Originalarbeiten - OUP 04/2025
Warum reißt das vordere Kreuzband im Profifußball?Quadrizepskontraktion – ein neuer Unfallmechanismus
Drei unabhängige Beobachter überprüften die Videos mittels Zeitlupenanalyse und Einzelbildbetrachtung (25 Bilder/Sek.) über die Software Pinnacle StudioTM24. Verletzungen wurden in die Kategorien Nicht-Kontakt, indirekter Kontakt und direkter Kontakt unterteilt. Eine detaillierte Frame-für-Frame-Analyse wurde zur Bewertung der Gelenkstellungen und Quadrizepsaktivierung durchgeführt. Fünf Verletzungsmechanismen wurden den Kategorien zugeordnet:
- 1. statischer Valgus-Kollaps (der Spieler kollabiert nach einem Sprung in der Knie-X-Stellung)
- 2. dynamischer Valgus (der Spieler befindet sich in einer Vorwärtsbewegung/Richtungswechsel und erleidet die Ruptur mit einer X-Stellung im Knie)
- 3. Hyperextension des Knies
- 4. traumatische externe Kraft und 5. isolierte quadrizepsinduzierte vordere Tibiaschublade (Quadrizepsgruppe).
Ein Zurückschnappen des Tibiakopfes („tibial shear“) wurde als Zeichen einer vorderen Knieschublade und als indirektes Zeichen einer Hyper-Quadrizeps-Kontraktion interpretiert. Der Rupturzeitpunkt wurde der Spielposition zugewiesen (aus Sicht des Verletzten: 16-Meter-Raum, Abwehr, Mittelfeld, Sturm). Wir notierten dabei die Beckenposition im Vergleich zum Knie (posterior, anterior), die Hüftstellung (Flexion, Abduktion, Adduktion), die Kniestellung (Valgus, Gerade, O-Bein) und extrapolierten über die Abweichung der Fußstellung zur Sagittal-Achse die Rotation des Oberschenkels. Alle Winkelgrade wurden in 10 Grad-Inkrementen notiert. Zuletzt dokumentierten wir den Fuß-Bodenkontakt (kein, partiell, > 50 %).
Nachdem ein Spieler anhand seines Vereins und der Hemdaufschrift identifiziert wurde, konnten weitere Details, wie Alter, Spielpräferenz, Fußigkeit, Verletzungsdatum, Dauer der Arbeitsunfähigkeit (AU) im Internet recherchiert werden (z.B. www.transfermakt.de). Die Datenaufbereitung erfolgte mit Excel (Microsoft Office 2019) und IBM SPSS Statistics Vers. 27. Für nicht-parametrische Analysen benutzten wir den Wilcoxon-Rank-Test, für Gruppenvergleiche mit inhomogener Verteilung den Mann-Whitney-U-Test und bei homogener Verteilung den t-Test. Ein p-Wert < 0,05 wurde als signifikant gewertet.
Ergebnisse
33 relevante Videosequenzen aus dem Männer-Profifußball von 2012 bis 2021 wurden ausgewertet. Das Durchschnittsalter der Spieler betrug zum Unfallzeitpunkt 26,1 Jahre, der Median lag bei 25 Jahren (19–36). Zehnmal (30 %) war das linke Kreuzband, 23-mal (70 %) die rechte Seite betroffen. Die Seitenverteilung betraf mit 54 % etwas häufiger das dominierende Bein, was man angesichts der Stichprobengröße als ausgeglichen bezeichnen kann. Die Verteilung der Arbeitsunfähigkeitsdauer (AU) stellt die Box-Plot-Abbildung dar (Abb. 1). Die mittlere AU betrug 228,9 Tage (± 72). Der Median lag bei 216,5 Tagen. Es gab einen Ausreißer mit 532 Tagen. Mehrfache Gelenkoperationen waren hier die Ursache. Eine Korrelation zwischen dem Alter (zum Unfallzeitpunkt) und der Dauer der AU (Pearson-Chi-Quadrat-Test) lag nicht vor (X2 = -0,145).
