Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021

Aspekte der perioperativen Schmerztherapie für Orthopädie und Unfallchirurgie?

Jörg Jerosch, Esther Pogatzki-Zahn

CME

1

PUNKT

Lernziele:

Dem Leser sollen die Anforderungen in der perioperativen Schmerztherapie, die sich aus dem Beschluss des G-BA und die neuen AWMF S3-Leitlinie ergeben, vermittelt werden.

Der Leser soll für seine tägliche Praxis die allgemeinen Grundlagen der perioperativen Schmerztherapie kennenlernen.

Dem Leser sollen die procedurenspezifischen Verfahren für die Orthopädie und Unfallchirurgie vermittelt werden.

Zusammenfassung:
Der vorliegende Artikel beschreibt die aktuellen Empfehlungen in der perioperativen Schmerztherapie unter Berücksichtigung der deutschen AWMF Leitlinie (S3 Leitlinie – Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen; Registriernummer 001–25). Hierbei werden zunächst allgemeine Prinzipien dargestellt. Anschließend werden procedurenspezifische Verfahren aufgezeigt.

Schlüsselwörter:
Perioperativer Schmerz, Grundlagen, procedurenspezifische Verfahren

Zitierweise:
Jerosch J, Pogatzki-Zahn E: Aspekte der perioperativen Schmerztherapie für Orthopädie und Unfallchirurgie?
OUP 2021; 10: 235–244
DOI 10.3238/oup.2021.0235–0244

Summary: This article describes to current recommendations on perioperative pain management. First the general principles are presented according to the german AWMF guideline (S3 guideline – Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen; Registriernummer 001–25). Furtheron the procedure specific techniques are described.

Keywords: perioperative pain, general principles, procedure specific techniques

Citation: Jerosch J, Pogatzki-Zahn E: Aspects of perioperative pain management in orthopedic and
trauma surgery?
OUP 2020; 10: 235–244. DOI 10.3238/oup.2021.0235–0244

Jörg Jerosch: Johanna Etienne Krankenhaus, Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Neuss

Esther Pogatzki-Zahn: Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinik Münster

Einleitung

Patienten fürchten vor operativen Interventionen insbesondere den perioperativen Schmerz. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Aufmerksamkeit hierauf als wesentliche Leitungsaufgabe im internen Qualitätsmanagement von Krankenhäusern und vertragsärztlichen Praxen hingewiesen [6]. Jährlich werden etwa 17 Mio. vollstationäre und 2 Mio. ambulante Eingriffe in Deutschland durchgeführt. Oft hat man subjektiv den Eindruck, dass hinsichtlich des perioperativen Schmerzmanagements genug getan wird. Die Kampagne aus dem Jahre 2003 „Das schmerzfreie Krankenhaus“ mag uns seinerzeit beruhigt haben. 2010 wurden im Deutschen Ärzteblatt aufgrund von Patientenbefragungen deutliche Mängel publiziert [21]. Dem perioperativen Schmerz-Management wird in Kliniken und Praxen jedoch nach wie vor nicht die ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt. Im stationären Bereich hat die Hälfte der Einrichtungen einen eigenständigen Schmerzdienst [3]. Ein solches Vorgehen wird in den internationalen Leitlinien schon seit Jahren gefordert [1]. Im ambulanten Bereich scheint die Situation noch schwieriger zu sein. Hier werden nur in deutlich weniger als der Hälfte der Fälle die Schmerzen vor Entlassung des Patienten gemessen, in noch einem geringeren Anteil werden validierte Schmerzskalen verwendet [20].

Auch in jüngerer Zeit ergeben sich nach wie vor erhebliche Qualitätsunterschiede bezüglich der perioperativen Schmerztherapie in den deutschen Krankenhäusern. Ein Vergleich der Qualität der postoperativen Schmerztherapie in über 100 deutschen Kliniken, bei dem unter anderem auch die Angaben der Patienten zu ihrer Schmerzintensität nach bestimmten Operationen erfragt wurde, ergab das bei den 10 % der besten Kliniken die durchschnittliche Schmerzintensität beim Patienten im Rahmen einer numerischen Rating-Skala bei 3,6 ± 2,1, wohingegen bei den 10 % der schlechtesten Einrichtungen diese bei 6,3 ± 2,2 lag [22].

