Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018
Anmerkungen zur Mittelfußknochenosteotomie nach WeilAnforderungen an die Indikationsstellung, Dokumentation und RisikoaufklärungRate of mistakes and malpractice claims
Christian Holland1, Rainer Rosenberger2, Beate Weber3
Zusammenfassung: Unter den von der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein bearbeiteten und abgeschlossenen Fällen befanden sich im Zeitraum von 2005–2016 knapp 2 % Patientenbeschwerden bezüglich vermuteter Behandlungsfehler bei Vorfußoperationen. Über Eingriffe ausschließlich an den Kleinzehen berichteten wir aus gleicher Quelle 2012 in der OUP [29]. Auffallend häufig waren Klagen über nicht zufriedenstellende Ergebnisse nach der die Mittelfußknochen verkürzenden Operationsmethode nach Weil. Beklagt wurden vor allem eingesteifte Zehengrundgelenke, meist in Streckstellung.
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Häufigkeit dieser Komplikation, den möglichen Ursachen, Vermeidungsstrategien, aber auch besonders mit der präoperativen Aufklärung und der Dokumentation mit dem Ziel, zur Verbesserung der Ergebnisse und damit auch zur Verringerung von Behandlungsfehlervorwürfen beizutragen.
Schlüsselwörter: Weil-Osteotomie, Fehlervermeidung, Indikation, Durchführung, Aufklärung
Zitierweise
Holland C, Rosenberger R, Weber B: Anmerkungen zur Mittelfußknochenosteotomie nach Weil.
OUP 2018; 7: 408–414 DOI 10.3238/oup.2018.0408–0414
Summary: Malpractice claims occurring with the so-called Weil osteotomy, are reviewed and judged by the Expert Committee for Medical Malpractice Claims of the Medical Association of North Rhine. Small toe-operations come to nearly 2 % of all patient complaints brought to the Gutachterkommission (conciliation board). Very often the patients – when operated because of metatarsalgia – were not content with the results of the shortening of the metatarsalia 2–4: In a high percentage (until 50 % in medical reviews), small toes grew stiff in extension or loose mobility in the metatarsophalangeal joint. This report presents causes of the insufficient results and what is to do to avoid pitfalls and malpractice claims.
Keywords: Weil osteotomy, rate of mistakes, malpractice claims, documentation, how to inform patients
Citation
Holland C, Rosenberger R, Weber B: Observations in the Weil osteotomy.
OUP 2018; 7: 408–414 DOI 10.3238/oup.2018.0408–0414
1 St. Willibrord Spital, Emmerich
2 Erster Stellvertretender Vorsitzender der Gutachterkommission Nordrhein, Vors. Richter am Oberlandesgericht a. D., Köln
3 Datenbankarchivierung und -auswertung, Ärztekammer Nordrhein, Düsseldorf
Einleitung
Der folgende Beitrag entstand aus einer Sichtung der von der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein erstellten gutachterlichen Entscheidungen über vermutete Fehler bei Operationen komplexer Vorfußdeformitäten. Über einen Teil des Materials berichteten wir bereits 2012 bei einer Auswertung der nur an den Mittel- und Endgelenken der Kleinzehen vorgenommenen Operationen [29]. Eingriffe an den Kleinzehengrundgelenken, die bei kontrakten Kleinzehendeformierungen (besonders bei Krallenzehen mit Sub-/Luxation in den Grundgelenken) zusätzlich erforderlich werden, wurden dabei jedoch nicht besprochen. Diesen dient u.a. besonders der das Metatarsale verkürzende Eingriff nach Weil, der seit Propagierung der Operationstechnik durch Barouk 1996 [4] eine starke Verbreitung fand. Bei der Sichtung dieses Materials fielen die relativ häufigen unbefriedigenden Ergebnisse dieser köpfchennahen Mittelfußosteotomien auf. Über das Gesamtmaterial informieren Tabellen 1 und 2.
