Arzt und Recht - OUP 07-08/2012
Zweigpraxis und Konkurrenzschutz
Die Klägerin erhob gegen die Erteilung der Sonderbedarfszulassung Widerspruch, den der beklagte Berufungsausschuss als unzulässig zurückwies. Auch mit ihrer Klage gegen die Sonderbedarfszulassung beim Sozialgericht ist die Klägerin erfolglos geblieben.
Aus den Gründen
Die Revision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Ihr steht nach Auffassung des BSG zwar die Berechtigung zur (Dritt-)Anfechtung der Sonderbedarfszulassung zu. Deren Erteilung sei aber rechtlich nicht zu beanstanden.
Betroffenheit eigener Rechte auch bei Zweigpraxis
Eine Betroffenheit der Klägerin in eigenen Rechten scheide nicht deshalb aus, weil Dr. L. an einem Ort außerhalb ihrer Versorgungsregion von höchstens 30 km praktiziert. In dieser Weise nur auf die Stammpraxis abzustellen, berücksichtige nicht die Möglichkeit, Zweigpraxen auch außerhalb der Versorgungsregion zu betreiben, dass Zweigpraxen generell als Bedarfsdeckung im Verhältnis zu Sonderbedarfszulassungsbegehren zu berücksichtigen sind und deshalb auch als Ausgangspunkt für Konkurrentenabwehrklagen in Betracht kommen.
Nachrangigkeit der Sonderbedarfszulassung
Die Sonderbedarfszulassung, die Dr. L. erhalten hat, sei gegenüber dem Zulassungsstatus der Klägerin nachrangig. Sonderbedarfszulassungen dürfen nur erteilt werden, wenn der Versorgungsbedarf nicht durch die bereits zugelassenen Ärzte gedeckt wird. Dies ergebe deren Vorrang vor den eine Zulassung erst anstrebenden Ärzten. Deshalb bestehe ein grundsätzlicher Vorrang der Klägerin mit ihrer Zweigpraxis gegenüber der Sonderbedarfszulassung des Dr. L..
Der Anfechtungsberechtigung der Klägerin stehe nicht entgegen, dass diese ihre gegen die Sonderbedarfszulassung gerichtete Drittanfechtung nicht auf freie Kapazitäten an ihrem Hauptsitz in der mehr als 30 km entfernten Stadt M. stützt, sondern darauf, dass sie in ihrer Zweigpraxis noch freie Behandlungskapazitäten habe; sie macht geltend, sie könne hier den gesamten Versorgungsbedarf befriedigen, den Dr. H. durch die Hereinnahme des Dr. L. in seine Praxis decken wolle. Dies reicht nach Auffassung des BSG für die Anfechtungsberechtigung aus, denn der gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV genehmigte Betrieb von Zweigpraxen sei bei der Beurteilung, ob vorhandene Versorgungsangebote den Bedarf decken können, ebenso wie Angebote von Hauptpraxen zu berücksichtigen: Insoweit liege eine tatsächliche Bedarfsdeckung vor, die eine Sonderbedarfszulassung ausschließen kann. Hiervon könne der Betreiber einer genehmigten Zweigpraxis berechtigterweise geltend machen, dass aufgrund seines Leistungsangebotes für eine zusätzliche Sonderbedarfszulassung kein Bedarf besteht. Der Betreiber einer Zweigpraxis sei mithin grundsätzlich berechtigt, einen Bescheid anzufechten, durch den einem anderen Arzt eine Sonderbedarfszulassung erteilt wird.
Dies stehe nicht im Widerspruch dazu, dass der Senat – gleichsam umgekehrt – Vertragsärzte nicht als berechtigt angesehen hat, die Genehmigung einer Zweigpraxis anzufechten (Hinweis des Verfassers: siehe oben BSG-Urteil vom 28.10.2009). Diese Rechtsprechung beruhe darauf, dass eine solche Genehmigung keine Versorgungslücke voraussetzt, also nicht bedarfsabhängig ist. Die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung setze dagegen das Vorliegen einer Versorgungslücke voraus und könne daher – bei Erbringung gleicher Leistungen im selben räumlichen Bereich – durch Dritte angefochten werden.
Fazit
Die Gesamtschau der zum 1.1.2012 in Kraft getretenen Neuregelung zur Gründung von Zweigpraxen und der voranstehend dargestellten Rechtsprechung des BSG ergibt eine Stärkung der Position von Zweigpraxisgründern bzw. –inhabern. Zweigpraxen haben weiter an Attraktivität gewonnen, da ihre Gründungsvoraussetzungen vereinfacht wurden und niedergelassene Vertragsärzte sich somit die Vorteile einer Zweigpraxis (Erweiterung von Patientenstamm und Einzugsgebiet) auf einfacherem Wege als bisher zu Nutzen machen können. Diese Position kann nach der Rechtsprechung des BSG auch wirksam verteidigt werden.
Ob die Kassenärztlichen Vereinigungen die vom Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeiten ohne Auseinandersetzungen im Widerspruchsverfahren oder vor dem Sozialgericht akzeptieren und ob es infolgedessen vermehrt zu Auseinandersetzungen mit Konkurrenten kommt, ist derzeit nicht absehbar. Jedenfalls bergen die neue Gesetzeslage und die BSG-Rechtsprechung für Gründer und Inhaber von Zweigpraxen Rechte, die für rechtliche Auseinandersetzungen mit Konkurrenten erhebliche Bedeutung haben.
Korrespondenzadresse
RA Dr. Christoph Osmialowski
Kanzlei für ArztRecht
Fiduciastraße 2
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Internet: www.arztrecht.org
Fussnoten
Darstellung reduziert auf den Aspekt der Drittanfechtungsberechtigung