Übersichtsarbeiten - OUP 06/2020
Zehenspitzengang als Leitsymptom bei SH3TC2-Mutation
David Pomarino, Anneke Thren, Johanna Ronja Thren, Kevin Rostásy
Zusammenfassung:
Der vorliegende Artikel beschreibt eine Gruppe von 17 Patienten, bei denen als Leitsymptom Zehenspitzengang in Verbindung mit einer Mutation auf dem SH3TC2-Gen auftritt. Neben dem Gang auf dem Vorfuß finden sich bei einigen der Patienten auch ein Ansatz zur Klauenhand im kleinen Finger, eine Trichterbrust sowie ein Hohlfuß (pes cavus). Der Artikel untersucht die Literatur auf Hinweise, die die genannte SH3TC2-Mutation in Verbindung mit den vorliegenden Symptomen bringt. Aus der Analyse geht hervor, dass ein plausibler Zusammenhang zwischen den vorliegenden Symptomen mit dem Leitsymptom Zehenspitzengang und der Mutation auf dem SH3TC2-Gen ohne Charcot-Marie-Tooth-4C-Erkrankung (CMT4C) besteht.
Schlüsselwörter:
Zehenspitzengang, Genetik, Charcot-Marie-Tooth-Krankheit, SH3TC2-Mutation, Klauenhand, Trichterbrust, Hohlfuß
Zitierweise:
Pomarino D, Thren A, Thren JR, Rostásy K: Zehenspitzengang als Leitsymptom bei
SH3TC2-Mutation. OUP 2020; 9: 380–382. DOI 10.3238/oup.2019.0380–0382
David Pomarino, Johanna Ronja Thren: Praxis für Ganganomalien, Hamburg
Anneke Thren: Diakovere Annastift gGmbH, Institutsambulanz, Hannover
Kevin Rostásy: Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität-Witten/Herdecke, Datteln
Summary: The article describes a group of 17 patients with toe walking in relation to a mutation in the SH3TC2-gene. Along with the gait anomaly with walking on the forefoot, some patients present with a partial claw hand in the little finger, pectus excavatum and pes cavus. The article examines the literature for references to a relationship between the SH3TC2-mutation and the above symptoms. The analysis suggests a plausible link between the symptoms toe walking as the leading symptom in patients presenting with a mutation in the SH3TC2-gene not reminiscent of a diagnosis of Charcot-Marie-Tooth-4C.
Keywords: Toe Walking, Genetics, Charcot-Marie-Tooth Disease, SH3TC2-Mutation, Claw Hand, pectus
excavatum, pes cavus
Citation: Pomarino D, Thren A, Thren JR, Rostásy K: Toe walking as the primary symptom in patients with a SH3TC2-mutation. OUP 2020; 9: 380–382 DOI 10.3238/oup.2019.0380–0382
Einleitung
Der Artikel „The Genetic Causes of Toe Walking in Children“ beschreibt erstmals einen Zusammenhang zwischen Zehenspitzengang als Resultat verschiedener Genmutationen ohne Vorliegen einer hereditären Neuropathie [17]. Darauf aufbauend untersucht nun dieser Artikel das Auftreten von Zehenspitzengang, teilweise in Verbindung mit einem Ansatz zur Klauenhand, einem pes cavus, einem Spitzfuß und einer Trichterbrust bei 17 Kindern, die eine Mutation auf dem SH3TC2-Gen, aber keine Erkrankung an der hereditären Neuropathie CMT4C vorweisen, welche sonst bei Mutationen auf diesem Gen auftreten kann. CMT4C ist die meistverbreitete rezessive Form von Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung in Nord-Amerika und Nord-Europa [1]. Der vorliegende Text geht im Folgenden auf diejenigen Zusammenhänge zwischen einer Mutation auf dem SH3TC2-Gen und den oben genannten Symptomen, welche sich in der Literatur finden lassen, ein.
Gangschwierigkeiten
Die einschlägige Literatur beschreibt selten den Zehenspitzengang als explizites Symptom, allerdings können auch Beschreibungen wie ein instabiler Gang, Schwierigkeiten beim Laufenlernen und häufiges Fallen als mögliche Zeichen eines nicht diagnostizierten Zehenspitzengangs bewertet werden. Banchs/Casasnovas und Kollegen beschreiben Schwäche in den Beinen, Gangschwierigkeiten sowie einen instabilen Gang und Atrophie in den Handmuskeln in Zusammenhang mit einer Mutation im SH3TC2-Gen [2]. Hopmann und Kollegen sprechen von Gangschwierigkeiten in der Kindheit und Fehlbildungen am Fuß [9]. Laššuthová und Kollegen beschreiben einen Zusammenhang zwischen einem Spitzfuß und einer SH3TC2-Mutation und Piscosquito et al. beschreiben Gangschwierigkeiten in der ersten Lebensdekade [13, 16]. Des Weiteren berichten Colomer et al. von unstabilem Gang und häufigem Fallen, Fehlbildungen am Fuß im Alter von vier bis fünf Jahren und Schwäche in den unteren Extremitäten [6] und Yuan und Kollegen nennen explizit einen „tip toe foot“ oder Zehenspitzenfuß sowie einen pes cavus (Hohlfuß) und pes planus (Plattfuß) als Resultat einer Mutation auf dem SH3TC2-Gen [20]. Houlden und Kollegen schließlich beschreiben verspätetes Laufenlernen und Schwierigkeiten beim Laufen, beginnend in der frühen Kindheit (Abb. 1), Missempfindungen in den Händen und ein auffälliges Gangbild in einigen der Familien in Verbindung mit einer Mutation im SH3TC2-Gen [10].
Skelettale Fehlbildungen und Abnormitäten
an den Händen
Das Auftreten eines pes cavus ist in der Literatur häufig im Zusammenhang mit einer Mutation auf dem SH3TC2-Gen bei Patienten mit CMT4C beschrieben worden [2, 6, 16, 20]. Pareyson und Marchesi beschreiben im Detail einen pes cavus, Hammerzehen, einen Spitzfuß und Instabilität in der Fußhaltung als Resultat einer SH3TC2-Mutation [14] (Abb. 2).
Berciano und Kollegen beschreiben neben einem pes cavus auch Klauenzehen sowie Steifheit in den Finger-Extensoren, mit Beschwerdebeginn ab dem dritten bis sechsten Lebensjahr, in Zusammenhang mit SH3TC2-Mutationen in einigen ethnischen Gruppen [3]. Baets et al. beschreiben allgemeiner frühe Fehlbildungen am Fuß sowie Schwäche und fortschreitende Gangschwierigkeiten [1, 13]. Des Weiteren werden pes cavus-Fehlbildungen, Schwäche im Knöchel und in der Dorsalflexion des Fußes und Atrophie im Zusammenhang mit einer SH3TC2-Mutation genannt [4, 10, 15].
Eine Trichterbrust, wie sie bei den Patienten mit Zehenspitzengang und ohne Neuropathie teilweise auftritt, wird in der Literatur nicht explizit genannt (Abb. 3). Allerdings gelten eine Skoliose und andere skelettale Fehlbildungen verschiedener Ausprägungen als charakteristische Merkmale von Patienten mit SH3TC2-Mutation und CMT4C [2, 11, 14, 16, 20].
Bei den Patienten, welche die Mutation auf dem SH3TC2-Gen vorweisen, aber nicht an einer Neuropathie erkrankt sind, lassen sich in einigen Fällen eine Krümmung im 4. und 5. Finger und Probleme bei der Finger-Extension beobachten, diese Symptomatik kann als Ansatz zur Klauenhand beschrieben werden (Abb. 4, 5).