Arzt und Recht - OUP 11/2014

Arzthaftung – ein Update nach dem Patientenrechtegesetz*

Formal ist lediglich zu erwähnen, dass die Dokumentation wie bisher in schriftlicher oder elektronischer Form und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Behandlung zu erfolgen hat. Den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang hat die Rechtsprechung bisher bei einem Abstand von einem Jahr (nicht mehr) angenommen9.

Neu durch das Patientenrechtegesetz wurde in § 630f Abs. 1 Satz 2 BGB vorgeschrieben, dass Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen den ursprünglichen Inhalt auch erkennen lassen müssen, wann sie vorgenommen worden sind. Die Erfüllung dieser Pflicht unterstützt wiederum ein intelligentes Beweismanagement. Ärztinnen und Ärzte werden hierdurch Vorwürfen der Manipulation vorbeugen, die in Haftpflichtprozessen gelegentlich erhoben werden. Dies gilt ausdrücklich auch für die elektronische Patientenakte. Bei dieser stellt die Versionenhistorie der Dateien anhand des Erstellungsdatums eine Erleichterung dar. Bisher ging die Rechtsprechung auf die Anforderungen an die elektronische Patientenakte lediglich am Rande ein; nach der Kodifizierung durch das Patientenrechtegesetz dürften die Anforderungen der Rechtsprechung auch bei elektronischer Dokumentation steigen.

Akteneinsicht

Nicht alles, was in der Patientenakte steht, ist medizinisch notwendig und für die Einsicht des Patienten bestimmt. Beispielsweise „Verdachtsdiagnosen“ wie „Morbus Villeroy & Boch“ (Patient hat einen Sprung in der Schüssel) oder „Morbus Bahlsen“ (Patient hat einen am Keks) gehören nicht in die Patientenakte.

Bei den oben genannten Beispielen handelt es sich nach der bisherigen Rechtsprechung um Aufzeichnungen, an deren Zurückhaltung die Ärztin/der Arzt ein begründetes Interesse hatte (subjektive Wertungen, die Wiedergabe persönlicher Eindrücke, vorläufige Verdachtsdiagnosen oder Bemerkungen über querulatorisches Verhalten)10.

Neu durch das Patientenrechtegesetz ist in § 630g Abs. 1 BGB die Pflicht begründet, dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die „vollständige“ Patientenakte zu gewähren. Diese Pflicht wird lediglich aus erheblichen therapeutischen Gründen oder wegen erheblicher Rechte Dritter eingeschränkt. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung11 stellt fest, dass persönliche Eindrücke und subjektive Wahrnehmungen des Arztes „grundsätzlich“ offen zu legen sind. Ein begründetes Interesse an der Nichtoffenlegung sei in Abwägung zum Persönlichkeitsrecht des Patienten „im Regelfall“ nicht gegeben. Es komme aber auf die Umstände im Einzelfall an.

Um Diskussionen zu vermeiden, sind Vermerke wie die oben genannten Beispiele zu unterlassen. Andernfalls wäre darauf abzustellen, dass die Dokumentationspflicht – wie oben ausgeführt – gemäß § 630f Abs. 2 BGB auf das „aus fachlicher Sicht“ Notwendige beschränkt ist. Dementsprechend und auch im Hinblick auf die genannte Rechtsprechung dürften zumindest solche Vermerke, die keinerlei medizinischen (= fachlichen) Wert für Mit- oder Nachbehandler bzw. den Patienten oder seinen Angehörigen haben, die jedoch sehr wohl unter anderem eine Selbstbelastung der Ärztin/des Arztes darstellen können, abgedeckt bzw. geschwärzt werden. Das Einsichtsrecht kann nicht weiter gehen, als die Dokumentationspflicht des Arztes.

In den genannten Grenzen besteht das Recht des Patienten auf Einsichtnahme bzw. Überlassung von Fotokopien gegen Unkostenerstattung. Das Recht des Patienten umfasst nicht die Aushändigung von Originalunterlagen.

Beweislast

Ärztinnen und Ärzte können alles noch so richtig machen – trotzdem kommt es vor, dass Patienten sich – oftmals aus Enttäuschung, gelegentlich auch von einer Begehrensneurose getrieben, in selteneren Fällen auch zu Recht – fehlerhaft behandelt fühlen und Ersatzansprüche geltend machen.

Das oben durchgängig erwähnte Beweismanagement kann dann viel Geld wert sein. Der Arzthaftpflichtprozess ist grundsätzlich ein normaler Zivilprozess, in dem jede Partei die für sie günstigen Tatsachen beweisen muss. Den Beweis muss die Partei erst dann führen, wenn diese Tatsachen von der Gegenseite bestritten wurden. Hierbei gilt: „Beweislast(umkehr) ist halber Prozessverlust“. Diese unter Juristen feststehende Faustregel verdeutlicht die Wichtigkeit der Vorsorge während der gesamten Behandlung.

Der Patient muss den Behandlungsfehler, den Schaden sowie den Ursachenzusammenhang zwischen beidem beweisen. Er muss auch das Zustandekommen des Behandlungsvertrages beweisen, um Schadensersatzansprüche aus einer Vertragsverletzung geltend machen zu können.

Ärztinnen und Ärzte müssen hingegen die für sie günstigen Umstände beweisen, die zu ihrer Rechtfertigung führen, insbesondere Aufklärung und Einwilligung des Patienten. Die von der Rechtsprechung entwickelten wesentlichen Fälle, in denen diese Beweislastverteilung zu Ungunsten der Ärztin/des Arztes geändert wird, sind nunmehr auch in § 630h BGB gesetzlich geregelt worden:

Weist der Patient einen groben Behandlungsfehler und einen entsprechenden Schaden nach, so wird die Kausalität zwischen beidem vermutet. Es ist dann an der Ärztin/dem Arzt, zu beweisen, dass der Schaden nicht auf dem groben Behandlungsfehler beruht. Grob ist nach der Rechtsprechung ein Fehlverhalten, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht passieren darf12.

Beweist der Patient, dass eine medizinisch zwingende Befunderhebung unterlassen wurde, und beweist der Patient einen entsprechenden Schaden, so wird die Kausalität zwischen Unterlassung und Schaden vermutet, wenn die Unterlassung selbst oder die Nichtreaktion auf den ggf. erhobenen Befund grob fehlerhaft wäre.

Bei voll beherrschbaren Risiken (z.B. Verletzung von Hygienestandards, falsche Lagerung, Operation durch unzureichend qualifizierten Assistenzarzt) wird ebenfalls die Kausalität zwischen bewiesenem Schaden und bewiesenem Risikoeintritt vermutet.

Weist die Dokumentation der Ärztin/des Arztes Mängel auf, so können sich hieraus Beweiserleichterungen für den Patienten ergeben. Die Faustregel der Rechtsprechung lautet: „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht erfolgt.“13. Es wird demnach unter Umständen das Vorliegen eines Behandlungsfehlers vermutet. Ärztinnen und Ärzte haben diese Vermutung durch Beweise (in der Regel Zeugen) zu widerlegen14. Hinsichtlich der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden greift diese Beweiserleichterung jedoch nicht.

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