Übersichtsarbeiten - OUP 03/2021

Bewegungstherapie
Evidenter Nutzen bei orthopädisch-rheumatologischen Erkrankungen

Die wissenschaftliche Datenlage von Bewegungstherapie bei rheumatischen Erkrankungen ist wie bei anderen Indikationen heterogen und in der Ergebnispräsentation nicht immer signifikant. Dennoch gibt es eine Vielzahl an Metaanalysen, welche den positiven Einfluss von Sport und Bewegung bei rheumatischen Erkrankungen belegen [16], so dass körperliche Aktivität und sportliche Betätigung in den letzten Jahren weltweit zu einer wichtigen Therapiesäule bei rheumatischen Erkrankungen wie z.B. der rheumatoiden Arthritis und axialen Spondyloarthritis geworden sind. Grund für den empfohlenen Einsatz bewegungstherapeutischer Maßnahmen ist nicht nur der Erhalt der Gelenk- und Wirbelsäulenbeweglichkeit, sondern ihr Einfluss auf die chronische Inflammation.

Die Skelettmuskulatur produziert bei Bewegung nicht nur kinetische Energie und Wärme, sondern wirkt auch als endokrines Organ, indem sie entzündungshemmende Myokine freisetzt. Für die immunmodulatorischen Effekte körperlicher Aktivität konnten in den letzten Jahren zahlreiche Belege aufgezeigt werden. Der Skelettmuskel hat Einfluss auf zahlreiche andere Organe wie z. B. Fettgewebe, Leber, Pankreas, Knochen und Gehirn [28], was insofern bedeutend ist, da anhaltende systemische Inflammation als typisches Charakteristikum entzündlich rheumatischer Erkrankungen auch zu Insulinresistenz, Dyslipidämie, endothelialer Dysfunktion und in der Folge zu früher Manifestation einer Arteriosklerose führt [8]. Zu den Myokinen
gehören u.a. auch das Interleukin 6
(IL-6) [27, 28]. Während körperlicher Aktivität kommt es je nach Dauer und Intensität bis zu einem 100-fachen Anstieg der zirkulierenden IL-6-Spiegel [30], wodurch durch TNF (Tumornekrosefaktor)-? und IL-1? getriggerte entzündliche Prozesse gehemmt werden. Neben der Freisetzung von Myokinen werden durch regelmäßiges körperliches Training aber auch Stresshormone reduziert [18] und stimmungsaufhellende Endorphine gebildet.

Generell wird angestrebt, durch Bewegung Schmerzen und Schwellungen zu lindern und Gelenkmobilität, Kraft und Ausdauer durch Training zu steigern. Daher sind neben der Krankengymnastik und Ergotherapie (insbesondere bei drohender Einschränkung der Handfunktion und von Alltagsaktivitäten) auch sportliche Aktivitäten wichtig. Mitunter blockieren Morgensteifigkeit, Gelenkschwellung, Schmerz und die Angst, dass Sport schädlich sein könnte die Umsetzung. Für die Steuerung bewegungstherapeutischer Maßnahmen ist es umso wichtiger, Krankheitsaktivität, Krankheitsstadium und das Ausmaß der körperlichen Einschränkungen sowie die weitere Prognose im Behandlungskonzept zu berücksichtigen.

Übungen im warmen Bewegungsbad werden gegenüber Trockenübungen von den Patienten oftmals subjektiv besser eingeschätzt, was einer höheren Compliance bei der regelmäßigen Ausübung zu Gute kommt. Krafttraining ist im Vergleich zu Ausdauertraining in Bezug auf Lebensqualität und Funktion anscheinend effektiver. Dabei sollte das Training individuell auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten und vor allem supervidiert und regelmäßig durchgeführt werden. Darüber hinaus können personalisierte Physiotherapie mit Anleitung zum Selbstmanagement mit Fokus auf Bewegungsinterventionen zur Linderung von Fatigue beitragen [16]. Grundsätzlich kommen bei Rheuma alle Aktivitäten infrage, die die Gelenke nicht übermäßig belasten.

