Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Aktuelle Metastudien zur computerassistierten Chirurgie in der KnieendoprothetikWas bringt sie wirklich?
Athanasios Karras, Markus Peyerl, Hans-Georg Palm
Zusammenfassung:
Der Einsatz computerassistierter Chirurgie, im Rahmen der Kniegelenksnavigation oder roboterassistierten Knieendoprothetik, gewinnt in der orthopädischen Kniegelenkschirurgie zunehmend an Bedeutung. Ziel ist die präzise Implantation der Knieprothesenkomponenten, um bessere Operationsergebnisse mit langen Prothesenstandzeiten, niedrigen Revisionsraten und besseren funktionellen Ergebnissen zu erreichen. Fraglich ist, ob die hohen Anschaffungskosten, verlängerte Operationszeiten und der erhöhte organisatorische Aufwand durch den Einsatz computerassoziierter Operationshilfen gerechtfertigt sind und tatsächlich dazu beitragen, bessere radiologische und klinisch-funktionelle Ergebnisse zu erzielen. In unserer Literaturrecherche haben wir die in den letzten 5 Jahren veröffentlichten Review- und Multi-Center-Studien ausgewertet und sind zu dem Schluss gekommen, dass die konventionelle Operationsmethodik in erfahrenen Händen auch heute nicht entscheidend an Bedeutung verloren hat.
Schlüsselwörter:
Computerassistierte Chirurgie, Navigation, Knieendoprothetik
Zitierweise:
Karras A, Peyerl M, Palm H-G: Aktuelle Metastudien zur computerassistierten Chirurgie in der Knieendoprothetik. Was bringt sie wirklich?
OUP 2024; 13: 226–229
DOI 10.53180/oup.2024.0226-0229
Summary: The use of computer-assisted surgery, in the context of knee joint navigation or robot-assisted knee arthroplasty, is becoming increasingly significant in orthopedic knee joint surgery. The goal is the precise implantation of knee prosthesis components to achieve better surgical outcomes with long prosthesis lifespans, low revision rates, and improved functional results. It is questionable whether the high acquisition costs, prolonged operation times, and increased organizational effort associated with computer-assisted surgical aids are justified and actually contribute to better radiological and clinically functional outcomes. In our literature review, we evaluated review and multi-center studies published in the last 5 years and concluded that conventional surgical methods, in experienced hands, have not significantly lost their relevance even today.
Keywords: computer assisted surgery; navigation; knee arthroplasty
Citation: Karras A, Peyerl M, Palm H-G: A current meta analysis of computer assisted surgery in knee arthroplasty. What is its actually contribution?
OUP 2024; 13: 226–229. DOI 10.53180/oup.2024.0226-0229
Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Ingolstadt
Einleitung
Die klinische und wissenschaftliche Bedeutung der Navigation in der Knieendoprothetik wird deutlich anhand einer aktuellen Recherche in PubMed® unter den Suchbegriffen: „navigation knee arthroplasty“ (Abrufdatum: 22.06.2024). Allein in den vergangenen 10 Jahren seit 2014 finden sich dazu 1052 Ergebnisse (Abb. 1).
Grund hierfür mögen die steigenden Ansprüche einer körperlich aktiv alternden Gesellschaft sein: Unsere Patientinnen und Patienten sind sich häufig nach eigener Recherche im Bekanntenkreis und Internet dessen bewusst, dass in der Endoprothetik in relevantem Ausmaß Komplikationen wie Lockerungen, Implantatfehlpositionierungen und Infektionen eintreten können und wählen daher bei planbarem Eingriff gezielt Kliniken mit offenbar besten Resultaten und Nutzung moderner technischer Methoden wie Navigation oder gar Robotik aus. Dabei haben diese enormen technischen Entwicklungen der computerassistierten Chirurgie der letzten Jahrzehnte sicherlich Vorteile mit sich gebracht. In der Literatur wird allen voran die Bedeutung der exakteren Ausrichtung der Prothesenkomponenten an der Beinachse genannt. Diese soll – neben einem besseren klinischen Outcome – zur längeren Standzeit der Knieprothese beitragen [1].