Es ergibt sich die Frage, welche Ursachen den unbefriedigenden Ergebnissen sowohl bei den anerkannten als auch bei den (trotz Fehlschlagens der Operation!) nicht bestätigten Behandlungsfehlerfällen zugrunde lagen und welche Konsequenzen gezogen werden können, um bessere Ergebnisse zu erreichen und Beschwerden (Anträge auf Klärung eines vermuteten Behandlungsfehlers) durch sorgfältigere Aufklärung zu vermeiden, denn: postoperative Komplikationen im Sinne einer Einsteifung der Kleinzehengrundgelenke (stiffness/stiff toe/floating toe/floppy toe) werden neben anderen (Infektionen, Pseudarthrosen, Schraubenperforationen, Transfer- und Rezidivmetatarsalgie, Köpfchennekrosen, Achsenabweichungen, Rotationen und Gelenkverlust) in einer Häufigkeit bis 50 % und darüber hinaus in der Literatur genannt [10, 11, 12, 17, 18, 22, 23, 28].
Anatomie und Technik
Es kann hier nicht der Platz sein, um die Pathomorphologie (-mechanik) insbesondere des Vorfußes ausführlich abzuhandeln, dazu wird auf das Schrifttum verwiesen, zuletzt auf die ausführlichen Beiträge von Arbab et al. 2016 [1], ferner auf weitere Autoren wie Arnold 2005 [2] und 2016 [3] sowie Dohle 2016 [5], besonders in dieser Zeitschrift, Fuhrmann mit mehreren Beiträgen [7, 9], Jerosch und Heisel 2009 [20] und Sabo 2010 [26].
Bezüglich der Anatomie sei lediglich auf Folgendes hingewiesen: Der negative Metatarsalindex ist häufiger als der ausgeglichene (+/–) oder positive, also per se keine pathologische Fußform. Auf die Kleinzehengrundglieder hat funktionell nur die kurze Fußmuskulatur direkte Wirkung, sie muss bei einem gesunden Fuß im Zusammenspiel mit den langen Beugern und Streckern harmonieren [12]. Ihr Versagen führt zu den Kleinzehenfehlstellungen (wie dies auch durch die Ruptur der plantaren Platte geschehen kann mit Ausbildung einer Krallenzehe). Der Index +/–, die „harmonische Metatarsalköpfchenparabel“ nach Maestro, ist hingegen deutlich seltener (aber dann durch einen indizierten Eingriff anzustreben).
Es können auch nicht Einzelheiten zur technischen Durchführung der Operation nach Weil (und in wenigen Fällen der nach Helal [15, 16, 32] und der von Hamel und Nell 2014 [13] angegebenen Schrägdurchtrennung ohne Osteosynthese mit der gleichen Indikation) ausführlicher beschrieben werden. Dazu sind Operationslehren und Übersichtsartikel in der einschlägigen Literatur ausreichend vorhanden [2, 3, 6, 9, 12, 21, 31].
Der Eingriff nach Weil besteht in einer Arthrolyse des Kleinzehengrundgelenks mit Kapseldurchtrennung, teilweiser oder vollständiger Ablösung der Seitenbänder, plantarparalleler Osteotomie distal beginnend vom oberen Teil des Köpfchens ausgehend schräg durch das Metatarsale fersenwärts, Verschiebung des plantaren Teilstücks im erforderlichen Ausmaß nach proximal und Osteosynthese meist mit einer Twist-off-Schraube (einige Autoren entnehmen eine Scheibe, um eine Plantarisierung des zu verschiebenden Köpfchens zu vermeiden und auch einer Extensionskontraktur vorzubeugen [30]). Der distal dann ins Gelenk hineinragende spitze Anteil des Metatarsale wird abgetragen. Der Eingriff wird häufig mit Strecksehnenverlängerungen verbunden. Gelegentlich wird eine K-Draht-Transfixation in leichter Beugestellung durchgeführt, wobei die Gefahr einer Kollision mit der Schraube besteht [24]. Die Technik erfuhr auch Variationen [13]. Bezüglich des Verschlusses von Defekten der plantaren Platte besteht kein einheitliches Vorgehen (z.B. pro. Dohle 2016 [5], kontra Mittag und Wülker 2011 [24]).
