Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Die akute VKB-RupturWann und wie ist der VKB-Repair sinnvoll?
Mirco Herbort , Nima Befrui, Christian Fink, Johannes Glasbrenner
Zusammenfassung:
Die primäre Naht der akuten VKB-Ruptur hat in den 2010er Jahren durch die Entwicklung der Ligamys-Technik eine Renaissance erlebt. Aktuell werden vor allem eine dynamische (Ligamys) oder statische Augmentation (z.B. Internal Brace) mit einem reißfesten Faden vollzogen, um die Einheilung des vorderen Kreuzbandes zu verbessern.
Neben der biomechanischen Unterstützung der Einheilung des vorderen Kreuzbandes gibt es auch erste Bestrebungen zur biologischen Unterstützung mittels des von Martha Murray entwickelten „BEAR“-Verfahrens.
In den letzten Jahren konnten mittlerweile einige klinische Studien zeigen, dass bei einer unkritischen Patientenselektion mit deutlich erhöhten Rerupturquoten zu rechnen ist. Diese zum Teil stark erhöhten Rerupturquoten können positiv beeinflusst werden, wenn eine besonders zuträgliche Rupturform (proximal, ein Strang und intakter Synovialschlauch), ein geringeres Aktivitätsniveau mit Tegner-Score < 7 vorliegt und wenn die Patientin/der Patient eher älter als 30 Jahre ist. Anhand der aktuellen Studienlage konnte bislang kein evidenter Hinweis auf einen klinischen Vorteil der kreuzbanderhaltenden Verfahren im Vergleich zum Goldstandard der VKB-Rekonstruktion aufgezeigt werden.
Insgesamt ist das Evidenzlevel zu einigen Verfahren jedoch nach wie vor eher gering, sodass genauere Aussagen nicht möglich sind.
Schlüsselwörter:
VKB-Naht, Ligamys, Internal brace, VKB-Rekonstruktion, konservativ
Zitierweise:
Herbort M , Befrui N, Fink C, Glasbrenner J: Die akute VKB-Ruptur.
Wann und wie ist der VKB-Repair sinnvoll?
OUP 2024; 13: 260?264
DOI 10.53180/oup.2024.0260-0264
Summary: Primary suturing of acute ACL rupture has experienced a renaissance in the 2010s with the development of the Ligamys technique. Currently, dynamic (Ligamys) or static augmentation (e.g. Internal Brace) with a strong suture is used to improve the healing of the anterior cruciate ligament.
In addition to biomechanical support of anterior cruciate ligament healing, there are also initial efforts to provide biological support using the „BEAR“ procedure developed by Martha Murray.
In recent years, a number of clinical studies have now shown that significantly increased rerupture rates can be expected if patients are not selected critically. These partly strongly increased rerupture rates can be positively influenced, if a particularly beneficial rupture form (proximal, one strand and intact synovial tube), a lower activity level with Tegner Score < 7 is present and if the patient is rather older than 30 years. Based on the current body of studies, no evidence of a clinical advantage of cruciate ligament-preserving procedures compared with the gold standard of ACL reconstruction has been demonstrated to date.
However, overall the level of evidence for some procedures is still rather low, therefore more precise statements are not possible.
Keywords: ACL suture, ligamys, internal brace, ACL reconstruction, conservative
Citation: Herbort M , Befrui N, Fink C, Glasbrenner J: Acute ACL rupture. When and how does ACL repair make sense?
OUP 2024; 13: 260?264. DOI 10.53180/oup.2024.0260-0264
M. Herbort: OCM Orthopädische Chirurgie München & UMIT Research Unit für Sportmedizin des Bewegungsapparates und Verletzungsprävention, Hall in Tirol, Österreich
N. Befrui: OCM Orthopädische Chirurgie München
C. Fink: Gelenkpunkt, Innsbruck, Österreich & UMIT Research Unit für Sportmedizin des Bewegungsapparates und Verletzungsprävention, Hall in Tirol, Österreich
J. Glasbrenner:TOM Traumatologie-Orthopädie-Mallorca, Spanien
Einleitung
Der erste Fall einer erfolgreichen VKB-Naht wurde 1895 von Mayo Robson mit guter Funktion und keiner Instabilität im Follow up nach 8 Jahren berichtet [22].
Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren wurden die VKB-Rupturen in der Regel mittels Ausziehnähten in einer offenen Technik (z.B. Palmer- oder Marshaltechnik) versorgt [14, 23]. Durch die Weiterentwicklung der arthroskopischen Techniken in der Kniechirurgie wurden minimalinvasive Techniken zur Naht des vorderen Kreuzbandes erfunden und angewandt. Zum Teil konnten Langverlaufsstudien von Kreuzbandnähten befriedigende Ergebnisse zeigen wie z.B. T. Strand et al. mit 27 % Versagerquote nach einem Follow-up von 15–23 Jahren [23]. Allerdings zeigten weitere klinische Verlaufsstudien eine zunehmend hohe Quote von Rerupturen oder Rezidivinstabilitäten nach Kreuzbandnaht. Insbesondere bei Verlaufskontrollen über 5 Jahren zeigten sich in mannigfaltigen klinischen Untersuchungen eine sehr hohe Versagerquote von häufig über 50 %. Aus diesem Grund wurden in den 1980er Jahren vor allem die Ersatzplastiken des vorderen Kreuzbandes etabliert und weiterentwickelt.
Die Naht bzw. die operative Wiederherstellung der Kontinuität des vorderen Kreuzbandes hat insbesondere in den 2010er Jahren dann jedoch eine neue Renaissance erfahren.
Insbesondere durch die Entwicklung des Ligamys-Systems durch Prof. Stefan Egli, keimte in der orthopädischen/unfallchirurgischen Gesellschaft die neue Hoffnung auf, die Naht und somit die primäre Wiederherstellung des vorderen Kreuzbandes mit einer hohen Erfolgsquote erreichen zu können. In der Zwischenzeit wurden mittlerweile einige klinische Daten zu den modernen Techniken des VKB-Erhalts gesammelt, so dass sich aktuell mit wissenschaftlichem Hintergrund die Frage gestellt werden kann, wann und wie die primäre Naht des VKB sinnvoll sein kann.
Problem der primären
Heilung des VKB
Biomechanische Stabilität der VKB-Naht
Als entscheidender Grund für die reduzierte Heilungskapazität des vorderen Kreuzbandes wird die Anisometrie des vorderen Kreuzbandes mit der daraus resultierenden Anspannung der Kreuzbandfasern während des Gangzyklus angesehen.
Dieser potenziellen Problematik hat sich das Ligamys-System angenommen, welches ein dynamisches Stabilisationssystem darstellt, das eine intraartikuläre Stabilisierung des Gelenkes und damit eine kontinuierliche Entlastung des refixierten VKB-Stumpfes gewährleisten kann. Die wechselnde Anspannung des hoch reißfesten Fixationsfadens (Polyethylen) (> 2000 N Ausreißkraft) wird hierbei durch einen Federmechanismus, welcher in die Tibia eingebracht wird (Monoblock mit 30 mm x 10 mm Ausmaß), ausgeglichen. Damit soll eine hohe zyklische Belastung dieses Fixationsfadens reduziert werden (Abb. 1).
Neben den augmentierten Repairtechniken sind durch verbesserte arthroskopische Techniken und Ankersysteme auch die isolierten Ankerrefixationen eines VKB-Stumpfes weiterentwickelt worden. Hierbei wird der tibiale VKB-Stumpf mit einer arthroskopischen Technik über einen Knochenanker im femoralen Insertionsbereich refixiert. Auf eine zusätzliche Stabilisierung des Kniegelenkes durch einen reißfesten Faden wird in diesem Fall verzichtet [2].
Diese 3 Techniken stellen derzeit das operative Portfolio der VKB-Refixationstechniken dar, mit denen eine ausreichende Primärstabilität des VKB-Repairs erreicht werden soll.
Biologische Heilungsfaktoren
Neben den biomechanischen Herausforderungen werden jedoch auch relevante biologische Faktoren für eine schlechte Heilungstendenz des vorderen Kreuzbandes verantwortlich gemacht.
Insbesondere die Arbeitsgruppe von Martha Murray hat mit Hilfe einiger wichtiger experimentellen Grundlagenstudien aufzeigen können, dass die Synovialflüssigkeit insbesondere durch die hohe Plasminogen-Konzentration ein Fibrin assoziiertes Bridging zwischen den zerrissenen Bandanteilen verhindert [16, 18]. Das Fibrin vermittelte Bridging ist jedoch die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Heilung eines gerissenen Bandes und stellt nach Murrays Vorstellung den entscheidenden Unterschied zur extraartikulären Heilung, z.B. des medialen Kollateralbandes dar.
Um das notwendige Bridging der zerrissenen VKB-Fasern zu ermöglichen, wurde durch die Arbeitsgruppe um Martha Murray eine OP-Technik entwickelt, bei der neben der primären Naht des VKBs dieses mit einem Kollagenschwamm umgeben wurde, der die Fasern vor dem Plasminogen-Milieu schützen und somit ein notwendiges Bridging ermöglichen soll [17, 19, 20]. Es handelt sich hierbei um eine Repairtechnik, bei der das biologische Problem adressiert wurde, jedoch das potenzielle biomechanische Problem neben den reinen Ausziehnähten nicht optimiert wurde. Dieses Verfahren zeigt zwar erste positive klinische Ergebnisse, befindet sich aber noch in den ersten klinischen Erprobungen und ist im deutschsprachigen Raum noch nicht auf dem freien Markt erhältlich [19].
