Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Vollständige Wiederherstellung der Schulterfunktion nach Humeruskopfresektion
Ein FallberichtA case report

Bodo von Ditfurth1, Horst Haferkamp2

Zusammenfassung: Wir berichten über einen 46-jährigen Patienten, der sich anlässlich eines Motorunfalles 2003 eine subkapitale Humerustrümmerfraktur links zuzog. Nach plattenosteosynthetischer Versorgung kam es zu einer ORSA-Infektion im Bereich der Fraktur, die mehrere Nachoperationen erforderlich machte. Nachdem eine kernspintomografische Untersuchung der Schulter weiterhin einen persistierenden Infekt und eine Nekrotisierung der Humerusfragmente nachwies, wurde 4 Monate nach Unfallereignis der Humeruskopf reseziert. Neben der üblichen physiotherapeutischen Nachbehandlung hat der Patient auch in den
folgenden Jahren intensivst seine Schulter eigenständig
beübt. Anlässlich einer stationären Behandlung im April 2016 wegen eines Kleinhirninfarkts rechts, erfolgte nochmals eine unfallchirurgische Vorstellung. Der Patient demonstrierte jetzt zum Erstaunen des Untersuchers eine vollständige Hebung des linken Armes im Schultergelenk. Dies ist mit den üblichen Erfahrungen nach Exstirpation des Humeruskopfes und Verlust der Rotatorenmanschette, die ja meist zu einer erheblichen Einschränkung der Schulterfunktion führen, kaum vereinbar. Im Folgenden soll versucht werden, ggfls. doch eine Erklärung für diese außergewöhnliche Funktionswiederherstellung zu finden.

Schlüsselwörter: Resektionsarthroplastik, Humeruskopf,
Humeruskopffraktur, MRSA

Zitierweise
von Ditfurth B, Haferkamp H: Vollständige Wiederherstellung der Schulterfunktion nach Humeruskopfresektion. Ein Fallbericht
OUP 2017; 10: 511–514 DOI 10.3238/oup.2017.0511–0514

Abstract: We report on a 46-year old patient, who had a severe motorbike accident and suffered a subcapital comminuted fracture of the humeral head, type Neer 4°. After stabilization with a 5-hole plate, he had complications due to MRSA infection. He had to undergo 17 revisions with debridement and antibiotic sponge insertion. Four months later, the humeral head had to be resected, as no perfusion of the humeral head could be detected in the MRI. After eradication of the infect, normal wound healing was seen. In most cases the resection of the humeral head shows a restricted range of motion with an average abduction of the arm of 70°. In this case, the patient could elevate the left arm to 180° without any deficit in comparison to the non-affected right arm. This outstanding result could not be found in current literature yet. It could be explained by a combination of a well functioning deltoid, an intact supraspinatus muscle and tendon with contact to the proximal humerus and a medialised support of the proximal humerus in the dorsal capsule in addition to physiotherapy and high motivation of the patient for daily intensive exercises for more than 7 years.

Keywords: resection arthroplasty, humeral head, humeral head fracture, MRSA

Citation
von Ditfurth B, Haferkamp H: Complete restoration of shoulder function after humeral head resection. A case report
OUP 2017; 10: 511–514 DOI 10.3238/oup.2017.0511–0514

Fallbeschreibung

Der Patient hatte sich anlässlich eines Motorradunfalls am 15.06.2003 eine Trümmerfraktur des linken Humeruskopfs zugezogen. Die computertomografische Untersuchung zeigte das ganze Ausmaß der Verletzung mit subkapital gelegener Stauchungsfraktur des proximalen Humerus mit Ausbildung einer Trümmerzone und zusätzlich eine Abrissfraktur des Tuberculum majus mit Ausbildung mehrerer Fragmente, sodass das Ausmaß der knöchernen Verletzung als Stadium 4 in der Klassifikation nach Neer eingeordnet werden konnte (Abb. 1).

Am 25.06.2003 wurde eine operative Stabilisierung der Fraktur mit einer 5-Loch-T-Platte durchgeführt (Abb. 2.). Postoperativ kam es jedoch zu einer Infektion, sodass am 30.06.2003 eine Wundrevision mit Debridement, Jet-Lavage und Sulmycin-Einlage erforderlich war.

Der intraoperativ entnommene Wundabstrich ergab einen Oxacillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). In der Folgezeit mussten insgesamt 7 Wundrevisionen durchgeführt werden. Am 04.08.2003 wurde die Platte entfernt. Weitere 10 Wundrevisionen waren in kurzen Abständen erforderlich und nachdem eine kernspintomografische Untersuchung keine Durchblutung des Humeruskopfs ergab (Abb. 3), wurde am 30.10.2003 die Humeruskopfresektion durchgeführt. Die letzte bakteriologische Kontrolle zeigte, dass die Wunde ORSA-frei war. Es kam dann zu einer reizlosen Wundheilung.

Der Patient wurde weiterhin physiotherapeutisch betreut. Es ist jedoch ausdrücklich hervorzuheben, dass er eigenständig, permanent über Jahre hinweg seine Schulter beübte, sodass trotz der prognostisch zu erwartenden erheblichen Beeinträchtigung der Schulterbeweglichkeit nach Resektionsarthroplastik [1,2] eine zunehmende Verbesserung der Elevation im Schultergelenk zu verzeichnen waren. Auf einer Röntgenaufnahme vom 16.01.2010, also ca. 6,5 Jahre nach dem Unfall, vermeint man, im AP-Bild eine Rekonstruktion des Oberarmkopfs durch Knochenneubildung zu sehen. Im Seitenbild zeigt sich jedoch, dass diese dorsal des Oberarmschafts lokalisiert ist. Auffallend ist jedoch, dass der Patient den Oberarm fast senkrecht über den Kopf erheben kann (Abb. 4). Diese röntgenologisch dokumentierte und nahezu aufsehenerregende Funktionsverbesserung scheint damals wohl nicht erkannt worden zu sein, zumal auch kein schriftlicher Röntgenbefund vorliegt, sodass vermutet werden darf, dass dieser Befund „unter den Tisch gefallen“ ist.