Indikation zur Osteotomie nach Weil
Indikation zur Osteotomie nach Weil ist die aus einer gesicherten Überlastung der Metatarsophalangealgelenke entstandene Metatarsalgie ( [1, 5, 7, 8, 21, 22, 30]. Die Indikation wird überwiegend bei Teilverrenkungen oder Ausrenkungen der Zehengrundgelenke 2–4 gestellt bei einer relativen „Überlänge“ der Mittelfußknochen, verbunden mit Deformierungen der Kleinzehen (Krallen- und/oder Hammerzehen, Achsenabweichungen, Rotationsfehlern) und Schwielen unter den betroffenen Gelenken, gleichfalls verbunden mit Läsionen der plantaren Platte und nur selten ohne die gleichzeitig bestehenden und meist ursächlichen Deformierungen im ersten Strahl (Hallux valgus, Metatarsus primus varus, Insuffizienz des tarso-metatarsalen Gelenkes usw.) zu korrigieren.
Fallbeispiel
Eine 68 Jahre alte Frau wirft vor, bei einer Vorfußoperation seien zu lange Schrauben eingebracht worden, dadurch Schmerzen des Fußes beim Gehen und durch die Entlastungshaltung bedingte Rückenschmerzen.
Zur Vorgeschichte wurde dokumentiert: „Seit etwa 2 Jahren Schmerzen im re Hallux valgus begleitend mit Schuhkonfliktproblemen, Fuß schwillt je nach Belastung an“. Zum Befund findet sich folgende Notiz: „Hallux valgus 35° rechts, kein Hallux valgus links; mediale Pseudoexostose mit Bursitiszeichen rechts; freie Beweglichkeit MP-Gelenk rechts; Hammerzehe DII rechts Grad 2 bis 3/1/0 mit PIP-Clavus; Kapseldruckschmerz MTP-II-Gelenk rechts; keine plantare Mehrbeschwielung bds. Röntgen re Fuß in 2 Ebenen: Metatarsus primus varus, Metatarsalindex minus mit leichter Überlänge MFK-II und –III.“ Außerdem wurden Krampfadern an beiden Beinen vermerkt.
Es erfolgte nach dem Operationsbericht folgender Eingriff: Lateral release, Abtragung der Pseudoexostose, Scarf-Osteotomie, wegen „Restvalgität“ Valgisierung des Grundglieds nach Akin, Verschluss des Großzehengrundgelenks nach Cerclage fibreux. Verlängerung der langen Großzehenstrecksehne. Freilegung der Kleinzehengrundgelenke II und III und Verschiebeosteotomie nach Weil mit Fixierung durch jeweils eine „Kleinfragment-Kortikaliszugschraube“. Das Mittelgelenk der 2. Zehe wurde manuell redressiert und in der „proximalen Zehenbeugefalte eine ausgedehnte plantare Dermodese“ vorgenommen. Es ist außerdem eine Synovektomie der 3 freigelegten Gelenke beschrieben. Für den weiterbehandelnden Arzt sind differenzierte Angaben im Brief enthalten. Bei der nächsten Vorstellung 6 Monate später wurden noch „Restbeschwerden beim Abrollen des Fußes“ angegeben, es lag ein „leichter Hochstand der 2. Zehe im Grundgelenk“ vor und röntgenologisch habe eine „relative Überlänge MFK-IV nach Weil II und III“ vorgelegen. Eigenmobilisationen für die 2. Zehe wurden angeraten. Die „Restbeschwerden“ hielten an, ein Kapseldruckschmerz II war festzustellen und ein Druckschmerz im Zwischenraum II/III. Ein Morton-Neurom könne vorliegen.
Der Gutachter befundete die präoperativen Röntgenaufnahmen wie folgt: „Hallux valgus 30°, nur geringe Subluxation im Großzehengrundgelenk, Intermetarsalwinkel 11°, eher leicht negativer Metatarsalindex. Die 2. Zehe liegt mit dem Endglied zum Teil über der Großzehe. Unmittelbar postoperativ ist der Hallux-valgus-Winkel deutlich verkleinert, der Metatarsalwinkel deutlich positiv, der Grundgelenkspalt der 2. Zehe verbreitert“.
