Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016
10-Jahres-Ergebnisse der Knie-TEP-Implantation mit dem Robotersystem CASPAR
Sabine Mai1
Zusammenfassung: Es gibt viele Bestrebungen, die Standzeiten der Knieendoprothesen zu verlängern. Um die Präzision der Implantation zu verbessern, wurde das Operationsrobotersystem CASPAR (Computer assisted planning and robotics) entwickelt, das eine sorgfältige, 3-dimensionale Planung der Knochenschnitte ermöglichte, die bei der Operation präzise umgesetzt werden konnte. Das Weichteil-Balancing lag weiterhin in der Hand des Operateurs. Das Verfahren war sehr aufwendig und teuer, weswegen es sich nicht auf dem Markt gehalten hat. Es ist uns ein ethisches Anliegen, die klinischen Ergebnisse der 108 Patienten, die roboterassistiert operiert wurden, nach 10 Jahren mitzuteilen: Sie sind unauffällig – auch im Vergleich mit anderen Systemen und mit manueller Implantation. Es finden sich keine Hinweise auf negative Auswirkungen dieser aufwendigen OP-Technik.
Schlüsselwörter: computerassistierte Knieendoprothetik, CASPAR, Robotik
Zitierweise
Mai S: 10-Jahres-Ergebnisse der Knie-TEP-Implantation mit dem
Robotersystem CASPAR.
OUP 2016; 10: 576–580 DOI 10.3238/oup.2016.0576–0580
Summary: There are many efforts to optimize the longevity of total knee implants. In order to improve precision and accuracy of this surgical procedure, the robot system CASPAR (Computer assisted planning and robotics) was developed. It offered a 3D planning of the bone cuts that was precisely transferred to the operation room. Soft tissue balancing still depended on the experience of the surgeon. The system was time consuming and costly, that’s why it did not stay on the market. We feel obliged to share the 10 year clinical results of the 108 patients, who experienced the robot assisted surgery. The outcome is similar to other knee systems or manual implantation. The results do not show any adverse events due to this extravagant operation technique.
Keywords: computer assisted knee arthroplasty, CASPAR, total knee arthroplasty, robotics
Citation:
Mai S: 10 year results of total knee arthroplasty using the robot
system CASPAR.
OUP 2016; 10: 000–000 DOI 10.3238/oup.2016.0000–0000
Einleitung
Hinsichtlich der steigenden Anzahl der jüngeren und anspruchsvollen Patienten mit zunehmender Lebenserwartung werden lange Standzeiten der Implantate gefordert. Es gibt viele Bestrebungen, diese zu verbessern. Dazu gehört neben der Auswahl des Implantats auch die OP-Technik. Bei den manuellen Techniken sind die Ergebnisse auch bei erfahrenen Operateuren nicht immer zufriedenstellend. Verschiedene Ursachen können dazu beitragen: Eintrittspforte, Länge und Position des intramedullären Führungsstabs, Femurkrümmung, Abweichung des oszillierenden Sägeblatts bei sklerotischem Knochen [1–5]. Eine Abweichung der mechanischen Beinachse um mehr als 3° gilt als Ursache für ein frühzeitiges Versagen [6–8]. Um die Genauigkeit der Knochenschnitte und damit die Position der Implantate zu verbessern und optimale mechanische Beinachsen zu erreichen, wurde das CASPAR-System entwickelt. Die erste Implantation erfolgte am 29.03.2000 in der Orthopädischen Klinik Kassel. Auf dem Süddeutschen Orthopädenkongress 2000 in Baden-Baden wurde das System vorgestellt. Als Erstanwender ist es uns eine ethische Verpflichtung zu berichten, ob die klinischen Ergebnisse auch nach 10 Jahren noch zufriedenstellend sind.
OP-Technik
Als Orientierungshilfe für den Roboter wurde ein femoraler und tibialer Pin eingesetzt (Abb. 1). Der Zugang lag im Bereich des späteren OP-Schnitts. Danach wurde eine CT-Aufnahme von dem betreffenden Bein angefertigt. Durch einen äußerlich angelegten Kalibrierungsstab bekam man Auskunft über die Qualität der Aufnahme.
