Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014
20 Jahre kombiniert orthopädisch-trainingswissenschaftlich validierte Rückenschmerz-Analyse und -Therapie unter den Bedingungen einer orthopädischen Praxis
Unter der Vielzahl von Berichten zur Verbreitung von Rückenerkrankungen sollen hier nur 2 wichtige angeführt werden, um die Lage auch in Zahlen zu verdeutlichen: Zum einen werden aus Untersuchungen des Helmholtz-Zentrums München und der Universität Greifswald 2008 sowie bei der Firma Bomedus 8 wichtige Fakten angegeben [6, 11]: „Die durch Rückenschmerzen verursachten Kosten in Deutschland pro Jahr betragen 48,9 Milliarden Euro, während ein Rückenschmerzpatient jährlich 1322 Euro Kosten verursacht.
Der größte Kostenblock umfasst die ambulanten ärztlichen Leistungen (mit neuen Daten aus 2012: Versorgungskosten von Rückenschmerzen und die Bedeutung der Schmerzchronifizierung – Ergebnisse einer GKV-Routinedatenanalyse).
Die Krankenhaustage pro Jahr betragen bei Patienten mit spezifischen Rückenschmerzen mehrheitlich 5–6 Tage, bei Bandscheibenerkrankungen knapp 3 Tage und bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen durchschnittlich 1,5 Tage.
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung und Booz&Co. [4] gehen der deutschen Wirtschaft ferner bis zu 75 Mrd. Euro verloren, da sich Patienten nicht an die empfohlene Therapie ihres Arztes halten (wobei in diese Summe noch andere als Rückenerkrankungen eingeschlossen wurden). Ein Care-Management und Rückencoaching würden die Kosten senken (z.B. Ärztezeitung 2012): „Unter den aktuellen Rahmenbedingungen fällt es einem Patienten leicht, Dinge mit der Begründung ’Ich fange morgen an, die Übungen zu machen‘, aufzuschieben.“ Weiterhin bestehen auch falsche wirtschaftliche Anreize für Behandler, z.B. sollten Ärzte unmittelbar für den Zeiteinsatz bei der Beratung von Patienten honoriert werden. Die allgemeinen Kosten für Gesundheitsleistungen betrugen in den letzten Jahren zwischen 175 und 190 Mrd. Euro. Spitzenreiter für immer höhere Kosten bei Heil- und Hilfsmitteln war die Krankengymnastik bei chronischen Rückenschmerzpatienten.
Zum anderen bildet Raspe [24] mit eindeutiger Sprache immer besorgniserregendere Zustände ab. So treten Rückenschmerzen (Dauer mindestens 3 Monate, fast täglich) in der deutschen Erwachsenenbevölkerung äußerst häufig auf (Jahre 2003 und 2009).
Im Alter von 18–29 Jahren kommen derartige Schmerzen bei Frauen zu ca. 20 %, bei Männern zu ca. 12 % vor. Bis zum 70. Lebensjahr steigern sich diese Anteile bis auf etwa 35 % bzw. 30 % (Jahr 2003) und sogar 50 bzw. 40 % (Jahr 2009). Bei Kindern und Jugendlichen treten Rückenschmerzen bereits bei 3–6-Jährigen auf (ca. 2 %), zunehmend bis zu der Altersgruppe der 14– bis 17-Jährigen mit gut 50 % der Mädchen und knapp 40 % der Jungen. Dabei steigen stationäre Behandlungsfälle wegen Rückenleiden (Diagnosegruppen M50-M54, M45-M49, M40-M54) zwischen den Jahren 2000 und 2010 deutlich an, wobei der Anteil an Frauen deutlich dominiert.
