Übersichtsarbeiten - OUP 04/2021

Antikörpertherapie bei Arthrose?

NGF ist auch erhöht bei durch Nervenläsion induzierten experimentellen Neuropathiemodellen in Nagern und NGF-Neutralisierung reduzierte die damit verbundene Hyperalgesie. NGF wird auch von Keratinozyten und Schwannzellen in distalen Segmenten verletzter Nerven sezerniert [19].

Krebserkrankungen

Schließlich können Krebszellen (Prostata, Brust) NGF sezernieren [19]. NGF and proNGF stimulieren das Brustkrebszellwachstum und das Aussprossen von Nervenfasern [19]. NGF-Blockade kann die Tumorproliferation und die Nozizeption bei menschlichem Mundkrebs reduzieren. Im Tierexperiment wurden Schmerzen durch Anti-NGF-Antikörper reduziert und im Knochenkrebsmodell der Maus wurde das Aussprossen von Nervenfasern abgeschwächt [19].

Präklinische Studien zur
Behandlung von
Arthroseschmerzen mit NGF-Blockade

In präklinischen Arthrosemodellen linderte die NGF-Neutralisation die Hyperalgesie. Verwendet wurden hierbei das „MIA-Modell“ und chirurgische Modelle. Im „MIA-Modell“ wird Monoiodacetat in das Knielegelenk injiziert. Es „vergiftet“ die Chondrozyten und erzeugt innerhalb von Wochen ein arthroseähnliches Bild. Obwohl das MIA-Modell nicht der langsam entstehenden Arthrose des Menschen entspricht, eignet es sich für die Untersuchung von Schmerzmechanismen. Bei den chirurgischen Modellen wird die Arthrose durch Meniskustransektion erzeugt. Sie entspricht eher der menschlichen posttraumatischen Arthrose [9].

Im MIA-Modell der Ratte reduzierte ein Antikörper gegen NGF bei wöchentlicher systemischer Gabe sowohl präventiv als auch therapeutisch das Schmerzverhalten, ohne dabei die Synovitis und die Knorpelschädigung zu beeinflussen [28]. Allerdings verminderte der Antikörper die Zahl TRAP-positiver Osteoklasten im subchondralen Knochen [28]. Im MIA-Modell der Maus reduzierte die wöchentliche Gabe eines Antikörpers gegen NGF das pathologische Bewegungsmuster und die Hochregulation von CGRP in Hinterwurzelganglien [18]. Auch weitere Untersuchungen zeigten eine Schmerzlinderung durch einen Antikörper gegen NGF, ohne die Gelenkpathologie zu beeinflussen [11]. Auch der TrkA-Hemmer AR786 wirkte im MIA-Modell und im chirurgisch induzierten Arthrosemodell sowohl präventiv als auch therapeutisch schmerzlindernd [20]. Auch AR876 hatte keinen Effekt auf die Chondropathie, reduzierte aber leicht die Synovitis im MIA-Modell, jedoch nicht im chirurgischen Modell [20]. Allerdings verminderte AR786 in einem akuten Entzündungsmodell (Carrageenan) auch die Entzündung, ebenso wie Ibuprofen [2]. Dagegen reduzierte ein Antikörper gegen NGF bei CFA-induzierter chronischer Polyarthritis die Hyperalgesie und die Kachexie, aber im Gegensatz zu Indomethacin nicht den Arthritisprozess [25].

Zusammengefasst zeigten alle präklinischen Studien eine schmerzlindernde Wirkung der NGF-Neutralisation und/oder der Hemmung des TrkA-Rezeptors. Bemerkenswert ist der sehr unterschiedliche Effekt auf den Krankheitsprozess. In den Arthrosemodellen wurde eher kein Einfluss auf die Pathologie gefunden, während in einem Teil der Entzündungsmodelle auch ein antiinflammatorischer Effekt festzustellen war. Eine schmerzlindernde Wirkung wurde auch bei experimentellen Tumormodellen gefunden [19].

