Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014
20 Jahre kombiniert orthopädisch-trainingswissenschaftlich validierte Rückenschmerz-Analyse und -Therapie unter den Bedingungen einer orthopädischen Praxis
Vergleicht man einzelne 5-Jahres-Zeiträume innerhalb der Evaluationsperiode bezüglich verschiedener Schmerzparameter und der Dauer der Schmerzhistorie, so findet man zwar Unterschiede zwischen den einzelnen Zeiträumen, eine klare Richtung einer eventuellen Entwicklung ist allerdings nicht zu erkennen. So bewegt sich die bisherige Gesamtdauer der Rückenbeschwerden zum Zeitpunkt der Analyse im Bereich von 9 bis etwa 11 Jahren, die Schmerzgeschichte der Nackenbeschwerden zwischen 4,49 und 6,79 Jahren. Die bisherige Dauer der aktuellen Beschwerdeepisode – die maximal mögliche Angabe waren 6 Wochen – liegt im Rückenbereich bei 3–4 Wochen und bei 2 Wochen im Nackenbereich. Auch Regelmäßigkeit (Skala 0–3 – beschwerdefrei bis ständig) und Intensität (Skala 0–10 – beschwerdefrei bis unerträglich) der Schmerzen bewegen sich in etwa in einem konstanten Bereich auf ihren jeweiligen Skalen (Tab. 1).
In die Berechnungen sind alle analysierten Patienten einbezogen. Trainierte bzw. sich der muskulären Rehabilitation unterziehende Patienten, welche einen speziellen Teil dieser Gruppe ausmachen (vgl. Abb. 3), weisen dabei allerdings nur gering abweichende Werte gegenüber der hier aufgeführten Gesamtstichprobe auf (nicht gezeigte Daten).
Die medizinischen Anteile an der Entstehung von Rückenschmerzen, welche eine gestörte Funktion, gestörte Struktur und eine gestörte Psyche sein können, sind in Abbildung 4 aufgeführt. So zeigen über 97 % der Patienten funktionelle Störungen (vergleiche auch Abb. 3). Die meisten dieser Patienten profitieren von der Teilnahme am gesamten Behandlungsprozedere und dem FPZ-Konzept A24 so stark, dass sie entweder schmerzfrei werden oder sich ihre Schmerzintensität zumindest verringert (basierend auf der Befragung auf einer Skala von 0–10). Die medizinische Lösung für konservativ-therapieresistent gestörte Strukturen (meist Prolapse) dagegen liegt ggf. in einer Operation als Vorstufe zur letztlichen (muskulären) Rehabilitation. Hiervon sind erfahrungsgemäß im Durchschnitt 0,5–5 % dieser Fälle betroffen [12, 13, 15]. Konsens ist aber mittlerweile, dass die Zahl diverser operativer Eingriffe an der Wirbelsäule in den letzten Jahren erheblich und medizinisch zunächst nicht erklärbar zugenommen hat: Nach internen Untersuchungen der BARMER GEK [34] allein von 2006–2009 insgesamt um 50 %, bei Spondylodesen im Zeitraum 2004–2009 sogar um 220 % (!). Diese Größenordnung wurde auf einem internationalen Orthopädiesymposium in Kassel am 4. und 5.7.2014 bestätigt: In den vergangenen 10 Jahren sei die Zahl der Wirbelsäulenoperationen um 250 % gestiegen. „Das ist inakzeptabel ... Therapieentscheidungen müssen transparenter werden.“ [27].
Der Anteil der psychischen Störungen in der Stichprobe lässt sich aus der Analyse der Daten des FABQ-Fragebogens (Fear-Avoidance-Belief-Questionnaire) ablesen. So liegen 67,2 % der Patienten in einem durchschnittlichen Score-Bereich (Populationsmittelwert ± Standardabweichung), während 17,4 % unterdurchschnittliche Scores erreichen und demnach angstbedingte Kognitionen im Bezug auf ihre Rückenschmerzen aufweisen.