Wir haben den Patienten anlässlich eines stationären Aufenthalts in der neurologischen Abteilung wegen eines Kleinhirninfarkts rechts wiedergesehen. Er demonstrierte eine nahezu ungestörte, kraftvolle Hebung des linken Oberarms im Vergleich zur gesunden rechten Seite (Abb. 5). Er berichtete, dass er in seinem Beruf als Kontrolleur und auch als Mechaniker bei Hubschrauberreparaturen fast uneingeschränkt arbeiten konnte. Lediglich bei längeren Überkopfarbeiten war der linke Arm nicht so lange belastbar wie die rechte gesunde Seite, sodass er zwischendurch Ruhepausen einlegen musste.

Es wurde zwischenzeitlich immer überlegt, ob nicht eine Verbesserung der Situation durch Implantation einer inversen Prothese erzielt werden könnte. Aufgrund der Gefahr, dass die zuvor bestehende ORSA-Infektion wieder aufflackern könnte und nicht zuletzt auch, da eine zunehmende funktionelle Verbesserung zu beobachten war, wurde dann davon Abstand genommen.

Zusammenfassung
und Diskussion

Die Resektionsarthroplastik ist eine seltene Option im Falle einer fehlgeschlagenen Implantation einer Schulterprothese, bei chronisch persistierendem Infekt oder auch bei nicht-rekonstruierbaren völlig zerstörten Schultergelenk [1]. Es verbleibt dann meist eine erhebliche Bewegungseinschränkung des Schultergelenks. Die Resektionsarthroplastik kann zwar die vorbestehenden Schmerzen reduzieren, schließt aber auch nicht aus, dass noch Restbeschwerden bestehen können.

In der Arbeit von Rispoli et al [1] wird von einem Kollektiv von 18 Patienten mit Resektionsarthroplastik der Schulter berichtet. Die durchschnittliche seitliche Elevation erreichte 70° (0°–150°), wobei sicherlich die Funktion der Schulter im Wesentlichen auf dem intakten M. deltoideus und der parascapulären Muskulatur beruht.

In unserem Fall erreichte der Patient eine vollständige Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit mit einer Seitwärtshebung von fast 180° und völliger Beschwerdefreiheit, es bestand lediglich eine Einschränkung der Kraft bei längerer Überkopfarbeit. Ein solch gutes Resultat ist uns aus der vorliegenden Literatur nicht bekannt.

Es stellt sich die Frage, wie eine solch unübliche Funktionsverbesserung nach Verlust des Oberarmkopfs und der Rotatorenmanschette möglich ist. In einer Abbildung ist eine scheinbare Rekonstruktion des Oberarmkopfs durch Knochenneubildung zu beobachten, da sie jedoch keinen direkten Kontakt zum Glenoid hat, sondern dorsal und medial hiervon liegt, kann sie allein keine funktionelle Verbesserung bewirkt haben.

Bei retrospektiver Betrachtung der in Abbildung 3 schon dargestellten Kernspintomografie fanden sich in weiteren Schichtbildern Hinweise für einen nicht verfetteten Supraspinatusmuskel, wobei die Sehne möglicherweise durch Narbenbildung Anschluss an den proximalen Humerusschaft gefunden hat (Abb. 6). Bei unserem Patienten kommen daher 3 günstige Faktoren zusammen, die seine gute Schulterfunktion nach Humeruskopfresektion erklären: Der kräftig ausgebildete M. deltoideus, der narbig günstig angeheilte und funktionell wirksame M. supraspinatus und eine dem Humerusschaft aufsitzende, abgerundete Knochenneubildung, die in einer dorsalen Kapseltasche liegt und durch ihre medialisierte Position eine biomechanisch günstige Verlagerung des Drehzentrums bewirkt.

Hervorzuheben ist jedoch die besondere Compliance des Patienten, der über Jahre hinweg sehr intensiv mit aktiven und auch passiven Dehnungsübung seine Schulter beübte. Beides zusammen könnte ggfls. dieses herausragende Ergebnis mit nahezu vollständiger Restitutio ad integrum erklären.

Nachdem er auch die Folge des erwähnten Kleinhirninfarkts ohne verbleibenden Schaden überstanden hatte, hat die Geschichte dennoch kein glückliches Ende gefunden. Einige Monate nach der letzten Kontrolle im April 2016 erlitt der Patient erneut einen schweren Motorradunfall, an dessen Folgen er leider verstarb.

Interessenkonflikte: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Bodo von Ditfurth

Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie

Mönchebergstr. 41–43

34125 Kassel

ditfurth@klinikum-kassel.de

Literatur

1. Rispoli DM, Sperling JW, Athwal GS, Schleck CD, Cofield RH: Pain relief and functional results after resection arthroplasty of the shoulder. J Bone Joint Surg Br. 2007; 89: 1184–7

2. Skruodies B, Wening JV, Jungbluth KH: Humeruskopfresektion als Therapie bei Oberarmkopftrümmerfrakturen – Ergebnisse. Langenbecks Arch Chir 1990; 375: 225–30

Fussnoten

1 Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie, Klinikum Kassel

2 Adolfstr. 28, 34121 Kassel

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