Übersichtsarbeiten - OUP 10/2018

Das schmerzbezogene quantitative Leistungsvermögen in der sozialmedizinischen orthopädisch- unfallchirurgischen Begutachtung

Fälle einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen stellen auch bei juristischer Betrachtung der sozialmedizinischen Begutachtung nur ein Randthema dar, sie sind entsprechend selten. Beispiele hierzu befinden sich in der juristischen Literatur lediglich als „Kolibris“, sie tragen dem Umstand Rechnung, dass eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das mögliche Arbeitsfeld in erheblichen Umfang einengen können. Konkret benannt wurden hier kombinierte Einschränkungen der Beweglichkeit der Hände und des Sehvermögens in Bezug auf die Arbeitsumgebung und Arbeitshaltung sowie weiterer Kontextfaktoren. Beschrieben wurde u.a. der Fall einer Migrantin, die neben Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane noch Analphabetin war, sich weder in der Muttersprache noch der Sprache des Gastlands schriftlich ausdrücken und verständigen konnte.

Darüber hinaus ergibt sich rein rechtlich eine Einschränkung des qualitativen Leistungsvermögens, wenn die relevanten Körperhaltungen Gehen, Stehen und Sitzen jeweils in einem nur noch bedingungsgemäßen Umfang von 10 % der Arbeitszeit geleistet werden können. In diesem Fall ergibt sich rein rechnerisch kein Leistungsbild mehr, was über 3 Stunden liegt. Bei der Betrachtung eines möglichen eingeschränkten Leistungsvermögens spielt auch die prognostische Einschätzung eine Rolle, z.B. die Tatsache, dass für die Folgezeit häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten zu erwarten sind. Einzubeziehen sind auch durchgeführte Therapiemaßnahmen und deren Ergebnis sowie die Frage, ob noch therapeutische Ressourcen bestehen. Wichtig ist auch, ob Probanden mit chronischen Schmerz ungünstige Therapieerfahrung haben, etwa nach zahlreichen Operationen im Bereich großer Gelenke oder der Wirbelsäule oder komplikationsbehaftete Verläufe.

Zusammenfassung

Im Rahmen orthopädisch-unfallchirurgischer Begutachtungen von Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane lässt sich eingeschränktes quantitatives Leistungsvermögens kaum noch begründen. Darüber hinaus gibt es gerade im Bereich der schmerzmedizinischen Begutachtung Fälle, die ein auch in quantitativer Hinsicht beeinträchtigtes Leistungsbild begründen. Auf kontext- und organbezogene Begründungen für ein mögliches, auch in quantitativer Hinsicht eingeschränktes Leistungsvermögen wurde eingegangen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stefan Middeldorf

Schön Klinik Bad Staffelstein

Am Kurpark 11

96231 Bad Staffelstein

smiddeldorf@schoen-kliniken.de

Literatur

1. Deutsche Rentenversicherung: Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung – Leistungsfähigkeit bei Bandscheiben- und Bandscheibenassoziierten Erkrankungen, Juni 2009, www.deutsche-rentenversicherung.de

2. Keller F, Schairer U, Kappis B: Sozialmedizinische Begutachtung bei chronischen Schmerzzuständen. MedSach 2016; 112: 56–9

3. Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen („Leitlinie Schmerzbegutachtung“). 4. Aktualisierung 2017. AWMF-Registernummer 094–003

4. Schiltenwolf M: Menschen mit Schmerzen. In: Hollo DF, Schiltenwolf M: Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane. Stuttgart, Thieme, 2013: 802–32

5. Widder B: Schmerzsyndrome. In: Deutsche Rentenversicherung Bund: Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung. Berlin: Springer, 2011: 599–618

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