Übersichtsarbeiten - OUP 03/2022

Chirurgische Therapie osteoporotischer Frakturen

Wirbelkörperfrakturen gehören neben den proximalen Femur- und Humerusfrakturen zu den häufigsten Frakturentitäten des älteren Menschen. Der durch eine Osteoporose bedingte Verlust der Trabekelstruktur führt zu einem sukzessiven Einbrechen des Knochens. Durch den schleichenden Prozess des Einbruchs sind solche Frakturen nur in seltenen Fällen mit neurologischen Ausfällen assoziiert. Im Röntgenbild zeigt sich eine solche Fraktur je nach Ausprägung als Keil-, Fisch- oder Plattwirbel. In der Praxis hat sich für osteoporotische Wirbelkörperfrakturen inzwischen eine eigene Frakturklassifikation etabliert. Aus der sog. OF-Klassifikation (osteoporotische Frakturen Klassifikation) lässt sich zudem auch eine therapeutische Konsequenz ableiten [19]. Bei der operativen Therapie kommen dabei häufig Augmentationstechniken mit PMMA-Zementen sowie minimalinvasive Therapieoptionen zur Anwendung. Die Versorgung instabiler Wirbelkörperfrakturen erfolgt meist durch eine dorsale Stabilisierung. Gerade bei osteoporotischem Knochen kann es jedoch zur einer Schraubenlockerung kommen, welche durch eine Zementaugmentation erfolgreich reduziert werden kann (Abb. 3) [20]. Bei der Vertebroplastie werden PMMA-Zemente perkutan in die geschädigten Wirbelkörper eingebracht. Eine zu vermeidende Komplikation der Vertebroplastie ist jedoch der Zementaustritt. Tritt dieser in den Spinalkanal aus, kann dies neurologische Schäden nach sich ziehen und schlimmstenfalls zu einer Paraplegie führen. Auch Zementembolien durch einen intravasalen Zementaustritt können begünstigt werden, bleiben jedoch im überwiegenden Teil der Fälle asymptomatisch [21]. Die Kyphoplastie stellt eine Weiterentwicklung der Vertebroplastie dar. Unter Verwendung eines Ballons werden frische Frakturen zunächst wieder aufgerichtet. Ein Zementaustritt kann durch die Schaffung eines Augmentationshohlraumes durch den Ballon reduziert werden. Durch größere Durchmesser der Nadeln sowie niedrige Applikationsdrücke wird das Risiko eines Zementaustritts weiter vermindert (Abb. 3).

Distale Radiusfraktur

Bei der distalen Radiusfraktur weist die verzögerte operative Versorgung auf dem Boden einer sekundären Frakturdislokation nach zunächst eingeleiteter konservativer Therapie schlechtere Ergebnisse auf [22]. Bei älteren Patienten kommt es daher zunehmend zu einem Paradigmenwechsel hin zur vermehrten operativen Versorgung der distalen Radiusfraktur mit einer palmaren Plattenosteosynthese. Dies ist in einer früher freifunktionellen Behandlung und der Möglichkeit der unmittelbaren Belastung für die Aktivitäten des täglichen Lebens begründet. Die häufig noch akzeptierte, unmittelbar postoperative Immobilisation des Handgelenkes mit einer starren Handgelenkorthese geht in der frühen postoperativen Phase mit einer deutlichen Funktionseinschränkung einher und es besteht gerade bei osteoporotischen Frakturen das Risiko einer sekundären Frakturdislokation, daher sollte die Ruhigstellung in einem Gips oder Cast individuell kritisch hinterfragt werden [23].

Beckeninsuffizienzfraktur

Beckeninsuffizienzfrakturen stellen eine weitere typische Frakturentität bei alten und hochbetagten Patienten dar und weisen insbesondere seit der 2013 etablierten FFP-Klassifikation nach Rommens und Hofmann et al. sowie aufgrund der demografischen Entwicklung unserer alternden Gesellschaft eine zunehmende Bedeutung auf. FFP I- und II-Frakturen führen konservativ behandelt meist zu guten funktionellen Ergebnissen. FFP III- und IV-Frakturen sollten hingegen operativ versorgt werden. Dabei kommen je nach Instabilität der Fraktur und Allgemeinzustand des Patienten Schrauben- und Plattenosteosynthesen (SI-Verschraubung und Symphysenplatten) oder Schrauben-Stab-Systeme (Fixateur externe oder interne) zur Anwendung [24].