Beurteilung
Die präoperativen Röntgenaufnahmen wurden fehlerhaft beurteilt, da keine Überlänge der Metatarsalia 2 und 3 vorlag. Der Eingriff nach Weil hatte eindeutig keine Indikation. Es entstand ein gestörtes Alignment des Vorfußes. Das präoperative Beschwerdebild war nur durch den Hallux valgus und die Hammerzehe 2 bedingt. Die zusätzliche Osteotomie nach Akin ist wie die Dermodese in der Indikation gleichfalls zumindest fragwürdig. Die Unterlagen lassen keine Auseinandersetzung mit den individuellen Ansprüchen der Patientin und zuvor erfolgter Therapie erkennen. Ein Behandlungsfehler wurde festgestellt.
Fehlerfeststellungen
Unter den insgesamt 284 Fällen von Überprüfungen bei Vorfußoperationen befanden sich 77 Fälle (27,1 %), bei denen ein Eingriff nach Weil an einem oder mehreren Mittelfußstrahlen durchgeführt wurde, meist gleichzeitig mit Korrekturen am ersten Strahl, nur selten allein (dann vor allem, wenn sich nach Eingriffen am ersten Strahl eine Transfermetatarsalgie eingestellt hatte). 23 Behandlungsfehler wurden festgestellt (BF-Quote 26,0 %), aber nur vereinzelt allein wegen eines Fehlers beim begleitenden Eingriff nach Weil, denn dessen häufigste Komplikation der Einsteifung im Kleinzehengrundgelenk oder des aktiven Beweglichkeitsverlusts wurde als „operationstypisch und nicht immer vermeidbar“ angesehen und nicht als Folge eines Behandlungsfehlers. Zitat: „Although floating toes and restricted movement of the metatarsophalangeal joint may occur, the Weil osteotomy is safe and effective.“ [19]
Als Behandlungsfehler bei der Metatarsaleverkürzung wurden angesehen:
Befunderhebungsfehler vor dem Eingriff (z.B. fehlende Fußpulse),
fehlende bzw. nicht nachvollziehbare Indikation,
fehlerhafter Verzicht auf notwendige Korrekturen am 1. Strahl,deutlich zu geringe oder zu umfangreiche Kürzungen,
erkennbare Schraubenfehllagen nicht korrigiert.
Zur Erhebung der Vorgeschichte
Bevor an eine operative Maßnahme gedacht wird, ist zwingend abzuklären, ob nicht eine konservative Therapie ausreichend sein kann. Jedem erfahrenen Arzt (dem sich entsprechende Fragen stellen) ist das Phänomen vertraut, dass selbst ausgeprägte Knicksenkfüße mit einer Vorfußdeformierung dem Träger mitunter keine Beschwerden verursachen. Häufig konnten bei der Einsicht in die vorhandenen Unterlagen jedoch keine Angaben über die Vorbehandlungen gefunden werden. Der Hinweis eines belasteten Arztes in der Stellungnahme, der Patient sei ja von einem Fachkollegen zur Operation überwiesen worden und allein dies sowie die auch von ihm selbst gestellte Diagnose mit Indikation zur Operation belegten die erfolglose Vorbehandlung, reichen nicht aus: Denn einer Überprüfung halten diese Angaben schon deshalb nicht stand, weil von den Antragstellern (häufig anwaltlich vertreten) immer häufiger auf nicht dokumentierte und damit als nicht erfolgt gerügte Beratungen bezüglich der Möglichkeiten einer konservativen Behandlung hingewiesen wird. So finden sich in den Dokumentationen fast nie Angaben über den Beruf eines Patienten und nur selten zu dessen individuellen Wünschen auch in Bezug auf sein bevorzugtes Schuhwerk und Anforderungen im Beruf und im Alltag. Alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten sollten ausgeschöpft sein [12, 27], wenn sich solche als alternative Behandlungsmöglichkeiten zu einem Eingriff darstellen (eine Ablehnung durch den Patienten ist zu dokumentieren).
