Übersichtsarbeiten - OUP 04/2021

Antikörpertherapie bei Arthrose?

Eine Proof-of-concept-Studie an 217 Patienten mit chronischem unspezifischem Rückenschmerz ohne Radikulopathie über 12 Wochen ergab eine höhere Wirksamkeit von Tanezumab als von Naproxen und beide Therapien waren effektiver als Placebo. Tanezumab wurde in einer Dosis von 200 µg/kg einmalig intravenös infundiert, Naproxen wurde über 12 Wochen mit zweimal täglich 500 mg verabreicht. Nach Woche 6 betrug die Schmerzlinderung auf einer Skala von 0–10 bei Tanezumab –3,37 Punkte, bei Naproxen –2,54 Punkte und bei der Placebogruppe –1,96 Punkte [12]. In einer Phase 2-Studie an 1347 Patienten wurde Tanezumab in einer intravenösen Dosis von 5 mg, 10 mg oder 20 mg alle 8 Wochen gegeben, und andere Patienten erhielten zweimal täglich 500 mg Naproxen. Die Tanezumab-Dosen 10 und 20 mg erzeugten nach 16 Wochen stärkere analgetische Effekte als Naproxen und Placebo, nicht dagegen die Tanezumabdosis 5 mg [13]. Die Responder-Rate bei 10 und 20 mg Tanezumab betrug ca. 30 % und war größer als die von Naproxen und Placebo [13]. Eine Phase 2-Studie mit Fulranumab (1–10 mg alle 4 Wochen) war nicht besser als Placebo nach 12 Wochen [22]. In Patienten mit akuten Ischiasschmerzen war Fasinumab nicht besser wirksam als Placebo [26]. In einer unvollständigen Studie war Fasinumab offensichtlich wirksamer als Placebo. Zusammenfassend schlussfolgerten Bannwarth und Kostine [5], dass nur hohe Dosen von Tanezumab gegen unspezifische Rückenschmerzen wirksam sind.

Periphere neuropathische Schmerzen

Tanezumab war nicht besser wirksam als Placebo bei postherpetischer Neuralgie, aber es war wirksamer als Placebo bei diabetischer peripherer Neuropathie. Auch Fulranumab war besser als Placebo bei diabetischer Neuropathie, dagegen nicht bei postherpetischer oder posttraumatischer Neuropathie. Möglicherweise spielt die unterschiedliche Pathophysiologie dieser Neuropathieformen eine Rolle [5].

Andere Schmerzen

Bei Krebsschmerzen (metastatische Knochenschmerzen) und urologischen chronischen Pelvisschmerzen (Blasenschmerz, Prostatitis etc.) konnten bisher keine eindeutigen und klinisch relevanten schmerzlindernden Effekte dokumentiert werden, obwohl einige positive Effekte beschrieben wurden. Nach Bannwarth und Kostine [5] wurde bisher keine klare Wirksamkeit bei Krebsschmerz und chronischen urologischen Schmerzsyndromen gefunden.

Probleme mit der
Anti-NGF-Therapie

Eine Übersicht von Schmelz et al. [23] stellt die Probleme zusammen, die im Zusammenhang mit der Neutralisierung von NGF durch Antikörper berichtet wurden.

Die wichtigste Komplikation ist die rasch progressive Osteoarthrose (RPOA). Sie ist gekennzeichnet durch Schmerzen, rasche Gelenkspaltverschmälerung und starke atrophische Knochenveränderungen mit Zusammenbruch wenigstes einer subchondralen Fläche innerhalb eines Jahres. Der Grad der Zerstörung geht über den der Endstadiumarthrose hinaus und das befallene Gelenk muss ersetzt werden. Die Ursache für die RPOA ist unklar. Diskutiert werden eine neuropathische Arthropathie (Nervenschädigung mit Verlust der protektiven Schmerzempfindung), eine analgetische Arthropathie (Überbeanspruchung des Gelenks wegen der Analgesie) und vorexistierende Knochenintegritätsstörungen, die durch die analgesiebedingte mechanische Überlastung akzentuiert werden. Da mit dem Antikörper behandelte Patienten offensichtlich keinen Verlust protektiver Schmerzhaftigkeit beklagen, werden die neuropathische Arthropathie und die analgetische Arthropathie für unwahrscheinlich gehalten. Diskutiert wird ferner, dass NGF eine Rolle bei der „Knorpelreparatur“ und bei der belastungsinduzierten Knochenbildung spielen könnte und dass diese Prozesse durch den Antikörper eingeschränkt werden. Spekuliert werden kann, ob eine funktionell relevante Kommunikation zwischen sensorischen Nervenfasern und Osteoblasten gestört sein könnte. Allerdings haben hohe Dosen des Antikörpers in gesunden Knochen und Gelenken von Ratten, Mäusen und Affen keine adversiven Effekte erzeugt. Als Risikofaktoren für die Entwicklung einer RPOA wurden höhere Antikörperdosen, langdauernde Therapie, gleichzeitige NSAID-Applikation und vorbestehende subchondrale Frakturen identifiziert.