Anhand dieses Computertomogramms wurden die anatomischen Merkmale festgelegt. Danach erfolgte eine präzise 3-D-Planung der Schnittflächen und Positionierung der Prothesenkomponenten in Hinsicht auf die mechanische Achse in der frontalen und der sagittalen Ebene unter Berücksichtigung der Gelenklinie, der Dorsalneigung des Tibiaplateaus und der Rotation jeder Komponente (Abb. 2). Es konnte beeindruckend nachvollzogen werden, wie sich die Änderung eines Parameters auf alle anderen auswirkt, was bis dahin so noch nicht darstellbar war. Nach Platzierung der geeigneten Endoprothese wurden die Fräsbereiche festgelegt.
Die Daten der Planungsstation wurden auf den Roboter übertragen, der das Fräsen wie geplant mit einer theoretischen Genauigkeit von 0,03 mm ausführte, sodass die Prothese perfekt saß. Im Gegensatz zum Robodoc gab es verschiedene Fräsköpfe. Unter Wasserkühlung und mit Spritzschutz wurde die Fräsung nach Einlesen des jeweiligen Registrierkreuzes durchgeführt (Abb. 3). Das Bein wurde in einer aufwendigen Halterung fixiert. Unerwünschte Knochenbewegungen während des Prozesses wurden von einer Polaris Infrarotkamera mittels reflektierenden „rigid bodies“ überwacht, die an den Pins und der Verbindung zum Roboter befestigt wurden (Abb. 4). Abgesehen von dem Fräsvorgang wurden die Operation und das Weichteilbalancing in traditioneller Technik durchgeführt.
Material und Methode
Von 2000–2003 wurden in der Orthopädischen Klinik Kassel 108 Knieendoprothesen roboterassistiert eingesetzt: 71 zementiert, 30 hybrid, 7 zementfrei. Die demografischen Daten sind in der Tabelle 1 dargestellt. Es wurden nur Primärimplantationen durchgeführt. Das Studienprotokoll wurde von der internationalen Freiburger Ethikkommission genehmigt. Die Patienten wurden prospektiv erfasst und regelmäßig nachuntersucht. Diese Studie wertet die klinischen Daten nach 10 Jahren aus unter Verwendung des Knie Society Scores (KSS). Die Standzeit wird in der Kaplan-Meier-Überlebenskurve dargestellt. Die Beinachsen wurden manuell gemessen. Die Ergebnisse werden einer Vergleichsgruppe mit manueller Implantation des NexGen CR Implantats bei 222 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 71 Jahren gegenübergestellt [9].
Ergebnisse
Von den 108 Patienten sind 23 (21 %) verstorben, 13 (12 %) lehnten die Nachuntersuchung wegen schlechtem Allgemeinzustand bei liegendem, unauffälligem Implantat ab oder waren nicht auffindbar. Ein Gelenkinfekt trat bei 2 Patienten (1,8 %) nach 5 Jahren auf. Gewechselt wurden 6 Implantate (5 %) nach 5–12 Jahren aus folgenden Gründen: Arthrofibrose, Synovialitis mit Zystenbildung und konsekutivem Einsinken der Tibia, Bandlockerung im Rheumaschub mit Sturz und Femurfraktur, aseptische Tibialockerung, 2-mal extern gewechselt ohne Angabe des Grunds. Für die Auswertung nach 10 Jahren verblieben somit 64 Patienten (59 %). In der manuellen Gruppe standen nach 10 Jahren noch 143 Patienten (64 %) für die Nachuntersuchung zur Verfügung.
Intraoperativ wurde jeweils einmal eine Lockerung des Pins und ein Defekt des Registrierkreuzes sofort bemerkt, sodass es sich nicht auf das Ergebnis auswirkte. Komplikationen – wie 6-mal in der Vergleichsgruppe mit interkondylärer Fraktur, Innenbandverletzung, Patellarsehnenteilruptur und Quadrizepsschädigung – wurden in der Robotergruppe trotz des größeren Zugangs nicht gesehen.
Die postoperativen Komplikationen waren in der Robotikgruppe 1 Hautnekrose bei extremer Adipositas, 3 oberflächliche, primär abgeheilte Wundheilungsstörungen an den Pineintrittsstellen, als diese bei den ersten Implantationen noch separat erfolgten, und 4 Beinvenenthrombosen. Bei der Vergleichsgruppe wurden 3 oberflächliche Infekte, 8 Thrombosen, 2 Embolien und 1 reversible Peroneusschwäche beklagt.
