Arzt und Recht - OUP 11/2014
Arzthaftung – ein Update nach dem Patientenrechtegesetz*
Christoph Osmialowski, Karlsruhe1
Fast genau ein Jahr ist es her, dass das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten ist. Im Mittelpunkt der Diskussionen zu den Gesetzentwürfen standen insbesondere die Ergänzungen des BGB, die die Arzthaftung betreffen. Letztendlich hieß es in Gesetzestext und -begründung, es würden „im Wesentlichen“ die bisherigen Grundsätze der Rechtsprechung zu Arzthaftpflichtsachen kodifiziert. Recherchiert man in den einschlägigen Datenbanken der Rechtsprechung, ergeben sich (noch) keine wesentlichen Erkenntnisse zum“richtigen“ Verständnis des Gesetzestextes. In einigen Punkten ergibt sich jedoch bereits aus dem Wortlaut des Gesetzestextes neues Recht. Es gibt aber auch einige Punkte, die nach der Verwirrung, die der Gesetzgeber mit seinem Gesetzesprojekt gestiftet hat, wieder ins Gedächtnis gerufen werden müssen. Diesen Umstand nimmt der Autor zum Anlass, anhand des Behandlungsverlaufes die wesentlichen Haftungsrisiken aufzuzeigen und – selbstverständlich auch unter Berücksichtigung des Patientenrechtegesetzes – Hinweise für die Praxis zu geben.
Bindung an den Behandlungsvertrag
Die durch das Patientenrechtegesetz in das BGB aufgenommenen neuen §§ 630a–630h definieren ausschließlich die sich aus dem Behandlungsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten. An diese Rechte und Pflichten sind lediglich die Vertragsparteien gebunden. Ärztinnen und Ärzte sind demnach an diese Pflichten nicht unmittelbar gebunden, wenn sie nicht auch auf der Behandlungsseite Vertragspartner des Patienten sind.
Dass ein Anderer Vertragspartner des Patienten ist, kann gerade bei Tätigkeit als angestellter Arzt beispielsweise im Krankenhaus oder im krankenhauseigenen MVZ der Fall sein: Im MVZ kommt der Behandlungsvertrag ausschließlich mit dem Träger des MVZ zustande und nicht mit den in dem MVZ tätigen angestellten Ärztinnen und Ärzten. Im vor- und nachstationären ambulanten Bereich gemäß § 115a SGB V sowie bei ambulanten Operationen gemäß § 115b SGB V ist der Krankenhausträger selbst der Vertragspartner des Patienten. Im stationären Bereich liegt zumeist ein totaler Krankenhausvertrag vor, demgemäß allein der Krankenhausträger Vertragspartner des Patienten ist.
Gleichwohl sind Ärztinnen und Ärzte auch in den Fällen, in denen sie nicht selbst Partner des Behandlungsvertrages sind, als angestellte Ärzte zumindest mittelbar über ihren Arbeitsvertrag an die vertraglichen Pflichten gebunden – jedoch mit einem anderen Haftungsmaßstab: Sie agieren dann als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers gemäß § 278 BGB, sodass ihre Verstöße gegen die Pflichten aus dem Behandlungsvertrag dem Arbeitgeber zugerechnet werden. Der Patient könnte die Ärztinnen und Ärzte zwar nicht direkt aus dem Behandlungsvertrag in Anspruch nehmen, sondern muss sich an den Krankenhausträger halten. Dieser könnte aber bei seinen angestellten Ärztinnen und Ärzten Regress wegen einer Verletzung des Arbeitsvertrages nehmen. Dann greifen aber die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung, sodass die Ärztinnen und Ärzte anders als der Vertragspartner des Behandlungsvertrages in der Regel lediglich grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz zu vertreten haben. Daneben gelten aber auch noch die deliktsrechtlichen und berufsrechtlichen Pflichten. Dies bedeutet insbesondere, dass der Patient seine behandelnden Ärztinnen und Ärzte wegen Pflichtverletzungen bei der Behandlung unmittelbar aus § 823 BGB in Anspruch nehmen kann (deliktische Haftung).
