Übersichtsarbeiten - OUP 12/2017
Antibiotika: was geht, was geht nicht?*
Arne C. Rodloff1, Nadine Dietze1, Andreas Roth2
Zusammenfassung: Infektionen von Gelenkimplantaten sind weiterhin eine medizinische Herausforderung. Die Optimierung der perioperativen Prophylaxe und der adjuvanten antibiotischen Therapie für jeden einzelnen Patienten sind daher unabdingbar. Grundlage dafür sind Kenntnisse des Erregerspektrums, der Resistenzepidemiologie sowie der Pharmakodynamik und Pharmakokinetik der Antibiotika.
Schlüsselwörter: periprothetische Infektion, Antibiotika
Zitierweise
Rodloff AC, Dietze N, Roth A: Antibiotika: was geht, was geht nicht? OUP 2017; 12: 615–617 DOI 10.3238/oup.2017.0615–0617
Summary Prosthetic joint infections are still a medical challenge. Optimization of the perioperative prophylaxis and the adjuvant antimicrobial therapy for every patient are therefore mandatory. For this purpose, knowledge of the spectrum of infecting microorganisms, resistance epidemiology as well as pharmacodynamics and pharmacokinetics of antimicrobial agents are necessary.
Keywords: periprosthetic infection, antibiotics
Citation
Rodloff AC, Dietze N, Roth A: Antibiotics: What’s working, what not? OUP 2017; 12: 615–617 DOI 10.3238/oup.2017.0615–0617
Einführung
Periprothetische Infektionen sind eine gefürchtete Komplikation nach Implantation von Gelenkersatz. Neben chirurgischen Maßnahmen spielen Antibiotika eine wichtige Rolle bei der Prophylaxe und Therapie solcher Komplikationen. Ihr Einsatz bedarf jedoch besonderer Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil verschiedene Antibiotika das Kompartiment Knochen unterschiedlich gut erreichen.
Prophylaxe
Infektionsraten nach primären Implantationen von Hüft- bzw. Knieendoprothesen werden meist mit deutlich unter 5 % angegeben. Dies macht klinische Studien zur Effektivität von unterschiedlichen Prophylaxeverfahren schwierig. Die AWMF-Leitlinie zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe [2] sieht jedoch eine entsprechende Indikation „bei Gefäß- und Gelenkimplantaten“ sowie bei „Osteosynthese“ vor. Die Leitlinie empfiehlt den Einsatz von „bakterizid wirksamen, nebenwirkungsarmen und kostengünstigen Antibiotika“. Weiterhin „sollte nur das Spektrum der zu erwartenden Mikroorganismen in Abhängigkeit vom Operationsfeld und seiner unmittelbaren Haut- und Schleimhautumgebung … erfasst werden.“ In Deutschland wird seit vielen Jahren Cefazolin (1x 2 g) bzw. Cefuroxim (1x 1,5 g) zur Prophylaxe bei Gelenkimplantationen eingesetzt. Dies entspricht einer Empfehlung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft [19]. Diese Empfehlung wurde auch von den Mitarbeitern eines Internationalen Konsensusmeetings in Philadelphia [13] geteilt, die sich dabei auf eine Studie von Hill et al. [8] aus dem Jahr 1981 bezogen. Eine Prophylaxe mit Vancomycin oder Teicoplanin wurde nur für Patienten mit MRSA-Besiedlung vorgesehen.
Die genannten Empfehlungen zur Prophylaxe scheinen nicht mehr zeitgemäß zu sein. Epidemiologische Auswertungen [15, 21] zeigen, dass mittlerweile sogenannte Koagulase-negative Staphylokokken häufiger als Staphylococcus aureus oder andere Bakterienspezies als Erreger von periprothetischen Infektionen in Erscheinung treten. Diese Erreger sind zu mehr als 70 % resistent gegenüber ß-Laktamantibiotika. Auf die entsprechenden Folgen wiesen Peel et al. [14] bereits 2012 hin. Sie berichteten, dass bei 163 Infektionsfällen in 63 % Mikroorganismen gefunden wurden, die gegen Cefazolin resistent waren. In einer großen retrospektiven Analyse konnten Tan et al. [16] zeigen, dass Patienten die aufgrund einer ß-Laktam-Allergie Vancomycin statt Cefazolin als Prophylaxe erhielten, keineswegs höhere Infektionsraten hinnehmen mussten (adjusted odds ratio = 0,98, confidence interval 0,67–1,43). Das Spektrum der Erreger war jedoch verändert. Im Vergleich zur Cefazolin-Prophylaxe wurden nach Vancomycin-Gabe mehr Infektionen mit gramnegativen und weniger mit grampositiven Bakterien beobachtet. Ebenfalls retrospektiv untersuchten Tornero et al. [17] 2 Zeitperioden: Eine erste, in der zunächst 995 Patienten eine Prophylaxe mit Cefuroxim erhielten und eine spätere, in der den 791 Patienten zusätzlich Teicoplanin verabreicht wurde. Patienten, die zusätzlich Teicoplanin erhielten, zeigten eine signifikant geringere Infektionsrate (1,26 % versus 3,51 %; p = 0,002). Der Unterschied beruhte auf einer geringeren Anzahl von Infektionen mit grampositiven Erregern. Es wäre wünschenswert, wenn diese Ergebnisse durch größere prospektive Studien abgesichert würden.
