Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018
Anmerkungen zur Mittelfußknochenosteotomie nach WeilAnforderungen an die Indikationsstellung, Dokumentation und RisikoaufklärungRate of mistakes and malpractice claims
Indikation zur Osteotomie nach Weil ist die aus einer gesicherten Überlastung der Metatarsophalangealgelenke entstandene Metatarsalgie ( [1, 5, 7, 8, 21, 22, 30]. Die Indikation wird überwiegend bei Teilverrenkungen oder Ausrenkungen der Zehengrundgelenke 2–4 gestellt bei einer relativen „Überlänge“ der Mittelfußknochen, verbunden mit Deformierungen der Kleinzehen (Krallen- und/oder Hammerzehen, Achsenabweichungen, Rotationsfehlern) und Schwielen unter den betroffenen Gelenken, gleichfalls verbunden mit Läsionen der plantaren Platte und nur selten ohne die gleichzeitig bestehenden und meist ursächlichen Deformierungen im ersten Strahl (Hallux valgus, Metatarsus primus varus, Insuffizienz des tarso-metatarsalen Gelenkes usw.) zu korrigieren.
Fallbeispiel
Eine 68 Jahre alte Frau wirft vor, bei einer Vorfußoperation seien zu lange Schrauben eingebracht worden, dadurch Schmerzen des Fußes beim Gehen und durch die Entlastungshaltung bedingte Rückenschmerzen.
Zur Vorgeschichte wurde dokumentiert: „Seit etwa 2 Jahren Schmerzen im re Hallux valgus begleitend mit Schuhkonfliktproblemen, Fuß schwillt je nach Belastung an“. Zum Befund findet sich folgende Notiz: „Hallux valgus 35° rechts, kein Hallux valgus links; mediale Pseudoexostose mit Bursitiszeichen rechts; freie Beweglichkeit MP-Gelenk rechts; Hammerzehe DII rechts Grad 2 bis 3/1/0 mit PIP-Clavus; Kapseldruckschmerz MTP-II-Gelenk rechts; keine plantare Mehrbeschwielung bds. Röntgen re Fuß in 2 Ebenen: Metatarsus primus varus, Metatarsalindex minus mit leichter Überlänge MFK-II und –III.“ Außerdem wurden Krampfadern an beiden Beinen vermerkt.
Es erfolgte nach dem Operationsbericht folgender Eingriff: Lateral release, Abtragung der Pseudoexostose, Scarf-Osteotomie, wegen „Restvalgität“ Valgisierung des Grundglieds nach Akin, Verschluss des Großzehengrundgelenks nach Cerclage fibreux. Verlängerung der langen Großzehenstrecksehne. Freilegung der Kleinzehengrundgelenke II und III und Verschiebeosteotomie nach Weil mit Fixierung durch jeweils eine „Kleinfragment-Kortikaliszugschraube“. Das Mittelgelenk der 2. Zehe wurde manuell redressiert und in der „proximalen Zehenbeugefalte eine ausgedehnte plantare Dermodese“ vorgenommen. Es ist außerdem eine Synovektomie der 3 freigelegten Gelenke beschrieben. Für den weiterbehandelnden Arzt sind differenzierte Angaben im Brief enthalten. Bei der nächsten Vorstellung 6 Monate später wurden noch „Restbeschwerden beim Abrollen des Fußes“ angegeben, es lag ein „leichter Hochstand der 2. Zehe im Grundgelenk“ vor und röntgenologisch habe eine „relative Überlänge MFK-IV nach Weil II und III“ vorgelegen. Eigenmobilisationen für die 2. Zehe wurden angeraten. Die „Restbeschwerden“ hielten an, ein Kapseldruckschmerz II war festzustellen und ein Druckschmerz im Zwischenraum II/III. Ein Morton-Neurom könne vorliegen.
Der Gutachter befundete die präoperativen Röntgenaufnahmen wie folgt: „Hallux valgus 30°, nur geringe Subluxation im Großzehengrundgelenk, Intermetarsalwinkel 11°, eher leicht negativer Metatarsalindex. Die 2. Zehe liegt mit dem Endglied zum Teil über der Großzehe. Unmittelbar postoperativ ist der Hallux-valgus-Winkel deutlich verkleinert, der Metatarsalwinkel deutlich positiv, der Grundgelenkspalt der 2. Zehe verbreitert“.
