gilt für die Temperatur-kontrollierten RF-Verfahren, bei denen es gilt, die noch vorhandenen aber gelagerten Knorpel einigermaßen zu fixieren.
- 2. Knochenmark-stimulierende Verfahren: Die Anwendung kann aufgrund der nur kurz- und mittelfristigen Ergebnisse derzeit nur für sehr kleine Defekte empfohlen werden. Liegen größere Defekte vor, sollten andere Verfahren in Betracht gezogen werden oder aber eine Therapie zunächst gänzlich unterbleiben, falls es sich um Zufallsbefunde handelt.
- 3. Knochenmark-stimulierende Verfahren mit zusätzlicher Matrix-Augmentation: Grundsätzlich sinnvolles Verfahren bei mittelgroßen Defekten, allerdings ist derzeit nur wenig über die wirklichen Langzeitergebnisse bekannt.
- 4. Autologe Chondrozyten-Transplantation: Diese stellt nach wie vor die Methode der Wahl bei großen Defekten dar, insbesondere bei jüngeren Patienten.
Die üblichen Verfahren der regenerativen Knorpelchirurgie wurden prinzipiell für die Therapie von singulären, lokal begrenzten Knorpelschäden entwickelt. Die Anwendung der Knorpelersatzverfahren wie z.B. knochenmarksstimulierenden Techniken oder autologer Knorpeltransplantation in Gelenken mit mehreren Knorpeldefekten und/oder degenerativ veränderten Gelenken im Sinne einer frühen oder bereits fortgeschrittenen Arthrose, ist umstritten. Die Studienlage weist allerdings doch einige Arbeiten auf, welche positive Ergebnisse aufzeigen. Allerdings sind dies vom Evidenzlevel her eher geringer klassifizierte Studien, da der Einschluss dieser Patienten in kontrollierten, prospektiv randomisierten Studien aufgrund der Heterogenität der Pathologien und strikten Ein- und Ausschlusskriterien, schwierig ist. Umso mehr werden Registerdaten hier in der Zukunft von Interesse sein.
Additive Verfahren der konservativen Arthrosetherapie mit z.B. intraartikulären Injektionen durch PRP-Präparate, Hyaluronsäure etc., Einnahme von sog. SYSADOA (Symptomatic Slow Acting Drugs in Osteoarthritis) und der Einsatz von Orthesen sind weitere Optionen.
Bei Versagen der rein bioregenerativen Verfahren sollte der komplette Oberflächenersatz durch Einsatz von z.B. Mini-Implantaten und Teilprothesen möglichst vermieden bzw. hinausgezögert werden.
Neben dem richtigen indikationsbezogenen Knorpeltherapieverfahren ist für eine erfolgreiche regenerative Gelenkbehandlung auch im zunehmend degenerativen Milieu der Blick auf das gesamte Gelenk als funktionelle Einheit essentiell. Die präoperative Analyse aller Komorbiditäten und deren Adressierung sind zwingende Voraussetzungen für Knorpel-chirurgische Eingriffe, um ein funktionell und morphologisch positives Outcome zu gewährleisten und ein Fortschreiten degenerativer Veränderungen zu verhindern. Die häufigsten Ko-Pathologien oder Ursachen eines Knorpelschadens sind Veränderungen des subchondralen Knochens, Achsabweichungen, Instabilitäten und im Knie der Status des Meniskus.
Bei einer subchondralen Veränderung oder Ödem ist es in der Regel schwer zu identifizieren, ob dies die Ursache für den Knorpelschaden ist oder eher die Folge daraus. Besteht eine instabile Situation mit Einbruch der subchondralen Lamelle, sollte je nach Defektgröße und -tiefe eine OCT oder eine Knochenaugmentation mit autologer Spongiosa oder Knochenspan in Kombination mit einer MACT geplant werden.
Bei degenerativen Knorpelschäden, welche regenerativ behandelt werden, ist die häufigste Begleitoperation eine Korrekturosteotomie und hier vor allem die valgisierende HTO. Untersuchungen zeigen, dass ab einem Varus von 5° und mehr eine MACT kombiniert mit einer HTO signifikant bessere Ergebnisse aufweist, als eine MACT ohne Umstellungsosteotomie. Diese Tendenz zur Besserung der Ergebnisse mit Korrektur lässt sich auch schon ab einer Abweichung von 3° erkennen, weswegen hier schon über eine Osteotomie nachgedacht werden sollte. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass alle knorpeltherapeutischen Maßnahmen wenigstens im femorotibialen Anteil des Gelenks zwingend eine präoperative Röntgen-Ganzbeinstandaufnahme zur Abklärung einer Achsabweichung benötigen.
Die häufigste Begleitpathologie eines traumatischen Knorpelschadens am Knie ist die Instabilität und demnach die VKB-Rekonstruktion die häufigste Begleitoperation. In der Literatur zeigen sich positive Langzeitergebnisse einer MACT in Kombination mit einer VKB Rekonstruktion. Das Bewusstsein über einen negativen Zusammenhang zwischen Instabilität und Knorpelschaden wurde über die letzten Jahre größer, dennoch ist die persistierende Instabilität nach wie vor einer der häufigsten Versagensgründe einer regenerativen Knorpeltherapie.
