Übersichtsarbeiten - OUP 03/2021
BewegungstherapieEvidenter Nutzen bei orthopädisch-rheumatologischen Erkrankungen
Hartmut Bork
Zusammenfassung:
Klinisch relevante, den Krankheitsverlauf und das Schmerzerleben positiv beeinflussende Effekte durch Bewegungstherapie konnten mittlerweile in vielen randomisierten und kontrollierten Studien bei verschiedenen orthopädischen und rheumatologischen Indikationen nachgewiesen werden. Mit ihrer vielfältigen funktionell-somatischen, aber auch psychosozialen Wirkung wird die Bewegungstherapie dazu eingesetzt, beeinträchtigte Körperfunktionen zu verbessern und geschädigte Strukturen zu regenerieren, Schmerzen zu lindern und damit die Lebensqualität von Patienten zu verbessern. Auch aufgrund eines günstigen Nutzen-Risiko-Profils werden bewegungstherapeutische Maßnahmen daher als Kernelement konservativer Behandlungsstrategien in vielen Leitlinien empfohlen und in der medizinischen Rehabilitation angewendet.
Schlüsselwörter:
Bewegungstherapie, Schmerztherapie, Rehabilitation, Orthopädie, Rheumatologie
Zitierweise:
Bork H: Bewegungstherapie. Evidenter Nutzen bei orthopädisch-rheumatologischen Erkrankungen.
OUP 2021; 10: 0108–0112
DOI 10.3238/oup.2021.0108–0112
Summary: Meanwhile clinical influence of exercise therapy on progression in different orthopedic und rheumatic diseases and experience of pain is proved in many randomized trials. Because of its physiological and psychosocial effects exercise therapy is used to improve body function and raise quality of life. Exercise therapy has a good risk-benefit ratio and therefore is highly recommended in many guidelines and common in rehabilitation programs.
Keywords: Exercise therapy, pain management, rehabilitation, orthopedic-rheumatic diseases
Citation: Bork H: Exercise. Evidence therapy in orthopedic-rheumatic diseases.
OUP 2021; 10: 0108–0112. DOI 10.3238/oup.2021.0108–0112
Reha-Zentrum am St. Josef-Stift, Sendenhorst
Einleitung
Bewegungstherapeutische Elemente haben sich seit vielen Jahren in der Therapie verschiedener Erkrankungen als Basis konservativer Behandlungsstrategien zur Funktionsverbesserung und auch zur Reduktion von Schmerzen etabliert und werden daher mittlerweile in vielen Leitlinien als wichtige Behandlungsmaßnahme empfohlen [2–6]. Neben einem günstigen Nutzen-Risiko-Profil konnten in mehreren randomisierten, kontrollierten Studien/Metaanalysen klinisch relevante Effekte bei diversen orthopädisch-rheumatologischen Indikationen nachgewiesen werden [14, 17, 18, 24, 25, 31, 33]. Mit ihrer vielfältigen funktionell somatischen und psychosozialen Wirkung wird die Bewegungstherapie unter anderem dazu eingesetzt, beeinträchtigte Körperfunktionen zu verbessern und geschädigte Strukturen am Haltungs- und Bewegungsapparat zu regenerieren.
Um gerade bei chronischen Erkrankungen Übungsinhalte sicher zu vermitteln und für weitere selbständig durchzuführende Maßnahmen eine hohe Compliance zu erzielen und somit eine nachhaltige Gesundheitskompetenz durch Bindung an regelmäßige körperliche Aktivität bei Patienten aufzubauen, sollte die Einführung in das Training durch erfahrene Therapeuten begleitet werden [7, 19]. Das gilt sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting.
Allgemeine Aspekte
Bewegungstherapie wird von verschiedenen therapeutischen Berufsgruppen wie Krankengymnasten/Physiotherapeuten, Ergo- und Sporttherapeuten eingesetzt und umfasst, je nach angestrebtem Behandlungsziel, eine Vielzahl unterschiedlicher therapeutischer Methoden und Übungsformen wie klassische Krankengymnastik/Physiotherapie, Krankengymnastik am Gerät/medizinische Trainingstherapie, Aquatraining, Sporttherapie in Form eines Kraft-, Ausdauer-, und Beweglichkeitstrainings bis hin zu differenzierten arbeitsplatzbezogenen Trainingsprogrammen und der Rekreationstherapie [14].