Wann und wie ist der VKB-Repair sinnvoll?
Der Frage, wie sinnvoll ein VKB-Repair ist und vor allem in welchen Fällen dieser indiziert ist, haben sich mittlerweile einige klinische Studien gewidmet. Den Erfahrungen aus den frühen 70er und 80er Jahren folgend sind vor allem langzeitliche Untersuchungen mit über 3–5 Jahren wegweisend und aussagekräftig, da vor allem in diesem Verfolgungszeitraum die Rerupturquoten der Kreuzbandnähte hochsignifikant angestiegen sind.
Allerdings konnten bereits für einen Beobachtungszeitpunkt von 2 Jahren viele klinische Studien signifikant erhöhte Rerupturquoten im Vergleich zur VKB-Rekonstruktion aufzeigen.
Patientenselektion
Nach Analyse aller verfügbaren Studien der dynamischen und statisch augmentierten VKB-Repairtechniken zeigt sich eine große Bedeutung der adäquaten Auswahl der/des passenden Patientin/Patienten für die Durchführung einer VKB-Repairtechnik. Die wichtigste Limitation der Repairtechniken sind die in den meisten Studien festgestellte erhöhte Reruptur oder Versagerquoten. Es konnten jedoch in einigen Studien wichtige Parameter herausgearbeitet werden, die Einfluss auf das Rerupturrisiko nach einem VKB-Repair haben.
Rupturform
Die genaue Rupturform des vorderen Kreuzbandes hatte bislang bei alleiniger Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes eine untergeordnete Bedeutung und wurde somit in der klinischen Routine bis auf die Differenzierung in Teil- und Vollrupturen nicht genauer analysiert. Für die Indikationsstellung zum VKB-Repair scheint die genaue Beschaffenheit des Stumpfes jedoch eine große Rolle zu spielen. Mehrere Studien konnten eine signifikante Reduktion der Rerupturquote zeigen, sofern die Ruptur möglichst proximal, aus einem einzelnen Strang und mit intaktem Synovialschlauch gerissen ist (Typ A1.1.-Ruptur) (Abb. 4) [7].
Ateschrang et al. konnten in einer Subgruppenanalyse eine Reduktion der Versagerquote von etwa 27 % in der Gruppe der VKB-Stümpfe mit zerstörtem Synovialschlauch und mindestens 2 Bündeln auf 4 % in der „Einbündel“- und intaktem Synovialschlauch-Gruppe feststellen [3].
Krismer et al. konnten einen günstigen Einfluss auf die Rerupturquoten zeigen, wenn die Ruptur proximal gelegen ist [12].
Wichtige Voraussetzung für eine gute Indikationsstellung ist natürlich die zuverlässige radiologische Beurteilung der Rupturform. Diese konnten jedoch durch von van der List et al. bestätigt werden (Abb. 5) [13, 24].
Somit kann durch eine adäquate MRT-Bildgebung eine sichere Klassifikation des VKB-Stumpfes erfolgen und damit die Heilungschancen eines VKB-Repairs antizipiert werden.
Alter und Aktivität der Patientinnen und Patienten
Weitere wichtige Prädiktoren, die Einfluss auf die Erfolgswahrscheinlichkeit einer VKB-Repairtechnik haben sind das Alter und das Aktivitätsniveau der Patientinnen und Patienten.
Krismer et al. konnten in ihrem Kollektiv zeigen, dass eine Aktivität mit einem Tegner-Score < 7, einem Patientenalter über 30 Jahren und einer Ruptur im proximalen Bereich des VKB die Rerupturquote signifikant auf 3,9 % gesenkt werden konnte [12].
Einen hoch signifikanten Einfluss auf das Rerupturrisiko konnten Gagliardi et al. aus ihrer Studie erschließen, bei der sie jugendliche Patientinnen und Patienten (7–18 Jahre alt) nach Repair mit der Internal Brace-Technik mit einer Kontrollgruppe des selben Alters nach Rekonstruktion mit einer Quadricepsehnen-Knochenblock-Technik verglichen haben [5]. Während die Repair-Gruppe nach einem Follow-up von 3 Jahren in 48,8 % der Fälle eine Reruptur erlitten hatten, so konnte eine Reruptur in der Rekonstruktionsgruppe nur bei 4,7 % der jungen Patientinnen und Patienten festgestellt werden. In dieser besonders jungen und aktiven Patientengruppe lag somit nach Repair ein zehnfach erhöhtes Rerupturrisiko vor [5].