Andererseits weisen zahlreiche Kliniken nach wie vor hervorragende Ergebnisse unter Nutzung konventioneller Operationstechniken auf. Dabei werden sie z.T. auch durch Literaturergebnisse gestützt, die zuletzt eine klare Überlegenheit der Navigation nicht bestätigen konnten [2]. Hinzu kommt, dass inzwischen mit der Navigation, Robotik und patientenspezifischen Instrumentierung (PSI) verschiedene Optionen neben der konventionellen Operationsmethode zur Wiederherstellung des korrekten Alignments entlang der mechanischen Beinachse existieren.
Ziel unserer aktuellen Arbeit ist es daher, aufgrund der zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten der letzten Jahre und unter Berücksichtigung des enormen technischen Fortschritts, die jüngsten Entwicklungen im Bereich der computerassistierten Chirurgie, basierend auf einer PubMed®-Recherche, zu erheben und ihre Ergebnisse vorzustellen.
Material und Methoden
Es wurde eine PubMed®-Recherche (Abrufdatum: 22.06.2024) mit Fokus auf Metanalysen und Reviewarbeiten der vergangenen 5 Jahre durchgeführt. Dabei konnten 69 Arbeiten bzw. 13 Metaanalysen recherchiert werden; zusätzlich wurden im Schneeballprinzip weitere Arbeiten betrachtet, sofern sie weitere Erkenntnisse gezeigt haben.
Ergebnisse und Diskussion
Die aktuellen Studien fokussieren sich erwartungsgemäß vor allem auf die radiologischen Ergebnisse und das klinische Outcome, weswegen hierauf im Folgenden besonders eingegangen werden soll. Dabei differenzieren wir zwischen der unikompartimentellen und Total-Knieendoprothetik.
Unikompartimentelle Knieendoprothetik
Bouché et al. [3] analysierten die Wirksamkeit der verschiedenen Schnittführungen bei der unikompartimentellen Knieendoprothetik bei 18 randomisierten kontrollierten Studien mit 1562 Patientinnen und Patienten (1.564 Gelenke). Eingeschlossen wurden dabei die konventionelle, die navigierte, die patientenspezifisch-instrumentierte und roboterassistierte Technik. Am präzisesten wurde dabei der Roboter gewertet, wobei sich jedoch kein Unterschied im funktionellen oder klinischen Ergebnis zeigte. Außerdem sahen die Autoren die hohen technologischen Kosten kritisch.
Gestützt werden die Erkenntnisse beim unikompartimentellen Knieersatz durch Xu et al. [4], die 14 Artikel mit 852 Kniegelenken untersucht haben. Auch wenn die Navigation bessere radiologische Ergebnisse als die konventionelle Technik erbrachte, so zeigte sich kein signifikanter Unterschied bezüglich der Komplikationsrate bei um 10,63 min längerer Operationszeit als mit konventioneller Technik. Bei den funktionellen Ergebnissen wurden keine signifikanten Unterschiede festgestellt.
Knie-Totalendoprothetik
Sheridan et al. [5] haben auch für navigierte Knie-Totalendoprothesen (K-TEP) längere Operationszeiten (97,6 min) im Vergleich zur konventionellen K-TEP (87 min) beobachtet, d.h. ebenfalls um etwa 10 min länger. Radiologisch waren femorale und tibiale Komponenten, sowohl in der koronaren als auch in der sagittalen Ebene nach Navigation exakter ausgerichtet. Die funktionellen Ergebnisse sind zwischen der navigierten und konventionellen Gruppe ähnlich, wobei es sich hier aber um eine kurzzeitige Nachbeobachtung gehandelt hat.
Eine aktuelle Metaanalyse [6] konnte 73 randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 4209 Knie-Totalendoprothesen einschließen. Auch hier wurden die Gruppen konventioneller, navigierter, patientenspezifisch-instrumentierter und roboterassistierter Technik verglichen, aber mit Fokus auf den totalen Kniegelenksersatz. Navigation und Roboter konnten dabei das Auftreten von Malalignement und Malpositionierung im Vergleich zu PSI und konventioneller Technik erheblich reduzieren. Hinzu kommt, dass bei der Navigation mittel- und langfristig höhere Werte im Knee Society Score (KSS) erzielt werden konnten als mit konventioneller Technik. Verhalten zeigten sich die Autoren aber hinsichtlich der klinischen Signifikanz für die postoperativen Ergebnisse im Vergleich aller 4 Techniken.