Es gibt zudem Konstellationen, in denen angestellte Ärztinnen und Ärzte selbst Partner des Behandlungsvertrages sind: Im Krankenhaus kommt im Bereich (stationärer) wahlärztlicher Leistungen in der Regel ein Krankenhausvertrag mit Wahlleistungsvereinbarung zustande. Die Chefarztbehandlung wird als besonders zu vergütende Wahlleistung vereinbart. Zwischen den Chefärztinnen/-ärzten und dem Patienten kommt zusätzlich ein eigenständiger Behandlungsvertrag hinsichtlich der ärztlichen Wahlleistung zustande. In der Ermächtigungsambulanz bzw. Privatambulanz kommt der Behandlungsvertrag im Zweifel ebenfalls mit den Chefärzten zustande, wenn diese zur Abrechnung der erbrachten ambulanten Leistungen nach den gesetzlichen Regelungen berechtigt sind.
Allgemeine Pflichten aus
dem Behandlungsvertrag
Sobald eine Ärztin/ein Arzt dem Patienten die Hand geschüttelt und mit diesem geklärt hat, dass der Patient behandelt werden soll, ist der formfreie Behandlungsvertrag geschlossen. Ab diesem Moment bestehen sämtliche Pflichten, die der Gesetzgeber mit dem Patientenrechtegesetz in das Gesetz geschrieben hat: Gemäß § 630a Abs. 1 BGB hat der „Behandelnde“ die Behandlung zu erbringen. Diese Pflicht hat die Ärztin/der Arzt gemäß § 613 BGB „im Zweifel in Person“ zu erfüllen. Was in diesen Wörtchen „im Zweifel“ abrechnungstechnisch steckt (Abrechenbarkeit von Vertreterleistungen), ist nicht Thema dieses Aufsatzes und bleibt deshalb an dieser Stelle ohne tiefergehende Ausführungen. Festgehalten soll aber sein, dass Vertretung nur in den (im vertragsärztlichen Bereich besonders engen) erlaubten Grenzen erfolgen darf, um die Abrechenbarkeit nicht zu gefährden und keine Strafbarkeitsrisiken (Abrechnungsbetrug) einzugehen.
Die Ärztin/der Arzt hat gemäß § 630a BGB die „versprochene“ Behandlung zu leisten. Was das konkret ist, steht zumeist bei Abschluss des Behandlungsvertrages noch gar nicht fest. Zumindest ist jedoch mit der formlosen Übernahme der Behandlung die fachgerechte Anamnese, Untersuchung, Diagnostik und die ggf. erforderliche Therapie versprochen.
Aufklärungspflichten
Grundsätze
Bekanntermaßen sind Ärztinnen und Ärzte (bereits seit einer Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 18942) allesamt bei der Berufstätigkeit tatbestandsmäßige – wenn auch heilende – Straftäterinnen und -täter einer vorsätzlichen Körperverletzung. Diese Körperverletzung wird erst durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt und auch nur dann, wenn die Behandlung nicht trotzdem gegen die guten Sitten verstößt, § 228 StGB.
Aber nicht nur das: Entsprechend dem sich seit 1949 aus Art. 1 und 2 Grundgesetz ergebenden Selbstbestimmungsrecht des sog. „mündigen Patienten“ hängt die Wirksamkeit der rechtfertigenden Einwilligung ganz entscheidend von der zuvor durchgeführten Aufklärung ab. Der „mündige“ Patient ist letztendlich eine Fiktion. Der Patient ist nur so mündig, wie er von der Ärztin/dem Arzt mündig gemacht worden ist.
Deshalb hat der Gesetzgeber nun auch die Anforderungen und die Wirkung von Aufklärung und Einwilligung in §§ 630d und 630e BGB hineingeschrieben und so ausdrücklich zu vertraglichen Pflichten gemacht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche begründen können.
Aufklärungspflichtiger
bzw. -berechtigter
Die Pflicht zur Aufklärung trifft gemäß § 630e Abs. 1 und 2 BGB den „Behandelnden“. „Behandelnder“ im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB ist der Vertragspartner des Behandlungsvertrages – ggf. also auch der Krankenhausträger, vertreten durch seinen Geschäftsführer. In diesen Fällen greift die in § 630e Abs. 2 BGB enthaltende Ergänzung: „Die Aufklärung muss … durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt;…“. Der Geschäftsführer hat die Aufklärung durch qualifizierte Personen zu gewährleisten.
