Arzt und Recht - OUP 11/2014
Arzthaftung – ein Update nach dem Patientenrechtegesetz*
Christoph Osmialowski, Karlsruhe1
Fast genau ein Jahr ist es her, dass das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten ist. Im Mittelpunkt der Diskussionen zu den Gesetzentwürfen standen insbesondere die Ergänzungen des BGB, die die Arzthaftung betreffen. Letztendlich hieß es in Gesetzestext und -begründung, es würden „im Wesentlichen“ die bisherigen Grundsätze der Rechtsprechung zu Arzthaftpflichtsachen kodifiziert. Recherchiert man in den einschlägigen Datenbanken der Rechtsprechung, ergeben sich (noch) keine wesentlichen Erkenntnisse zum“richtigen“ Verständnis des Gesetzestextes. In einigen Punkten ergibt sich jedoch bereits aus dem Wortlaut des Gesetzestextes neues Recht. Es gibt aber auch einige Punkte, die nach der Verwirrung, die der Gesetzgeber mit seinem Gesetzesprojekt gestiftet hat, wieder ins Gedächtnis gerufen werden müssen. Diesen Umstand nimmt der Autor zum Anlass, anhand des Behandlungsverlaufes die wesentlichen Haftungsrisiken aufzuzeigen und – selbstverständlich auch unter Berücksichtigung des Patientenrechtegesetzes – Hinweise für die Praxis zu geben.
Bindung an den Behandlungsvertrag
Die durch das Patientenrechtegesetz in das BGB aufgenommenen neuen §§ 630a–630h definieren ausschließlich die sich aus dem Behandlungsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten. An diese Rechte und Pflichten sind lediglich die Vertragsparteien gebunden. Ärztinnen und Ärzte sind demnach an diese Pflichten nicht unmittelbar gebunden, wenn sie nicht auch auf der Behandlungsseite Vertragspartner des Patienten sind.
Dass ein Anderer Vertragspartner des Patienten ist, kann gerade bei Tätigkeit als angestellter Arzt beispielsweise im Krankenhaus oder im krankenhauseigenen MVZ der Fall sein: Im MVZ kommt der Behandlungsvertrag ausschließlich mit dem Träger des MVZ zustande und nicht mit den in dem MVZ tätigen angestellten Ärztinnen und Ärzten. Im vor- und nachstationären ambulanten Bereich gemäß § 115a SGB V sowie bei ambulanten Operationen gemäß § 115b SGB V ist der Krankenhausträger selbst der Vertragspartner des Patienten. Im stationären Bereich liegt zumeist ein totaler Krankenhausvertrag vor, demgemäß allein der Krankenhausträger Vertragspartner des Patienten ist.
Gleichwohl sind Ärztinnen und Ärzte auch in den Fällen, in denen sie nicht selbst Partner des Behandlungsvertrages sind, als angestellte Ärzte zumindest mittelbar über ihren Arbeitsvertrag an die vertraglichen Pflichten gebunden – jedoch mit einem anderen Haftungsmaßstab: Sie agieren dann als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers gemäß § 278 BGB, sodass ihre Verstöße gegen die Pflichten aus dem Behandlungsvertrag dem Arbeitgeber zugerechnet werden. Der Patient könnte die Ärztinnen und Ärzte zwar nicht direkt aus dem Behandlungsvertrag in Anspruch nehmen, sondern muss sich an den Krankenhausträger halten. Dieser könnte aber bei seinen angestellten Ärztinnen und Ärzten Regress wegen einer Verletzung des Arbeitsvertrages nehmen. Dann greifen aber die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung, sodass die Ärztinnen und Ärzte anders als der Vertragspartner des Behandlungsvertrages in der Regel lediglich grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz zu vertreten haben. Daneben gelten aber auch noch die deliktsrechtlichen und berufsrechtlichen Pflichten. Dies bedeutet insbesondere, dass der Patient seine behandelnden Ärztinnen und Ärzte wegen Pflichtverletzungen bei der Behandlung unmittelbar aus § 823 BGB in Anspruch nehmen kann (deliktische Haftung).
Es gibt zudem Konstellationen, in denen angestellte Ärztinnen und Ärzte selbst Partner des Behandlungsvertrages sind: Im Krankenhaus kommt im Bereich (stationärer) wahlärztlicher Leistungen in der Regel ein Krankenhausvertrag mit Wahlleistungsvereinbarung zustande. Die Chefarztbehandlung wird als besonders zu vergütende Wahlleistung vereinbart. Zwischen den Chefärztinnen/-ärzten und dem Patienten kommt zusätzlich ein eigenständiger Behandlungsvertrag hinsichtlich der ärztlichen Wahlleistung zustande. In der Ermächtigungsambulanz bzw. Privatambulanz kommt der Behandlungsvertrag im Zweifel ebenfalls mit den Chefärzten zustande, wenn diese zur Abrechnung der erbrachten ambulanten Leistungen nach den gesetzlichen Regelungen berechtigt sind.
Allgemeine Pflichten aus
dem Behandlungsvertrag
Sobald eine Ärztin/ein Arzt dem Patienten die Hand geschüttelt und mit diesem geklärt hat, dass der Patient behandelt werden soll, ist der formfreie Behandlungsvertrag geschlossen. Ab diesem Moment bestehen sämtliche Pflichten, die der Gesetzgeber mit dem Patientenrechtegesetz in das Gesetz geschrieben hat: Gemäß § 630a Abs. 1 BGB hat der „Behandelnde“ die Behandlung zu erbringen. Diese Pflicht hat die Ärztin/der Arzt gemäß § 613 BGB „im Zweifel in Person“ zu erfüllen. Was in diesen Wörtchen „im Zweifel“ abrechnungstechnisch steckt (Abrechenbarkeit von Vertreterleistungen), ist nicht Thema dieses Aufsatzes und bleibt deshalb an dieser Stelle ohne tiefergehende Ausführungen. Festgehalten soll aber sein, dass Vertretung nur in den (im vertragsärztlichen Bereich besonders engen) erlaubten Grenzen erfolgen darf, um die Abrechenbarkeit nicht zu gefährden und keine Strafbarkeitsrisiken (Abrechnungsbetrug) einzugehen.
Die Ärztin/der Arzt hat gemäß § 630a BGB die „versprochene“ Behandlung zu leisten. Was das konkret ist, steht zumeist bei Abschluss des Behandlungsvertrages noch gar nicht fest. Zumindest ist jedoch mit der formlosen Übernahme der Behandlung die fachgerechte Anamnese, Untersuchung, Diagnostik und die ggf. erforderliche Therapie versprochen.
Aufklärungspflichten
Grundsätze
Bekanntermaßen sind Ärztinnen und Ärzte (bereits seit einer Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 18942) allesamt bei der Berufstätigkeit tatbestandsmäßige – wenn auch heilende – Straftäterinnen und -täter einer vorsätzlichen Körperverletzung. Diese Körperverletzung wird erst durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt und auch nur dann, wenn die Behandlung nicht trotzdem gegen die guten Sitten verstößt, § 228 StGB.
Aber nicht nur das: Entsprechend dem sich seit 1949 aus Art. 1 und 2 Grundgesetz ergebenden Selbstbestimmungsrecht des sog. „mündigen Patienten“ hängt die Wirksamkeit der rechtfertigenden Einwilligung ganz entscheidend von der zuvor durchgeführten Aufklärung ab. Der „mündige“ Patient ist letztendlich eine Fiktion. Der Patient ist nur so mündig, wie er von der Ärztin/dem Arzt mündig gemacht worden ist.