Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022
Vordere KreuzbandrupturKonzepte, Diagnostik und therapeutische Überlegungen
Christian Sobau, Alexander Zimmerer, Rüdiger Schmidt-Wiethoff
CME
1
Punkt
Lernziele:
Nach der Lektüre dieses Beitrags zur vorderen Kreuzbandruptur ...
kennen Sie die typische Anamnese und Klinik der vorderen Kreuzbandruptur.
sind Ihnen die diagnostischen Möglichkeiten, insbesondere der Bildgebung geläufig.
kennen Sie konservative und operative Therapiemöglichkeiten und deren Differentialindikation.
sind Ihnen wichtige prognostische Faktoren bekannt.
Zusammenfassung:
Die Ruptur des vorderen Kreuzbandes (VKB) ist eine schwerwiegende und im Verlauf oftmals karrierelimitierende Sportverletzung. Mit einer hohen Inzidenz findet sich die VKB-Ruptur vorrangig in dynamischen, sogenannten „High-risk-pivoting“-Sportarten wie Fußball, Hockey, Ski Alpin. Die Verletzung des vorderen Kreuzbandes verursacht eine gravierende Störung der physiologischen Kinematik des Kniegelenkes und ist in einem hohen Prozentsatz mit chondralen und meniskalen Begleitverletzungen kombiniert. Nach Diagnosestellung durch Anamnese, klinische Untersuchung und radiologischer Diagnostik ist es von entscheidender Bedeutung, gemeinsam mit den Patienten eine individuelle Therapieentscheidung zu finden. Diese richtet sich nach Sport, Beruf und Ausmaß der Instabilität. Konservative Therapiekonzepte beinhalten physikalische und physiotherapeutische Maßnahmen, sowie ggf. den Einsatz stabilisierender Orthesen. Operativ haben sich zur VKB-Rekonstruktion autologe Sehnentransplantate durchgesetzt. Entscheidend für den Erfolg ist die anatomisch korrekte Transplantatpositionierung sowie ein OP-Zeitpunkt außerhalb der inflammatorischen Reaktion. Die Nachbehandlung erfolgt frühfunktionell. Die Rückkehr zum Sport muss individuell betrachtet werden. Bei offenen Wachstumsfugen wird eine OP empfohlen.
Schlüsselwörter:
VKB-Ruptur, konservative Therapie, Operation, Begleitverletzungen, offene Wachstumsfugen
Zitierweise:
Sobau C, Zimmerer A, Schmidt-Wiethoff R: Vordere Kreuzbandruptur. Konzepte, Diagnostik und therapeutische Überlegungen.
OUP 2022; 11: 174–181
DOI 10.53180/oup.2022.0174-0181
Summary: The ACL rupture is a serious and often career limitring sports injury. With a high incidene the ACL rupture is found significantly in dynamic, so called „high-risk-pivoting“ sports, such as soccer, hockey, American Football and alpine skiing. Anterior cruciate ligament injuries causes a serious disruption of the physiological kinematics of the knee joint and are often combined with concomital chondral and meniscal inhuries. The rupture of the anterior cruciate ligament has a high incidence in Germany and causes a serous disorder to the kinematics of the knee joint. Often it is combined with meniscal, chondral and collateral ligament injuries, but it also can occur isolated. After diagnosis based on anamnesis, clinical examintation and radiological diagnostic it is of crucial importance to decide individually which therapy is best for the patient. This depends on sports activity level, work duties and amount of instability of the patient. Conservative treatment includes physical and physiotherapeutic measures, sometimes use of an ortheses. The surgical gold standard for ACL reconstruction is the use of autologous tendons. Correct tunnel placement and surgery after the inflamatoric reaction of the body are crucial for succes of ACL reconstrcution. Rehabilitation should be moderate. Return to sports should be allowed on an individual bases. Patients with ACL lesions and open physes should be operated.
Keywords: ACL rupture, conservative treatment, surgery, addtional injuries, open physes
Citation: Sobau C, Zimmerer A, Schmidt-Wiethoff R: Anterior cruciate ligament rupture. Concepts, diagnostic and therapeutic considerations.
