Originalarbeiten - OUP 10/2012

Bildgebende Diagnostik bei Ischialgie – zu früh, zu viel, die Falsche?
Eine Analyse zum Einsatz von Schnittbildverfahren

Die Frage, ob der Schmerz als radikulärer oder nicht radikulärer Schmerz zu werten ist, wurde anamnestisch anhand der Angaben zur Schmerzlokalisation und zum Auftreten des Schmerzes [11–13] überprüft, klinisch anhand des klassischen Lasègue-Tests [27]. Er wurde nur als positiv gewertet, wenn eine radikuläre Schmerzausstrahlung im anatomischen Versorgungsgebiet des Segmentes bei Anheben des gestreckten Beines bis 30° angegeben wurde [18, 32–34].

Statistik

Die Daten der Patient/innen wurden in Excel-Tabellen zusammengefasst. Die Behandlungsgruppen wurden mit dem Binomialtest auf Signifikanz der Unterschiede überprüft; die zu prüfenden Prädiktoren der Verwendung von CT oder MRT, Geschlecht, Alter, Diagnose (radikulär versus nicht radikulär), Schmerzdauer und Schmerzstärke (VAS) wurden einer logistischen Regression mit simultaner und schrittweiser Prüfung aller 5 Faktoren unterzogen.

Ergebnisse

Von den untersuchten 100 Patienten/innen brachten 97 ein Röntgenbild der LWS in 2 Ebenen zur Vorstellung in unserer Sprechstunde mit. Ein Schnittbild war bereits bei 84 Patienten/innen erstellt worden, nur bei 16 Patienten lag keines vor. Von diesen 84 waren 41 Frauen (48,8 %) und 43 Männer (51,2 %). Die weitere Auswertung bezieht sich auf die Eigenschaften dieser 84 Patienten, bei denen ein Schnittbildverfahren durchgeführt worden war. Bei 55 Patienten (65 %) war ein CT von L3 bis S1, bei 29 Patienten (35 %) ein MRT der LWS erstellt worden, dieser Unterschied war signifikant (p = 0,006, Binomialtest, Tabelle 1). Die weiteren Charakteristika der Patientenen sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Auswertung der Frage der Verwendung von CT oder MRT in Abhängigkeit von diesen Patienten-Charakteristika durch univariate und multivariate logistische Regression ist in Tabelle 2 zusammengefasst. Das Durchschnittsalter der Frauen und Männer bei ambulanter Vorstellung war 29,6 Jahre (20–40 Jahre), die Dauer der Symptome bis zur Zuweisung lag im Mittel bei 4,8 Wochen (1–9 Wochen), die Intensität der Schmerzen auf der VAS Skala von 0 = kein Schmerz bis 10 = maximal vorstellbarer Schmerz im Mittel bei 6,3 VAS (4–9 VAS). Radikuläre Schmerzen mit einem positiven (klassischen) Lasèque hatten 50 (60 %)der Patient/innen. Bei 34 (40 %) bestand zwar ein ausstrahlender Schmerz, aber anamnestisch war dieser nicht streng segmental und klinisch bestand kein Lasèque in der oben definierten Form. Tabelle 2 zeigt, dass die geprüften 5 Prädiktoren der Verwendung von CT oder MRT (Geschlecht, Alter, Diagnose radikulär versus nicht radikulär (rad versus nrad), Dauer und Stärke der Schmerzen (VAS-Skala) keinen nachweisbaren Einfluss auf die Entscheidung über die Durchführung eines CT oder eines MRT hatten. In einer logistischen Regression mit simultaner Prüfung aller 5 Prädiktoren war p = 0,55-, das heißt das Gesamtmodell war damit nicht besser als der Zufall. Auch bei schrittweiser Prüfung der Prädiktoren war kein Einziger davon auch nur annähernd signifikant(alle p > 0,20) (Tabelle 2). Die Entscheidung, ob ein CT von L3 bis S1 oder ein MRT der Lendenwirbelsäule durchgeführt wurde, wurde damit bei den hier untersuchten Patienten nicht signifikant davon beeinflusst, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte, wie alt die Patient waren, ob die Schmerzen streng radikulär oder nicht radikulär waren und wie lange und wie intensiv die Schmerzen bestanden.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Behandlung von Patienten mit Rückenschmerzen und Ischialgie das Röntgenbild der Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen als erstes bildgebendes Verfahren bei fast allen hier untersuchten Patient/innen eingesetzt wurde. Dies steht im Einklang mit der Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die das Nativröntgen, gegebenenfalls mit Funktionsaufnahmen, als erste Diagnostik zum Erkennen von Osteodestruktionen, Fehlbildungen und Frakturen empfiehlt. Die durchschnittliche Dauer der Beschwerden bis zur Zuweisung zur Klinik betrug 5 Wochen, damit lag das diagnostische Röntgen sehr wohl innerhalb der Empfehlung der AWMF, die eine Reevaluation bei Persistenz der Beschwerden bei unkompliziertem Kreuzschmerz über 4 Wochen, bei radikulären Beschwerden über 1–2 Wochen hinaus empfiehlt [3, 4].

Auch die zur weiteren Abklärung zur Verfügung stehenden Schnittbildverfahren CT und MRT wurden sehr häufig bereits vor der Überweisung zur Klinik eingesetzt. Es ist uns bewusst, dass viele Patienten, durch Laien-Presse und Internet informiert, die „Ursache“ ihrer Schmerzen wissen wollen und eine Schnittbildgebung geradezu fordern, dieser Faktor kann den Zeitraum der Erstellung von Schnittbildern beeinflussen, kann aber kaum kalkuliert werden. Bei Rückenschmerz und lumbaler Radikulopathie wird eine Schnittbilddiagnostik laut Leitlinie der AWMF nur bei „Red flags“, Tumorverdacht und Therapieresistenz über 6–8 Wochen empfohlen [3, 4, 7, 20, 31] unter anderem auch deshalb, weil die klinischen Beschwerden nicht gut mit der Bildgebung korrelieren und die Befunde – insbesondere beim MRT – zur Verunsicherung der Patienten und Chronifizierung beitragen können [10, 30, 35]. Unsere Ergebnisse zeigen, dass als Schnittbildverfahren vor der Überweisung zur Klinik signifikant häufiger ein CT der Lendenwirbelsäule von L3 bis S1 erstellt wurde und kein MRT.

Das Ergebnis überrascht, denn international hat sich das MRT der Lendenwirbelsäule als Verfahren der Wahl zur Diagnostik längst durchgesetzt [1, 5, 10, 14, 16, 17, 19, 24, 25, 28]. Van Rijn et al. fanden für die radiologische Evaluation von Bandscheibenvorfällen im direkten Vergleich eine höhere Reliabilität für die MRT im Vergleich zur Spiral-CT [29]. Die AWMF empfiehlt in ihren Leitlinien ebenfalls das MRT der LWS, da die Weichteilveränderungen darin meist besser erfasst werden als im CT [3, 4, 17]. Der Dünnschicht-CT wird in der AWMF-Leitlinie bei knöchernen Veränderungen und sehr weit lateralen Bandscheibenvorfällen ein Vorteil zugesprochen. Bei engem Spinalkanal in mehreren Etagen, bei Verdacht auf Instabilität, bei postoperativen Veränderungen, bei torsionsskoliotischen Veränderungen der LWS und bei belastungsabhängigen Beschwerden wird von der AWMF eine Funktionsmyelografie mit anschließender CT-Untersuchung empfohlen [3, 4].

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