Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Vordere Kreuzbandruptur
Konzepte, Diagnostik und therapeutische Überlegungen

Das Quadrizepssehnentransplantat wurde früher fast ausschließlich mit endständigem patellarem Knochenblock verwendet und fand vorwiegend in der Revisionschirurgie Anwendung. Obwohl mit dem natürlichen Kreuzband vergleichbaren biomechanischen Transplantateigenschaften war die operationstechnisch anspruchsvolle Transplantatentnahme, vor allem des Knochenanteils der Patella, der limitierende Faktor, nicht zuletzt wegen der Gefahr einer Patellafraktur. Deshalb konnte sich diese Technik zur Erstversorgung der Kreuzbandruptur nicht generell durchsetzen [67]. Allerdings hat sich in letzter Zeit die Verwendung eines isolierten Sehnentransplantates auch als Primärtransplantat etabliert. Ohne Patella-Knochenblock ist die Entnahmemorbidität niedrig und die Quadrizepssehne ist im funktionellen Vergleich den Hamstring- und BTB-Transplantaten in der aktuellen Literatur gleichwertig, teilweise sogar überlegen [25, 45, 62].

Allogene Transplantate finden vorwiegend im amerikanischen Raum Anwendung und unterliegen in Deutschland dem Arzneimittelgesetz. Vorteil dieser Methode ist der Wegfall der Entnahmemorbidität. Nachteilig sind hingegen mögliche Immunreaktionen sowie eine nachgewiesene höhere Versagensrate [34, 61].

Operationszeitpunkt

Der OP-Zeitpunkt bleibt eine umstrittene Diskussion. Entscheidende Bedeutung kommt der initial nach einer Verletzung einsetzenden inflammatorischen Reaktion zu [32]. Bei frischer Ruptur kann der Eingriff innerhalb der ersten 24–48 Stunden erfolgen. Diese Option kommt vornehmlich bei Spitzensportlern zur Anwendung, bei denen eine Akutversorgung vor dem Hintergrund minimaler Ausfallzeiten und der Maßgabe einer optimierten leistungsorientierten Rehabilitation vorgenommen wird. Weitere Indikationen für eine Primärrekonstruktion bilden der knöcherne Kreuzbandausriss sowie akut versorgungspflichtige Begleitverletzungen wie nahtfähige Meniskusrupturen oder komplexe periphere Kapsel-Bandinstabilitäten [37]. Verletzungen des Innenseitenbandkomplexes am femoralen Ansatzpunkt können aufgrund der guten Spontanheilungstendenz häufig konservativ behandelt werden. Tibiale Ausrisse und die Zerreißung des medialen Kapselbandkomplexes mit Beteiligung des hinteren Schrägbandes und der dorsomedialen Kapsel müssen dagegen frühzeitig versorgt werden. Auch instabile Verletzungen der Lateralseite des Kniegelenkes zeigen keine günstige Spontanprognose und sollten zeitnah operiert werden.

In den übrigen Fällen wird der Operationszeitpunkt nach Abklingen der Entzündungsreaktionen nach einem 4–6-wöchigen Intervall geplant [7, 8, 32]. Wichtig ist die Vermeidung einer Operation während der inflammatorischen Phase mit Schwellung, Überwärmung und signifikanter Bewegungseinschränkung. Die operative Versorgung während der inflammatorischen Phase ist mit einer deutlich erhöhten Komplikationsrate im Sinne postoperativer Bewegungsstörungen (Arthrofibrose) assoziiert [60]. Der präoperative Einsatz stabilisierender Knieorthesen ist bei ausgeprägter Instabilitätssymptomatik und bei begleitenden Läsionen der Kollateralbänder indiziert [70].

Tunnelpositionierung

Die Präzision der Transplantatpositionierung ist für die postoperative Kinematik des Kniegelenkes von entscheidender Bedeutung [41, 66, 72]. Die anatomische korrekte Anlage des femoralen und tibialen Tunnels stellt die größte Herausforderung dar. Diese orientiert sich an den originären Insertionsarealen des femoralen Ansatzbereiches und des tibialen Footprints. Für die Anlage der Bohrtunnel haben sich spezielle Zielgeräte etabliert, die über das antero-mediale Portal eingebracht werden. Zur korrekten Positionierung der Tunnel werden diese unabhängig voneinander angelegt und später über einen Durchzugsfaden verbunden. Fehlerhaft positionierte Ansatzareale führen zu einer unphysiologischen Transplantatlängen- und Spannungsänderung und weisen ein erhöhtes Risiko postoperativer Bewegungsdefizite sowie ein frühzeitiges Transplantatversagen auf. Analysen von Revisionsoperationen belegen, dass fehlerhaft positionierte Transplantate die häufigste Versagensursache nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes darstellen [70, 78].

