Originalarbeiten - OUP 06/2012
Verletzungen des vorderen Kreuzbandes: Von der Prävention zur TherapieInjuries of the anterior cruciate ligament: from prevention to therapy
Beim Vorliegen einer Partialruptur bevorzugen wir den anatomischen Bündelersatz unter Schonung des intakten Bündels.
Osteoarthrose nach VKB-Ruptur
Der Verlust des VKB kann zu einer anterolateralen Rotationsinstabilität führen. Diese Instabilität kann den Patienten direkt beeinträchtigen (Instabilitätssymptome, Giving way) und zur Sportunfähigkeit führen. Langfristig kann eine vordere Instabilität auch zu sekundären Schäden am Gelenk führen [14, 33].
So kommt es bei chronischer vorderer Subluxation zu einer vermehrten Belastung der hinteren Anteile des Tibiaplateaus und der Menisken. Diese Belastung kann langfristig zu Meniskusläsionen und zur Entstehung einer posteromedialen Gonarthrose führen.
Dieser Zusammenhang wurde von Daniel et al. [5] als „VKB-Kaskade“ (ACL Cascade) bezeichnet. Die VKB-Kaskade beschreibt die Arthroseentstehung nach VKB-Ruptur jedoch unvollständig. Bei diesem Model zur Arthroseentstehung bleiben initiale Begleitverletzungen (Band-, Meniskus- und Knorpelschäden) unberücksichtigt. Dabei besitzen initiale Meniskus- und Knorpelschäden eine große Bedeutung für das Ergebnis nach VKB-Ersatzplastik. Es ist sinnvoller die „Knie Trauma Kaskade“ zu betrachten (Abb. 6). Initiale Meniskus und Knorpelschäden können als Erklärung für die Beobachtungen klinischer Studien dienen, die radiologische Arthrosezeichen auch bei Patienten nach VKB-Rekonstruktion beschreiben [14]. Mit einer VKB-Ersatzplastik kann nur die symptomatische chronische vordere Instabilität behandelt werden.
Indikation
Eine prospektive Studie konnte zeigen, dass Sekundärschäden und degenerative Gelenkschäden bei Patienten mit symptomatischer Instabilität und Risikofaktoren durch eine Kreuzbandplastik verhindert werden können [13, 31]. Risikofaktoren sind hohe Aktivität, das Auftreten von Giving way Phänomenen im Sport oder Alltag, erhöhte A-P-Translation und ein positives Pivot shift Phänomen.
Ein gewisser Teil der Patienten soll eine Kreuzbandruptur kompensieren können (Coper). Diese Kompensation ist unabhängig vom Aktivitätsgrad. Es konnten verschiedene Kriterien identifiziert werden um Kompensierer zu identifizieren [16]:
1. Ein-Bein-Sprungtest > 80 % der Gegenseite,
2. mehr als ein Giving way Phänomen,
3. Einschränkung der Tätigkeiten des täglichen Lebens < 80 % und
4. einen Kniefunktionsscore < 60 %.
Die Indikation zur VKB-Plastik ist daher immer eine individuelle Entscheidung. Patienten und Sportler, die nicht bereit sind ihre Aktivität zu modifizieren und eine symptomatische Instabilität aufweisen, sind Kandidaten für eine operative VKB-Rekonstruktion. Auch das Vorliegen eines rekonstruierbaren Meniskus-Korbhenkelriss spricht für eine VKB-Plastik, da die Rerupturrate bei instabilem Kniegelenk hoch ist. Für eine VKB Plastik sprechen auch Sekundärschäden, die auf eine Instabilität zurückgeführt werden können (Meniskus- und Knorpelschäden).
Ein höheres Lebensalter (> 40 Jahre) ist im Gegensatz zu früheren Darstellungen kein Ausschlusskriterium für eine VKB-Plastik. Auch bei älteren Patienten besteht bei symptomatischer Instabilität die Indikation zur VKB-Plastik. Hier spielt die Arthroseprävention jedoch keine Rolle. Bei gleichzeitiger symptomatischer Osteoarthrose und Varusstellung sollte die Indikation zur hohen tibialen Umstellungsosteotomie überprüft werden. Liegen gleichzeitig Instabilitätssymptome vor, kann der Eingriff ein- oder zweizeitig mit einer VKB-Plastik kombiniert werden.