Speziell trainingswissenschaftlich können alle motorischen Parameter durch die Therapie mit 24 Trainingseinheiten gesteigert werden (Tab. 2). Eine detaillierte Darstellung der Veränderung der Kraftverhältnisse findet sich in Abbildung 5. Hier wird deutlich, welche Kraftsteigerungen durch das hochintensive Training erreicht werden. Alle Veränderungen sind signifikant positiv bzw. zeigen das ursprüngliche Defizit, das eben mit dem „spezifischen und breitbandspektral wirksamen Medikament individuell dosiertes Training“ im Rahmen einer multimodalen Behandlung und letztlich gezielten muskulären Rehabilitation behoben oder gebessert wurde. Es sei bemerkt, dass der „Rekonditionierungs- bzw. Behandlungsprozess“ dabei nicht eine Funktion letztlich der Kraft allein, sondern der sinnvoll angeordneten Summe aller beschriebenen therapeutischen Schritte und Ergebnisse darstellt.
Zudem werden die subjektiven Parameter gesteigert, die für die alltägliche Wahrnehmung des Patienten von hoher Wichtigkeit sind. Dies sind primär die persönliche Leistungsfähigkeit und das allgemeine Wohlbefinden. Beide Parameter werden im Schnitt durch das Gesamt- und FPZ-Konzept (A24) um etwa 32 % gesteigert (Skala: 1–5 – sehr gut bis sehr schlecht; Tab. 2).
Zur Untersuchung der psychologischen Hintergründe werden die Patienten gebeten, den Fragebogen Kü-WS (Kontrollüberzeugungen bei Wirbelsäulenerkrankungen) zu beantworten. Dieser bildet die Sichtweise des Patienten auf seine Krankheit ab: Es werden Skalen für die Internalität und (soziale und fatalistische) Externalität berechnet (Internalität: Patient hält sich und sein Verhalten für den Grund der Rückenschmerzen und sieht sich selber in der Verantwortung, etwas dagegen zu tun; Externalität: Patient hält andere bzw. das Schicksal für verantwortlich für seine Rückenschmerzen und deren Besserung). Auf Grund der Daten können Patienten eingeschätzt werden, welche Hintergründe sie für ihre Rückenbeschwerden sehen.
Abbildung 6 zeigt diese Veränderungen in der Einstellung zum eigenen Rückenschmerz. Die Trainingstherapie führt dabei tatsächlich zu einer Verschiebung der Sichtweise. Das körperliche Training und die erlangten Erfolge verändern die Kontrollüberzeugungen signifikant in Richtung höherer Internalität und geringerer fatalistischer Externalität. Patienten erkennen demnach durch die erfolgreiche Trainingstherapie, dass die Kontrolle über ihre Rückenschmerzen (möglicherweise auch ihre eigene Gesundheit im Allgemeinen) realisierbar und selbstwirksam darstellbar ist, und dass sie selbst letztlich – bei Adhärenz zum gesamten Behandlungsprozedere – die Besserung mit allen positiven Konsequenzen der Situation in der Hand haben.
Ebenfalls positiv entwickelt sich der Parameter „Wahrscheinlichkeit der Schmerzchronifizierung“. Dieser wird mit Hilfe des Heidelberger Kurzfragebogens (HKF-R10) ermittelt. Die Patienten werden dabei anhand der erreichten Punktzahl nach ihrer Chronifizierungswahrscheinlichkeit in 5 Gruppen eingeteilt, die Gruppen A bis E. (Gruppe A „chronifiziert höchstwahrscheinlich nicht“ bis Gruppe E „chronifiziert höchstwahrscheinlich“). Zu Beginn des FPZ-Konzepts lassen sich höhere Patientenzahlen in den Gruppen C, D und E erkennen. Diese Zahlen ändern sich drastisch durch die Therapie mit 24 Einheiten und verschieben die Gruppenstärken in Richtung geringeres Chronifizierungsrisiko (Tab. 3). Diese Tendenz wird durch die signifikante Senkung des mittleren HKF-Scores der therapierten Patienten bestätigt (Wilcoxon-Test, n = 985, Z = –6,681, p < 0,001).