Befunderhebung
In nicht wenigen Fällen hatte der belastete Arzt bei Eingriffen am Vorfuß überhaupt zuvor keinen Befund dokumentiert, der damit als nicht erhoben gilt. Als Beleg für die Indikation dienten (lediglich) die Angabe einer Metatarsalgie und die Röntgenaufnahmen. Bereits daraus können aber ein Befunderhebungsfehler und somit ein Behandlungsfehler abgeleitet werden. Eine sorgfältige Untersuchung ist in Stichworten zu dokumentieren, Checklisten [14] und Scores [28] können dies erleichtern. Es sind grundsätzlich beide entkleideten Beine zu betrachten und auch das getragene Schuhwerk [25]. Auch die Spannungsverhältnisse im Gastrocnemius-Soleus-Komplex sollten überprüft werden [8]. Eine Übersicht gibt Tabelle 3 wieder.
Hinzuweisen ist hier nochmals auf die häufige Fehlbeurteilung des metatarsalen Alignments: Der am häufigsten vorliegende Index minus mit der Beschreibung einer Überlänge des 2. und 3. Metatarsale verführt dazu, darin von vornherein einen pathologischen und somit zu korrigierenden Befund zu sehen. Das ist falsch. Nur bei einer durch die klinische Untersuchung gesicherten Überlastung des betroffenen Kleinzehengrundgelenks (meist mit Subluxation), einer also tatsächlich vorliegenden Metatarsalgie auch aus diesem Grunde, ist eine Kürzung der entsprechenden Metatarsalia zu erwägen, sofern nicht z.B. das Alignment durch eine Korrektur am ersten Strahl zu verbessern ist. Unbedingt auszuschließen ist eine Morton-Neuralgie.
Zur Durchführung der Osteotomie nach Weil, Nachbehandlung und Komplikationsminderung
Es handelt sich um einen komplizierten, sehr sorgfältig durchzuführenden Eingriff. Dabei mögliche Fehler lassen sich u.U. zwar aus eingetretenen Komplikationen vermuten, aber zum Nachteil des Patienten sehr oft nach den Angaben im Operationsbericht oder der postoperativen Röntgenkontrolle nicht als tatsächlich geschehen belegen. Eine Fehlerhaftigkeit kann auch nur sehr selten nach dem Beweis des ersten Anscheins angenommen werden, weil es regelmäßig an der dafür notwendigen Typizität fehlt. Auf entsprechende Fehlervermeidung weist Tabelle 3 hin.
In der einschlägigen Literatur wird auf eine gesicherte und ständig beaufsichtigte Nachbehandlung hingewiesen. Dazu ein Zitat zu Typische Fehler und Gefahren: „Die größte Gefahr besteht in der nicht ausreichenden postoperativen Betreuung und Nachbehandlung“.
Diese Gefahr ist bedingt sowohl durch das häufige Auseinanderfallen von Operateur und weiterbehandelndem Arzt, durch fehlende Sorgfalt des weiterbehandelnden und damit verantwortlichen Arztes als auch durch fehlende Mitarbeit des Patienten, der die gegebenen Verhaltensmaßnahmen etc. nicht beachtet. Nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich ist deshalb eine Sicherungsaufklärung über die notwendigen Maßnahmen nach der Operation. Hierauf sollte schon vor der Operation hingewiesen werden. Notwendig ist die Zügelung der operierten Zehe in eine leichte Beugestellung, worauf schon Barouk [4] mit der Formulierung „Grundphalanx postoperativ in Plantarflexion fixieren“ hinwies und auch Jerosch [20] mit: „der plantarisierende Tapezügelverband unmittelbar postoperativ ist absolut notwendig“. (Anmerkung: Bei der in Deutschland vorgegebenen strukturellen Situation können Kliniken nur sehr begrenzt die gesamte notwendige Nachbehandlung übernehmen. Deren Empfehlungen sind dann möglichst von einem Facharzt umzusetzen).