Ähnlich verhält es sich mit dem Meniskus. Daten aus dem Deutschen Knorpelregister belegen den negativen Zusammenhang zwischen klinischem Outcome und der Menge an resezierter Meniskussubstanz. Dennoch wird die partielle Meniskektomie im Gegensatz zum Meniskuserhalt häufiger in Zusammenhang mit einer regenerativen Knorpelbehandlung durchgeführt.
Das zunehmende Wissen um die Wichtigkeit der Behandlung der Komorbiditäten, z.B. durch das Deutsche Knorpelregister, schafft die Möglichkeiten, die Erfolge der regenerativen Gelenkbehandlung noch weiter auszubauen.
Eine zukünftige Weiterentwicklungsmöglichkeit in der regenerativen Gelenkchirurgie ist die „Stammzelltherapie“. Aufgrund der großen Heterogenität hinsichtlich des Ursprungsgewebes, der Aufbereitungsart und der Indikation muss jedoch eine klare Nomenklatur eingehalten werden. So sollte das Wort „Stammzelltherapie“ nur für expandierte Zellen, die die Fähigkeit der Selbstreplikation und Transdifferenzierung zeigen, eingesetzt werden. Als Ursprungsgewebe haben sich v.a. Knochenmark und Fettgewebe etabliert, hier sollte strikt unterschieden werden, ob ein Knochenmarks- (Bone Marrow Aspiration Concentrate – BMAC) bzw. Lipoaspirat (auch: Stromal vascular fraction – SVF), mit nur einem kleinen Anteil an „MSCs“ (Medical Signaling Cells) zur einzeitigen Anwendung oder expandierte Fett- bzw. Knochenmarkstammzellen zur zweizeitigen Anwendung kommen. Der Wirkmechanismus dieser Zelltherapie besteht einerseits in der Differenzierung zur Regeneratzelle und vor allem in der Modulation des Umgebungsmilieus im Sinne eines parakrinen u.a. antiinflammatorischen Effekts.
Für die Behandlung von fokalen Knorpelschäden durch die Implantation von expandierten Zellen existieren einige kontrollierte Studien, die meist einen Vergleich mit der bereits etablierten ACT angestrebt haben. Für die Therapie der Arthrose des Kniegelenkes existierten wesentlich mehr Arbeiten mit einigen hochqualitativ randomisierten kontrollierten Studien sowohl für den Einsatz von expandierten als auch nicht-expandierten Zellen. So konnte für Zellen aus Fett und Knochenmark gegen Placebo, Hyaloronsäure oder Kortikosteroid eine signifikante Funktionsverbesserung im Arthrosefall gezeigt werden. Vielfach wird ein Vorteil der Zelltherapie in Addition zu operativen Eingriffen wie Debridement, Mikrofrakturierung oder Umstellungsosteotomien im Vergleich zum Eingriff ohne komplementäre Zelltherapie beschrieben.
Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle bleiben, dass keine der oben beschriebenen Therapien aktuell in Deutschland ohne Zulassung angewandt werden darf – mit Ausnahme der nicht-aufbereiteten Injektion von Lipoaspiraten in den Hoffafettkörper im Sinne einer nicht-substanziell-veränderten-homologen Verwendung. Weshalb sich der Ursprung der Forschung zu diesem Thema in den letzten Jahren fast ausschließlich auf den asiatischen Raum beschränkt hat.
Vor allem für die Therapie der Arthrose des Kniegelenkes besteht eine gute Evidenzlage bzgl. der Wirksamkeit und Sicherheit der Zelltherapie für expandierte und nicht-expandierte Zellaufbereitungen. Für die Therapie fokaler Knorpelschäden existieren einige Studien, die eine Gleichwertigkeit mit der ACT zeigen konnten. Wichtig sind die strikte Einhaltung einer sauberen Nomenklatur und die Einhaltung der ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products) -Regelungen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die regenerative Gelenktherapie über die letzten Jahre große Fortschritte erzielt hat. Das zunehmende Wissen über die Pathologien, die richtigen Indikationen und die verschiedenen Einflussfaktoren sowie die Weiterentwicklung der Techniken haben die Knorpeltherapie vorangebracht. Weitere Forschung, insbesondere an großen Fallzahlen, z.B. die Auswertung des deutschen KnorpelRegister DGOU mögen hier in Zukunft noch bessere und valide Empfehlungen hervorbringen und den Indikationsbereich auch in den zunehmend degenerativen Bereich erweitern.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. habil. Gunter Spahn
Praxisklinik für
Unfallchirurgie und Orthopädie
Universitätsklinikum Jena
Sophienstraße 16
99817 Eisenach
spahn@pk-eisenach.de