Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Diagnostik und Behandlung des Polytraumas im Kindesalter

Stationär steht die Therapie der Lungenkontusion im Vordergrund, wobei der Oxygenierungsindex und Blutgasanalysen wichtige Verlaufsparameter für das Vorliegen einer respiratorischen Insuffizienz sind. Da in bis zu 30 % der Fälle nach schwerer Lungenkontusion Pneumonien beschrieben sind, sollte frühzeitig eine antibiotische Therapie erfolgen. Eine kinetische Therapie wie beim Erwachsenen ist bei Kindern nicht etabliert.

Abdominalverletzungen

Abdominalverletzungen treten im Vergleich zum Erwachsenenalter häufiger und untypischer auf. Die kindlichen Oberbauchorgane sind verhältnismäßig groß und liegen enger beieinander. Durch den physiologischen Zwerchfelltiefstand bietet der elastische kindliche Brustkorb sowie die noch nicht ausgeprägte Bauchmuskulatur keinen ausreichenden Schutz, sodass es häufig zu Leber- und Milzverletzungen kommen kann. Zeigt sich in der obligatorisch durchzuführenden FAST-Sonografie im Schockraum freie Flüssigkeit und bestehen trotz Volumensubstitution anhaltend instabile Kreislaufverhältnisse, so sollte ein unverzüglicher Abbruch der Schockraumdiagnostik mit Verbringung in den OP zur Durchführung einer explorativen Laparatomie erfolgen. Beachtet werden muss hierbei, dass ein Blutdruckabfall im Rahmen eines Schockgeschehens beim Kind erst spät auftreten kann und eine auftretende Tachykardie, eine kalte Peripherie oder auch eine beginnende Somnolenz bereits als Alarmzeichen einer rasch drohenden Dekompensation gewertet werden müssen. Operativ wird primär der Organerhalt angestrebt. Bei nicht stillbarer parenchymatöser Blutung der Milz muss jedoch auch beim Kind die Splenektomie, bzw. bei nicht stillbarer Leberblutung nach dem „damage control“-Prinzip das perihepatische Packing der Leber erfolgen [22]. Nach postoperativer Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse sollte die initial unterbrochene Schockraumdiagnostik einschließlich der CT unbedingt komplettiert werden. Zeigen sich im Schockraum hingegen stabile oder zu stabilisierende Kreislaufverhältnisse, so kann auch bei sonografisch nachgewiesener Flüssigkeit in aller Regel eine konservative Behandlung der Abominalverletzung erfolgen. Ob sogar auf eine CT-Untersuchung des Abdomens verzichtet werden kann, muss im Einzelfall anhand des Unfallmechanismus, des Verletzungsmusters, der Begleitverletzungen sowie der klinischen und laborchemischen Untersuchung entschieden werden [23]. Beim Hinweis auf das Vorliegen einer abdominellen Begleitverletzung wie Hohlorganverletzungen oder Zwerchfellverletzungen, die eine operative Intervention nach sich ziehen, sollte eine CT-Untersuchung durchgeführt werden. Auch sind hier regelmäßige klinische Re-Evaluationen und im Zweifel CT-Kontrolluntersuchungen nach Kontrastmittelgabe erforderlich, da sie auch sekundär im Rahmen eines akuten Abdomens am 1. oder 2. posttraumatischen Tag auffällig werden können. Wird ein Abdominaltrauma mit freier Flüssigkeit konservativ behandelt, besteht die Gefahr, Darmverletzungen zu übersehen, die sich dann im Verlauf erst durch eine Peritonitis manifestieren können und die operative Versorgung mit u.U. Anlage eines temporären Anus praeter bedürfen. Somit erfordert die konservative Behandlung eine intensivmedizinische Überwachung des Kindes mit engmaschigen sonografischen und laborchemischen Kontrollen inklusive abdomineller klinischer Untersuchungen sowie eine sofortige Operationsbereitschaft bei Verschlechterung [24].