Weitere Nebenwirkungen waren sensorische Störungen in 5–10 % der Patienten, die meistens transient, mild bis mäßig in der Intensität waren und selten zum Abbruch der Studie führten. Berichtet wurden Arthralgien, Extremitätenschmerz, Parästhesien und Hypoästhesien und Ödeme. Die Abbruchrate war kaum höher als in der Placebogruppe, und wurde besonders bei den hohen Antikörperdosen berichtet. Einige Patienten berichteten über das Entstehen oder das Verschlechtern von Neuropathien.

Bei Affen wurden anatomische Veränderungen im sympathischen Nervensystem beobachtet, jedoch konnte keine toxische Störung der Sympathikusfunktion festgestellt werden. Dennoch wurde empfohlen, Patienten mit Verdacht auf sympathische Funktionsstörungen auszuschließen.

Letztlich kam es, wie oben angedeutet, zu einer Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Therapie von Arthoseschmerzen mit Tanezumab1. Mitglieder des Arthritis Advisory Committee (ACC) und des Drug Safety and Risk Management Advisory Committee (DSaRM) der FDA stellten fest, dass nach klinischen Daten Patienten mit Osteoarthrose von Tanezumab profitieren können, dass aber das damit assoziierte Risiko einer rasch progredienten Osteoarthrose (rapidly progressing osteoarthritis, RPOA) und andere Sicherheitsbedenken trotz der vorgeschlagenen Sicherheitsmaßnahmen zu groß seien. Im Einzelnen wurden folgende Argumente ins Feld geführt: Die klinische Effizienz sei vergleichbar der bereits existierender Therapien, sie sei nicht besser als die Einnahme von Aspirin oder Ibuprofen. Die Therapie würde den totalen Gelenkersatz weder vermeiden noch hinauszögern. Der Effekt sei minimal besser als der von Placebo und das Risikoprofil sei größer als von Placebo und existierenden Therapien. Die Therapie stelle ein Risiko für irreverible Schädigung von „Nicht Target-Gelenken“ dar.

Um das Risiko für eine RPOA zu vermindern, wurde von Pfizer nur der Einsatz der niedrigsten getesteten Dosis von 2,5 mg, subkutan alle 8 Wochen, beantragt. Außerdem wurde für die Studien nach 2015 eine „Risk Evaluation and Mitigation Strategy“ (REMS) vorgeschlagen. Diese sah jährliche Röntgenkontrollen von Knie- und Hüftgelenken vor, den Ausschluss von Patienten mit anderen vorbestehenden Gelenkerkrankungen und die Begrenzung auf Patienten mit schwerer Arthrose und fehlendem Ansprechen auf andere Analgetika. Diese Maßnahmen wurden als ungenügend bewertet, besonders weil RPOA auch in gesunden Gelenken auftreten kann und weil die Beurteilung der Röntgenbilder (Messung der Gelenkspaltweite, Festlegung eindeutiger Kriterien, schlechte Übereinstimmung mit klinischen Daten etc.) nicht unstrittig sei. Außerdem seien keine frühen Zeichen einer RPOA und keine Ursachen für RPOA benannt worden. Auch seien Fragen zu anderen Langzeitnebenwirkungen (z.B. Neuropathie) unbeantwortet geblieben. Es wurden nach einer Tanezumabdosis von 2,5 mg 2,4 schwerwiegende Ereignisse pro 100 Patienten erwartet. Außerdem sei das Risiko für eine RPOA zwei- bis dreimal größer, wenn Tanezumab mit NSAIDs kombiniert werde, und das Risiko für einen Gelenktotalersatz sei in 2 von 3 Studien erhöht gewesen. Bei Dosen von Tanezumab höher als 2,5 mg sei das Risiko noch größer.

Fazit

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