Weitere wissenschaftliche
Erkenntnisse über grundlegende Zusammenhänge
Über das bekannte Problem der Muskelfunktionsstörungen im Ansatz und über den eigentlich bestehenden medizinischen Konsens findet sich eine größere Übersicht in „Menschen in Bewegung“ [31]. Diese Sammlung kann durch weitere wichtige Arbeiten ergänzt werden: Im Jahre 2012 hielten Laube und von Heymann [17] zum sensomotorischen System und den Auswirkungen der Physiologie des Alterungsprozesses im Bezug auf die zugrunde liegenden Mechanismen sowie präventive und therapeutische Möglichkeiten Folgendes fest:
„Das Bewegungslernen und -erhalten mittels Bewegungsvielfalt und Bewegungshäufigkeit (z.B. Sturzprophylaxe) prägt und sichert die sensomotorikspezifischen und entsprechenden kognitiven ZNS-Strukturen und -leistungen. Das Ausdauertraining ist essenziell für die Erhaltung eines suffizienten Energiestoffwechsels und damit für alle Zellfunktionen und die zelluläre Überlebensfähigkeit. Das Krafttraining verzögert den Abbau der kontraktilen Kapazität und damit den muskulären Ab- und Umbauprozess (Sarkopenie). Diese Interventionen sollten systematisch bereits präventiv eingesetzt werden, denn die Strukturverluste können bei grundsätzlich weiterhin erhaltender Adaptationsfähigkeit auf dem geringeren Struktur- und Funktionsniveau nicht mehr ausgeglichen werden. In der Regel ist die Belastbarkeit für struktur- und funktionsverbessernde Aktivitäten ungenügend.“
Weiter stellte Hollmann [14] anhand von Daten bei über 47.000 Rückenschmerzpatienten fest (FPZ-KONZEPT): „Aus den Messungen der isometrischen Maximalkraft der einzelnen Muskelgruppen der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur (Patientendaten aus den Jahren 1993–2011) konnten wir teils drastische Verluste der Kräfte ermitteln. So sank die Kraft im Gesamtdurchschnitt aller gemessenen Muskelgruppen im beobachteten Zeitraum um 22,77 % ... Ähnlich deutlich zeichnet sich diese Entwicklung ab, wenn man die Gruppen der Rückenschmerzpatienten, der untrainierten und der trainierten beschwerdefreien Patienten gesondert betrachtet. In der Gruppe der Rückenschmerzpatienten hat eine durchschnittliche Dekonditionierung der Muskelgruppen von 2,22 % pro Jahr (seit 2004/2005) stattgefunden. Einzelne Muskelgruppen dekonditionierten sogar um 4 % und mehr pro Jahr. Aber selbst Gruppen, in denen beschwerdefreie Personen vertreten sind ... zeigen einen vergleichbaren, wenn auch deutlich schwächeren Trend. Diese Ergebnisse spiegeln eine allgemein stark ansteigende Dekonditionierung der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur über den Zeitraum von nahezu 2 Jahrzehnten wider.“
Schließlich behandelt die GEO-Ausgabe Mai 2014 [10] die lebenswichtige Bedeutung der Bewegung: „... Die Evolution hat aus einem Baumbewohner den weltbesten Dauerläufer geformt: uns ... Aber was tun wir mit dieser Begabung? Wir lassen sie meist verkümmern. Oder wir laufen falsch. Dabei reicht wenig, um gesund zu bleiben ...“ Oder Bachmann/Häntzschel im gleichen Heft: „... Dass Sport gesund ist: eine Gewissheit. Schwieriger schon ist zu ermessen, welches Minimum an Bewegung individuell notwendig ist. Und ab welchem Pensum der Organismus des Menschen Schaden nimmt ...“ Professor Dr. Kleinert erläutert in einem weiteren Artikel von Jörn auf dem Kampe/Harf die Bedeutung der extrinsischen und intrinsischen Motivation. Und (Bachmann/Häntzschel) äußern: „… Muskeln sind mehr als Motoren. Sie produzieren molekulare Botenstoffe und steuern so den Stoffwechsel im gesamten Körper mit. Um diese Funktion zu erfüllen, müssen sie beansprucht, gereizt werden. Im Sitzen: Fehlanzeige ...“