Hüft- und Knieendoprothetik

Kraft-, Ausdauer und Beweglichkeitstraining spielen auch in der Nachbehandlung nach einer endoprothetischen Versorgung der großen Gelenke der unteren Extremität eine wichtige Rolle, um die durch die vorbestehende Arthrose und durch den operativen Eingriff mitunter geschädigten Gelenk- und Muskelfunktionen einschließlich des Gangbildes wieder zu verbessern. Zudem ist es durch die arthrosebedingten Mobilitätseinschränkung im Krankheitsverlauf bei vielen Betroffenen zu einer Abnahme der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit gekommen, die es gilt, gerade bei älteren Menschen postoperativ wieder aufzubauen.

Physiotherapeutische Anwendungen werden dabei unter Nutzung jeweils unterschiedlicher Techniken zunächst mit dem Ziel der Verbesserung von Gelenkbeweglichkeit und Kraft der Hüft- und Kniemuskulatur und zur Reduktion des operationsbedingten perioperativen Weichteilödems eingesetzt. Unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln wie Unterarmgehstützen, Gehwagen oder Rollator gilt es, die mitunter beeinträchtigte Gangsicherheit wiederherzustellen und im Weiteren ein reguläres Gangbild zu schulen.

Im gruppentherapeutischen Setting kommen neben medizinischen Kraft-Trainingsgeräten wie Beincurler und Funktionsstemme (nur beidbeinig und nicht in der Frühphase – wegen möglicher Torsionskräfte auf den Schaft) auch Fahrradergometer und Laufband zum Einsatz. Um Überlastungen zu vermeiden oder gar eine Gefährdung auszuschließen, muss auf die Belastbarkeit des operierten Gelenkes hinsichtlich Kompressions-, Rotations- und Scherkräfte insbesondere nach zementfreier hüftendoprothetischer Versorgung bei der Geräteauswahl geachtet werden [15]. Im Rahmen der Nachbehandlung ist es zudem wichtig, Patienten in Abhängigkeit vom Zugangsweg differenziert über notwendige Verhaltensweisen und Gefährdungsaspekte wie z.B. eine Luxation aufzuklären. Entsprechend müssen auch Therapeuten immer über die jeweiligen zugangsbedingten Limitationen ärztlicherseits informiert werden. Teilweise sind spezielle Geräteausführungen wie beispielsweise ein Längenausgleich des Tretpedals oder der schwellenfreie Einstieg am Fahrrad-Ergometer erforderlich.

Rückenschmerzen

Rückenschmerzen sind in Deutschland und vergleichbaren westlichen Industrienationen weit verbreitet. Die Lebenszeitprävalenz in der deutschen Erwachsenenpopulation beträgt 85,5 % [31]. Im Gesundheitssystem haben sie eine herausragende medizinische sowie ökonomische Bedeutung und zählen mit zu den größten Gesundheitsproblemen in Deutschland. Per Definition wird zwischen nicht-spezifischen und spezifischen Rückenschmerzen differenziert, wobei die Unterscheidung mitunter nicht immer leicht ist.

Die Therapie nicht-spezifischer Kreuzschmerzen ist symptomatisch. Sie orientiert sich am Schmerzausmaß und dem hierdurch hervorgerufenen Funktionsverlust bei Alltagsaktivitäten bzw. im Berufsleben. Neben der eventuell notwendigen medikamentösen Behandlung zur Reduktion der Akutschmerzsymptomatik stehen diverse nicht-medikamentöse Maßnahmen mit unterschiedlichem Wirksamkeitsnachweis zur Verfügung. Die jeweiligen Therapien sollten mit den Betroffenen im Sinne eines „shared decision making“ individuell und nach jeweiligen Präferenzen abgestimmt werden. Prinzipiell sollten Patienten mit akuten nicht-spezifischen Rückenschmerzen ärztlicherseits dazu angehalten werden, ihre körperlichen Aktivitäten soweit wie möglich beizubehalten, wobei über deren positive Auswirkung auf die Beschwerdesymptomatik aufgeklärt werden sollte. Das Beibehalten von Alltagsaktivitäten im individuell angepassten Ausmaß führt in der Regel im Verlauf zu einer Schmerzreduktion und Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit [12]. In der Literatur gibt es Hinweise, dass insbesondere intensivere persönliche Aufklärung und Edukation im Sinne der Vermittlung von Kompetenzen zu gesundheitsbewusstem Verhalten positive Effekte auf Angst, Katastrophisieren und allgemeine Beunruhigung haben und eine beschleunigte Rückkehr an den Arbeitsplatz bewirken [33]. Einer Chronifizierung kann hierdurch vorgebeugt werden.

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