Bei Kindern mit offenen Wachstumsfugen ist die Indikation zur VKB-Ersatzplastik weiterhin umstritten. Verlaufsbeobachtungen haben gezeigt, dass bei Kindern mit vorderer Instabilität eine hohe Inzidenz an Sekundärschäden besteht [1]. Bei der Verwendung von reinen Sehnentransplantaten ohne Knochenblock wird das Risiko der Schädigung der Wachstumsfuge als gering eingeschätzt. Eine neuere Studie aus Skandinavien hat jedoch gezeigt, dass auch Kinder Strategien entwickeln können, mit denen die vordere Instabilität kompensiert werden kann (Coper) [15]. Bei der kindlichen vorderen Kreuzbandruptur sollte eine sorgfältige Indikationsprüfung durchgeführt werden.
OP Zeitpunkt
Kontrovers wird das Management nach akuter VKB-Ruptur diskutiert. Lange Zeit galt die Devise, dass VKB-Rupturen aufgrund des Arthrofibroserisikos erst nach sechs Wochen operativ versorgt werden dürfen. Verschiedene Autoren hatten über eine Korrelation zwischen OP Zeitpunkt und Arthrofibrose berichtet. So soll die Arthrofibroserate bei Durchführung einer VKB-Ersatzplastik in den ersten vier Wochen nach dem Trauma erhöht sein Aus diesem Grunde wurde zunächst eine Arthroskopie zur Resektion von Bandresten durchgeführt und dann das VKB nach einem Intervall von sechs Wochen rekonstruiert.
Dieses Vorgehen haben wir heute weitgehend verlassen. Mayr et al. [14] haben 372 Patienten, die aufgrund einer Arthrofibrose nach VKB-Ersatzplastik reoperiert werden mussten, nachuntersucht. In dieser Studie bestand ein signifikanter Zusammenhang einer präoperativen Reizung des Kniegelenkes und einer postoperativen Arthrofibrose. Als weiterer wichtiger Riskofaktor konnte die präoperative Bewegungseinschränkung identifiziert werden.
Aufgrund dieser Ergebnisse darf der OP-Zeitpunkt heute nicht isoliert als Risikofaktor gesehen werden. Wichtiger ist der Zustand des Kniegelenkes. Bei reizlosem Knie mit freier Beweglichkeit die Gefahr einer Arthrofibrose auch bei Frühversorgung gering.
Aus diesem Grunde wird von manchen Autoren auch eine präoperative Physiotherapie empfohlen, um das Knie für die Kreuzbandrekonstruktion zu konditionieren. Begleitend sollten entzündungslimitierende Maßnahmen zum Einsatz kommen (Kühlung, NSAR, Lymphdrainage).
Begleitverletzungen
Isolierte Rupturen des vorderen Kreuzbandes sind sehr selten. Oft werden begleitende Meniskus- und Knorpelverletzungen beobachtet. Auch begleitende ligamentäre Instabilitäten sind häufig. Das sogenannte „unhappy triad“, die Kombination von VKB-Ruptur, Ruptur des medialen Kollateralbandes und des medialen Meniskus tritt eher selten auf. In der klinischen Praxis sehen wir die Ruptur des vorderen Kreuzbandes häufiger in Kombination mit Affektionen des Außenmeniskus, Femurimpression und posterolaterales Kantenfragment (Abb. 7). Dieses Verletzungsmuster bezeichnen wir als „laterales Quartett“. In ca. 10–15% der Fälle kommt es zu Verletzungen des Aussenmeniskushinterhornes (Root tear) (Abb. 7). Weiterhin kommen partielle und komplette Läsionen des lateralen Kapselbandapparates vor. All diese Verletzungen sind auf den Unfallmechanismus zurückzuführen, bei dem das Tbiaplateau vor den lateralen Femurcondylus subluxiert (Abb.8).