Übersichtsarbeiten - OUP 03/2018

Augmentationstechniken bei Osteoporose-assoziierten Frakturen

Stefan Mehaffey1, Daniel Pfeufer1, Deborah Schray1, Wolfgang Böcker1, Christian Kammerlander1, Carl Neuerburg1

Zusammenfassung: Als Folge des demografischen Wandels stellen Osteoporose-assoziierte Frakturen eine zunehmende Herausforderung für die erfolgreiche unfallchirurgische Behandlung älterer Patienten dar. Zur Reduktion chirurgischer und internistischer postoperativer Komplikationen wie Thrombosen, Pneumonien, aufsteigenden Harnwegsinfektionen oder Delir sollte eine rasche, vollbelastende Mobilisation das vorrangige Ziel der Operation darstellen. Um eine höhere Stabilität beispielsweise einer Osteosynthese zu erreichen, wurden daher neue Implantate und Operationstechniken konzipiert. Von wachsender Bedeutung ist hierbei die Augmentation der Implantate mit verschiedenen Biomaterialien wie dem Knochenzement Polymethylmethacrylat. Ziel der Implantatlager-Augmentation ist die Vermeidung von Repositionsverlust, „Cut-out“ von Osteosynthesematerial und anderweitiger Implantatdislokationen. Im Folgenden sollen gängige Augmentationstechniken anhand verschiedener Frakturlokalisationen näher beleuchtet und verfügbare Biomaterialien vorgestellt werden.

Schlüsselwörter: Augmentation, Osteoporose, Alterstraumatologie, Zement

Zitierweise
Mehaffey S, Pfeufer D, Schray D, Böcker W, Kammerlander C,
Neuerburg C: Augmentationstechniken bei Osteoporose-assoziierten Frakturen. OUP 2018; 7: 145–150 DOI 10.3238/oup.2018.0145–0150

Summary: In an aging population, osteoporosis associated fractures are an increasing challenge for successful surgical treatment of elderly patients. For reduction of postoperative complications like thromboses, pneumonias, urinary tract infections or delirium, facilitation of full weight bearing has to be the main objective of surgery. To achieve higher stability e.g. in osteosyntheses, new implants and surgical techniques have been designed. Augmentation of implants with different biomaterials, like bone cement polymethylmethacrylate, is gaining in importance for prevention of postoperative loss of reduction, cutting-out of screws and implant migration. Hence, considering different fractures and biomaterials, in the following article augmentation techniques will be explained.

Keywords: augmentation, osteoporosis, ortho-geriatrics, cement

Citation
Mehaffey S, Pfeufer D, Schray D, Böcker W, Kammerlander C,
Neuerburg C: Augmentation strategies for osteoporotic fractures. OUP 2018; 7: 145–150 DOI 10.3238/oup.2018.0145–0150

1 Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum der Ludwig-Maximillians-Universität München

Der demografische Wandel unserer alternden Bevölkerung wird von großen Herausforderungen für die Gesundheit und Gesundheitssysteme begleitet. Eine dieser Herausforderungen stellt die wachsende Zahl an Osteoporose-assoziierten Fragilitätsfrakturen dar. Trotz der reduzierten Knochenqualität, die oftmals eine chirurgische Herausforderung darstellt, ist eine belastungsstabile Frakturversorgung gerade bei diesen älteren unfallchirurgischen Patienten von übergeordneter Bedeutung.

Die Gebrechlichkeit (Frailty) gemäß der Definition von Fried et al. [18] nimmt einen wichtigen Stellenwert in der weiteren operativen und medizinischen Therapiefindung ein. Gebrechlichkeit wird hierbei als Symptomkomplex mit mindestens 3 der folgenden Kriterien definiert:

unbeabsichtigter Gewichtsverlust

zunehmende Erschöpfung

Einschränkung der maximalen Handkraft

reduzierte Ganggeschwindigkeit

eingeschränkte körperliche Aktivität.

