Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Chirurgische Therapie osteoporotischer Frakturen

Prinzipiell muss in der chirurgischen Therapie osteoporotischer Frakturen zwischen rekonstruktiven Osteosynthesen und einer endoprothetischen Versorgung mit den jeweiligen Risiken abgewogen werden. Im Falle einer rekonstruktiven Osteosynthese wird eine offene oder geschlossene anatomische Reposition der Fraktur durchgeführt, sofern möglich unter Anwendung eines minimal-invasiven Verfahrens. Insbesondere bei intraartikulären Frakturen ist das Ziel, eine anatomisch exakte und stufenfreie Wiederherstellung des Gelenkes zu erreichen, um eine sekundäre Arthrose zu vermeiden. Bei den Implantaten wird zwischen extramedullären und intramedullären Osteosynthesen unterschieden. Bei den extramedullären Verfahren kommen insbesondere Plattenosteosynthesen zum Einsatz. Dabei gibt es inzwischen eine Vielzahl an Frakturform und Körperregion angepasster Platten.

Bei der winkelstabilen Plattenosteosynthese, welche sich erst zu Beginn dieses Jahrtausends durchgesetzt hat, werden die Schrauben durch das Gewinde im Schraubenkopf an der Platte winkelstabil fixiert. Bei axialer Belastung fungiert die Platte somit als ein die frakturüberbrückender Kraftträger. Ziel ist die Ermöglichung der Knochenheilung, die eine geringfügige interfragmentäre Bewegung in der Frakturzone erlaubt, um eine mechanische Stimulation der Knochenheilung zu liefern. Es kommt zu einer sekundären Frakturheilung durch Kallusbildung [9]. Zunehmend werden auch polyaxial winkelstabile Platten verwendet. Hier lassen sich die Schrauben um ihre senkrechte Hauptachse schwenken und in weiteren Positionen verblocken.

Bei der Marknagelosteosynthese, auch als intramedulläre Schienung bezeichnet, werden lange Nägel minimalinvasiv in die Markhöhle des Knochens eingebracht und führen so zu einer Stabilisierung der Fraktur. Dieses Verfahren kommt vor allem bei langen Röhrenknochen (Humerus und Femur) zum Einsatz.

Endoprothesen sind Implantate, die dauerhaft ein Gelenk ersetzen. Die Indikation wird insbesondere bei älteren Patienten mit mehrfragmentären, intraartikulären Frakturen gestellt, bei denen durch ein osteosynthetisches Verfahren keine ausreichende Rekonstruktion erreicht werden kann. Endoprothesen haben jedoch nur eine begrenzte Lebensdauer, bei Hüftgelenksendoprothesen liegt diese unter normalen Bedingungen zwischen 15 und 20 Jahren, wobei die Standzeiten aufgrund optimierter Implantatdesigns und Verankerungstechniken zunehmend länger werden. Komplikationen wie eine Prothesenlockerung und ein Prothesenabrieb können im Verlauf zu einem Revisionseingriff führen.

Neben der Einführung winkelstabiler Plattenosteosynthesen adressiert die Augmentation der Implantate mit verschiedenen Biomaterialien das Problem eines Mangels trabekulärer Knochenstruktur. Augmentation versteht man a.e. als Vergrößerung der Kontaktfläche von Implantat und Knochen. Die Anwendung von Zement als Knochenersatzmaterial kann auch als die Vermehrung der knöchernen, bzw. knochenähnlichen Substanz bezeichnet werden. Ziel der Implantatlager-Augmentation ist die Vermeidung von Repositionsverlust, „cut-out“ von Osteosynthesematerial und anderweitiger Implantatdislokationen. Aktuelle Anwendungsgebiete der Zementaugmentation sind insbesondere metaphysäre Frakturen (vornehmlich proximale Humerus- und Femurfrakturen), Vertebro- und Kyphoplastien und die Augmentation von Pedikelschrauben im Rahmen dorsaler Stabilisierungen an der Wirbelsäule. Je nach Anwendungsgebiet sind verschiedene Knochenzemente am Markt verfügbar. Die Liste geeigneter Stoffe erstreckt sich von Calcium-Derivaten über bioaktive Polymere bis hin zum weit verbreiteten Polymethylmethacrylat (PMMA). Aufgrund der durch eine Augmentation verbesserten Stabilität treten o.g. osteosynthese-spezifische Komplikationen seltener auf und sichern eine frühestmögliche vollbelastende Mobilisation ab. Die Entscheidung für oder gegen eine Augmentation bleibt jedoch immer eine Individualentscheidung unter Berücksichtigung der Grunderkrankungen und intraoperativen Knochenqualität. Mögliche Komplikationen wie eine Leckage des Zements gilt es, dringend zu vermeiden. Durch die Verwendung wasserlöslicher Kontrastmittel unter Durchleuchtung vor Injektion des Augments lässt sich ein Zementmittelaustritt in Gelenke oder den Spinalkanal antizipieren.

