Arzt und Recht - OUP 07-08/2014
Wirtschaftliche Aufklärung – auch eine Berufspflicht
Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe
Einleitung
Das Thema „Aufklärung“ wird weit überwiegend unter dem Aspekt der zivilrechtlichen Arzthaftung diskutiert. Diese Diskussion wurde durch den Gesetzgebungsprozess und das Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (sogenanntes Patientenrechtegesetz) vom 22.02.20131 insbesondere auch im Hinblick auf die sogenannte „wirtschaftliche Aufklärung“ erneut angefacht. In dem neu eingeführten § 630c Abs. 3 BGB wurde es nunmehr ausdrücklich zur gesetzlichen Pflicht aus dem Behandlungsvertrag gemacht, dass der Arzt den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren muss, wenn er weiß, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder sich hierfür nach den Umständen hinreichende Anhaltspunkte ergeben.
Nicht zuletzt durch die mit dieser aktuellen Rechtsentwicklung verbundene Diskussion im Bereich des Arzthaftungsrechts ist der Umstand in den Hintergrund getreten, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung berufsrechtlich (auch ohne „Klage“ des Patienten) zu Sanktionen führen kann. Bereits im Juni 2012 wurde
die wirtschaftliche Aufklärungspflicht durch Beschluss des Deutschen Ärztetages ausdrücklich in die Musterberufsordnung (§ 12 Abs. 4) aufgenommen: „Vor dem Erbringen von Leistungen für gesetzlich Krankenversicherte, deren Kosten nicht von einer gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden, müssen Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen und Patienten schriftlich über die Höhe des nach der GOÄ zu berechnenden voraussichtlichen Honorars sowie darüber informieren, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten durch eine Krankenversicherung nicht gegeben oder nicht sicher ist.“
Diese Regelung in der Musterberufsordnung ist jedoch nicht per se bindend für die Ärzte. Sie muss erst in den einzelnen Bundesländern umgesetzt werden. Anpassungen der Berufsordnungen in den Bundesländern müssen durch die entsprechenden Gremien und Kammerversammlungen der Landesärztekammern sowie die Landesregierung abgesegnet werden. In den Bundesländern besteht überdies keine Pflicht zur Umsetzung. Die nachfolgend dargestellte Entscheidung bestätigt jedoch selbst für den Fall, dass die wirtschaftliche Aufklärung in der Berufsordnung eines Bundeslandes nicht ausdrücklich als berufsrechtliche Pflicht des Arztes genannt wird, die Möglichkeit berufsrechtlicher Sanktionen und zeigt deren Grenzen auf.
Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Beschluss vom 07.04.2014, Az. Lv 9/13
Zum Sachverhalt
Das Ärztegericht hat den beschwerdeführenden Arzt für schuldig befunden, gegen das den Arzt treffende allgemeine Gebot, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 2 Abs. 2 der Berufsordnung), verstoßen und hierdurch seine Berufspflichten verletzt zu haben. Deswegen wurde gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 1500,00 € festgesetzt.
Dem Arzt war mit Datum vom 26.04.2000 wegen gröblicher Verletzung vertragsärztlicher Pflichten die vertragsärztliche Zulassung entzogen worden. Im darauf folgenden sozialgerichtlichen Verfahren hatte er in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2004 im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs mit Wirkung vom 31.12.2004 auf seine Zulassung verzichtet. Seitdem ist er in privatärztlicher Praxis niedergelassen.
Der Arzt trat nach den unangegriffenen gerichtlichen Feststellungen – zur damaligen Zeit – der Öffentlichkeit gegenüber als Betreiber eines ärztlichen Notfalldienstes auf. Am 25.03.2006, einem Samstag, litt ein Patient, der gesetzlich krankenversichert war, (unter anderem) an hohem Fieber. Seine Lebensgefährtin wandte sich zur Ermittlung des ärztlichen Notfalldienstes an die Telefonauskunft und erhielt die Telefonnummer des Arztes. Nach telefonischer Absprache mit dem Arzt brachte sie ihren Lebensgefährten in dessen Praxisräume. Eine Aufklärung darüber, dass sich die Untersuchung und Behandlung nicht im Rahmen des von der Notfalldienstordnung gedeckten offiziellen Notfalldienstes handelte, sowie darüber, dass der Arzt keine kassenärztliche Zulassung besaß, erfolgte nicht.
Der Arzt legte vielmehr dem Patienten ein Formular der Privatärztlichen Verrechnungsstelle zur Unterschrift vor. Danach trat der Arzt seine Honorarforderung an die Privatärztliche Verrechnungsstelle ab; sein Patient wurde darüber unterrichtet und willigte in die Datenweitergabe ein. Nähere Erläuterungen gab der Arzt nicht ab. Unter dem 18.07.2006 wurde durch die Privatärztliche Verrechnungsstelle eine Rechnung über 275,58 € für die Behandlung gestellt, die der Patient zunächst wegen Zweifeln über seine Zahlungsverpflichtung nicht beglich.
Der Patient erhob unter dem 06.10.2006 Beschwerde zur Ärztekammer und wies darauf hin, dass er keinesfalls von dem beschwerdeführenden Arzt informiert worden sei, dass er eine privatärztliche Abrechnung erhalte. Völlig nebenher habe der Arzt ihm das unscheinbare und harmlos wirkende Schreiben zur Einwilligung zur privatärztlichen Abrechnung vorgelegt mit den Worten, er brauche noch eine Unterschrift, damit er ihn behandeln dürfe.
Nach den unangegriffenen Feststellungen des Urteils des Ärztegerichtes vom 19.12.2012 hat der Arzt den äußeren Sachverhalt in der Hauptverhandlung zugestanden. Er hatte geltend gemacht, es sei über die Frage einer bestehenden oder nicht bestehenden Kassenzulassung nicht gesprochen worden, zumal er nicht mit unnötigen Gesprächen das Arzt-Patienten-Verhältnis habe belasten wollen. Er sei zu entsprechenden Hinweisen nicht verpflichtet gewesen. Der Patient sei schließlich berechtigt, die Behandlungskosten selbst zu übernehmen und nicht von seiner gesetzlichen Krankenversicherung tragen zu lassen.
Ärztegericht und Ärztegerichtshof haben in ihren Entscheidungen ausgeführt, dass die Behandlung eines gesetzlich versicherten Patienten auf eigene Kosten, ohne dass dieser aus eigenem Entschluss und unbeeinflusst vom Arzt einen entsprechenden Wunsch geäußert habe, eine Verletzung des Vertrauensverhältnisses im Sinne § 2 Abs. 2 der Berufsordnung und im Übrigen einen Verstoß gegen § 4 Abs. 5b des Bundesmantelvertrages Ärzte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbandes (BMV-Ärzte) darstelle. Der Patient müsse darauf vertrauen dürfen, dass der Arzt in Abrechnungsfragen das finanzielle Selbstbestimmungsrecht des Patienten wahre. Dafür sei es erforderlich, dass der Patient frei entscheiden könne, ob er auf eigene Kosten behandelt werden möchte. Deshalb müsse der Arzt vor der Behandlung sicherstellen, dass der gesetzlich krankenversicherte Patient die von ihm selbst zu tragenden Kosten seiner Behandlung ermessen könne und sich etwaiger Handlungsalternativen bewusst sei.