Arzt und Recht - OUP 02/2014
Aufklärung und Einwilligung – Grenzen und FreiräumeRechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe
Einleitung
Das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (das sog. Patientenrechtegesetz) vom 20.02.20131, das seit dem 26.02.2013 in Kraft ist, enthält in den für das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) neu gefassten § 630d – f und § 630h unter anderem auch Regelungen über Aufklärung und Einwilligung des Patienten. Zu den zusätzlich erstmals ausdrücklich abgegrenzt in § 630c BGB geregelten Informationspflichten des Arztes war bereits in der Oktoberausgabe 2013 der Orthopädischen und Unfallchirurgischen Praxis ein Beitrag des Autors zu lesen.
Gemäß § 630e Abs. 1 BGB ist der Arzt verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
Gemäß § 630d Abs. 1 BGB ist der Arzt vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Kann eine Einwilligung für eine nicht aufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Gemäß § 630d Abs. 2 BGB setzt die Wirksamkeit der Einwilligung voraus, dass der Patient nach Maßgabe von § 630e BGB aufgeklärt worden ist.
Bereits im Gesetzgebungsverfahren wurde sehr schnell offensichtlich, dass der Gesetzestext fast ausschließlich der bisherigen Rechtsprechung in Arzthaftpflichtsachen entsprechen würde, sodass eine wesentliche Änderung der Rechtslage auch im Hinblick auf Aufklärung und Einwilligung nicht zu erwarten war. Die Gesetzesbegründung2 besagt, dass die bislang richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts gesetzlich kodifiziert und mit der Kodifizierung Unklarheiten beseitigt werden, die sich aus der bisherigen Rechtsprechung ergeben haben. Richtschnur für die Neuregelung sollen das bisherige Recht und die dazu ergangene Rechtsprechung sein. Es handele sich im Wesentlichen um rein formale Änderungen der Gesetzesgrundlage ohne eine inhaltliche Änderung. Hieraus folgt, dass die Grundsätze der bisherigen gefestigten Rechtsprechung (weiterhin) Anwendung finden, soweit das Patientenrechtegesetz nichts Gegenteiliges regelt.
Lediglich im Hinblick auf die oben zitierte Regelung in § 630d Abs. 1 Satz 1 BGB, in der die Pflicht zur Einholung der Einwilligung kodifiziert wurde, führt die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung aus, dass der Behandelnde den Patienten „ausdrücklich und unmissverständlich“ fragen müsse, ob er seine Einwilligung in die Maßnahme gibt. Hieraus könnte man die (neue) formale Anforderung ableiten, dass der Patient vor jeder einzelnen (wesentlichen?) Maßnahme einer Behandlung erneut wörtlich gefragt werden müsste, ob er seine Einwilligung (auch) in genau diese Maßnahme gibt. Solch ein Formalismus ergibt sich jedoch nicht aus dem neuen Gesetz. Es bleibt deshalb auch in dieser Hinsicht bei den bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.
Nach alledem ist es nach wie vor geboten, die Grenzen der Aufklärungspflichten und Freiräume bei der Einwilligungswirkung anhand der bisher erfolgten Rechtsprechung zu beurteilen. Hierzu sollen die beiden folgenden Entscheidungen ihren Beitrag leisten, wobei das besondere Augenmerk auf den Umstand zu richten ist, dass die medizinische Beurteilung grundsätzlich nach den im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahme herrschenden Standards zu erfolgen hat.
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.05.2012, Az. 1 U 1/11
Zum Sachverhalt
Die Klägerin erlitt eine Tibiakopffraktur rechts, die osteosynthetisch versorgt wurde. Der postoperative Verlauf gestaltete sich aufgrund einer Wundinfektion als kompliziert. Als Erreger der Infektion wurde ein pathogener Mikroorganismus der Gattung Staphylococcus aureus nachgewiesen. Nach Ausheilung der Infektion kam es zur Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose. Trotz verschiedener Revisionseingriffe konnte keine Besserung erreicht werden, wenn es auch nicht erneut zu einer bakteriellen Wundheilungsstörung oder septischen Komplikation kam. Dies war die Situation, als bei der Klägerin das streitgegenständliche zementfreie Natural Knee implantiert (eine Knieendoprothese mit einer nickelhaltigen Kobalt-Chrom-Molybdän Legierung) wurde. Der Nickelanteil beträgt dabei ~ 1%, bei einer Titanlegierung ~ 0,1%, während Zirkonium nickelfrei ist. Im Jahr der Knieimplantation standen mit Zirkonium beschichtete Prothesenteile zur Verfügung.
Im Rahmen der Vorbesprechungen vor diesem Eingriff hat die Klägerin unstreitig auf eine bei ihr bestehende Nickelallergie hingewiesen. Eine Aufklärung über ein Risiko bei Verwendung einer nickelhaltigen Prothese erfolgte ebenfalls unstreitig nicht. Nach anfänglicher subjektiver Beschwerdefreiheit postoperativ kam es zu einer Zunahme von Beschwerden (Ausschläge, Wundheilungsstörungen, kelloide Narbenbildung, Schmerzen). Zunächst erfolgte in der BGU-Klinik eine Denervierung, 2 Monate später erfolgte eine offene Revision mit einem Inlaywechsel. Einen weiteren Monat später wurde in der BGU-Klinik ein Allergietest durchgeführt, bei dem eine Nickel-, Chrom- und Kobaltallergie festgestellt wurde.
Die Parteien stritten im Kern u.a. darüber, ob die Ärzte die Klägerin auf die Alternative einer nickelfreien Prothese (z.B. eine mit Zirkonium beschichtete) hätten hinweisen müssen.
Aus den Gründen
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann, anders als vom Landgericht angenommen, nicht von einem Aufklärungsfehler ausgegangen werden. Konkret hätten die Ärzte die Klägerin auch bei bekannter Nickelallergie nicht auf mögliche Risiken bei Verwendung einer Prothese hinweisen müssen, die dieses Metall enthält. Dazu gebe es bis dato keine hinreichend gesicherten Erkenntnisse, ob es zwischen der Verwendung einer nickelhaltigen Prothese und einer allergischen Reaktion überhaupt einen kausalen Zusammenhang gibt. Es könne daher für den vorliegenden Fall dahinstehen, ob es bei der Klägerin überhaupt eine solche allergische Reaktion gegeben hat oder ob nicht ein sog. Low-Grade-Infekt vorliegt.
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