Fixation

Gemeinsames Ziel sämtlicher Rekonstruktionstechniken ist die primärstabile Transplantatverankerung. Hierfür haben sich verschiedene Fixationsmaterialien wie metallische oder bioabsorbierbare Interferenzschrauben sowie Fixationsbuttons durchgesetzt. Prinzipiell sind gelenknahe (anatomische) und gelenkferne (extraanatomische) Fixationstechniken zu unterscheiden. Eine gelenknahe Verankerung hat neben einer verbesserten Transplantatisometrie den Vorteil, dass Längenänderungen des Transplantates innerhalb des Bohrtunnels vermieden werden, was einen wesentlichen Vorteil für die Transplantateinheilung darstellt [74]. Bei Verwendung des Ligamentum patellae kann auch „Press-fit“, implantatfrei verankert werden [11, 30, 56].

Nachbehandlung

Das primäre Ziel rehabilitativer Maßnahmen ist einerseits die frühzeitige Wiedererlangung eines freien Bewegungsumfangs, andererseits die adaptierte Belastbarkeit unter muskulärer Kontrolle und Koordination. Die Nachbehandlung orientiert sich neben den klinischen Parametern (Schwellung, Trophik, Reizzustand) an den operativen Individualitäten (Begleitverletzungen, Transplantatwahl und Fixationstechnik). Postoperativ können stabilisierende Knieorthesen verordnet werden, um dem Patienten eine subjektiv sichere und auch objektiv stabile Mobilisierung zu ermöglichen. Dennoch wird der Einsatz von Knieorthesen kontrovers diskutiert. Evidenzbasierte Studien liegen nicht vor [10].

Spezialgebiete der
operativen VKB-Chirurgie

Kreuzbandnaht

Eine Sonderform der VKB-Operation stellt die primäre Naht dar. Bei isolierter femoraler Ausrissläsion kann eine Fixierung des vorderen Kreuzbandes am originären Ursprung proximal, ggf. auch mit gleichzeitiger additiver Stabilisierung an der Tibia, gute biomechanische Ergebnissen erzielen [38, 41]. Die Indikation für eine Kreuzbandnaht kann bei einer frischen femoralen Ruptur gestellt werden. In ersten Studien wurde eine Rerupturrate von 20 % evaluiert [20].

VKB-Plastik bei offenen
Wachstumsfugen

Die Versorgung der kindlichen vorderen Kreuzbandruptur bei noch offenen Wachstumsfugen ist bei Instabilität obligat und erfordert eine spezielle knochenschonende OP-Technik sowie extrakortikale Fixation außerhalb der Wachstumsfugen [16, 63]. Patienten mit offenen Wachstumsfugen und vorderer Kreuzbandruptur müssen präoperativ über die erhöhte Rerupturrate aufgrund des verbleibenden Restwachstums aufgeklärt werden. In unserem eigenen Patientengut konnten wir 152 Kinder und Jugendliche mit offenen Wachstumsfugen und intraligamentärer vorderer Kreuzbandruptur versorgen. Nach einem durchschnittlichen Follow-up von mehr als 10 Jahren hatten 89 % der Patienten im IKDC ein sehr gutes und gutes Ergebnis. Die KT-1000-Messung zeigte eine Seitendifferenz von durchschnittlich 1,7 mm. Eine Störung des Längenwachstums trat nicht auf [43, 57].

Additive Therapien

In den letzten Jahren erfuhr die Rekonstruktion des Antero-Lateralen Ligamentes (ALL) vermehrt Aufmerksamkeit. Bei Patienten mit einer ausgeprägten Rotationsinstabilität wird durch eine zusätzlich laterale Stabilisierung, entweder durch einen Traktus-iliotibialis-Streifen (Lemaire-Technik) oder eine ALL-Sehnenplastik, die Innenrotation reduziert und dadurch die stabilisierende Funktion der VKB-Plastik unterstützt. Klinische Untersuchungen ergaben, dass dadurch die Rerupturrate signifikant gesenkt werden kann [53, 79].

Diskussion

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