67 % der VKB-Rupturen traten ohne direkten Gegnerkontakt auf (Non-Kontakt). Eine übermäßige Quadrizepskontraktion führte in 48,5 % der Fälle zu einer vorderen Schublade. Dieser Mechanismus trat sowohl mit dynamischem Valgus (33,3 %), als auch isoliert (15,2 %) auf (Abb. 2).
Spielerposition während des Unfalles
Die Position zum Unfallzeitpunkt des Spielers auf dem Feld veranschaulicht die Abbildung 3. Am häufigsten ereigneten sich VKB-Rupturen im Sturmangriff (42,4 %), gefolgt von Spielaktionen in der Abwehr (27,3 %) und dem Mittelfeld (21,2 %). Selten kam es beim Torwart bzw. im 16-Meterraum zu einer VKB-Ruptur (9,1 %).
Knieaktion und Beinstellung während des Unfalles
Die VKB-Verletzungen traten bevorzugt in Valgusstellungen des Kniegelenks auf, nämlich in 79 %. In 21 % lag eine gerade Beinachse oder ein erzwungener Varus vor (Tab. 1). Demnach dominierten dynamische X-Beinstellungen mit 33,3 %.
Den klassischen Valguskollaps und die Knie-Hyperextension (Stolpern, Block durch Gegenspieler) dokumentierten wir jeweils nur in 15,2 %. Eine traumatisch induzierte Schublade (Kontakt-Situation) beobachteten wir immerhin in 21,2 % und eine isolierte explosive Anspannung des Quadrizepsmuskels (gerade Vorwärtsbewegung) in 15,2 %. Damit machten traumatisch provozierte Schubladen nur ein Fünftel der Verletzungen aus. Ein „klassisscher“ (bzw. „statischer“) Valgus-Kollaps im Rahmen eines Landemanövers ereignete sich fünfmal, als der Spieler nach einem Sprung instabil mit dem Fuß aufkam und das Knie auf der Stelle in der X-Stellung kollabierte.
Die Unterschiede der Knie- und Hüftstellungen zum Unfallmechanismus waren in der univariaten Analyse hoch signifikant (p < 0,01). So lag bei dem Unfallmechanismus des dynamischen Valgus im Mittel eine Kombination aus Knieflexion von 41°, Femurinnenrotation von 30°, Hüft-Abduktion von 35° und Hüft-Flexion von 43° vor. Bei allen beobachteten Spielern lag in dieser Situation der Körperschwerpunkt durch das nach ventro-lateral abgespreizte innenrotierte Bein dorsal vom Knie. Beim statischen Valguskollaps war demgegenüber die durchschnittliche Hüftabduktion signifikant mit 50° erhöht (p < 0,01). In Unfallsituationen mit explosivem Quadrizepszug dokumentierten wir niedrigere Werte für die Femurinnenrotation und Hüft-Abduktion sowie Hüft-Flexion (Tab. 1).
Fuß-Rasenkontakt zum
Unfallzeitpunkt
Bei allen Unfallmechanismen, bis auf den explosiven Quadrizeps-Zug, hatte der Fuß mindestens hälftig Rasenkontakt. Viermal wollte der Spieler sich mit dem Vorfuß abstoßen und nach vorne schnellen. In den anderen Situationen war die Ferse aufgesetzt und der Spieler versuchte sich durch die Quadrizepsspannung zu balancieren. In der Quadrizepsgruppe ereignete sich die vordere Schublade kurz bevor der Fuß auf den Rasen aufsetzte. Es sah in den slow-Motion-Sequenzen so aus, dass der Spieler das Aufsetzen des Fußes erwartete, zur Balance seine Quadrizepsmuskulatur einsetzte, was wiederum den „tibial shear“ auslöste.