Die Gruppe um Bouché et al. [7] hat anhand von 90 randomisierten kontrollierten Studien mit 9389 Patientinnen und Patienten bzw. 10336 Kniegelenken (Durchschnittsalter 68,8 Jahre) ebenfalls die Gruppen konventioneller, navigierter, patientenspezifisch-instrumentierter und roboterassistierter Technik beim totalen Kniegelenksersatz verglichen. Der Outcome-Fokus lag bei den Patientinnen und Patienten mit einem Malalignement des HKA-Winkels (Hip-Knee-Ankle, Hüfte-Knie-Sprunggelenk; definiert > 3° vom neutralen Winkel) sowie im KSS und im Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) 6 Monate nach der Operation. Die Navigation führte dabei zwar zu etwa 10 % weniger Patientinnen und Patienten mit HKA-Ausreißern von mehr als 3°, jedoch resultierte dies nicht in einer Verbesserung der Outcomeparameter. Daher hat die Arbeitsgruppe hinterfragt, ob die mit der Navigation verbundenen erhöhten Kosten und lernkurvenbedingten längeren Operationszeiten gerechtfertigt sind – bis bessere Überlebensraten bzw. Outcomeparameter nachweislich zu verzeichnen sind.
Ihre Erkenntnisse werden ebenfalls durch eine ähnliche Analyse von Shihab et al. [8] gestützt, wonach die Navigation in der Knieendoprothetik als erfolgreiche Methode zur Erhöhung der Präzision und Genauigkeit zur Wiederherstellung der mechanischen Achse betrachtet wird. Darüber hinaus wurde aber keine Verbesserung des Outcomes belegt.
Lee et al. [9] richteten ihre Metaanalyse diesbezüglich auf das mittel- und langfristige Outcome hinsichtlich des Vergleiches von konventioneller und navigierter Knieendoprothetik aus. Sieben randomisierte kontrollierte Studien wurden eingeschlossen. Bezüglich KSS und WOMAC-Score, Schmerzen, Bewegungsumfang und radiologischer Parameter gab es keine signifikanten Unterschiede in den klinischen Ergebnissen zwischen den beiden Techniken.
In der Datenerhebung von Chin et al. [10] bei 24 prospektiv-randomisierten kontrollierten Studien mit 3778 Kniegelenken wurde hingegen eine gewisse Überlegenheit der Navigation im Vergleich zur konventionellen Prothetik anhand der Knee Society Knee Score (KSKS) > 5 Jahre angedeutet.
Hingegen beschreiben Rhee et al. [11] bei 9 randomisierten kontrollierten Studien mit einem mittleren Follow-up von über 8 Jahren, dass die navigierte Knie-Totalendoprothetik zu besseren Ergebnissen bei der postoperativen Komponentenausrichtung führt als die konventionelle Knie-Totalendoprothetik: Sowohl das sagittale Alignement der femoralen Komponente (Risikoverhältnis [RR] 0,69; [95 %-Konfidenzintervall (KI), 0,51–0,93]; p = 0,02) als auch die koronare Ausrichtung der tibialen Komponente (RR 0,75 [95 %-KI, 0,60–0,95]; p = 0,02) waren der konventionellen Technik überlegen. Jedoch unterschieden sich die funktionellen Ergebnisse zwischen beiden Methoden nicht signifikant: Sowohl hinsichtlich der Revisionsrate als auch der Häufigkeit aseptischer Lockerungen gab es keine Unterschiede.
