Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Bandverletzungen des Schultereckgelenks
Acromioclavicular joint injuries

Traditionell wurden die AC-Verletzungen nach Tossy in 3 Gruppen unterteilt – Verschiebung von Clavicula zu Acromion um keine, halbe und ganze Schaftbreite [17]. Seit über 20 Jahren hat sich aber vor allem im englischen Sprachraum die erweiterte Rockwood-Klassifikation etabliert [13]. Hier wird der vergrößerte CC-Abstand in Relation zur gesunden Gegenseite gesetzt.

Vorteil der neuen Klassifikation ist sicher die genauere Abgrenzung der hochgradigen Instabilität beim Typ V mit extremem Hochstand, auch wenn eine rupturierte Faszie wie per Definition vorgegeben, nicht bei jeder Dislokation mit über 100 % CC-Abstand zu finden ist. Typ IV mit fixierter dorsaler Fehlstellung der distalen Clavicula in oder durch die Trapeziusmuskulatur ist ausgesprochen selten. Typ VI ist mit lediglich wenigen Einzelfallbeschreibungen in der Literatur eine absolute Rarität [7]. Unglücklich erscheint die Einteilung, da bereits eine Fehlstellung
> 25 % als Typ III bezeichnet wird, sich daraus aber eine genaue Grenze für eine operative bzw. konservative Therapie (z.B. OP ab Typ III) anhand der Klassifikation nicht ableiten lässt. Da eine zusätzlich zur vertikalen auch bestehende horizontale Instabilität mit einem schlechteren Ergebnis bei konservativer Therapie vergesellschaftet ist [18], wurde der Typ III noch in A (ohne) und B (mit horizontaler Instabilität) unterteilt [4].

Therapie

Es besteht Einigkeit darüber, dass bei fehlender oder nur geringer Fehlstellung des ACG (Rockwood I und II) eine konservative Therapie erfolgen sollte [3]. Zur Schmerzreduktion erfolgt ggf. eine Ruhigstellung des Arms in einer einfachen Schulterschlinge für 3–7 Tage. Rucksackverbände sind bei AC-Gelenksprengungen nicht indiziert. Schmerzabhängig kann die Bewegung gesteigert werden, eine Belastung – insbesondere axialer Zug wie beim schweren Tragen – sollte für ca. 6 Wochen vermieden werden. Eine sichtbare Fehlstellung im ACG kann verbleiben, mit sehr guten Aussichten ist jedoch wieder eine freie Beweglichkeit der Schulter mit normaler Belastungsfähigkeit und Schmerzfreiheit zu erreichen. Die Gefahr der Entwicklung einer (symptomatischen) AC-Arthrose ist naturgemäß gering erhöht.

Bei ausgeprägter Fehlstellung (Typ V) und den seltenen dorsalen und subcoracoidalen Verhakungen (IV und VI) ist die Indikation ebenfalls klar. Hier sollte eine Reposition mit anschließender stabiler Retention des Gelenks angestrebt werden.

Umstritten sind die Rockwood-III-Verletzungen. Auch bei Dislokationen bis 100 % CC-Abstand oder um Claviculaschaftbreite ist mit konservativer Therapie nach Studienlage in vielen Fällen ein gutes Ergebnis möglich. Es können jedoch auch anhaltende Beschwerden verbleiben, z.B. Schmerzen beim Liegen auf der betroffenen Seite oder unter Belastung/bei körperlicher Arbeit. Auch ist zu bedenken, dass bei dauerhafter Symptomatik eine spätere operative Stabilisierung des ACG nur mit deutlich erhöhtem Aufwand möglich ist und die Ergebnisse schlechter sind. Bei verschiedenen Metaanalysen konnten keine signifikanten Unterschiede für konservative und operative Therapie bei Typ-III-Verletzungen gefunden werden. Die operative Therapie scheint im Vergleich zur konservativen mit besseren kosmetischen und teilweise auch besseren funktionellen Ergebnissen verbunden [8, 10], es finden sich jedoch auch ein erhöhtes Komplikationsrisiko und eine längere Dauer der Arbeitsunfähigkeit [11, 15], die radiologischen Resultate sind unterschiedlich.

