Übersichtsarbeiten - OUP 03/2023

Degenerative zervikale Myelopathie
Pathogenese, Bildgebung und Therapie

Schließlich wird auch eine genetische Prädisposition unterschiedlicher degenerativer Erkrankungen der Wirbelsäule diskutiert [7]. Untersucht wurden vor allem Veränderungen der Bandscheibe und die Ossifikation des hinteren Längsbandes, oft bezogen auf regionale Besonderheiten.

Symptome

Die klinischen Beschwerden sind vielfältig und zu Beginn häufig unspezifisch [11]. Typisch sind lokale Schmerzen im Nacken mit Ausstrahlung in die Schultern, eine Feinmotorikstörung, Gleichgewichtsstörungen, Gangunsicherheit, Sensibilitätsstörungen, Paresen und in schweren Fällen Blasen- und Darmstörungen. Betroffen sind die Bahnen im Rückenmark ab der Läsion nach caudal. Die Schmerzen im Nacken sind durch die degenerativen Veränderungen zu erklären.

Störungen des Tractus corticospinalis (Pyramidenbahn) führen zu Paresen, von denen die kleine Handmuskulatur, aber häufig auch die Beine betroffen sein können, da die Bahnen für die unteren Segmente im Tractus corticospinalis außen liegen (die Kompression kommt von außen). Da sich die Schädigung auf Rückenmarksebene, also zentral abspielt, handelt es sich um spastische Paresen, was sich in gesteigerten Muskeleigenreflexen äußert. Die Pyramidenbahnen projizieren vor allem auf die ?-Motoneurone der distalen Extremitätenmuskeln und spielen somit eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Feinmotorik. Es kommt daher zu einer Feinmotorikstörung der Hände (das Schließen von Hemdknöpfen fällt schwer) und der Beine (Unsicherheit beim Laufen). Zudem kontrollieren die Fasern der Pyramidenbahn synaptische Prozesse im Rückenmark. Es können von der Pyramidenbahn eigentlich unterdrückte propriozeptive Verschaltungen wieder in Kraft treten, sodass primitive Reflexe (Pyramidenbahnzeichen, Babinski-Reflex, Knips-Reflex) wieder auslösbar sind [12].

Störungen der sensiblen Bahnen führen zu Störungen der Oberflächensensibilität (Parästhesien, Hypästhesien) an Armen und Beinen. Zudem kommt es häufig zu einer Störung der Tiefensensibilität, was die Feinmotorik verschlechtert und zu einer Ataxie führt. Zusammen mit den Paresen entsteht so das typische spastisch-ataktische Gangbild. Bei fortgeschrittener Myelopathie kann es auch zu Störungen der Blasenfunktion kommen.

Bei der klinischen Untersuchung sind daher die Untersuchung der Oberflächensensibilität an Armen und Beinen sowie die Prüfung der Kraft an oberer und unterer Extremität wichtig. Zudem spielt der Reflexstatus eine große Rolle und es ist nach gesteigerten Muskeleigenreflexen und nach Pyramidenbahnzeichen zu suchen. Eine Hyperreflexie hat eine Sensitivität von 72 % und eine Spezifität von 43 % für eine Myelopathie. Der Knips-Reflex (Hoffmann’s Zeichen) kommt auf eine Sensitivität von 49 % und eine Spezifität von 84 %. Ein Fußklonus und ein positiver Babinski-Reflex haben jeweils eine geringe Sensitivität von 13 % aber eine Spezifität von 100 %) [13]. Bei 79 % der Patientinnen und Patienten mit Myelopathie und bei 95 % der Patientinnen und Patienten mit einem auffälligen Rückenmarksignal im MRT findet sich zumindest ein positives Myelopathiezeichen versus 57 % der Patientinnen und Patienten mit Nackenschmerzen ohne Myelopathie.

Ungefähr zwei Drittel der Patientinnen und Patienten mit einer Myelopathie haben zusätzliche radikuläre Beschwerden [11]. Es kommen dann zusätzlich zu den oben genannten Symptomen noch radikuläre Schmerzen im Arm, dem zugehörigen Dermatom entsprechende Sensibilitätsstörungen und Paresen der entsprechenden Muskulatur in unterschiedlicher Ausprägung hinzu. Da die Ursache für die radikulären Beschwerden in der Kompression der Nervenwurzel liegt (distal vom ?-Motoneuron), kommt es zu einer schlaffen Parese und zu einer Reflexabschwächung. Es finden sich also möglicherweise bei einer Patientin/einem Patienten gleichzeitig sowohl Zeichen einer peripheren radikulären Schädigung und Zeichen einer zentralen Rückenmarksschädigung [12]. Paresen und eine Gangunsicherheit als erste Symptome sind negative Prädikatoren bezüglich des postoperativen neurologischen Ergebnisses [11].

Eine Reihe von klinischen Tests und Fragebögen wurde entwickelt zur Diagnose und Verlaufsuntersuchung einer DZM [14]. Funktionelle Defizite werden mit dem Nurick-Score und dem modifizierten Japanese Orthopedic Association (mJOA) Score untersucht, wobei der Nurick-Score vor allem die Schwierigkeiten beim Laufen berücksichtigt. Für die Einschätzung des Schweregrads der Myelopathie ist der mJOA-Score [15] geeignet (Tab. 1). Er besteht aus einer Skala mit insgesamt 18 Punkten, von denen 5 Punkte die motorische Funktion der oberen Extremität, 7 Punkte die motorische Funktion der unteren Extremität, 3 Punkte Sensibilitätsstörungen und 3 Punkte Blasenstörungen berücksichtigen. Mindestens 15 Punkte wurden als milde Myelopathie definiert, 12–14 Punkte als moderate und weniger als 12 Punkte als schwere Myelopathie. Diese Einteilung ist bei der Auswahl einer geeigneten Therapie zur Einschätzung von Risiken und Nutzen wichtig.

Bildgebung

Röntgenbilder der HWS liefern Informationen über das globale Alignement. Die zervikale Skoliose oder eine kyphotische Fehlstellung wird im seitlichen Bild sichtbar [17]. Das physiologische Alignement wiederherzustellen, ist ein Ziel des chirurgischen Eingriffs, weshalb radiologische Kriterien in die Planung der Operation einbezogen werden. Ebenso kann eine statische Instabilität in Form einer Spondylolisthese erkennbar sein [18]. Der Nutzen dynamischer Funktionsaufnahmen wird kontrovers diskutiert. Das Bewegungsausmaß der Wirbelsäule wird dargestellt und chronische Instabilitäten können erkennbar werden. Allerdings wird oftmals nur eine geringe Sensitivität für das Erkennen einer Segmentinstabilität angegeben [19, 20].

In der Computertomographie (CT) lassen sich knöcherne Strukturen als Ursache der Stenose (z.B. Osteophyten, Ossifikationen des hinteren Längsbandes) darstellen. Zudem kann das CT wichtige Knochenstrukturen wie den Wirbelkörper, die Massa lateralis und die Pedikel, aber mit Hilfe einer CT-Angiographie auch die Arterien (A. vertebralis) visualisieren, was zur Planung der Schraubenlage hilfreich sein kann. Wenn ein MRT kontraindiziert ist, kann eine CT-Myelographie sinnvoll sein [18].

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