Aufklärungsmängel
Wie sich aus Tabelle 2 ergibt, prüft die Gutachterkommission auf Antrag auch, ob zu einer Haftung führende Aufklärungsmängel vorliegen. Gemeint ist in diesem Zusammenhang die in § 630e BGB geregelte Eingriffs- oder Risikoaufklärung, durch die das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewährleistet werden soll. Eine unzureichende oder gar unterbliebene Aufklärung macht die Einwilligung des Patienten (§ 630d BGB) unwirksam, sodass sich der Eingriff als rechtswidrige Körperverletzung erweist. Inhalt und Umfang der aufklärungspflichtigen Umstände sind in § 630e Abs. 1 BGB aufgeführt. Danach ist über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären, insbesondere über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten.
Bei der Mittelfußknochenosteotomie nach Weil ist die Gefahr, dass dem Behandelnden ein Aufklärungsfehler unterläuft, aus dreierlei Gründen erhöht:
Der Eingriff ist regelmäßig nur relativ indiziert, weil die Maßnahme im Erfolgsfall für den Patienten lediglich vorteilhaft ist; sie verbessert zwar seine Lebensqualität, ist aber nicht zwingend, also absolut oder gar vital notwendig. Bei solchen Maßnahmen ist der Patient besonders ausführlich und eindrücklich über die Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren1, was in der Praxis häufig nicht geschieht.
Ferner ist die Misserfolgsquote im Sinne postoperativer Komplikationen – wie dargelegt – sehr hoch. In solchen Fällen fordert die Rechtsprechung seit jeher klare Hinweise gerade auf diesen Umstand2. Freilich muss über das Misserfolgsrisiko nicht unter Angabe konkreter Prozentzahlen aufgeklärt werden; es muss aber stets deutlich darauf hingewiesen werden, dass der Eingriff in vielen Fällen fehlschlägt und sich der Gesundheitszustand sogar verschlechtern kann3. Auch hieran fehlt es in der täglichen Praxis nicht selten. Das OLG Nürnberg4 hat entschieden, dass die Angaben zur Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Komplikationen sich an der Häufigkeitsdefinition des „Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA)“, die in Medikamenten-Beipackzetteln Verwendung findet, zu orientieren habe. Ob sich das durchsetzen wird, ist zweifelhaft, weil die Komplikationsdichte in der Praxis regelmäßig stark vom Können und der Erfahrung des jeweiligen Operateurs und seines Teams sowie der medizinischen Einrichtung abhängt. Richtig ist, dass ein bestimmtes Risiko auf keinen Fall verharmlost werden darf. Bei der Operation nach Weil verwirklicht sich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Einsteifung des Kleinzehengrundgelenks im Allgemeinen sehr häufig. Darauf muss unmissverständlich hingewiesen werden. Es muss mit dem Patienten erörtert werden, was dies für die Gebrauchsfähigkeit des Fußes bedeutet.
Schließlich besteht häufig Anlass, auf Behandlungsalternativen hinzuweisen (§ 630e Abs. 1 Satz 3 BGB), wozu auch konservative Maßnahmen gehören5, 6. Eine echte Behandlungsalternative, über die ungefragt aufzuklären ist, besteht, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten7. Das ist vor einer Osteotomie nach Weil eben häufig ein konservatives Vorgehen.
