Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016
Botulinumtoxin – mögliche Indikationen in O & U
Bei Therapieversagern nach einer Botulinumtoxinbehandlung sollte daher kritisch hinterfragt werden, ob die richtigen Muskeln behandelt wurden und ob die Injektion richtig platziert wurde. Der Einsatz einer EMG-kontrollierten und/oder sonografisch gestützten Injektion ermöglicht eine genauere Positionierung der Nadel in der Muskulatur [5].
Chronische Migräne
Der Einsatz von Botulinumtoxin A ist im Rahmen der Migränebehandlung ausschließlich für die Behandlung der chronischen Migräne als wirksam beschrieben worden. Daher müssen die episodische Migräne und andere Formen der Migräne klar abgegrenzt werden. Die chronische Migräne ist wie folgt definiert: Kopfschmerzen an mindestens 15 Tagen im Monat über mindestens 3 Monate sowie davon mindestens 8 migränetypische Kopfschmerztage. Die Prävalenz der chronischen Migräne liegt in Deutschland bei 1,1 % [8]. Die Behandlung mit Botulinumtoxin erfolgt nach einem festen Schema, bei dem insgesamt 31 Injektionen; zzgl. ggf. wenigen zusätzlichen optionalen Injektionen im Bereich des Kopfs, des Nackens und der Schultergürtelmuskulatur durchgeführt werden. Etwa 60 % der Patienten sprechen gut auf eine initiale Therapie an, weitere 10 % Therapieresponder lassen sich bei einem 2. Therapieversuch hinzugewinnen. Botulinumtoxin A reduziert im Vergleich zu Placebo signifikant die Anzahl der Kopfschmerztage, die Häufigkeit von Migräneattacken, die kumulativen Kopfschmerzstunden und die subjektive Beeinträchtigung der Patienten. Die Anzahl der Kopfschmerztage sank bei den Patienten, die mit Onabotulinumtoxin A behandelt wurden, von 19,9 um 8,4 Tage und in der mit Placebo behandelten Patientengruppe von 19,8 um 6,6 Tage (p < 0,001) [9].
Fokale Spastizität
Botulinum-Neurotoxin Typ A (BoNT-A) ist für die lokale Injektionsbehandlung der Spastizität bei Kindern mit Zerebralparese und im Erwachsenenalter national und international etabliert. Dabei ist eine Behandlung von spastischen Paresen und Tonusstörungen mit Botulinumtoxin stets im Kontext mit Physiotherapie, Ergotherapie, physikalischer Therapie und redressierenden Maßnahmen sowie einer systemischen Pharmakotherapie zu sehen.
Durch lokale Injektionen von BoNT-A können durch eine dosisabhängige Verminderung des Muskeltonus und Verbesserung der passiven Beweglichkeit auch weitere Funktionsverbesserungen (z.B. Verbesserung der Lagerung, Pflege und Hygiene) erreicht werden. Gerade in Fällen mit einer voraussichtlich wiederkehrenden Behandlung mit Botulinumtoxin im Intervall sollte hier vor Beginn der Therapie interdisziplinär ein individuelles realistisches Behandlungsziel festgelegt werden.
Klinische Studien haben gezeigt, dass BoNT-A sowohl an den oberen als auch unteren Extremitäten dosisabhängig den spastischen Muskeltonus senkt und das passive Bewegungsausmaß verbessert. Für die obere Extremität zeigen die Studien mehrheitlich eine Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit, der passiven Funktion und eine Vereinfachung der Pflege. Für die unteren Extremitäten liegen ebenfalls positive Studienergebnisse vor. Bei gehfähigen Patienten kann durch die BoNT-A Behandlung eine Verbesserung der Gangqualität erreicht werden, bei bettlägerigen Patienten mit Kontrakturen der Extremitäten kann eine Verbesserung der Pflege/Hygienemaßnahmen erreicht werden.
Epikondylitis humeroradialis
Bei nicht ausreichendem Therapieerfolg der konservativen Therapie der Epikondylitis humeroradialis mit z.B. Beratung, Medikamenten, temporärer Ruhigstellung, physikalischer Therapie, orthopädietechnischen Maßnahmen, Infiltrationstherapie mit Lokalanästhetika und Kortikosteroiden sowie der extrakorporalen Stoßwellenbehandlung kann gemäß der aktuellen AWMF S1-Leitlinie eine Behandlung mit Botulinumtoxin als weitere konservative Therapieoption/als Alternative zur operativen Therapie erfolgen [9]. In 2 klinischen Studien (randomisiert-kontrolliert) wurde gegenüber Placebo eine überlegene Wirksamkeit von Botulinumtoxin A bei der Epikondylitis humeroradialis gezeigt [10, 11]. In einer 3. randomisierten, kontrollierten Studie wurde bei der Injektion von BoNT-A kein Unterschied hinsichtlich der Wirksamkeit gegenüber einer Placebo-Injektion beobachtet [12]. In dieser Studie wurde eine Injektion von BoNT-A 5 cm distal des EHR durchgeführt. Hier zeigen eigene klinische Ergebnisse der Autoren, dass eine individuelle Festlegung der Injektionspunkte, die zudem durch einen Lokalanästhetikatest validiert werden können, von Vorteil zu sein scheint. Zur gezielten Injektion in den M. extensor carpi radialis brevis empfiehlt es sich, die Injektion unter sonografischer Kontrolle durchzuführen. Da bei einigen Patienten in Abhängigkeit zur gewählten BoNT-A Dosierung Kraftminderungen der Handextension beobachtet wird [10–12], ist eine individuelle Dosisanpassung und die Patientenaufklärung über diese reversible Schwäche anzuraten.
Plantarfasciitis
Bei therapierefraktären Plantarfasciitiden stellt eine Injektion von Botulinumtoxin eine valide Therapieoption dar. In randomisierten kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass eine Behandlung mit Botulinumtoxin einer intraläsionalen Injektion mit Kortikosteroiden und einer Injektion von Placebo bezüglich der Wirksamkeit überlegen ist [13, 14]. Dieser Effekt wurde sowohl nach 6 Monaten als auch im Jahres-Follow-up beobachtet [14, 15]. In einer randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Multicenterstudie aus Deutschland konnte 18 Wochen nach der Behandlung bei 63,1 % der Patienten, die mit BoNT-A behandelt wurden, eine Verbesserung der Beschwerden beobachtet werden. Es zeigte sich jedoch gegenüber der mit Placebo behandelten Gruppe, bei denen bei 55 % eine Verbesserung beschrieben wurde, kein signifikanter Unterscheid zwischen den Behandlungsgruppen [16].
Myofasziale Schmerzen
Eine weitere Option für den Einsatz von Botulinumtoxin ist die Behandlung therapierefraktärer myofaszialer Schmerzsyndrome des Nackens und des Schultergürtels sowie der LWS. In der unter der Leitung von M. Söhling (Willich) und J. Jerosch durchgeführten „IGOST-Studie“ wurde Botulinumtoxin A in 2 verschiedenen Dosierungen bei 163 Patienten mit Schulter-Nacken-Beschwerden, die mindestens bereits seit 6 Monaten bestanden, eingesetzt, mit jeweils der Behandlung der 4 druckschmerzhaftesten Punkte pro Seite. Im Verlauf zeigte sich bei den Patienten eine deutliche klinisch und auch statistisch signifikante Reduktion der Beschwerden über den Untersuchungszeitraum von 12 Wochen. 82,1 % der Patienten mit der geringeren Dosierung und 88,2 % der Patienten mit der höheren Dosierung beschrieben nach 12 Wochen eine Verbesserung Ihrer Beschwerden [17].