Zielsetzungen können u.a. sein:
Verbesserung beeinträchtigter Gelenkfunktionen
Steigerung koordinativer und konditioneller Fähigkeiten wie Ausdauer und Kraft
Schulung der Körperwahrnehmung und sichere Selbsteinschätzung der Belastbarkeit
Vermittlung von Wissen über Effekte spezieller Bewegungsprogramme auf die Erkrankung
Vermittlung von spezifischen Bewegungsübungen
Vermittlung von Kenntnissen zur Trainings- und Belastungssteuerung und zu Dosis-Wirkungsprinzipien
Steigerung der Motivation zu dauerhafter körperlicher Aktivität.
Bei der Auswahl und Trainingsintensität der einzelnen Therapieverfahren/Übungsformen sollten nachfolgende Faktoren immer berücksichtigt werden:
Ursache, Schweregrad und Symptomatik der Erkrankung
Alter und Aktivitätsgrad des Patienten
Begleiterkrankungen und Allgemeinzustand
Lebensqualität, berufliche Situation und Erwartungshaltung des Patienten.
Systematische Untersuchungen und Aussagen zur Dosierung, Dauer, Intensität und Trainingsform bei verschiedenen Indikationen und Erkrankungsbildern gab es in der Vergangenheit allerdings nur wenige. Unabhängig davon stellen eine selbst gewählte moderat-intensive Belastungsintensität und langsame Belastungssteigerung, verbunden mit einer schmerzfreien Bewegungsausführung die wichtigsten Trainingsprinzipien dar [34]. Häufigere kürzere Trainingseinheiten (z.B. dreimal pro Woche 20–30 Minuten) scheinen gerade für ältere Patienten sinnvoller zu sein als längere wenige Einheiten und werden auch von der WHO empfohlen [21]. Das Training sollte immer in der Dosierung den körperlichen und funktionellen Voraussetzungen des Patienten angepasst sein. Einzelne Therapiearten weisen laut derzeitiger Studienlage gegenüber anderen keine Überlegenheit auf, so dass die Therapien anhand individueller Präferenzen zusammen mit den Therapeuten ausgewählt werden sollten. Sport und Bewegung sollten immer Spaß machen, damit diese auch langfristig durchgeführt werden. Dies gilt sowohl für die Auswahl, aber auch das einzelne Setting.
Degenerative
Gelenkerkrankungen
Die Bewegungstherapie stellt in der Behandlung degenerativer, aber auch entzündlicher Gelenkerkrankungen einen wichtigen Bestandteil konservativer Behandlungsmaßnahmen dar. Gerade bei der Hüft- und Kniegelenksarthrose, kommt es im Krankheitsverlauf häufig zu einer Abnahme der Gelenkfunktion und der allgemeinen körperlichen Fitness, was für die Bewältigung von Alltagsaktivitäten und die Selbständigkeit gerade bei älteren Menschen eine grundlegende Bedeutung hat. Bewegungstherapien beugen hier nicht nur einem Funktionsverlust vor, sondern fördern auch die soziale Teilhabe. Sie erhalten die Lebensqualität der Betroffenen und können den Zeitpunkt für einen operativen Gelenkersatz hinauszögern.
Obwohl körperliches Training nach jetzigem Wissensstand zwar keinen direkten Einfluss auf die pathophysiologischen Veränderungen der Arthrose hat und eine weitere Schädigung des hyalinen Knorpels nicht aufhalten kann, hat Bewegung einen nachweisbaren positiven Einfluss auf die Schmerzsymptomatik, Gelenkbeweglichkeit, Kraft und Gleichgewichtsfähigkeit mitsamt der von Patienten hierdurch selbst wahrgenommenen Behinderung durch die Arthrose [9]. So konnten signifikante Verbesserungen bei den Alltags- und Gelenkfunktionen, beim Aufstehen und Gehen, aber auch in der Gang-symmetrie und der Gehdistanz sowie bei der maximalen Sauerstoffaufnahme, der Muskelkraft und bei der Linderung von Schmerzen nachgewiesen werden [19]. Selbst bei Training der oberen Extremitäten, beispielsweise am Handkurbelergometer, das probaterweise in der Geriatrie oftmals zum Einsatz kommt, waren diese Effekte verifizierbar [23]. Daneben können auch Low Impact-Sportarten Schmerzen bei beginnender Arthrose reduzieren, Beweglichkeit und Kraft der gelenkstabilisierenden Muskulatur verbessern und den Gelenkstoffwechsel ökonomisieren.