Dem Wortlaut ist nicht eindeutig zu entnehmen, was die „zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung“ bedeutet. Weist die Vorsilbe „Aus“ darauf hin, dass die Ausbildung im Studium ausreicht (jeder approbierte Arzt) oder muss eine Weiterbildung zum Facharzt/Schwerpunkt abgeschlossen sein? Ist tatsächlich eine praktische Ausbildung (der Arzt muss es selbst können) oder nur die theoretische Ausbildung (der Arzt muss wissen, worauf es ankommt) gemeint?
Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zeigt, dass die theoretische Befähigung ausreichen soll3, auch wenn die praktische Erfahrung für die eigenhändige Durchführung nicht vorhanden ist. Es ist nicht gerechtfertigt, die ordnungsgemäße Aufklärung eines Patienten allein deshalb zu verneinen, weil der Aufklärende eine formelle Qualifikation (Facharztstatus) nicht hatte. Hierbei steht jedoch fest: Wer die Aufklärung übernimmt, ohne diese leisten zu können, haftet für die hieraus entstehenden Schäden aus Übernahmeverschulden.
Chefärztinnen und Chefärzte in Krankenhäusern müssen in jedem Fall nachweisbar durch eigene Kontrolle sicherstellen, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den fachfremden und/oder nachgeordneten Arzt erfolgt ist, da sie für Aufklärungsversäumnisse dieses Arztes wegen ihrer Letztverantwortung ebenfalls haften. Nach der Rechtsprechung des BGH4 hat ein Chefarzt, der die Risikoaufklärung einem nachgeordneten Arzt überlassen hat, darzulegen und zu beweisen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen und zu kontrollieren. Der Irrtum des Chefarztes über die ordnungsgemäße Aufklärung kann nicht die ordnungsgemäße Aufklärung ersetzen. Wenn der Irrtum des Chefarztes jedoch entschuldbar ist, könne die Haftung mangels Verschuldens entfallen. Voraussetzung dafür sei aber wiederum, dass der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht. Diese sei nur dann zu verneinen, wenn der Chefarzt durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sichergestellt hat, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung gewährleistet ist. An diese Kontrollpflicht seien strenge Anforderungen zu stellen. Der Chefarzt müsse beispielsweise darlegen, ob er sich etwa in einem Gespräch mit dem Patienten über dessen ordnungsgemäße Aufklärung vergewissert und/oder in die Krankenakte geschaut hat, ob eine unterzeichnete Einverständniserklärung vorliegt. Um solche Kontrollen beweisen zu können, sollten im Dienste eines intelligenten Beweismanagements entsprechende Notizen – zumindest aber ein Handzeichen der Chefärztin/des Chefarztes – in die Akten genommen werden.
Aufklärungsmodalitäten
Die Aufklärung muss gemäß § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB „so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann“. Dies hängt nach der Rechtsprechung5 ganz wesentlich von der Schwere der Behandlung und insbesondere von der möglichen dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität bei Verwirklichung des aufklärungsbedürftigen Risikos ab. Bei stationären Operationen sind Ärztinnen und Ärzte 24 Stunden vor dem Eingriff auf der sicheren Seite; als Faustregel sollte gelten: Zumindest nicht später als am Vorabend der Operation. Gemäß § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB muss über die „für die Einwilligung wesentlichen Umstände“ aufgeklärt werden. Es folgt im Gesetz eine mit dem Wörtchen „insbesondere“ eingeleitete Aufzählung, die bedeutet, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Letztendlich entscheidet bei der Aufklärung demnach allein der medizinische Sachverstand im Einzelfall, was für die Einwilligung alles wesentlich ist. Als Faustregel dürfte bekannt sein: Über die typischen Risiken ist auch dann aufzuklären, wenn diese sehr selten sind. Formal gilt zum einen, dass die Aufklärung im persönlichen Gespräch – nach § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB „mündlich“ – erfolgen muss. Ein Telefonat reicht nach der Rechtsprechung des BGH6 lediglich in seltenen, einfach gelagerten Ausnahmefällen aus, und auch nur dann, wenn der Patient einverstanden ist. Zudem müsse der Arzt durch persönliche Nachfrage sicherstellen, dass die Aufklärung verstanden wurde und keine Fragen mehr offen sind. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Anästhesist vor einer Leistenhernien-Operation alles richtig gemacht: Er führte zwei Tage vor dem Eingriff eine ca. 15-minütige telefonische Aufklärung durch. Am Morgen vor der Operation erfolgte bei persönlicher Anwesenheit des Arztes die Unterzeichnung der Einwilligungserklärung. Hierbei hatte der Arzt ausdrücklich nochmals Gelegenheit zu Fragen gegeben. Der BGH stellte fest, dass es dem Patienten in solcher Konstellation grundsätzlich unbenommen bleibt, auf einem persönlichen Gespräch zu bestehen.