Die derzeit wissenschaftlich hochwertigste Studie ist die Studie von Glasbrenner et al., bei der mit einem prospektiv randomisierten Studiendesign (Level 1) nach einem 5-jährigen Follow-up VKB-Repair-Patientinnen und -Patienten mit dem Ligamys-System mit Patientinnen und Patienten nach einer Rekonstruktion mit Semitendinosussehne verglichen wurden [6].
Schlussendlich konnten im Rahmen dieser Studie übereinstimmend mit vorherigen anderen Studien eine erhöhte Rerupturquote mit konkret 35 % im Repairkollektiv und bei Patientinnen und Patienten unter 25 Jahren und Tegnerscore ? 7 von sogar 83,3 % beobachtet werden [6]. Auch diese Level 1-Studie bestätigt zum einen die grundsätzlich erhöhten Rerupturquoten und zum anderen die große Bedeutung des Alters und der Aktivität bei der Patientenselektion für ein VKB-Repairverfahren.
Bezüglich der reinen Refixation des vorderen Kreuzbandes konnten Achtnich et al. in ihrer prospektiven Vergleichsstudie mit 40 Patientinnen und Patienten und einem Follow-up von 2 Jahren eine Versagerquote von 15 % im Falle der Refixation im Vergleich zu 0 % in der Rekonstruktionsgruppe feststellen [1].
Systematische Reviews zu klinischen Ergebnissen nach VKB-Repair
Ein systematisches Review über nichtaugmentierte, augmentierte und dynamisch augmentierten VKB-Repairtechniken konnte anhand von 31 Artikeln mit insgesamt 2422 Patientinnen und Patienten das nach wie vor geringe Evidenzlevel festhalten [11]. Insbesondere zu den statisch augmentierten Repairtechniken gibt es derzeit keine Studien, die ein Evidenzlevel von 3 überschreitet.
Ein weiteres aktuelles systematisches Review von 2019 über die Outcomes des VKB-Repairs konnte feststellen, dass die Ergebnisse der Rekonstruktion denen des VKB-Repairs überlegen sind [21]. Insbesondere die Quoten von Rerupturen (23,1 %), Revisions-VKB-Eingriffen (33,3 %) und allgemeinen Re-Operationen (51,5 %) waren insgesamt nach VKB-Repair-Operationen erhöht.
Übereinstimmend zu den bereits oben angegebenen Subgruppenanalysen und dem Einfluss der dezidierten Patientenselektion für ein Repairverfahren der vorderen Kreuzbandruptur, zeigt sich in der Analyse dieses Reviews bei isolierter Versorgung von proximalen Rupturen eine relevante Reduktion der Revisions-VKB-Rekonstruktionen und allgemeinen Revisionseingriffen auf ein weiterhin sicherlich erhöhtes Maß von 12,9 % und 18,2 %.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aktuelle klinische Studien bezüglich der klinischen Scores vergleichbare Ergebnisse mit einem VKB-Repairverfahren erzielen können. Die Rerupturquoten sind nach VKB-Repair jedoch deutlich erhöht im Vergleich zu VKB rekonstruierenden Verfahren unter Verwendung von autologen Sehnentransplantaten.
Die stark erhöhten Rerupturquoten können zumindest reduziert werden, wenn lediglich günstige Rupturformen (proximale Ruptur mit möglichst einsträngigem Stumpf mit intaktem Synovialschlauch) bei eher älteren Patientinnen und Patienten (über 30 Jahre alt) mit geringerem allgemeinem Aktivitätsniveau (Tegnerscore < 7) einer VKB-Repairoperation unterzogen werden.
Die jungen und hochaktiven Patientinnen und Patienten sind aufgrund des deutlich erhöhten Rerupturrisikos eher nicht für ein VKB-Repairverfahren geeignet.
Interessenkonflikte:
M. Herbort: Beratertätigkeit und Vortragsarbeit für Arthrex, Enovis/Mathys, Stryker, Medacta International
C. Fink: Berater/Vortragstätigkeit für Medacta International, Karl Storz, Stryker, Smith and Nephew
N. Befrui: keine angegeben
J. Glasbrenner: Berater /Vortragstätigkeit für Mathys
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Mirco Herbort
OCM Orthopädische Chirurgie München
Steinerstraße 6, 81369 München &
UMIT Research Unit für Sportmedizin
des Bewegungsapparates und
Verletzungsprävention
Hall in Tirol, Österreich
mirco.herbort@ocm-muenchen.de