Entzündlich rheumatische Erkrankungen
Die wissenschaftliche Datenlage von Bewegungstherapie bei rheumatischen Erkrankungen ist wie bei anderen Indikationen heterogen und in der Ergebnispräsentation nicht immer signifikant. Dennoch gibt es eine Vielzahl an Metaanalysen, welche den positiven Einfluss von Sport und Bewegung bei rheumatischen Erkrankungen belegen [16], so dass körperliche Aktivität und sportliche Betätigung in den letzten Jahren weltweit zu einer wichtigen Therapiesäule bei rheumatischen Erkrankungen wie z.B. der rheumatoiden Arthritis und axialen Spondyloarthritis geworden sind. Grund für den empfohlenen Einsatz bewegungstherapeutischer Maßnahmen ist nicht nur der Erhalt der Gelenk- und Wirbelsäulenbeweglichkeit, sondern ihr Einfluss auf die chronische Inflammation.
Die Skelettmuskulatur produziert bei Bewegung nicht nur kinetische Energie und Wärme, sondern wirkt auch als endokrines Organ, indem sie entzündungshemmende Myokine freisetzt. Für die immunmodulatorischen Effekte körperlicher Aktivität konnten in den letzten Jahren zahlreiche Belege aufgezeigt werden. Der Skelettmuskel hat Einfluss auf zahlreiche andere Organe wie z. B. Fettgewebe, Leber, Pankreas, Knochen und Gehirn [28], was insofern bedeutend ist, da anhaltende systemische Inflammation als typisches Charakteristikum entzündlich rheumatischer Erkrankungen auch zu Insulinresistenz, Dyslipidämie, endothelialer Dysfunktion und in der Folge zu früher Manifestation einer Arteriosklerose führt [8]. Zu den Myokinen
gehören u.a. auch das Interleukin 6
(IL-6) [27, 28]. Während körperlicher Aktivität kommt es je nach Dauer und Intensität bis zu einem 100-fachen Anstieg der zirkulierenden IL-6-Spiegel [30], wodurch durch TNF (Tumornekrosefaktor)-? und IL-1? getriggerte entzündliche Prozesse gehemmt werden. Neben der Freisetzung von Myokinen werden durch regelmäßiges körperliches Training aber auch Stresshormone reduziert [18] und stimmungsaufhellende Endorphine gebildet.
Generell wird angestrebt, durch Bewegung Schmerzen und Schwellungen zu lindern und Gelenkmobilität, Kraft und Ausdauer durch Training zu steigern. Daher sind neben der Krankengymnastik und Ergotherapie (insbesondere bei drohender Einschränkung der Handfunktion und von Alltagsaktivitäten) auch sportliche Aktivitäten wichtig. Mitunter blockieren Morgensteifigkeit, Gelenkschwellung, Schmerz und die Angst, dass Sport schädlich sein könnte die Umsetzung. Für die Steuerung bewegungstherapeutischer Maßnahmen ist es umso wichtiger, Krankheitsaktivität, Krankheitsstadium und das Ausmaß der körperlichen Einschränkungen sowie die weitere Prognose im Behandlungskonzept zu berücksichtigen.
Übungen im warmen Bewegungsbad werden gegenüber Trockenübungen von den Patienten oftmals subjektiv besser eingeschätzt, was einer höheren Compliance bei der regelmäßigen Ausübung zu Gute kommt. Krafttraining ist im Vergleich zu Ausdauertraining in Bezug auf Lebensqualität und Funktion anscheinend effektiver. Dabei sollte das Training individuell auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten und vor allem supervidiert und regelmäßig durchgeführt werden. Darüber hinaus können personalisierte Physiotherapie mit Anleitung zum Selbstmanagement mit Fokus auf Bewegungsinterventionen zur Linderung von Fatigue beitragen [16]. Grundsätzlich kommen bei Rheuma alle Aktivitäten infrage, die die Gelenke nicht übermäßig belasten.