Bezüglich der Dauer der Prophylaxe weisen Daten des Norwegian Arthroplasty Register darauf hin, dass 3- bis 4-malige Applikationen der Antibiotika innerhalb von 24 Stunden der Einmalgabe überlegen sind [6].
Therapie
Es gibt eine Vielzahl von Empfehlungen hinsichtlich geeigneter Antibiotika zur Therapie von periprothetischen Infektionen. So publizierte u.a. die Infectious Diseases Society of America detaillierte Hinweise, wie verschiedene Erregerspezies behandelt werden sollten [12]. Solche Empfehlungen müssen jedoch mit dem für den tatsächlich zu behandelnden Erreger erhobenen Antibiogramm abgeglichen werden. Zu diesem Zweck sollten nicht nur Beurteilungen (sensibel, intermediär, resistent) zur Verfügung stehen, sondern darüber hinaus die ermittelten Werte der minimalen Hemmkonzentrationen (MHK) bekannt sein. Bei der folgenden Auswahl eines Antibiotikums sind die MHK-Werte in Beziehung zu den jeweiligen pharmakokinetischen Eigenschaften der Substanz zu setzen. Eine umfassende Übersicht über die Knochengängigkeit verschiedener Antibiotika findet sich bei Landersdorfer et al. [10]. Aufgrund der dort zusammengestellten Daten kann davon ausgegangen werden, dass mit einer oralen Cephalosporin-Therapie keine hinreichenden Knochenspiegel erzielt werden können. Andererseits können nach einer initialen i.v.-Therapie Substanzen wie Rifampicin, Linezolid und Chinolone aufgrund ihrer guten Bioverfügbarkeit auch oral appliziert werden. Rifampicin ist durch eine schnelle Resistenzentwicklung der Bakterien unter Therapie belastet und sollte daher nur in Kombinationen eingesetzt werden. Dabei ist eine Kombination mit Linezolid aufgrund möglicher Interaktionen zu vermeiden [4].
Die Dauer der Antibiotikatherapie wird kontrovers diskutiert. In einer viel beachteten retrospektiven Studie konnten Laffer et al. [9] unter Einschluss von insgesamt 35 Patienten mit Infektionen einer Kniegelenktotalendoprothese zeigen, dass mehr als 6-monatige Antibiotikatherapie einer 3- bis 6-monatigen Therapie nicht überlegen ist. Seither wurde mit einer Reihe von Studien belegt, dass auch kürzere Therapiedauern [3, 11] erfolgreich sind. Bei der Internationalen Konsensuskonferenz [13] bestand starkes Einvernehmen (93 % Zustimmung), dass die antibiotische Therapie für die Dauer von 2–6 Wochen durchgeführt werden sollte. Whittaker et al. [20] berichteten über erfolgreiche 2-wöchige Therapien bei Patienten mit grampositiven Infektionserregern. Diese Patienten wurden allerdings gleichzeitig mit Vancomycin und Gentamicin beladenen Spacern versorgt (2-zeitiger Wechsel). Bei der Bestimmung der Therapiedauer darf nicht vergessen werden, dass längere Antibiotikagaben schwere unerwünschte Wirkungen induzieren können [18].
Lokale Antibiotika-
Applikation
Die Ergänzung der systemischen Antibiotikaprophylaxe und -therapie durch eine lokale Applikation wird seit Jahrzehnten praktiziert und erwies sich in einer Reihe von Studien als vorteilhaft. Dazu stehen eine Reihe von Fertigprodukten wie z.B. mit Antibiotika beaufschlagter Knochenzement oder antibiotikahaltige Kollagenschwämme [1, 7] zur Verfügung. Für viele dieser Produkte sind die Freisetzungskinetiken der entsprechenden Antibiotika bekannt. Dies gilt nicht in gleicher Weise für das direkte Einbringen von Antibiotikalösungen oder Pulver. Eine solche Vorgehensweise sollte daher auch wegen möglicher unerwünschter Wirkungen vermieden werden. Mittlerweile werden auch Antibiotikakombinationen mit entsprechend erweiterter Wirkung lokal eingesetzt [5].
