Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Chirurgische Therapie osteoporotischer Frakturen

Pascal Martin, Evi Fleischhacker, Stefan Mehaffey, Benjamin Bücking, Ulrich Liener, Carl Neuerburg

Zusammenfassung:
Aufgrund unserer immer älter werdenden Bevölkerung wird auch die Zahl an Osteoporose-assoziierten Frakturen zunehmen. Die durch eine Osteoporose reduzierte Knochenqualität impliziert einerseits ein erhöhtes Frakturrisiko, kann andererseits jedoch auch mit einer verzögerten Frakturheilung einhergehen. Zu den häufigsten Frakturentitäten gehören die proximale Femurfraktur, proximale Humerusfraktur sowie Wirbelkörperfrakturen. Die Therapieansätze bei osteoporotischen Frakturen reichen von einem konservativen Vorgehen über diverse rekonstruktive Verfahren bis hin zum endoprothetischen Gelenkersatz. Durch eine Augmentation mit Knochenzement kann eine erhöhte Stabilität im osteoporotischen Knochen erreicht werden. Neben der Akutversorgung hat auch die sekundäre Frakturprävention mittels Einleitung einer spezifischen Osteoporosetherapie einen hohen Stellenwert in der Behandlung alterstraumatologischer Patienten. Weiterhin ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit unumgänglich, um eine rasche vollbelastende Mobilisation der Patienten zu erreichen.

Schlüsselwörter:
Alterstraumatologie, Osteoporose, Fraktur, Osteosynthese, Augmentation

Zitierweise:
Martin P, Fleischhacker E, Mehaffey S, Bücking B, Liener U, Neuerburg C: Chirurgische Therapie
osteoporotischer Frakturen.
OUP 2022; 11: 0111–0115
DOI 10.53180/oup.2022.0111-0115

Summary: Due to our aging population, the number of fractures associated with osteoporosis will increase. On the one hand, the reduced bone quality caused by osteoporosis implies an increased fracture risk but can also be associated with delayed fracture healing. The most common fracture entities include the proximal femur fracture, proximal humerus fracture, and vertebral body fractures. The therapeutic approaches for osteoporotic fractures range from conservative approaches to various reconstructive procedures to endoprosthetic joint replacement. Increased stability in the osteoporotic bone can be achieved by augmentation with bone cement. In addition to acute care, secondary fracture prevention through the initiation of a specific osteoporosis therapy also has a high priority in the treatment of geriatric trauma patients. Furthermore, interdisciplinary cooperation is essential to achieve a rapid full weight bearing mobilization of the patients.

Keywords: ortho-geriatrics, osteoporosis, fracture, osteosynthesis, augmentation

Citation: Martin P, Fleischhacker E, Mehaffey S, Bücking B, Liener U, Neuerburg C: Surgical treatment of
osteoporotic fractures. OUP 2022; 11: 0111–0115. DOI 10.53180/oup.2022.0111-0115

P. Martin, E. Fleischhacker, S. Mehaffey, C. Neuerburg: Muskuloskelettales Universitätszentrum München, Klinikum der Universität München, LMU München