Neu durch das Patientenrechtegesetz wird die Pflicht begründet, sämtliche Abschriften von Unterlagen, die der Patient im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen, § 630e Abs. 2 Satz 2 BGB:
Es ist keine Erleichterung der mündlichen Aufklärung gewollt. Es geht vielmehr darum, dass der Patient die von ihm unterzeichneten Unterlagen in Kopie zur Verfügung hat. Damit soll Missverständnissen und Beweisschwierigkeiten vorgebeugt werden.
Da in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung von „Durchschrift oder Kopie“ die Rede ist7, sollte von digitaler Aushändigung (E-Mail, Speichermedium) abgesehen werden. Dies gilt zumindest solange, bis eine gerichtliche Klärung erfolgt ist, ob die digitale Aushändigung ausreicht.
Ärztinnen und Ärzte sollten sich den Erhalt der Kopien vom Patienten auf den Unterlagen durch Vermerk mit Datum und Unterschrift quittieren lassen. Andernfalls könnte der Patient sich später in einem Arzthaftungsprozess – unter Umständen mit Erfolg – darauf berufen, dass er eine Manipulation des Aufklärungsbogens durch Ergänzungen nur deshalb nicht beweisen könne, weil ihm keine Kopie ausgehändigt wurde. Dann drohen wegen Beweisvereitelung Nachteile bei der Beweiswürdigung durch das Gericht.
Falls der Patient die Aushändigung von Kopien ablehnt, sollte die Ärztin/der Arzt sich auch diese Ablehnung schriftlich bestätigen lassen. Von vorgefertigten Verzichtserklärungen bzw. Verzichtsklauseln, die der Patient unterzeichnen bzw. ankreuzen kann/ soll, ist jedoch Abstand zu nehmen, da der Patient die Wirksamkeit solcher Erklärungen insbesondere in Frage stellen könnte, wenn nicht auch die rechtlichen Konsequenzen der Erklärungen in dem Formular aufgezeigt wurden. Dass zusätzlich möglichst umfassend handschriftliche Notizen auf dem Aufklärungsbogen gemacht werden sollten, hat mit der ordnungsgemäßen Aufklärung zunächst nichts zu tun, ist aber zum Beweis des persönlichen Aufklärungsgesprächs extrem hilfreich.
Einwilligung
Vor Durchführung der medizinischen Maßnahme ist bekanntermaßen die Einwilligung einzuholen. Die entsprechenden Regelungen finden sich nun in § 630d BGB.
Bei Einwilligungsunfähigkeit muss gemäß § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB der hierzu Berechtigte – beim Kind in der Regel die Eltern bzw. beim Erwachsenen in der Regel ein Vorsorgebevollmächtigter – einwilligen. Im Notfall, wenn die Einwilligung nicht mehr rechtzeitig erlangt werden kann, tritt die Rechtfertigung gemäß § 630d Abs. 1 Satz 4 BGB gleichwohl ein, wenn die Behandlung dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht (sogenannte mutmaßliche Einwilligung). Maßgeblich ist die ex-ante-Sicht der Ärztin/des Arztes in der Notfallsituation.