Fazit
Infektionen von Endoprothesen stellen weiterhin eine medizinische Herausforderung dar. Die adjuvante Applikation von Antibiotika ist ein Eckpfeiler der Behandlungsstrategie. Sie sollte durch eine gute Zusammenarbeit zwischen orthopädischer Chirurgie und klinischer Mikrobiologie für jeden einzelnen Patienten optimiert werden.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Arne C. Rodloff
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie
Universitätsklinikum Leipzig AöR
Liebigstraße 21
04103 Leipzig
acr@medizin.uni-leipzig.de
Literatur
1. Anagnostakos K, Meyer C: Antibiotic Elution from Hip and Knee Acrylic Bone Cement Spacers: A Systematic Review. Biomed Res Int. 2017; 2017:4657874
2. Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF: Perioperative Antibiotikaprophylaxe. 2012 AWMF-Register Nr. 029/022
3. Bernard L, Legout L, Zürcher-Pfund L et al.: Six weeks of antibiotic treatment is sufficient following surgery for septic arthroplasty. J Infect. 2010; 61: 125–32
4. Blassmann U, Roehr AC, Frey OR et al.: Decreased Linezolid Serum Concentrations in Three Critically Ill Patients: Clinical Case Studies of a Potential Drug Interaction between Linezolid and Rifampicin. Pharmacology. 2016; 98: 51–5
5. Eick S, Hofpeter K, Sculean A et al.: Activity of Fosfomycin- and Daptomycin-Containing Bone Cement on Selected Bacterial Species Being Associated with Orthopedic Infections. Biomed Res Int. 2017; 2017: 2318174
6. Engesaeter LB, Lie SA, Espehaug B, Furnes O, Vollset SE, Havelin LI: Antibiotic prophylaxis in total hip arthroplasty: effects of antibiotic prophylaxis systemically and in bone cement on the revision rate of 22,170 primary hip replacements followed 0–14 years in the Norwegian Arthroplasty Register. Acta Orthop Scand. 2003; 74: 644–51
7. Ferguson J, Diefenbeck M, McNally M: Ceramic Biocomposites as Biodegradable Antibiotic Carriers in the Treatment of Bone Infections. J Bone Jt Infect. 2017; 2: 38–51
8. Hill C, Flamant R, Mazas F, Evrard J: Prophylactic cefazolin versus placebo in total hip replacement. Report of a multicenter double-blind randomized trial. Lancet 1981; 1(8224): 795–96
9. Laffer RR, Graber P, Ochsner PE, Zimmerli W: Outcome of prosthetic knee-associated infection: evaluation of 40 consecutive episodes at a single centre. Clin Microbiol Infect. 2006; 12: 433–9
10. Landersdorfer CB, Bulitta JB, Kinzig M, Holzgrabe U, Sörgel F: Penetration of antibacterials into bone: pharmacokinetic, pharmacodynamic and bioanalytical considerations. Clin Pharmacokinet. 2009; 48: 89–124
11. Lora-Tamayo J, Euba G, Cobo J et al.: Prosthetic Joint Infection Group of the Spanish Network for Research in Infectious Diseases—REIPI: Short- versus long-duration levofloxacin plus rifampicin for acute staphylococcal prosthetic joint infection managed with implant retention: a randomised clinical trial. Int J Antimicrob Agents. 2016; 48: 310–6
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14. Peel TN, Cheng AC, Buising KL, Choong PF: Microbiological aetiology, epidemiology, and clinical profile of prosthetic joint infections: are current antibiotic prophylaxis guidelines effective? Antimicrob Agents Chemother. 2012 May; 56: 2386–91
15. Schäfer P, Fink B, Sandow D, Margull A, Berger I, Frommelt L: Prolonged bacterial culture to identify late periprosthetic joint infection: a promising strategy. Clin Infect Dis. 2008; 47: 1403–9
16. Tan TL, Springer BD, Ruder JA, Ruffolo MR, Chen AF: Is Vancomycin-only Prophylaxis for Patients With Penicillin Allergy Associated With Increased Risk of Infection After Arthroplasty? Clin Orthop Relat Res. 2016; 474: 1601–6
17. Tornero E, García-Ramiro S, Martínez-Pastor JC et al.: Prophylaxis with teicoplanin and cefuroxime reduces the rate of prosthetic joint infection after primary arthroplasty. Antimicrob Agents Chemother. 2015; 59: 831–7
18. Valour F, Karsenty J, Bouaziz A et al.: Lyon BJI Study Group: Antimicrobial-related severe adverse events during treatment of bone and joint infection due to methicillin-susceptible Staphylococcus aureus. Antimicrob Agents Chemother. 2014; 58: 746–55
19. Wacha H, Hoyme U, Isenmann R et al.: Perioperative Antibiotikaprophylaxe. Chemother J 2010; 19: 70–84
20. Whittaker JP, Warren RE, Jones RS, Gregson PA: Is prolonged systemic antibiotic treatment essential in two-stage revision hip replacement for chronic Gram-positive infection?J Bone Joint Surg Br. 2009; 91: 44–51
21. Zajonz D, Wuthe L, Rodloff AC et al.: Infections of hip and knee endoprostheses. Spectrum of pathogens and the role of multiresistant bacteria].Chirurg. 2016; 87: 332–9
Fussnoten
* Aus der Sektion Knochen- und Weichteilinfektionen der DGOU
1 Zentrum für Infektionsmedizin, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Universitätsklinikum Leipzig
2 Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie, Bereich Endoprothetik/Orthopädie, Universitätsklinikum Leipzig