Besonders erwähnenswert ist eine Studie von LaBranche et al. [15]. Angeregt durch den klinischen Befund einer schnell progressiven Arthrose im Rahmen einer Anti-NGF-Therapie des Menschen (s.u.), wurde die Wirksamkeit von Tanezumab im chirurgischen Arthrosemodell der Ratte untersucht. Frühe Gabe von Tanezumab verhinderte die Schmerzhaftigkeit nach der Operation, verschlimmerte allerdings die Knorpelschädigung. Bei späterem Beginn der Tanezumabtherapie wurde keine Verschlimmerung der Knorpelschädigung gefunden. Es wurde daher gefolgert, dass die Knorpelschädigung durch Tanezumab bei früher Gabe nicht durch den Antikörper bedingt ist, sondern durch die erhöhte Belastung des Gelenks, weil das Gelenk wegen der Schmerzlinderung durch Tanezumab nicht geschont wurde. In Tibia-amputierten Ratten erzeugte Tanezumab keine Knorpelschädigung, was ebenfalls als Hinweis darauf gewertet wurde, dass eine inadäquate Belastung und nicht der Antikörper die Knorpelschädigung verursacht [15].

Klinische Studien mit
Antikörpern gegen NGF
zur Schmerztherapie

Klinisch erprobt wurden Antikörper gegen NGF bei Arthoseschmerzen, chronischen unspezifischen Rückenschmerzen, Neuropathieschmerzen, Krebsschmerzen und urologischen Schmerzen. Die folgenden Abschnitte fassen die Resultate zusammen.

Arthroseschmerzen

Eine 2010 publizierte Arbeit [16] markiert den Anfang des Einsatzes von monoklonalen Antikörpern in der Schmerztherapie. Berichtet wurde, dass die systemische Gabe von Tanezumab in Patienten mit mittlerer bis schwerer Arthrose des Kniegelenks zu einer signifikanten Abnahme der Schmerzen führte. Nach einmaliger systemischer Gabe des Antikörpers waren bereits in der ersten Woche die Schmerzen beim Gehen auf einer flachen Oberfläche signifikant geringer. Die Schmerzlinderung setzte sich über 8 Wochen fort. Eine weitere Injektion von Tanezumab nach 8 Wochen verstärkte den schmerzlindernden Effekt geringgradig weiter. Nach 16 Wochen war eine stabile Schmerzlinderung zu verzeichnen. Insgesamt war der Effekt deutlich stärker als der Placeboeffekt (dieser bewirkte –16 Punkte „mean change from baseline“ nach 16 Wochen, auf einer Skala von 0–100) und dosisabhängig. Eine Tanezumabdosis von 10 µg/kg bewirkte –30 Punkte „mean change from baseline“, 25 µg/kg bewirkten –36 Punkte, 50 µg/kg –29 Punkte, 100 µg/kg erzielten –40 Punkte und 200 µg/kg bewirkten –44 Punkte „mean change from baseline“.

Jedoch wurde bald nach dieser erfolgversprechenden klinischen Studie die weitere klinische Prüfung an Patienten mit Arthrose in den Jahren 2010–2015 von der amerikanischen FDA gestoppt, weil bei einigen Patientien während der Therapie rapide Arthroseverschlechterungen beobachtet wurden. Da sich zunächst kein kausaler Zusammenhang mit der Gabe des Antikörpers sichern ließ, wurden weitere klinische Studien erlaubt. Letztlich war die Komplikation der raschen Gelenkdestruktion dann doch der Grund, weshalb die amerikanische FDA im März 2021 dem monoklonalen Antiköper Tanezumab der Firma Pfizer die Zulassung für die Behandlung von Arthroseschmerzen versagte (s.u.).

Nach Aufhebung des Verbotes wurden zahlreiche weitere Studien zur Wirksamkeit der NGF-Neutralisation durchgeführt. Eine Metaanalyse von Schnitzer und Marks [24] berichtete über 13 Studien an Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Arthrose von Knie- und Hüftgelenk (10 Studien mit Tanezumab, 2 Studien mit Fulranumab, eine Studie mit Fasinumab) an mehr als 8600 Teilnehmern, über eine Zeit von 8–32 Wochen. Bannwarth und Kostine [5] fassten die wesentlichen Ergebnisse aus den klinischen Phase 2– und Phase 3-Studien zusammen. Das Hauptergebnis war, dass die Antikörper gegen Arthroseschmerz in Knie und Hüfte wirksam sind. Alle 3 Antikörper gegen NGF zeigten einen größeren analgetischen Effekt als Placebo [5, 24]. Auch die “WOMAC physical function“ und die globale Beurteilung durch die Patienten zeigten eine signifikante Verbesserung [24]. Im Schnitt war der analgetische Effekt etwas größer als der einer konventionellen Schmerztherapie [23].

Chronischer unspezifischer
Rückenschmerz
(chronic low back pain)

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