Die mutmaßliche Einwilligung ist nicht zu verwechseln mit der sog. hypothetischen Einwilligung – dem Rettungsanker bei Aufklärungsversäumnissen: Gemäß § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB spielt ein Aufklärungsversäumnis keine Rolle, wenn der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte.
Leistungsstandard
Neu durch das Patientenrechtegesetz wurde die Frage aufgeworfen, ob der Facharztstandard nunmehr der freien Vereinbarung zwischen den Parteien des Behandlungsvertrages unterworfen ist – steht doch in § 630a Abs. 2 BGB, dass die Behandlung den aktuellen allgemein anerkannten Standards zu folgen hat (= Facharztstandard), „soweit nicht etwas anderes vereinbart ist“.
Zunächst sei grundsätzlich klargestellt, dass im Hinblick auf die Haftung Facharztstandard und nicht Facharztstatus gefordert ist. Der Facharztstandard ist nicht bereits dadurch unterschritten, dass eine Ärztin/ein Arzt ohne entsprechenden Facharztstatus (noch in der Weiterbildung) behandelt hat.
Laut der Gesetzesbegründung der Bundesregierung8 entspricht es der Dispositionsfreiheit der Behandlungsvertragsparteien, einen abweichenden Standard der Behandlung zu verabreden. Die medizinische Behandlung müsse grundsätzlich auch offen für neue Behandlungsmethoden sein. Zudem führe ein Abweichen vom gültigen Standard nicht notwendig zu einem Behandlungsfehler, soweit Ärztinnen und Ärzte plausibel begründen können, dass die Befindlichkeit des Patienten so stark von der Regel abweicht, dass eine modifizierte Strategie verfolgt werden musste. Es solle sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Therapie ein ausreichender Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum verbleiben, in dessen Rahmen pflichtgemäß auszuübendes Ermessen bestehe.
Was bedeutet dies für den praktischen Alltag? Nach Auffassung des Verfassers wird diese Regelung für Ärztinnen und Ärzte leerlaufen: Einen höheren als den Facharztstandard werden sie nicht vereinbaren. Den Facharztstandard durch eine Vereinbarung zu unterschreiten, wird rechtlich scheitern, da der (als Verbraucher) besonders schutzwürdige Patient die Tragweite in der Regel nicht erfassen kann. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit dürfte schnell überschritten sein. Allenfalls in Bereichen, in denen kein Facharztstandard existiert – wie z.B. neuen Behandlungsmethoden –, ist eine Vereinbarung denkbar.
Der Facharztstandard bemisst sich nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung aktuellen Stand der Medizin. Hierbei müssen Ärztinnen und Ärzte nicht jede Veröffentlichung sämtlicher Fachzeitschriften der Welt kennen – maßgeblich ist die herrschende Meinung in den gängigen Fachzeitschriften. Diese wird sich auch in den Leitlinien der Fachgesellschaften widerspiegeln. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses dienen der Abrechenbarkeit von Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung – stellen als solche also ebenfalls lediglich ein Indiz für die Fachgerechtigkeit dar. Festgehalten werden kann demnach: Leit- und Richtlinien dienen als Indizien für den Facharztstandard; dieser kann jedoch auch weitergehende Anforderungen stellen.
Informationspflichten
Neu durch das Patientenrechtegesetz sind die Informationspflichten erstmals ausdrücklich im Gesetz genannt. Es wird auf den Artikel des Verfassers in ArztR 2013, 201 verwiesen. Im Hinblick auf ein intelligentes Beweismanagement sollten sämtliche gegebenen Auskünfte dokumentiert werden – im Idealfall mit einem Vermerk anwesender Zeugen.
Dokumentation
Die Dokumentation diente bisher in erster Linie dem intelligenten Beweismanagement. Versäumnisse bei der Dokumentation können aber auch direkt zu Schadensersatzpflichten führen. Allerdings dient die Dokumentation von Rechts wegen nicht der Beweissammlung (beide Seiten!) für den sich ggf. anschließenden Arzthaftpflichtprozess. Die Dokumentation soll vielmehr in Erfüllung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag zur Information von Mit- und Nachbehandlern dienen. Gemäß § 630f Abs. 2 BGB gehören „sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse“ in die Dokumentation. Im Gesetz folgt dann wieder eine Aufzählung, eingeleitet durch das Wort „insbesondere“, sodass letztendlich auch hier der medizinische Sachverstand den Umfang der Dokumentation bestimmt.