Hüft- und Knieendoprothetik
Kraft-, Ausdauer und Beweglichkeitstraining spielen auch in der Nachbehandlung nach einer endoprothetischen Versorgung der großen Gelenke der unteren Extremität eine wichtige Rolle, um die durch die vorbestehende Arthrose und durch den operativen Eingriff mitunter geschädigten Gelenk- und Muskelfunktionen einschließlich des Gangbildes wieder zu verbessern. Zudem ist es durch die arthrosebedingten Mobilitätseinschränkung im Krankheitsverlauf bei vielen Betroffenen zu einer Abnahme der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit gekommen, die es gilt, gerade bei älteren Menschen postoperativ wieder aufzubauen.
Physiotherapeutische Anwendungen werden dabei unter Nutzung jeweils unterschiedlicher Techniken zunächst mit dem Ziel der Verbesserung von Gelenkbeweglichkeit und Kraft der Hüft- und Kniemuskulatur und zur Reduktion des operationsbedingten perioperativen Weichteilödems eingesetzt. Unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln wie Unterarmgehstützen, Gehwagen oder Rollator gilt es, die mitunter beeinträchtigte Gangsicherheit wiederherzustellen und im Weiteren ein reguläres Gangbild zu schulen.
Im gruppentherapeutischen Setting kommen neben medizinischen Kraft-Trainingsgeräten wie Beincurler und Funktionsstemme (nur beidbeinig und nicht in der Frühphase – wegen möglicher Torsionskräfte auf den Schaft) auch Fahrradergometer und Laufband zum Einsatz. Um Überlastungen zu vermeiden oder gar eine Gefährdung auszuschließen, muss auf die Belastbarkeit des operierten Gelenkes hinsichtlich Kompressions-, Rotations- und Scherkräfte insbesondere nach zementfreier hüftendoprothetischer Versorgung bei der Geräteauswahl geachtet werden [15]. Im Rahmen der Nachbehandlung ist es zudem wichtig, Patienten in Abhängigkeit vom Zugangsweg differenziert über notwendige Verhaltensweisen und Gefährdungsaspekte wie z.B. eine Luxation aufzuklären. Entsprechend müssen auch Therapeuten immer über die jeweiligen zugangsbedingten Limitationen ärztlicherseits informiert werden. Teilweise sind spezielle Geräteausführungen wie beispielsweise ein Längenausgleich des Tretpedals oder der schwellenfreie Einstieg am Fahrrad-Ergometer erforderlich.
Rückenschmerzen
Rückenschmerzen sind in Deutschland und vergleichbaren westlichen Industrienationen weit verbreitet. Die Lebenszeitprävalenz in der deutschen Erwachsenenpopulation beträgt 85,5 % [31]. Im Gesundheitssystem haben sie eine herausragende medizinische sowie ökonomische Bedeutung und zählen mit zu den größten Gesundheitsproblemen in Deutschland. Per Definition wird zwischen nicht-spezifischen und spezifischen Rückenschmerzen differenziert, wobei die Unterscheidung mitunter nicht immer leicht ist.
Die Therapie nicht-spezifischer Kreuzschmerzen ist symptomatisch. Sie orientiert sich am Schmerzausmaß und dem hierdurch hervorgerufenen Funktionsverlust bei Alltagsaktivitäten bzw. im Berufsleben. Neben der eventuell notwendigen medikamentösen Behandlung zur Reduktion der Akutschmerzsymptomatik stehen diverse nicht-medikamentöse Maßnahmen mit unterschiedlichem Wirksamkeitsnachweis zur Verfügung. Die jeweiligen Therapien sollten mit den Betroffenen im Sinne eines „shared decision making“ individuell und nach jeweiligen Präferenzen abgestimmt werden. Prinzipiell sollten Patienten mit akuten nicht-spezifischen Rückenschmerzen ärztlicherseits dazu angehalten werden, ihre körperlichen Aktivitäten soweit wie möglich beizubehalten, wobei über deren positive Auswirkung auf die Beschwerdesymptomatik aufgeklärt werden sollte. Das Beibehalten von Alltagsaktivitäten im individuell angepassten Ausmaß führt in der Regel im Verlauf zu einer Schmerzreduktion und Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit [12]. In der Literatur gibt es Hinweise, dass insbesondere intensivere persönliche Aufklärung und Edukation im Sinne der Vermittlung von Kompetenzen zu gesundheitsbewusstem Verhalten positive Effekte auf Angst, Katastrophisieren und allgemeine Beunruhigung haben und eine beschleunigte Rückkehr an den Arbeitsplatz bewirken [33]. Einer Chronifizierung kann hierdurch vorgebeugt werden.