Oft liegt bei gebrechlichen Patienten neben einer Multimorbidität der altersbedingte Verlust von Skelettmuskelmasse und/oder -funktion und/oder -kraft vor, im Sinne einer Sarkopenie. Zwischen 5 und 13 % der über 60-Jährigen leiden an einer Sarkopenie, bei über 80-jährigen Patienten steigt die Prävalenz auf bis zu 50 % [12, 38]. Dies erschwert die weitere Rehabilitation alterstraumatologischer Patienten einerseits, andererseits muss eine posttraumatische Immobilisierung zwingend vermieden werden, um einen weiteren Verlust von Muskelmasse sowie mit Immobilisierung assoziierte Komplikationen wie Infektionen, Delir oder Thrombosen mit konsekutiven Embolien zu vermeiden.

Zudem ist die Einhaltung einer Teilbelastung in vielen Fällen bei orthogeriatrischen Patienten nicht möglich. Aus diesem Grund sind neue Behandlungsoptionen erforderlich, um postoperativ unmittelbar die vollbelastende Mobilisierung zu gewährleisten. In älteren Hüftfrakturpatienten, die erst verzögert nach 2-wöchiger Immobilisation im Bett mobilisiert wurden, zeigte sich nach 6 Monaten eine signifikant höhere Mortalität gegenüber unmittelbar postoperativ mobilisierten Patienten [47].

Den führenden Risikofaktor für Frakturen älterer Patienten stellt jedoch die Mineralsalzminderung des Knochens dar, die Osteoporose. Mit ca. 8 Millionen Osteoporose-Patienten in Deutschland und ca. 27,5 Millionen europaweit (EU-Gebiet), erleiden jährlich ca. 3,5 Millionen Menschen in Europa Osteoporose-assoziierte Frakturen [4, 20, 22]. (Zum Vergleich: In den USA sind es ca. 2 Millionen Frakturen jährlich [7]) Aufgrund des bereits erwähnten demografischen Wandels werden diese Zahlen signifikant steigen, Hernlund et al. schätzten 25 % höhere Kosten bis 2025, der Anteil der über 85-jährigen Patienten soll bei Männern um 129 % steigen, bei Frauen um 79 %.

Im Wesentlichen treten bei Osteosynthesen osteoporotischer Frakturen folgende 3 Komplikationen auf: „Cut-out“ der Schrauben [34], Implantatdislokation [1] und Repositionsverlust [26]. Neben der Einführung winkelstabiler Plattenosteosynthesen adressiert die Augmentation das Problem eines Mangels trabekulärer Knochenstruktur. Aufgrund der dadurch verbesserten Stabilität treten o.g. Osteosynthese-spezifische Komplikationen seltener auf und sind sichern eine frühestmögliche vollbelastende Mobilisation. Im Folgenden sollen dazu die gebräuchlichsten Augmentationstechniken beschrieben werden.

Definition und
Augmentationsmöglichkeiten

Augmentation leitet sich vom lateinischen Wort augmentatio für Vermehrung ab. Im Rahmen der Zementaugmentation von Osteosynthesen versteht man Augmentation a.e. als Vergrößerung der Kontaktfläche von Implantat und Knochen, vereinfacht als Vergrößerung des Knochen-Implantat-Interfaces. Bei Anwendung des Zements als Knochenersatzmaterial kann mit dem Begriff Augmentation auch die Vermehrung der knöchernen bzw. knochenähnlichen Substanz bezeichnet werden.

Bei Implantation des Augmentationsmaterials müssen verschiedene Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Eine Leckage des Zements sollte unter allen Umständen vermieden werden, um die Sicherheit des operativen Eingriffs nicht zu beeinträchtigen. Die Verwendung wasserlöslicher Kontrastmittel unter Durchleuchtung vor Injektion des Augments lassen möglichen Zementmittelaustritt in Gelenke oder den Spinalkanal antizipieren.

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