Originalarbeiten - OUP 06/2012

Verletzungen des vorderen Kreuzbandes: Von der Prävention zur Therapie
Injuries of the anterior cruciate ligament: from prevention to therapy

W. Petersen1, P. Forkel1, A. Achtnich1, S. Metzlaff1, T. Zantop2

Zusammenfassung: Das vordere Kreuzband (VKB) besteht aus zwei funktionellen Bündeln, die in unterschiedlichen Gelenkstellungen gespannt sind. Das anteromediale Bündel kommt in voller Streckung und in Beugung unter Spannung. Das posteroloaterale Bündel ist nur strecknah gespannt und stabilisiert gegen die anteriore tibiale Translation in Neutralstellung und in Innenrotation (Pivot shift Phänomen). Eine symptomatische vordere Instabilität beeinträchtigt die Funktion des Kniegelenkes und kann langfristig bei „Nicht-Kompensierern“ zur Arthrose führen. Bei Patienten mit symptomatischer vorderer Instabilität kann die Arthroseentstehung durch eine VKB-Ersatzplastik mit einem autologen Sehnentransplantat verlangsamt werden. Neben der Instabilität ist für die postoperative Arthroseentstehung der Umfang initialer Begleitverletzungen (Meniskus, Knorpel) relevant.

Als Operationsverfahren sollten anatomische Techniken zur Anwendung kommen. Der häufigste Grund für eine Revision ist eine Fehlpositionierung der Knochentunnel. Als autologe Sehnentransplantate eignen sich die Patellarsehne, die Quadrizepssehne und die Semitendinosussehne. Alle Transplantate haben Vor- und Nachteile und spezielle Indikationen. Ziel der modernen Kreuzbandchirurgie ist eine patientenspezifische Transplantatwahl. Wichtig ist eine anatomische Kreuzbandrekonstruktion unter Berücksichtigung des Doppelbündelkonzeptes. Diese beinhaltet auch den Partialersatz einzelner Bündel.

Schlüsselwörter: Prävention, Indikation, Kompensierer, Doppelbündelkonzept, patientenspezifische Transplantatwahl

Abstract: The anterior cruciate ligament (ACL) consists of two functional bundles which show reciproke tension in different joint position. In full extension and in increased flexion the anteromedial bundle is stained. The posterolateral bundle is tensioned with increasing extension and it stabilizes against anterior tibial translation in internal rotation (Pivot shift phenomenon). A symptomatic anterior instability impairs the fuction of the knee joint and may lead to secondary osteoarthritis in patients who cannot cope the instability. Osteoarthritis may be prevented by ACL reconstruction in patients with a symptomatic instability. For the development of an osteoarthritis concomitant injuries such as meniscus and cartilage damage may be relevant.

For surgical reconstruction of the ACL anatomical techniques should be used. The most frequent cause of revision surgery is misplacement of the bone tunnels. The patellar tendon, quadriceps tendon or hamstring tendons are suitable autologous tendon grafts.

All grafts have advantages and disadvatages and specific indications. Aim of the modern ACL surgery is a patient specific graft choice. Gold standard is the anatomical ACL reconstruction with regard to the double bundle concept. This concept includes the partial replacement of single ruptured bundles.

Keywords: prevention, indication, coper, double bundle concept, patient specific graft choice

Einleitung

Die Ruptur des vorderen Kreuzbandes ist eine folgenschwere Verletzung für das Kniegelenk. Sie kann zur Instabilität führen und den betroffenen Patienten unmittelbar in seiner (sportlichen) Aktivität beeinträchtigen. Langfristig kann eine unbehandelte symptomatische Instabilität zur Entwicklung einer posttraumatischen Osteoarthrose beitragen. Trotz der Vielzahl an Publikationen sind viele Fragen im Hinblick auf das vordere Kreuzband noch nicht gelöst oder werden in der Fachwelt kontrovers diskutiert.

In dem vorliegenden Übersichtsartikel möchten wir einen aktuellen Überblick über Epidemiologie, Prävention, Diagnostik und Therapie von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes geben.

Anatomie und Biomechanik

Das vordere Kreuzband (VKB) besteht aus zwei funktionellen Bündeln [23–25, 39], einem anteromedialen (AM) und posterolateralen Bündel (PL). Beide Bündel zeigen ein unterschiedliches Spannungsverhalten (Abb.1). Das PL-Bündel spannt sich in Streckung an; das AM- Bündel kommt in Beugung unter Spannung. Auf diese Weise kann das Kniegelenk in verschiedenen Beugewinkeln gegen die anteriore tibiale Translation gesichert werden (Lastverteilung). Da das PL-Bündel seine Wirkung streckungsnah entfaltet, leistet es außerdem einen wichtigen Beitrag für die Rotationssicherung des Kniegelenkes (Pivot shift Mechanismus) [39]. Dabei handelt es sich nicht um eine reine Rotation der Tibia sondern um eine anteriore Translation des lateralen Tibiaplateaus in Innenrotation und unter Valgusstress.

Epidemiologie und Unfallmechanismen

Die Häufigkeit der VKB-Ruptur liegt etwa bei 1/3500 Einwohner [9, 26, 27]. Als Ursache gelten Sportunfälle in Sportarten mit Sprüngen und plötzlichen Drehbewegungen (Handball, Basketball und Fußball). Auch im alpinen Skisport kommt es oft zu VKB-Rupturen [8].

Kreuzbandverletzungen kommen bei Sportlerinnen häufiger vor als bei männlichen Sportlern [3, 4, 7, 9, 11, 17, 18, 26, 27].

Videoanalysen haben Aufschluss über die Verletzungsmechanismen gegeben [26]. Danach entstehen Verletzungen des vorderen Kreuzbandes überwiegend ohne direkte Einwirkung des Gegners; der überwiegende Anteil entsteht in Nicht-Kontakt-Situationen.

Die gefährlichsten Spielsituationen sind: 1. das Landen nach einem Sprung, 2. das plötzliche Abstoppen und 3. plötzliche Drehbewegungen.

Zwei Hauptmechanismen wurden identifiziert: 1. Plötzliche Drehbewegungen (plant and cut maneuver, 12 von 20 Verletzungen) und 2. das einbeinige Landen nach einem Sprung (4 von 20 Verletzungen) [47]. Die Körperhaltung zum Zeitpunkt der Verletzung ist aufrecht mit leicht flektiertem Knie- und Hüftgelenk (5°?25° Knieflexion). Der Unterschenkel ist außen- oder innenrotiert und das Knie in Valgusposition (funktionelles Malalignment). Das ist eine Stellung, in der das vordere Kreuzband maximal gespannt ist. Der Körperschwerpunkt befindet sich hinter dem Zentrum des Kniegelenkes und der Fuß wird flach aufgesetzt. In dieser Position kommt es zu einer starken Anspannung des M. quadrizeps, die geeignet ist das VKB zu zerreissen. Die ischiokruralen Muskeln haben bei nur geringer Beugung einen ungünstigen Hebelarm, um das vordere Kreuzband zu schützen

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