Formal ist lediglich zu erwähnen, dass die Dokumentation wie bisher in schriftlicher oder elektronischer Form und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Behandlung zu erfolgen hat. Den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang hat die Rechtsprechung bisher bei einem Abstand von einem Jahr (nicht mehr) angenommen9.
Neu durch das Patientenrechtegesetz wurde in § 630f Abs. 1 Satz 2 BGB vorgeschrieben, dass Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen den ursprünglichen Inhalt auch erkennen lassen müssen, wann sie vorgenommen worden sind. Die Erfüllung dieser Pflicht unterstützt wiederum ein intelligentes Beweismanagement. Ärztinnen und Ärzte werden hierdurch Vorwürfen der Manipulation vorbeugen, die in Haftpflichtprozessen gelegentlich erhoben werden. Dies gilt ausdrücklich auch für die elektronische Patientenakte. Bei dieser stellt die Versionenhistorie der Dateien anhand des Erstellungsdatums eine Erleichterung dar. Bisher ging die Rechtsprechung auf die Anforderungen an die elektronische Patientenakte lediglich am Rande ein; nach der Kodifizierung durch das Patientenrechtegesetz dürften die Anforderungen der Rechtsprechung auch bei elektronischer Dokumentation steigen.
Akteneinsicht
Nicht alles, was in der Patientenakte steht, ist medizinisch notwendig und für die Einsicht des Patienten bestimmt. Beispielsweise „Verdachtsdiagnosen“ wie „Morbus Villeroy & Boch“ (Patient hat einen Sprung in der Schüssel) oder „Morbus Bahlsen“ (Patient hat einen am Keks) gehören nicht in die Patientenakte.
Bei den oben genannten Beispielen handelt es sich nach der bisherigen Rechtsprechung um Aufzeichnungen, an deren Zurückhaltung die Ärztin/der Arzt ein begründetes Interesse hatte (subjektive Wertungen, die Wiedergabe persönlicher Eindrücke, vorläufige Verdachtsdiagnosen oder Bemerkungen über querulatorisches Verhalten)10.
Neu durch das Patientenrechtegesetz ist in § 630g Abs. 1 BGB die Pflicht begründet, dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die „vollständige“ Patientenakte zu gewähren. Diese Pflicht wird lediglich aus erheblichen therapeutischen Gründen oder wegen erheblicher Rechte Dritter eingeschränkt. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung11 stellt fest, dass persönliche Eindrücke und subjektive Wahrnehmungen des Arztes „grundsätzlich“ offen zu legen sind. Ein begründetes Interesse an der Nichtoffenlegung sei in Abwägung zum Persönlichkeitsrecht des Patienten „im Regelfall“ nicht gegeben. Es komme aber auf die Umstände im Einzelfall an.
Um Diskussionen zu vermeiden, sind Vermerke wie die oben genannten Beispiele zu unterlassen. Andernfalls wäre darauf abzustellen, dass die Dokumentationspflicht – wie oben ausgeführt – gemäß § 630f Abs. 2 BGB auf das „aus fachlicher Sicht“ Notwendige beschränkt ist. Dementsprechend und auch im Hinblick auf die genannte Rechtsprechung dürften zumindest solche Vermerke, die keinerlei medizinischen (= fachlichen) Wert für Mit- oder Nachbehandler bzw. den Patienten oder seinen Angehörigen haben, die jedoch sehr wohl unter anderem eine Selbstbelastung der Ärztin/des Arztes darstellen können, abgedeckt bzw. geschwärzt werden. Das Einsichtsrecht kann nicht weiter gehen, als die Dokumentationspflicht des Arztes.
In den genannten Grenzen besteht das Recht des Patienten auf Einsichtnahme bzw. Überlassung von Fotokopien gegen Unkostenerstattung. Das Recht des Patienten umfasst nicht die Aushändigung von Originalunterlagen.