Sekundäre Frakturprävention

und Chancen eines
interdisziplinären
Behandlungskonzepts

Neben der Akutversorgung hat auch die Sekundärprävention einen entscheidenden Stellenwert in der Behandlung osteoporotischer Frakturen bei alterstraumatologischen Patienten mit dem Ziel, Folgefrakturen und Komplikationen zu minimieren. Das Vorliegen einer Fragilitätsfraktur ist der größte Risikofaktor für weitere Frakturen mit wiederum hohen Morbiditäts- und Mortalitätsraten [25]. Die Abklärung und ggf. Einleitung einer Osteoporose-Therapie hat daher im klinischen Alltag einen hohen Stellenwert. In der Regel sollte eine Osteoporose-Basistherapie nach Durchführung eines spezifischen Labors bereits während des stationären Aufenthaltes begonnen werden. Daten zeigen, dass bei ausreichend hohem Vitamin D-Spiegel eine signifikant bessere Frakturheilung und eine signifikante Reduktion weiterer Frakturen erreicht werden kann [26]. Ebenso ist eine kalziumreiche Ernährung z.B. durch milchhaltige Produkte sicherzustellen. Gemäß der aktuellen Leitlinie schließt sich in der Diagnostik der Osteoporose eine Knochendichtemessung mittels Dual Energy X-ray Absorptiometry (DXA) an. Bestenfalls kann bei Bedarf im Verlauf die Einleitung einer spezifischen Osteoporose-Therapie erfolgen. Zur Koordination der Osteoporose-Therapie alterstraumatologischer Patienten wurde in einigen Kliniken ein sog. Fracture Liaison Service (FLS) initiiert. Bei einem FLS handelt es sich um eine durch einen Koordinator/-in organisierte Netzwerkstruktur, welche die individuelle Sicherung der Diagnostik und Behandlung einer Osteoporose über den stationären Aufenthalt hinaus sichern soll.

Der Kerngedanke der alterstraumatologischen Behandlung von älteren Patienten mit osteoporotischen Frakturen ist daher eine individualisierte, interdisziplinäre Versorgung, um eine möglichst ganzheitliche Versorgung zu erreichen und den Erhalt von Alltagsaktivitäten, Gesundheit und Selbständigkeit dieser Patienten zu sichern. Um eine rasche interdisziplinäre Versorgung der Patienten effektiv umzusetzen, wurden bereits diverse SOPs (Standard operating procedures) bzw. Behandlungspfade veröffentlicht. In Deutschland wurde für eine effektive Umsetzung die Initiative „AltersTraumaZentrum DGU“ durch die AG Alterstraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) ins Leben gerufen. Grundlage der Initiative sind die im „Kriterienkatalog AltersTraumaZentrum DGU“ eindeutig festgelegten qualitätsorientierten Kriterien. Die Anwendung eines derartigen Katalogs im Zertifizierungsverfahren hat zum Ziel, unfallchirurgisch-geriatrische Interdisziplinarität bei der Behandlung des Alterstraumas zu fördern, die Behandlungsqualität und -ergebnisse zu verbessern und mit dem AltersTraumaRegister DGU Daten für die Versorgungsforschung zur Verfügung zu stellen. Neben der chirurgischen Therapie ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne eines Co-Management Modelles unumgänglich. In einem interdisziplinären Team von Chirurgen, Geriatern, Physiotherapeuten, Pflegekräften, Sozialdienstmitarbeitern und weiteren Berufsgruppen können die vielschichtigen Herausforderungen älterer Patienten bestmöglich identifiziert und Folgekomplikation reduziert werden.

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