OUP 2022; 11: 174–181; DOI 10.53180/oup.2022.0174-0181
ARCUS Kliniken, Pforzheim
Einleitung
Die Verletzung des vorderen Kreuzbandes tritt bei Sportlern in Deutschland mit einer Inzidenz von ca. 60.000 bis 80.000 pro Jahr auf, meist in dynamischen Sportarten mit schnellen Richtungswechseln. Bei diesen prädisponierenden Sportarten, z.B. Fußball, Ski Alpin, Tennis und Basketball treten neben Abbrems- und Beschleunigungsaktionen zusätzliche Drehbewegungen auf [68, 83]. Der häufigste Mechanismus, der zu einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes führt, ist eine Kombination aus Flexion, Adduktion und Innenrotation im Kniegelenk bei relativer Fixierung von Fuß und Unterschenkel [52].
Die vordere Kreuzbandruptur kann isoliert auftreten, ist aber nicht selten mit chondralen, meniskalen und Kollateralband-Begleitverletzungen kombiniert [73]. Häufig liegt ein von O´Donoghue beschriebenes sog. „unhappy triad“ vor mit einer Kombination aus vorderer Kreuzbandruptur, Innenmeniskus- und Innenbandläsion [49]. Im Rahmen der vorderen Kreuzbandverletzung werden in bis zu 80 % osteochondrale Kontusionsverletzungen des lateralen Femurkondylus beobachtet. Dies gilt als pathognomonisches Zeichen für eine funktionell relevante vordere Kreuzbandläsion [33].
Nach Diagnosestellung durch Anamnese, klinische Untersuchung und radiologischer Diagnostik ist es von entscheidender Bedeutung, gemeinsam mit den Patienten eine individuelle Therapieentscheidung zu finden, da die Ruptur des vorderen Kreuzbandes oft eine schwerwiegende und karrierelimitierende Sportverletzung darstellt [68]. Für die meisten Patienten steht aber gerade der Wunsch des Wiedererreichens der Sportfähigkeit im Vordergrund [46]. Anhand des Schädigungsmusters des VKB, der individuellen Patientensituation und den Ansprüchen in Beruf und Sport sollten konservative und operative Therapieoptionen besprochen werden.
Beim konservativen Vorgehen gilt es zu bedenken, dass muskulär und koordinativ geschulte Sportler die Instabilität unter physiotherapeutischen Therapiemaßnahmen zu Beginn kompensieren können, jedoch im weiteren Verlauf meist nur wenige dieser Patienten sportlich aktiv oder belastbar sind [24]. Grund hierfür sind die mit der Kreuzbandinsuffizienz einhergehenden kinematischen Veränderungen, da das VKB als zentraler Pfeiler des Kniegelenkes dient [4, 47, 77]. Bei Bewegung des Knies erfolgt keine isometrische Anspannung in verschiedenen Gelenkstellungen, sondern die in sich schraubenartig verwobenen Faserbündel des VKB werden im Rahmen des Bewegungszyklus unterschiedlich angespannt. Das intakte VKB stabilisiert dadurch sowohl die anteriore Translation in der Sagittalebene und sorgt zusätzlich für die Rotationssicherung [81]. Zusammen mit dem hinteren Kreuzband (HKB) obliegt dem VKB auch die kinematische Steuerung des Roll-Gleit-Mechanismus des Femur gegenüber der Tibia [48]. Als Folge einer VKB-Ruptur werden die Menisken vermehrt zur Abbremsung der Tibiatranslation und Vermeidung der Rotation eingesetzt. Die daraus resultierende chronische Überbeanspruchung führt zu sekundären degenerativen Begleitschäden und hat eine chronische Instabilität und final die Arthropathie zur Folge [15, 47]. Trotzdem führt nicht jede unbehandelte Kreuzbandruptur zur Arthrose, denn der Langzeitverlauf hängt in erster Linie vom Zustand der Menisken und des Knorpels ab.