Entgegen der o.g. Ergebnisse verweisen Bäthis et al. [12] u.a. auf das Australische Endoprothesenregister, das auf Daten von rund 17 Jahren zurückgreifen kann. Die Revisionsrate hinsichtlich aseptischer Lockerung ist in der computerassistierten Gruppe signifikant niedriger, was man schon nach 6 Monaten postoperativ belegen könne. Auch wenn die Autoren die navigierte Endoprothetik daher als Goldstandard zur Vermeidung von Fehlpositionierung der Prothesenkomponenten sehen und den Einfluss auf das Outcome aufzeigen, so stellen sie hinsichtlich der roboterassistierten Chirurgie fest, dass diesbezüglich die enormen Mehrkosten noch gerechtfertigt werden müssten und etwaigen Vorteile zu belegen wären.
Die Gruppe um Kim et al. [13] gelangte zur Erkenntnis, dass der Einsatz intraoperativer Technologie bei der Knieendoprothetik nicht mit einer Verringerung der postoperativen Schmerzen verbunden ist. Dabei beleuchteten sie 31 Studien mit insgesamt 761.300 Knieeendoprothesen, davon manuell n = 753.554, navigiert n = 1.309 und roboterassistiert n = 6437.
Schließlich muss in dieser Arbeit auch die Studie um Matar et al. genannt werden [14]. Diese gibt eine Übersicht zu 403 randomisierten kontrollierten Studien zur Knieendoprothetik (n =47.675). Dabei ließen sich die Studien gliedern in Themen des chirurgischen Vorgehens (n = 34), Tourniquet (n = 31), minimalinvasive Chirurgie (n = 13), patientenspezifische Instrumentierung (n = 30), Kniedesign (n = 37), Fixierung (n = 27), mobile Bearing (n = 47), Navigation (n = 50), Polyethylene (n = 19), Technik (n = 27), Patellaresurfacing (n = 26), Drainage (n = 19), Verschluss (n = 16) sowie 27 andere RCTs. Ihre zusammenfassende und für die computerassistierte Chirurgie ernüchternde Erkenntnis lautet, dass bei der überwiegenden Mehrheit der Patientinnen und Patienten eine standardmäßige konventionelle Knieendoprothese mit einem der Chirurgin oder dem Chirurgen vertrauten chirurgischen Vorgehen unter Verwendung bewährter Standardkomponenten, mit oder ohne Tourniquet, ohne chirurgische Drainage, zu zufriedenstellenden langfristigen klinischen Ergebnissen führt.
Zusammenfassung
Bei der navigierten Knieendoprothetik wird im Vergleich zur konventionellen Technik in einigen Studien eine exaktere Komponentenausrichtung beschrieben, insbesondere Ausreißer werden reduziert. Obgleich es auf der Hand läge, dass eine exaktere Komponentenausrichtung entlang einer rekonstruierten Beinachse zu einem verbesserten klinischen Outcome und zur längeren Standzeit der Prothese führt, so werden diesbezüglich selbst in den jüngsten Metaanalysen der letzten 5 Jahre keine Unterschiede gefunden und somit kontroverse Diskussionen geführt [15] – gar Lanzen für die konventionelle Methodik in geübter Hand gebrochen (Abb. 2) [14]. So hat auch eine aktuelle Studie gezeigt, dass die intrameduläre Ausrichtung ebenso genaue Ergebnisse liefert; Ausreißer sind hingegen bei patientenspezifischen Ausrichtehilfen zu finden [16]. Schließlich sind auch Aspekte der erforderlichen Lernkurve und der verlängerten Operationszeiten sowie des erhöhten organisatorischen Aufwands unabhängig vom unikompartimentellen oder Total-Kniegelenksersatz zu berücksichtigen. Neben PinKomplikationen, auf die wir in vorliegender Arbeit nicht eingegangen sind, schrecken auch die hohen Anschaffungskosten von der Einführung der Navigation ab. Ökonomisch noch teurer und damit im besonderen Maße an einen entsprechenden Hersteller bindend, ist die Robotik, welche den nächsten Evolutionsschritt darstellt – abgesehen davon, dass sich auch diese erst hinsichtlich ihres Benefits wissenschaftlich beweisen muss.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Athanasios Karras, M. Sc.
Klinikum Ingolstadt
Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirurgie
Krumenauerstraße 25
85049 Ingolstadt
athanasios.karras@klinikum-
ingolstadt.de