Originalarbeiten - OUP 06/2012

Verletzungen des vorderen Kreuzbandes: Von der Prävention zur Therapie
Injuries of the anterior cruciate ligament: from prevention to therapy

Für das akute Mangement sind jedoch nur eingeklemmte Meniskuskorbhenkelrupturen oder hochgradige periphere Instabilitäten von Bedeutung, da diese Verletzungen refixiert werden sollten.

Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes

Die Kreuzbandersatzplastik mit einem autologen Sehnentransplantat ist heute die operative Therapie der Wahl.

Transplantatwahl

Die am häufigsten verwendeten Sehnentransplantate sind die Semitendinosussehne und die Patellarsehne. Aber auch die Quadrizepssehne hat sich klinisch bewährt. Viele Studien haben die Semitendinosussehne und die Patellarsehne miteinander verglichen [10]. Die Unterschiede hinsichtlich der langfristigen Stabilität waren gering. Die Entnahmemorbidität soll nach Verwendung von Patellarsehnentransplantaten jedoch erhöht sein. Daher sollten Patellarsehnentransplantate bei Patienten mit knienden Tätigkeiten nicht verwendet werden. Auch bei muslimischen Patienten muss auf jeden Fall auf dieses Problem hingewiesen werden. Auch bei Frauen mit geringer Körpergröße (geringer Durchmesser der Patellarsehne ist Vorsicht geboten. Indikationen zur Verwendung von Knochenblocktransplantaten sehen wir aber bei jungen Leistungssportlern unter 20 Jahren, da hier ein sehr hohes Rerupturrisiko aufgrund verminderter Compliance besteht. Durch die Verwendung von Knochenblöcken sind Revisionen dann einfacher. Außerdem werden die Patienten durch die Entnahmemorbidität im Rahmen der postoperativen Rehabilitation mehr gebremst. Zu Bedenken ist jedoch, dass die Inzidenz arthrotischer Veränderungen nach Patellarsehnentransplantat höher sein soll als nach der Verwendung von Semitendinosussehnentransplantaten.

Bei Transplantaten aus dem Streckapparat ist auch eine knochenblockfreie Entnahme möglich. In diesen Fällen ist die Entnahmemorbidität geringer.

Als Kontraindikation zur Verwendung von Semitendinosussehnentransplantaten der ipsilateralen Seite sind chronische mediale Instabilitäten beim Valgusknie zu sehen. Durch den zusätzlichen Verlust der aktiven Stabilisatoren kann es zu einem medialen Kollaps kommen.

Zur Quadrizepssehne liegen bisher nur wenig klinische Daten vor. Die Entnahmemorbidität soll jedoch deutlich geringer sein als bei der Patellarsehne. Auch allogene Transplantate von Organspendern kommen als Kreuzbandtransplantat in Frage. Sie sind in Deutschland jedoch nur schwer erhältlich.

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Indikationen und relativen Kontraindikationen der verschiedenen Transplantate. Es gibt sicher eine große Schnittmenge an Patienten, bei denen alle drei Transplantate alternative verwendet werden können. Trotzdem sehen wir es als eine Herausforderung für die Zukunft an, patientenspezifische Transplantatindikationen besonders im Hinblick auf die sportliche Aktivität im Sinne eines „À la carte–Konzeptes“ weiterzuentwickeln.

Anatomisches Rekonstruktionskonzept

Erfahrungen aus der Revisionschirurgie haben gezeigt, dass der häufigste Grund für einen Misserfolg nach VKB-Rekonstruktion eine unkorrekte Lage der Knochentunnel zur Verankerung der Transplantate ist. Die Funktion des vorderen Kreuzbandes kann nur wieder hergestellt werden wenn die Knochentunnel innerhalb der femoralen und tibialen Insertion des VKB platziert werden. Dieses Konzept wird als anatomische VKB-Rekonstruktion bezeichnet [21] (Abb. 8). Anatomische Kreuzbandrekonstruktionen können in Einzel- und Doppelbündeltechnik unter Verwendung aller Transplantate durchgeführt werden (Abb. 9).

Die femorale Insertion am lateralen Femurcondylus ist vom klassischen anterolateralen Arthroskopieportal nur sehr schwierig vollständig darstellbar. Eine gute Übersicht gelingt oft erst wenn das Arthroskop im anteromedialen Portal platziert wird („Portalblick“, Abb.9).