B. Bücking: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Hochsauerland GmbH, Arnsberg

U. Liener: Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Wiederherstellungschirurgie; Marienhospital Stuttgart

Besonderheiten des alterstraumatologischen Patienten

Der demografische Wandel unserer immer älter werdenden Bevölkerung wird von großen Herausforderungen für die Gesundheit und die Gesundheitssysteme begleitet. Eine dieser Herausforderungen stellt die wachsende Zahl an Osteoporose-assoziierten Frakturen bei älteren Patienten und deren erfolgreiche unfallchirurgische Behandlung dar. Mit ca. 8 Mio. Osteoporose-Patienten in Deutschland und ca. 27,5 Mio. europaweit erleiden jährlich ca. 3,5 Mio. Menschen in Europa Frakturen, die auf eine Osteoporose zurückzuführen sind [1, 2]. Im klinischen Alltag zeigt sich, dass etwa zwei Drittel der unfallchirurgischen Patienten über 75 Jahre an einer Osteoporose leiden, darunter v.a. Frauen [1]. Bei älteren Patienten gehen häufig bereits niedrigtraumatische Stürze mit erheblichen Verletzungsfolgen einher. Statistisch gesehen stürzt etwa ein Drittel aller Menschen im Alter > 70 Jahre mindestens einmal pro Jahr, wobei 10—20 % der Stürze zu ernsthaften Verletzungen führen [3]. Die durch eine Osteoporose signifikant reduzierte Knochenqualität impliziert dabei nicht nur ein erhöhtes Frakturrisiko, sondern kann auch mit einer verzögerten Frakturheilung einhergehen. Hüft- und Wirbelkörperfrakturen, gefolgt von Frakturen des Schulter- und Handgelenkes stellen hierbei die mitunter häufigsten Verletzungen dar [4]. Insbesondere die häufig mit einer Osteoporose assoziierten Hüftfrakturen werden unter Berücksichtigung aktueller epidemiologischer Untersuchungen zunehmen.

Niedrig energetische Frakturen bzw. Insuffizienzfrakturen bei älteren Patienten können oft nur schwer oder überhaupt nicht im konventionellen Röntgen diagnostiziert werden. Deshalb sollte bei alterstraumatologischen Patienten zur sicheren Beurteilung einer fraglichen Fraktur frühzeitig eine Schnittbildgebung mittels CT oder MRT erwogen werden. In Fällen, in denen radiologische Schnittbildverfahren keine ausreichenden Informationen über die Stabilität einer bestimmten Region des Skeletts wie bspw. der Wirbelsäule liefern, können Funktionsanalysen weitere Informationen geben. Auch können bspw. Belastungsaufnahmen im Stehen wichtige Informationen über die Stabilität von Frakturen im Bereich der Wirbelsäule und Extremitäten liefern.

In der operativen und weiteren Therapiefindung nimmt die Gebrechlichkeit (Frailty) gemäß der Definition von Linda Fried et al. einen wichtigen Stellenwert ein. Gebrechlichkeit wird hierbei als Symptomkomplex mit mindestens 3 der folgenden Kriterien definiert: unbeabsichtigter Gewichtsverlust, zunehmende Erschöpfung, Einschränkung der maximalen Handkraft, reduzierte Ganggeschwindigkeit und eingeschränkte körperliche Aktivität [5]. Die körperliche Aktivität älterer Patienten wird dabei oftmals von einer Sarkopenie (Muskelschwund) beeinträchtigt. Zwischen 5 und 13 % der über 60-Jährigen leiden an einer Sarkopenie, bei über 80-Jährigen steigt die Prävalenz auf bis zu 50 % [6]. Dies erschwert zusätzlich die Rehabilitation alterstraumatologischer Patienten. Eine posttraumatische Immobilisierung muss zwingend vermieden werden, um einen weiteren Verlust von Muskelmasse sowie mit Immobilisierung assoziierte Komplikationen wie Infektionen, Delir oder Thrombosen zu vermeiden. Daten aus der Literatur bestätigen, dass ältere Hüftfraktur-Patienten, die erst verzögert nach zweiwöchiger Immobilisation im Bett mobilisiert wurden, nach 6 Monaten eine signifikant höhere Mortalität gegenüber unmittelbar postoperativ mobilisierten Patienten aufweisen [7]. Älteren Patienten ist es oftmals nicht möglich, eine postoperative Teilbelastung einzuhalten. Die Anordnung einer solchen führt letztendlich zu einer unnötigen Verzögerung der Mobilisation [8]. Trotz der durch Osteoporose reduzierten Knochenqualität, welche oftmals eine chirurgische Herausforderung darstellt, ist eine belastungsstabile Frakturversorgung gerade bei diesen älteren unfallchirurgischen Patienten von übergeordneter Bedeutung, um eine rasche vollbelastende Mobilisation zu erreichen.

Implantate und
Augmentationstechniken

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