Beurteilung
Die präoperativen Röntgenaufnahmen wurden fehlerhaft beurteilt, da keine Überlänge der Metatarsalia 2 und 3 vorlag. Der Eingriff nach Weil hatte eindeutig keine Indikation. Es entstand ein gestörtes Alignment des Vorfußes. Das präoperative Beschwerdebild war nur durch den Hallux valgus und die Hammerzehe 2 bedingt. Die zusätzliche Osteotomie nach Akin ist wie die Dermodese in der Indikation gleichfalls zumindest fragwürdig. Die Unterlagen lassen keine Auseinandersetzung mit den individuellen Ansprüchen der Patientin und zuvor erfolgter Therapie erkennen. Ein Behandlungsfehler wurde festgestellt.
Fehlerfeststellungen
Unter den insgesamt 284 Fällen von Überprüfungen bei Vorfußoperationen befanden sich 77 Fälle (27,1 %), bei denen ein Eingriff nach Weil an einem oder mehreren Mittelfußstrahlen durchgeführt wurde, meist gleichzeitig mit Korrekturen am ersten Strahl, nur selten allein (dann vor allem, wenn sich nach Eingriffen am ersten Strahl eine Transfermetatarsalgie eingestellt hatte). 23 Behandlungsfehler wurden festgestellt (BF-Quote 26,0 %), aber nur vereinzelt allein wegen eines Fehlers beim begleitenden Eingriff nach Weil, denn dessen häufigste Komplikation der Einsteifung im Kleinzehengrundgelenk oder des aktiven Beweglichkeitsverlusts wurde als „operationstypisch und nicht immer vermeidbar“ angesehen und nicht als Folge eines Behandlungsfehlers. Zitat: „Although floating toes and restricted movement of the metatarsophalangeal joint may occur, the Weil osteotomy is safe and effective.“ [19]
Als Behandlungsfehler bei der Metatarsaleverkürzung wurden angesehen:
Befunderhebungsfehler vor dem Eingriff (z.B. fehlende Fußpulse),
fehlende bzw. nicht nachvollziehbare Indikation,
fehlerhafter Verzicht auf notwendige Korrekturen am 1. Strahl,deutlich zu geringe oder zu umfangreiche Kürzungen,
erkennbare Schraubenfehllagen nicht korrigiert.
Zur Erhebung der Vorgeschichte
Bevor an eine operative Maßnahme gedacht wird, ist zwingend abzuklären, ob nicht eine konservative Therapie ausreichend sein kann. Jedem erfahrenen Arzt (dem sich entsprechende Fragen stellen) ist das Phänomen vertraut, dass selbst ausgeprägte Knicksenkfüße mit einer Vorfußdeformierung dem Träger mitunter keine Beschwerden verursachen. Häufig konnten bei der Einsicht in die vorhandenen Unterlagen jedoch keine Angaben über die Vorbehandlungen gefunden werden. Der Hinweis eines belasteten Arztes in der Stellungnahme, der Patient sei ja von einem Fachkollegen zur Operation überwiesen worden und allein dies sowie die auch von ihm selbst gestellte Diagnose mit Indikation zur Operation belegten die erfolglose Vorbehandlung, reichen nicht aus: Denn einer Überprüfung halten diese Angaben schon deshalb nicht stand, weil von den Antragstellern (häufig anwaltlich vertreten) immer häufiger auf nicht dokumentierte und damit als nicht erfolgt gerügte Beratungen bezüglich der Möglichkeiten einer konservativen Behandlung hingewiesen wird. So finden sich in den Dokumentationen fast nie Angaben über den Beruf eines Patienten und nur selten zu dessen individuellen Wünschen auch in Bezug auf sein bevorzugtes Schuhwerk und Anforderungen im Beruf und im Alltag. Alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten sollten ausgeschöpft sein [12, 27], wenn sich solche als alternative Behandlungsmöglichkeiten zu einem Eingriff darstellen (eine Ablehnung durch den Patienten ist zu dokumentieren).