Portalbohren

Die Bohrtechnik kann einen großen Einfluss auf die Tunnelposition haben. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass bei transtibialer Bohrtechnik die Tendenz besteht, den femoralen Tunnel zu steil anzulegen, wenn der Eintritt des tibailen Kanals nicht sehr weit medial gewählt wird. Das Bohren des femoralen Tunnels über das mediale Portal bietet den Vorteil, den Eintritt des Bohrers freier wählen zu können als bei der transtibialen Bohrtechnik [2, 21]. Der femorale Kanal kann auf diese Weise unabhängig vom tibialen Kanal angelegt werden. So wird auch das Risiko primärer Tunnelweitungen minimiert.

Tibialer Tunnel

Vielen Operateuren diente der vordere Rand des hinteren Kreuzbandes zur Orientierung bei Anlage des tibialen Tunnels. Bei dieser Technik liegt der tibiale Tunnel jedoch zu weit hinten. Es resultiert ein steiles Transplantat. Viele Operateure waren der Ansicht, dass durch die hintere tibiale Tunnellage ein „pathologisches Impingement“ des Transplantates am Dach der Fossa intercondylaris vermieden wurde.

Eine zuverlässigere Landmarke ist das Außenmeniskusvorderhorn (Abb. 10b). Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass postoperative Streckdefizite bei anatomischer Platzierung des tibialen Kanals nicht vorkommen. Das liegt daran, dass auch das normale Kreuzband in Streckung in Kontakt zur Fossa intercondylaris tritt. Das wird als „physiologisches Impingement“ bezeichnet [21].

Einzelbündel vs. Doppelbündel

Kontrovers wird derzeit diskutiert, ob das VKB in Einzel- oder Doppelbündeltechnik rekonstruiert werden soll. Biomechanische und klinische Studien haben zeigen können, dass objektive Parameter (KT 1000, Pivot shift) mit der Doppelbündeltechnik besser wiederhergestellt werden können als mit einer Einzelbündeltechnik [16, 19, 34, 35, 36]. Klinische Scores konnten jedoch bisher keinen Unterschied zeigen. Langzeiterfahrungen mit der Doppelbündeltechnik liegen bisher nicht vor. Diese Technik ist zudem technisch anspruchsvoll, zeitintensiver und teurer. Daher gilt die anatomische Einzelbündelrekonstruktion weiterhin als Standardmethode.

Derzeit sehen wir als Indikation für eine Doppelbündelrekonstruktion Patienten mit großen Insertionszonen (Körpergröße ab 175 cm, siehe auch Tab.1).

Fixation

Den Fixationstechniken des VKB-Transplantates wurde lange Zeit eine zu hohe Bedeutung beigemessen. Vorteil von Patellarsehnentransplantaten ist die Möglichkeit zur implantatfreien Fixation (Press fit). Dabei werden die Knochenblöcke im Tunnel verklemmt (Abb. 12). Pattelarsehnentransplantate können jedoch auch mit Stiften, Interferenzschrauben oder extrakortikal fixiert werden. Die Fixation von Beugesehnentransplantaten (Sehne des M. semitendinosus) wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Als Nachteil indirekter gelenkferne Fixationsverfahren wurde deren geringe Steifigkeit [12] gesehen. Postoperative Tunnelweitungen wurden auf einen sogenannten „Bungeecord Effekt“ geschoben. Mittlerweile besteht jedoch Übereinstimmung dass die Tunnelweitung ein multifaktorielles Geschehen ist. Gelenknahe Fixationsmethoden haben unter biomechanischen Gesichtspunkten zum Zeitpunkt der OP (primäre Stabilität) Vorteile im Vergleich zu gelenkfernen Methoden. In klinischen Studien konnten sich diese Vorteile für die reine Interferenzschraubenfixation jedoch nicht bestätigen [32]. Tierexperimente haben Hinweise ergeben, dass die Kompression des Transplantates durch eine überdimensionierte Schraube im Knochentunnel das Remodeling und das Einheilen negativ beeinflussen kann [40]. Unter biologischen Gesichtspunkten könnte die Verwendung passgerechter oder unterdimensionierter Schrauben sinnvoll sein. Die schlechtere Primärstailität unterdimensionierter Schrauben muss dann jedoch durch eine zusätzliche extrakortikale Fixation ausgeglichen werden (Hybrid Fixation).

Partialersatz und
„Remnant augmentation“

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