Beweislast
Ärztinnen und Ärzte können alles noch so richtig machen – trotzdem kommt es vor, dass Patienten sich – oftmals aus Enttäuschung, gelegentlich auch von einer Begehrensneurose getrieben, in selteneren Fällen auch zu Recht – fehlerhaft behandelt fühlen und Ersatzansprüche geltend machen.
Das oben durchgängig erwähnte Beweismanagement kann dann viel Geld wert sein. Der Arzthaftpflichtprozess ist grundsätzlich ein normaler Zivilprozess, in dem jede Partei die für sie günstigen Tatsachen beweisen muss. Den Beweis muss die Partei erst dann führen, wenn diese Tatsachen von der Gegenseite bestritten wurden. Hierbei gilt: „Beweislast(umkehr) ist halber Prozessverlust“. Diese unter Juristen feststehende Faustregel verdeutlicht die Wichtigkeit der Vorsorge während der gesamten Behandlung.
Der Patient muss den Behandlungsfehler, den Schaden sowie den Ursachenzusammenhang zwischen beidem beweisen. Er muss auch das Zustandekommen des Behandlungsvertrages beweisen, um Schadensersatzansprüche aus einer Vertragsverletzung geltend machen zu können.
Ärztinnen und Ärzte müssen hingegen die für sie günstigen Umstände beweisen, die zu ihrer Rechtfertigung führen, insbesondere Aufklärung und Einwilligung des Patienten. Die von der Rechtsprechung entwickelten wesentlichen Fälle, in denen diese Beweislastverteilung zu Ungunsten der Ärztin/des Arztes geändert wird, sind nunmehr auch in § 630h BGB gesetzlich geregelt worden:
Weist der Patient einen groben Behandlungsfehler und einen entsprechenden Schaden nach, so wird die Kausalität zwischen beidem vermutet. Es ist dann an der Ärztin/dem Arzt, zu beweisen, dass der Schaden nicht auf dem groben Behandlungsfehler beruht. Grob ist nach der Rechtsprechung ein Fehlverhalten, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht passieren darf12.
Beweist der Patient, dass eine medizinisch zwingende Befunderhebung unterlassen wurde, und beweist der Patient einen entsprechenden Schaden, so wird die Kausalität zwischen Unterlassung und Schaden vermutet, wenn die Unterlassung selbst oder die Nichtreaktion auf den ggf. erhobenen Befund grob fehlerhaft wäre.
Bei voll beherrschbaren Risiken (z.B. Verletzung von Hygienestandards, falsche Lagerung, Operation durch unzureichend qualifizierten Assistenzarzt) wird ebenfalls die Kausalität zwischen bewiesenem Schaden und bewiesenem Risikoeintritt vermutet.
Weist die Dokumentation der Ärztin/des Arztes Mängel auf, so können sich hieraus Beweiserleichterungen für den Patienten ergeben. Die Faustregel der Rechtsprechung lautet: „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht erfolgt.“13. Es wird demnach unter Umständen das Vorliegen eines Behandlungsfehlers vermutet. Ärztinnen und Ärzte haben diese Vermutung durch Beweise (in der Regel Zeugen) zu widerlegen14. Hinsichtlich der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden greift diese Beweiserleichterung jedoch nicht.
Offensichtlich und deshalb in den Köpfen von Ärztinnen und Ärzten vorherrschend sind die drei ersten Punkte, da sich hier die Beweislastumkehr (und damit der drohende Prozessverlust) durch die Vermeidung medizinischer Fehler abwenden lässt. Oftmals unterschätzt ist jedoch der letztgenannte Punkt. Dokumentationsmängel können aber gleichermaßen zu Beweiserleichterungen führen. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Aufklärung und Einwilligung, in denen die Beweislast die Ärztin/den Arzt bereits originär trifft. Hier gilt es vorzusorgen, denn: Nach der Rechtsprechung indiziert in einem Arzthaftungsprozess die äußerlich ordnungsgemäße Dokumentation ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte die Wahrheit des dokumentierten Behandlungsverlaufs15.