Häufige osteoporotische Frakturentitäten

Proximale Femurfraktur

Pertrochantäre Femurfrakturen und Schenkelhalsfrakturen sind die häufigsten Frakturen am proximalen Femur und treten überwiegend bei älteren Patienten mit osteoporotischem Knochen auf. Mit einer Ein-Jahres-Mortalität von bis zu 30 % sind proximale Femurfrakturen zudem eine häufige Todesursache im Alter [10]. Aufgrund der besonderen Bedeutung der interdisziplinären Versorgung bei Hüftfrakturpatienten hat der Gemeinsame Bundesausschuss im November 2019 eigens eine Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung zur Versorgung von Patienten mit einer hüftgelenknahen Femurfraktur beschlossen, welche seit dem 01.01.2021 verbindlich ist. Mit Standards zu Struktur, Personal und Verfahrensabläufen soll vor allem sichergestellt werden, dass die betroffenen Patientinnen und Patienten in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme operiert werden können, sofern ihr Allgemeinzustand dies zulässt. Pertrochantäre Femurfrakturen werden in der Regel osteosynthetisch versorgt. Die intramedulläre Versorgung mit einer Marknagelosteosynthese ist hierbei die häufigste operative Methode. Die biomechanischen Vorteile einer Marknagelversorgung können gerade bei reduzierter Knochenqualität auch durch die Möglichkeit der Zementaugmentation der Klinge im Kopfhalsfragment weiter unterstützt werden (Abb. 1) [11]. Schenkelhalsfrakturen werden bei älteren Patienten zunehmend primär endoprothetisch versorgt aufgrund des ca. 20 %igen Risikos einer sekundären Komplikation, welches bei einer primär endoprothetischen Versorgung deutlich geringer ist. Dies ist oftmals durch das Risiko einer sekundären Frakturdislokation, Hüftkopfnekrose oder Infektion begründet, weshalb es gerade bei älteren Patienten das übergeordnete Ziel ist, mit einer „single-shot-surgery“ einer unmittelbaren vollbelastenden Mobilisierung gerecht zu werden [12]. Man unterscheidet zwischen der hemiprothetischen Versorgung mittels Duokopfprothese, bei der lediglich der Hüftkopf durch eine Prothesenkomponente ersetzt wird und der totalendoprothetischen (TEP) Versorgung. Während die Hemiprothese den Vorteil einer kürzeren OP-Dauer mit geringerem OP-Trauma hat, weist die Totalendoprothese bessere Langzeitergebnisse auf [13]. Auch hier kann eine Zementaugmentation zur Anwendung kommen. Bedacht werden muss jedoch, dass bei Revisionseingriffen eine Zementaugmentation für den Operateur ein größeres Hindernis im Rahmen der Implantatentfernung darstellen kann (Abb. 1) [14].

Proximale Humerusfraktur

Proximale Humerusfrakturen stellen im Alter eine klassische Indikatorfraktur einer zugrundeliegenden Osteoporose dar. Je nach Ausmaß der Dislokation können solche Verletzungen konservativ mit frühfunktioneller Beübung, mittels offener Reposition und interner Fixierung mit Marknägeln oder winkelstabilen Plattensystemen oder gar gelenkersetzend behandelt werden [15]. Das durch ein konservatives Verfahren höheres Maß an Dislokation und Fehlstellung ist bei schwer vorerkrankten und kognitiv stark eingeschränkten Patienten tolerabel. Zwar kann dies nach der Heilung ggf. in einer eingeschränkten Funktion der Schulter resultieren, erspart den Patienten aber einen Krankenhausaufenthalt und eine Operation. Bei der Rekonstruktion und winkelstabilen Plattenosteosynthese stehen heute außerdem zusätzliche Systeme zur Verfügung, die über perforierte Schrauben eine Zementaugmentation ermöglichen und so auch im osteoporotischen Knochen einen größeren Halt bieten, das Risiko der sekundären Dislokation minimieren und eine sichere Verankerung gewährleisten [16]. Auch muss die Abhängigkeit der Patienten von Hilfsmitteln wie Rollatoren zur Mobilisation individuell bedacht werden, weshalb die Funktionalität der oberen Extremität oftmals tatsächlich bedeutender ist als angenommen. Bei höhergradiger Beteiligung der Gelenkfläche ist die primäre Implantation eines Gelenkersatzes einer Rekonstruktion vorzuziehen (Abb. 2) [17]. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Literatur zeigt sich, dass der primäre Gelenkersatz nach einer Fraktur dem sekundären Gelenkersatz überlegen ist, was wiederum im Sinne der „single-shot-surgery“ insbesondere bei älteren Patienten bedeutsam ist [18].

Wirbelkörperfraktur

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