Die mechanischen Beinachsen lagen zu 99,1 % in der angestrebten Range von ±3 . Nur einmal wurden – allerdings geplant – 4° erreicht bei einer Varusdeviation von 14° präoperativ. Die mittlere Abweichung zwischen geplanter und erreichter mechanischer Achse lag bei 0,8° (Signifikanz p < 0.0001). Bei 280 manuell implantierten Endoprothesen lagen 73 % in der Range von ±3°, 6 % sogar über 5°.
Nach 1, 5 und 10 Jahren lag der Knee Score bei 87/90/86 Punkten. In der manuellen Gruppe wurden 85/87/91 Punkte erreicht. Der Knee Function Score lag in der Robotikgruppe bei 79/82/71 Punkten, in der Vergleichsgruppe bei 75/72/57 Punkten. Anzumerken ist, dass das Alter in der Vergleichsgruppe im Durchschnitt höher war und somit auch eine etwas schlechtere Funktion zu erwarten war. Der Gesamtscore lag präoperativ und nach 1/5/10 Jahren postoperativ in der Robotikgruppe bei 91/166/172/157, in der Vergleichsgruppe bei 75/160/159/148 Punkten (Abb. 5).
Die Kaplan-Meier-Kurve erreichte nach 12 Jahren in der Robotikgruppe eine Überlebensrate von 91 % LC Search, 90 % PFC Sigma und 100 % Genesis (Abb. 6). In der Vergleichsgruppe lag die Überlebensrate nach 10 Jahren bei 99,1 %.
Diskussion
Der Einsatz der Robotik in der Knieendoprothetik war im Jahr 2000 eine aufregende Entwicklung. Die Komplexität der Kniegelenke konnte damit deutlich gemacht und bei der Planung und Operation besser verstanden und berücksichtigt werden. Die Navigation, die später erheblich zum Verständnis der Kinematik beigetragen hat, war damals noch weitestgehend in der Entwicklung.
Der präoperativen Planung wird ein besonderes Gewicht beigemessen. Bis dahin konnte ausschließlich manuell anhand von Röntgenbildern mit ungenauem Vergrößerungsfaktor auch mit großer klinischer Erfahrung nur näherungsweise geplant werden. Damit war die Umsetzung aber noch nicht gesichert. Bei dem Robotiksystem CASPAR war die präoperative Planung sehr aufwendig. Sie konnte aber dreidimensional Achsen, Winkel, Rotationen und Kippungen berücksichtigen und auch präzise bei der Operation umsetzen. Eine extra- oder intramedulläre Ausrichtung zur Platzierung der Sägeschablonen, die vor allem bei Deformitäten der Röhrenknochen unsicher sind, war nicht nötig. Die Sägeschnitte waren perfekt und plan, was mit der Navigation, die Sägelehren und oszillierende Sägen benutzt, nicht zuverlässig erreicht werden kann, da die Sägeblätter von sklerosiertem Knochen abgelenkt werden. Sehnen und Bänder konnten bei der Fräsung mit dem Roboter zuverlässig geschont werden (Abb. 7), was manuell nicht immer gelingt [9].
Intraoperativ konnte eine Änderung des präoperativen Plans allerdings nur erfolgen, indem man den Eingriff manuell weiterführte. Dies war nur 2-mal der Fall, als sich die Referenzierungsschrauben lockerten. Da es sofort bemerkt wurde, entstand kein Schaden. Sobald man zusätzliche Systeme (Navigation, Schablonen, Referenzierungen) intraoperativ verwendet, besteht immer die Gefahr eines zusätzlichen Risikos durch systemimmanente Fehler, derer man sich jederzeit bewusst sein sollte.
Intraoperative Komplikationen wie Frakturen oder Weichteilschäden bei der Knochenpräparation traten im Gegensatz zum manuellen Vorgehen nicht auf. Postoperative Komplikationen lagen im üblichen Rahmen und zeigten bei den roboterassistierten Operationen keinen Hinweis auf systembedingte Ursachen. Die klinischen Ergebnisse im weiteren Verlauf lassen sich mit denen anderer Implantationssysteme vergleichen [10, 11].