Es ist bekannt, dass die postoperativen Schmerzen nicht nur subjektiv belastend für den Patienten sind, sondern auch einer raschen Genesung entgegenstehen. Es kann eine verzögerte Heilung und vermehrte Komplikationen nach der Operation nach sich ziehen [33]. Periphere Sensibilisierung von Nozizeptoren sowie zentrale Sensibilisierung auf Rückenmarksebene führen reflektorisch zu einer Ruhigstellung der operierten Extremität sowie Schonatmung und behindern weiterhin Remobilisation und Physiotherapie. Verminderte Durchblutung, Immunsupression sowie eine veränderte Thrombozytenaggregation als Ausdruck des aktivierten sympathikoadrenergen Systems aufgrund akuter Schmerzen spielen bei der Entstehung von Komplikationen wie postoperativer Thrombosen, Wundheilungsstörungen, Myokardinfarkte und Pneumonien ebenfalls eine wesentliche Rolle. Akute Schmerzen nach einer Operation beeinträchtigen die Mobilisation und den Heilungsverlauf erheblich und können zu anhaltenden, chronischen Schmerzen führen [5, 24]. Daneben besteht auch die Gefahr der Chronifizierung mit nachfolgenden schmerzbedingten funktionellen psychischen und physischen Einschränkungen mit einer deutlichen Reduktion der Lebensqualität [30].

Dieser Problematik hat sich der gemeinsame Bundesausschuss angenommen [7]. Kliniken und Praxen haben diesem Thema nun eine ausreichende Beachtung zu schenken. Es wird vom G-BA erwartet, dass die Einrichtungen intern und entwickelnde und umzusetzende schriftliche Konzepte mit allen an der Versorgung beteiligten Professionen abstimmen und umsetzen. Es sind ebenso die Zuständigkeiten und die Zuteilung ausreichender Zeitressourcen für das Akut-Schmerzmanagement festzulegen. Es werden hausinterne schriftliche Konzepte mit Checklisten und Zuordnung personeller Verantwortlichkeiten im Ablauf, beginnend mit der präoperativen Patienteninformation, über die unmittelbar operative Phase bis hin zur späteren Entlassung erwartet. Letztendlich wird es Aufgabe sein, hier entsprechende Verhaltensanweisungen mit SOPs zu entwickeln und zu hinterlegen.

Auch der Operateur kann in diesem Komplex an vielen Stellen eingreifen. Dieses beginnt bereits im Rahmen der präoperativen Gespräche, in denen einer perioperative Schmerzbehandlung große Aufmerksamkeit geschenkt wird und der Patient in die Behandlung aktiv eingebunden wird (Abb. 1).

Allgemeine Aspekte der perioperativen SchmerztherapiePräoperative Phase

Schmerzerfassung und
-dokumentation

Mit der stationären Aufnahme des Patienten sollte die Schmerzanamnese, -erfassung und -dokumentation beginnen. Die Schmerzeinschätzung soll mittels systematischer Fremdeinschätzung mit möglichst validierten Verfahren erfolgen. In einzelnen Fällen ist es ratsam, schon vor der stationären Aufnahme eine gründliche Schmerzanamnese, z.B. bei vorbestehenden Schmerzen des Patienten, Opioidvormedikation und Patienten mit Voroperation, durchzuführen. Zur Schmerzerfassung haben sich numerische Ratingskalen (NRS) oder visuelle Analogskalen (VAS) als geeignete Instrumente der Schmerzeinschätzung durch den Patienten erwiesen; Schmerzintensitätsangaben werden allerdings heute multidimensional mit weiteren Fragen zur Schmerzeinschätzung (z.B. schmerzbedingte Funktionseinschränkungen, Nebenwirkungen etc.) komplettiert, um den Bedarf nach Anpassung der Schmerztherapie zu eruieren [5]. Bei kognitiv oder bewusstseinseingeschränkten und/oder stark kommunikativ eingeschränkten Patienten soll die Schmerzeinschätzung, zusätzlich zur Selbsteinschätzung, auf der Basis nonverbaler Schmerzäußerungen und/oder mit Schmerz assoziierter Verhaltensweisen erfolgen.

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