Im eigenen Vorgehen ist ein Hochstand um halbe Schaftbreite und damit ein um ca. 50 % vergrößerter CC-Abstand ohne relevant vermehrte horizontale Translation keine OP-Indikation. Auch kann das Ausmaß der klinischen Beschwerden miteinbezogen werden. Wenn bereits nach wenigen Tagen trotz sichtbarer Fehlstellung die Schmerzen rasch rückläufig und die Beweglichkeit des Schultergürtels wieder normal sind, ist im weiteren Verlauf auch ohne Operation mit einer weiteren Besserung und dann einem guten Ergebnis zu rechnen. Bei Vergrößerung des CC-Abstands auf um 100 % oder darüber und einer hier meist begleitend vorliegenden horizontalen Instabilität im ACG (Typ III B oder V) wird jedoch primär die operative Therapie empfohlen. Vor allem bei jüngeren Patienten mit Ausübung von schulterbelastenden Sportarten oder Berufen scheint eine operative Therapie mit besseren Erfolgsaussichten verbunden.

Die Operation beim Typ III kann bis zu einem Alter von 50–60 Jahren je nach Funktionsanspruch in Betracht gezogen werden. Bei älteren Patienten nimmt die Häufigkeit von AC-Gelenksprengungen (zugunsten proximaler Humerusfrakturen) deutlich ab.

Bei Entschluss zur Operation sollte diese innerhalb von 10–12 Tagen erfolgen [14]. Anschließend ist das Heilungspotenzial der rupturierten Bänder deutlich verringert und nach passagerer Fixierung des ACG im Verlauf oft mit einer erneuten Instabilität zu rechnen.

Eine direkte Naht der CC-Bänder ist technisch schwierig und allein nicht ausreichend für die Stabilität des ACG. Üblich ist eine Reposition und dann Retention des Gelenks, wobei hier viele verschiedene Methoden möglich sind, in der Literatur werden über 150 Techniken beschrieben. Es können acromio-claviculäre, coraco-claviculäre und kombinierte Fixierungen angewendet werden. Die wichtigsten Techniken sind die Haken- oder Rüsselplatte und die Verbindung der Clavicula mit dem Prozessus coracoideus über synthetisches Material, mit Cerclagen oder über Metallplättchen. Letzteres wird seit Jahren zunehmend auch in arthroskopischer Technik durchgeführt, eine Kombination mit einer Fadencerclage des ACG ist möglich [5]. Bessere Ergebnisse der arthroskopischen oder minimal-invasiven Verfahren im Vergleich zu den offenen konnten bisher nicht nachgewiesen werden [9]. Vorteil der Hakenplatte ist die sehr stabile Versorgung mit rascher Freigabe und funktioneller Nachbehandlung, Haupt-Nachteil die allfällige Entfernung der Platte nach 3–4 Monaten im Rahmen eines zweiten Eingriffs (Abb. 4). Bei einer Umfrage unter deutschen Krankenhäusern 2015 [2] war die Hakenplatte mit 44 % das am häufigsten verwendete Verfahren, gefolgt von der arthroskopischen Versorgung mit Tight Rope als zwar neuer, aber zweithäufigster Technik (27 %). Das Augmentieren der wichtigen CC-Bänder mit stabilem resorbierbarem oder nichtresorbierbarem Nahtmaterial in offener, mini-offener oder arthroskopischer Technik, meist über Buttons oder Kippanker stellen weitere operative Versorgungsmöglichkeiten dar. Im Gegensatz zur historischen Bosworth-Schraube mit signifikant erhöhtem Risiko für Schraubenlockerung oder -bruch ist die Fixierung nicht rigide, dennoch kann es auch hier zu Problemen mit den Buttons, Frakturen von Processus coracoideus oder Clavicula und Rezidiv-
Instabilitäten kommen. Insbesondere das arthroskopische Einbringen der Verankerung am Coracoid ist technisch anspruchsvoll und zeitaufwendig, aus einer Verletzung des ACG wird ein glenohumeraler Eingriff. Die Nachbehandlung ist nur mit langsamer Steigerung von Beweglichkeit und Belastung verbunden, eine Implantatentfernung entfällt jedoch ganz. Die Transfixation des ACG mit einem oder 2 K-Drähten, ggf. mit Cerclage, wird im Vergleich zu früher deutlich seltener durchgeführt.

SEITE: 1 | 2 | 3