Die mechanischen Beinachsen konnten bei den roboterassistierten Operationen mit hoher Zuverlässigkeit im angestrebten Bereich von ±3° erzielt werden. Die manuellen Implantationen erreichten in unserem Haus dieses Ziel vor der Robotik nur in 73 %. Durch die Auseinandersetzung mit der dreidimensionalen Planung haben wir uns danach deutlich verbessert auf 80 %. Die präoperative Planung der mechanischen Beinachse wurde mit hoher Präzision umgesetzt (mittlere Abweichung 0,8 %). Kritisch zu sehen ist dabei die Tatsache, dass alle Messungen manuell an Ganzbeinstandaufnahmen durchgeführt wurden, was eine gewisse Unschärfe beinhaltet. Decking [13] führte deswegen bei 13 Patienten die postoperativen Messungen an im CT angefertigten Bildern durch und konnte mit einer mittleren Abweichung von 0,2° zwischen präoperativer Planung der mechanischen Beinachse und erreichter Achse die hohe Präzision bestätigen.
Ein großer Nachteil waren die Strahlenbelastung durch ein zusätzliches CT, die Voroperation, um die Referenzierungsschrauben zu setzen, und die große Schnittführung. Auch der hohe Kosten- und Zeitaufwand schlugen negativ zu Buche.
Die computerassistierte Endoprothetik hat sich inzwischen deutlich weiterentwickelt. Zunächst wurden die Navigationsmethoden intensiviert, die allerdings auch mit Kosten- und Zeitaufwand verbunden sind, ohne die Präzision markant zu steigern. In erster Linie können Ausreißer vermieden werden [14]. Der Nachweis einer klinischen Verbesserung konnte nicht erbracht werden [15].
Der Einsatz von Robotern wird stetig weiterentwickelt. Es werden aktive, semiaktive und passive Systeme unterschieden, wobei die semiaktiven dominieren [16]. Sie stellen dem Operateur nach präoperativer Planung ein Fenster zur Verfügung, in dem er arbeiten kann. Die roboterassistierte Chirurgie kann zuverlässig die Präzision der Implantation verbessern, was sich allerdings in den klinischen Ergebnissen im Vergleich zur manuellen Implantation bisher nicht niederschlägt [17, 18].
Ein weiterer Trend sind patientenspezifische Instrumente und Implantate [19]. Alle Weiterentwicklungen haben zum Ziel, die Variabilität zu reduzieren und die Präzision zu verbessern. Dabei stehen die Positionierung der Implantate und die Wiederherstellung der Beinachse im Vordergrund. Ein wichtiger, aber auch schwieriger und kritischer Schritt ist es, die präoperative Planung bei der Operation umzusetzen. Die computerassistierten Systeme benötigen in der Regel eine weitere Bildgebung, oft ein CT mit zusätzlicher Strahlenbelastung. Außerdem entstehen dabei ein erheblicher Zeitaufwand im Vorfeld, teilweise auch während der Operation, und Kosten, die durch die Abrechnungssysteme nicht gedeckt werden [18]. Ob diese Weiterentwicklungen zu einer besseren Implantation und längeren Standzeiten führen werden, müssen weitere Studien zeigen. Die Beurteilung eines Implantationsergebnisses ist vielschichtig. Entscheidend erscheint bei jedem Implantatsystem und jeder OP-Technik nach wie vor die gute Ausbildung und die Erfahrung der Operateure.
Zusammenfassend können wir feststellen, dass das Operationsrobotersystem CASPAR eine sorgfältige, 3-dimensionale Planung der Knochenschnitte ermöglichte, die zuverlässig und mit einer hohen Genauigkeit bei der Operation umgesetzt wurde. Diese Präzision war damals faszinierend und mit anderen Systemen nicht zu erreichen. Allerdings war ein großer Zugang erforderlich und das Weichteilbalancing hing weiterhin von der Erfahrung des Operateurs ab. Die hohe Präzision war aber mit Mehraufwand und hohen Kosten verbunden, weswegen sich der Roboter nicht auf dem Markt gehalten hat. Die klinischen Ergebnisse sind auch nach 10 Jahren unauffällig ohne Hinweis auf eine negative Auswirkung der aufwendigen Operationstechnik.
Interessenkonflikte: keine angegeben
Korrespondenzadresse
Dr. Sabine Mai
Vitos Orthopädische Klinik Kassel
Wilhelmshöher Allee 345
34131 Kassel
Sabine.mai@vitos-okk.de
Literatur
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Fussnoten
1 Vitos Orthopädische Klinik, Kassel