Dokumentationspflicht
Die Behandlungsdokumentation ist die zentrale Erkenntnisquelle für die Beurteilung, ob dem Behandelnden ein vorwerfbarer Fehler unterlaufen ist; für die Gutachterkommission sogar im Wesentlichen die einzige, weil sie keine Beweise durch Partei- oder Zeugenvernehmung erhebt. Das muss sich jeder Arzt schon aus Gründen des Selbstschutzes stets vor Augen halten, zumal der Gesetzgeber Versäumnisse auf diesem Gebiet zum Nachteil des Arztes streng sanktioniert, denn nach § 630h Abs. 3 BGB wird widerlegbar vermutet, dass der Behandelnde eine medizinisch gebotene Maßnahme nebst Ergebnis nicht getroffen hat, die er pflichtwidrig nicht aufgezeichnet oder aufbewahrt hat. Der Umfang der Dokumentationspflicht ergibt sich aus § 630f Abs. 2 BGB. Danach sind sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Diese Pflicht trifft jeden Arzt bei jeder Behandlung, also nicht nur bei der Krankenhausbehandlung. Auch der ambulant operierende Arzt muss eine entsprechende Dokumentation führen. Der Gesetzgeber gestattet es ihm nicht, davon abzuweichen, etwa weil er nicht – wie ein Krankenhaus – über einen entsprechenden „Apparat“ verfügt. Die Dokumentation dient der Sicherheit des Patienten während der Behandlung und in der Nachbehandlung. Durch sie erfüllt der Arzt ferner seine ihm dem Patienten gegenüber obliegende Rechenschaftspflicht8. Dokumentationsfehler können unmittelbar zu einer Haftung führen, haben im Übrigen beweisrechtliche Konsequenzen zum Nachteil des Behandelnden9. Die Behandlung muss anhand der Dokumentation nachvollziehbar sein. So darf z.B. die Indikation nicht bloß „behauptet“ werden, sie muss sich aus den zu dokumentierenden Befunderhebungen und deren Ergebnissen ableiten lassen.
Zusammenfassung
Die Verkürzung der Metatarsalia 2–4 nach Weil ist zwar bei einer klinisch gesicherten Metatarsalgie und röntgenologisch vorliegendem negativen Metatarsalindex eine bewährte Operationsmethode, jedoch belastet durch eine hohe Rate klinisch und optisch unbefriedigender Ergebnisse bezüglich Stellung und Beweglichkeit der operierten Kleinzehen trotz meist erfolgreicher Beseitigung der Metatarsalgie. Durch strenge Beachtung der Indikation und der Operationsmethode sowie durch eine konsequent kontrollierte Nachbehandlung lassen sich typische Fehler und Komplikationen vermeiden und die Ergebnisse verbessern.
Kommen alternative Behandlungsmethoden in Betracht, muss der Patient im Gespräch über die Vor- und Nachteile informiert werden, auch über eine eventuell versuchsweise konservative Therapie, falls diese noch nicht ausgeschöpft wurde, und über geeignetes Schuhwerk/Einlagen.
Auf die hohe Rate dennoch oft eintretender, insbesondere den Patienten nicht befriedigende Kleinzehenfehlstellungen muss präoperativ unbedingt im Aufklärungsgespräch hingewiesen werden, damit der Patient keine zu hohe Erwartungshaltung entwickelt. Auch auf die Bedeutung der aktiven Mitarbeit des Patienten zur Sicherung des primären und dauerhaften Ergebnisses ist unbedingt mittels Sicherungsaufklärung hinzuweisen.
Interessenkonflikt: Prof Dr. med. Christian Holland ist stellvertretendes geschäftsführendes Kommissionsmitglied der Gutachterkommission Nordrhein, Rainer Rosenberger ist stellvertretender Vorsitzender der Gutachterkommission, und Dr. Beate Weber ist Mitarbeiterin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission Nordrhein.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Christian Holland
St. Willibrord Spital, 46446 Emmerich
holland-emmerich@t-online.de
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3 Wenzel in Handbuch des Fachanwalts für Medizinrecht, 3. Aufl., Kapitel 4, Rn 90
4 OLG Nürnberg VersR 2016, 195 f.
5 OLG Hamm ArztR 2017, 157: Intensivierung der konservativen Therapie statt eines operativen Eingriffs an der HWS (ventrale Dekompression und Fusion der Halswirbel C 4–C 7 sowie Implantation einer Bandscheibenprothese C 3/4)
6 BGH NJW 2016, 641
7 BGH MedR 2015, 721
8 BGHZ 72, 132
9 vgl. zum Ganzen: Rosenberger in Festschrift für Lothar Jaeger, Luchterhand 2014, S. 97 f.