Beckenverletzungen

Das kindliche Becken ist elastisch und verformbar, sodass Beckenverletzungen im Kindesalter eher sehr selten sind. Sie zeugen bei Vorhandensein von einer hohen Gewalteinwirkung. Klinisch können große gürtelförmige Hämatombildungen inguinal und im Skrotumbereich sowie perianal als Zeichen einer Rektumverletzung auftreten. Auf abdominale und retroperitoneale Begleitverletzungen muss beim Vorliegen einer knöchernen Beckenverletzung in jedem Fall geachtet werden. Auch Hohlorganverletzungen wie eine Blasenruptur sind möglich, die bei intraabdomineller Ruptur operativ versorgt werden müssen. Die bei Erwachsenen verwendete Beckenzwinge als Notfallmaßnahme zur Primärstabilisierung im Schockraum hat bei Kindern keine Relevanz. Eine Wickelung der Beine in Innenrotation oder die Anlage eines kleinen Beckengürtels sind zumeist ausreichend [25]. Die Einteilung der Beckenfrakturen erfolgt nach der AO-Klassifikation wie beim Erwachsenen. Zumeist handelt es sich um stabile A-Frakturen, deren Behandlung konservativ erfolgt. Bei den B- und C-Frakturen erfolgt in der Regel die geschlossene Reposition mit Anlage eines supraazetabulären Fixateur externe als definitives Therapieverfahren. Interne Osteosynthesen sind eher erst ab dem Adoleszentenalter im Einzelfall sinnvoll, v.a. bei Azetabulumverletzungen.

Wirbelsäule

Auch Verletzungen der Wirbelsäule sind aufgrund der Elastizität des Knochens und der geringen Masse des kindlichen Körpers eher selten. Die Unterteilung erfolgt ebenfalls wie beim Erwachsenen nach der AO-Klassifikation in A-, B- und C-Frakturen. Die meisten Frakturen sind stabile A-Verletzungen. Sie sind teilweise nur in der MRT zu erkennen und werden funktionell behandelt. Hingegen ist bei Flektions- und Distraktionsverletzungen (Typ B) sowie den Rotations- und Translationsverletzungen (Typ C) der Anteil neurologischer Komplikationen mit 20–30 % höher als beim Erwachsenen [26]. Eine Sonderstellung nimmt aufgrund des ungünstigen Kopf-Körper-Verhältnisses, der schwachen Hals-Nacken-Muskulatur, den flacher stehenden Facettengelenken und dem nachgiebigen Bandapparat die obere HWS der unter 12-Jährigen ein. Eine atlanto-occipitale Dislokation wird zumeist aufgrund des begleitenden Schädel-Hirn-Traumas mit Hirnstammläsion kaum überlebt. Weiterhin können atlanto-axiale Dislokationen, Densfrakturen und ligamentäre Instabilitäten im Segment C2/3 auftreten, wobei auf die physiologische C2/3-Subluxation des Kleinkindes geachtet werden muss. Operativ erfolgt die Therapie zumeist unter Reposition und Anlage eines Halo-Fixateurs [27].

Frakturen der mittleren und unteren HWS betreffen zumeist Kinder älter als 12 Jahre. Zumeist handelt es sich hierbei um Kompressionsfrakturen, die mittels Ruhigstellung in der Philadelphia-Krawatte ausbehandelt werden können. Auch bei den Frakturen der BWS und LWS handelt es sich überwiegend um stabile Kompressionsfrakturen, die konservativ behandelt werden. Handelt es sich um eine instabile Verletzung, so muss auch beim Kind eine operative Versorgung erfolgen. Hier reicht die dorsale Reposition mit Anlage eines Fixateur interne häufig aus, wobei man von einer akzeptablen Vernarbung und Ausheilung der betroffenen Bandscheiben ausgeht. Handelt es sich jedoch um eine ausgedehnte Verletzung mit Zerreissung der Bandscheiben, muss – wie auch beim Erwachsenen – die ventrale Fusion erwogen werden. Ebenfalls muss beim Vorliegen einer relevanten Spinalkanaleinengung mit neurologischen Ausfällen eine dorsale Dekompression mit Laminektomie erfolgen.

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