Neben den bereits beschriebenen Maßnahmen haben sich vor allem sport- und bewegungstherapeutische Verfahren mit Zielsetzung der Stabilisierung durch Kräftigung der Rumpfmuskulatur, kombiniert mit edukativen Maßnahmen nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien bei subakuten und chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen in Bezug auf die Schmerzreduktion, Funktionsfähigkeit und schnelle Rückkehr an den Arbeitsplatz als effektiv erwiesen [17]. Welche Form der Bewegungstherapie dabei eingesetzt wird, sollte aufgrund mangelnder Studiendaten nach der jeweiligen Präferenz der Betroffenen, ihren Alltagsumständen und der individuellen Fitness entschieden werden. Wichtig ist eine gute und motivierende Anleitung durch qualifizierte Therapeuten, um Betroffene an gesundheitsorientierte körperliche Aktivität dauerhaft zu binden. Auch ergotherapeutische Maßnahmen können bei chronischen Rückenschmerzen im multimodalen Setting zur physischen Konditionierung und Verbesserung des funktionellen Status in Form arbeitsrelevanter Betätigungen sinnvoll sein, da sie speziell auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zielen. Im Anschluss an eine zuvor verordnete Therapie mit Krankengymnastik oder eine Rehabilitationsmaßnahme bietet Rehabilitationssport bzw. Funktionstraining im Weiteren eine längerfristige Möglichkeit, die Nachhaltigkeit der zuvor eingeleiteten Therapien zu verbessern. Auch bei einigen spezifischen Rückenschmerzen wie dem Facettensyndrom, dem discogenen Lumbalsyndrom, der Osteochondrosis vertebralis wird nach Abklingen des akuten Krankheitsbilds zur muskulären Stabilisation des Wirbelsäulenabschnitts Bewegungstherapie in Form von Kraft- und Koordinationstraining empfohlen.
Osteoporose
Die Osteoporose als systemische Skeletterkrankung zählt mittlerweile ebenso zu den ökonomisch bedeutsamsten Erkrankungen in Deutschland. Ihre Relevanz für das Gesundheitssystem wird in den nächsten Jahren infolge der demographischen Entwicklung noch um ein Vielfaches zunehmen, da Inzidenz und Prävalenz der Osteoporose und osteoporotischer Frakturen stark altersassoziiert sind. Umso wichtiger werden zukünftig interdisziplinäre Behandlungsansätze, auch in Form aktiver bewegungstherapeutischer Maßnahmen zur Sturzprophylaxe und Frakturvermeidung, zumal eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren das Krankheitsgeschehen einer Osteoporose und ihren Verlauf beeinflusst. Die Osteoporose bedingte Fraktur stellt im Alter eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung, chronische Schmerzsyndrome sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität dar [22] und trägt entscheidend zum Verlust an Lebensqualität und Autonomie älterer Menschen bei. Risikofaktor für eine Osteoporose bedingte Fraktur ist neben einer verminderten Knochenmasse und -festigkeit vor allem eine zum Sturz führende herabgesetzte neuromuskuläre Kapazität durch funktionelle Einbußen im Kraft- und Gleichgewichtsvermögen mit einer daraus resultierenden Gangunsicherheit [13]. Zur Reduktion der motorischen Kompetenz gesellschaftet sich im Alter noch eine Minderung der visuellen und vestibulären Fähigkeiten, wodurch das Sturzrisiko zusätzlich erhöht wird. Altersassoziierte Stürze sind multikausal bedingt, mit einer komplexen Interaktion aus intrinsischen Faktoren wie Muskelschwäche und Gleichgewichtsstörungen sowie extrinsischen Faktoren wie Medikation, Sehstörungen oder „Stolperfallen“ im häuslichen Umfeld [10]. Der Vermeidung von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen kommt daher eine maßgebliche Bedeutung für die Gesundheit im Alter zu. Bewegungstherapie kann hier einen wertvollen Beitrag sowohl zur Verminderung der Sturzangst als auch zur Prävention von Stürzen leisten. Um das Sturzrisiko besser abschätzen zu können, sollten mit Betroffenen einfach durchfühbare Assessments wie z.B. der Chair Rising-Test, Handkraftmessung, die Gehgeschwindigkeit oder der Timed-up-and-go-Test zur Überprüfung der Muskelkraft und -leistung erfolgen.