Für einen Verstoß gegen die Informationspflicht hat der Gesetzgeber eine Regelung zur Beweislast unterlassen. Im Gesetz ist lediglich vorgesehen, dass der Behandelnde die Einwilligung eingeholt und ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Man wird deshalb entsprechend der Rechtsprechung davon auszugehen haben, dass Fehler bei der Erfüllung der Informationspflicht zur therapeutischen Aufklärung gehören und deshalb wie Behandlungsfehler zu würdigen sind16, sodass die Beweislast grundsätzlich beim Patienten liegt.
Fazit
Durch das Patientenrechtegesetz sind folgende Pflichten für Ärztinnen und Ärzte neu begründet worden:
Sämtliche Abschriften von Unterlagen, die der Patient im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, sind auszuhändigen, § 630e Abs. 2 Satz 2 BGB.
Die Behandlung hat nach den aktuellen allgemein anerkannten Standards zu folgen (= Facharztstandard), soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, § 630a Abs. 2 BGB. Eine den Facharztstandard unterschreitende Vereinbarung dürfte jedoch rechtlich scheitern.
Patienten sind auf Nachfrage über Umstände der Behandlung zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, § 630c Abs. 2 Satz 2 BGB.
Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Dokumentation müssen den ursprünglichen Inhalt und auch erkennen lassen, wann sie vorgenommen worden sind, § 630f Abs. 1 Satz 2 BGB.
Den Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige Patientenakte zu gewähren, § 630g Abs. 1 BGB.
Entsprechend der dem Patientenrechtegesetz zugrunde liegenden Intention, lediglich die bisherige Rechtsprechung zu fixieren, sind diese Neuerungen auch im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zu sehen. Ärztinnen und Ärzte haben deshalb weiterhin den Facharztstandard zu erfüllen, müssen weiterhin weder sich selbst noch Kollegen des Behandlungsfehlers bezichtigen und dürfen unverändert medizinisch wertlose eigene Vermerke den Patienten vorenthalten. Es bleiben die Pflicht zur Aushändigung von Abschriften der im Zusammenhang mit Aufklärung und Einwilligung unterzeichneten Unterlagen sowie die Pflicht zum Ausweis von Berichtigungen bzw. Änderungen der Dokumentation. Diese Pflichten dienen jedoch sämtlich auch den Interessen der Ärztinnen und Ärzte (Beweismanagement).
Fussnoten
* Nachdruck aus ArztRecht 4/2014 mit freundlicher Genehmigung des Verlags für Arztrecht, Karlsruhe, www.arztrecht.org
1 Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei für ArztRecht, Karlsruhe.
2 Urteil vom 31.5.1894, Rep. 1406/94.
3 BT-Drucks. 17/11710, S. 38/39.
4 Urteil vom 7.11.2006, VI ZR 206/05 = ArztR 2007, 322.
5 Steffen/Pauge, RWS-Skript 137, Arzthaftungsrecht, 12. Auflage 2013 Rdnr. 484 mit Nachweisen der BGH-Rechtsprechung.
6 Urteil vom 15.6.2010, VI ZR 204/09 = ArztR 2011, 24.
7 BT-Drucks. 17/10488, S. 25.
8 BT-Drucks. 17/10488, S. 20.
9 Vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 12.1.1999, 5 U 30/96.
10 Steffen/Pauge, RWS-Skript 137, Arzthaftungsrecht, 12. Auflage 2013 Rdnr. 558 ff. mit Nachweisen der Rechtsprechung.
11 BT-Drucks. 17/10488, S. 27.
12 Vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2011, VI ZR 139/10 = ArztR 2012, 32.
13 Vgl. BGH, Urteil vom 14.2.1995, VI ZR 272/93 = ArztR 1996, 4, 18.
14 Vgl. bereits BGH, Urteil vom 27.6.1978, VI ZR 183/76 = ArztR 1978, 283/292.
15 Vgl. Grundsatz BGH, Urteil vom 14.3.1978, VI ZR 213/76 = ArztR 1979, 59, 72.
16 Vgl. BGH, Urteil vom 25.4.1989, VI ZR 175/88 = ArztR 1990, 67, 83.