Daher gilt für den Erhalt der Knochenmasse und der Festigkeit körperliche Aktivität und die daraus resultierende mechanische Beanspruchung des Knochens als unabdingbar. Körperlich aktive Menschen weisen eine signifikant höhere Knochendichte auf als inaktive Menschen [11]. Zudem belegen prospektive Kohortenstudien und konsistente Ergebnisse aus Fall-Kontrollstudien für periphere Fakturen ein reduziertes Risiko von 20 – 40 % bei älteren Menschen mit hohem physischem Aktivitätslevel. Je inaktiver der Lebensstil, desto frühzeitiger zeigen sich altersbedingte degenerative Veränderungen [24]. Neben einer reduzierten Anzahl an Muskelfasern (Typ-1– und betont Typ-2-Fasern, vor allem der unteren Extremität) sind hierfür neuronale Einflüsse (u.a. eine Reduktion spinaler Motoneurone bzw. spinale Inhibitionen) sowie eine Einschränkung der mechanischen Muskelfunktion verantwortlich. Dies führt mit zunehmendem Alter zu einer erheblichen Beeinträchtigung im sensomotorischen Informationsaustausch mit einer Minderung der Qualität der inter- und intramuskulären Koordination.
Zum Erhalt der Mobilität und auch der Fähigkeit, sich im Alltag selbst zu versorgen ist daher neben koordinativen und kardiopulmonal wirksamen Trainingsinhalten ein angepasstes muskuläres Krafttraining sinnvoll. Krafttraining führt gerade auch bei älteren Menschen durch Erhöhung des Muskelvolumens und Optimierung der Rekrutierung motorischer Einheiten zu einer Verbesserung der Muskelfunktion und Zunahme der Muskelkraft, wodurch einer Sarkopenie entgegengewirkt wird. Gangsicherheit und Ganggeschwindigkeit lassen sich so oftmals verbessern [29]. Das Ausmaß der Anpassung bei älteren Menschen über 60 Jahre ist dabei mit dem von Jüngeren durchaus vergleichbar. Die sarkopenische Muskelfaser verfügt somit nicht per se über eine reduzierte mechanische Muskelfunktion, sondern besitzt ein nachweisbares Adaptationspotenzial.
Allerdings ist derzeit nicht abschließend geklärt, welche Trainingseffekte mit welcher Belastungsintensität bzw. Beanspruchung im Einzelnen erreicht werden, zumal die Wirkung der Belastungshöhe mit personenspezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten variiert. Steht die Steigerung der schnell verfügbaren Kraft (Kraftentwicklungsrate) im Vordergrund, sind eher höhere Intensitäten (> 85 %) bzw. Frequenzen notwendig. Ein progressives Krafttraining bei 60 – 80 % des 1 RM (One-repetition maximum = Ein-Wiederholungsmaximum) hat laut jetziger Datenlage [13] allgemein einen positiven Effekt auf die Knochenmasse an Hüfte und Wirbelsäule. Ein Maximalkrafttraining von 70 – 90 % des 1 RM für alle Hauptmuskelgruppen hat dabei einen größeren Effekt auf die Knochenmasse als ein Kraftausdauertraining. Der trabekuläre Knochen der Wirbelkörper reagiert insgesamt schneller auf mechanische Verformung als der cortikale Knochen des Schenkelhalses.
Auch ein tägliches Walking-Training im aeroben Bereich (bis 60 % der maximalen Herzfrequenz) kann den Knochenaufbau an der Wirbelsäule bei osteoporotischen Frauen stimulieren, insbesondere wenn dieses mit einem zusätzlichen täglichen Gymnastikprogramm oder Krafttraining (50 % 1 RM) koordiniert wird. Das Training sollte zudem in seiner Intensität gesteigert werden und dauerhaft erfolgen, da bei Abbruch die erzielten Effekte wieder rückläufig sind. Allgemein ist es sinnvoll, alle Hauptmuskelgruppen zu trainieren. Bei schmerzhaften Gelenken empfiehlt es sich, sofern keine medizinischen Kontraindikationen (kardiopulmonale Dekompensation, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Allergien, Infektionen etc.) dagegen sprechen, den Auftrieb und Widerstand des Wassers im Bewegungsbad zu nutzen, zumal bei vielen älteren Menschen Bewegung im Wasser sehr beliebt ist. Die Vermittlung eines Eigenübungsprogramms sollte immer Bestandteil des Trainings sein.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie auf: www.online-oup.de.
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